Monat: September 2017

Das Stilfser Joch mit dem Rennrad: Eine Reportage

Mit dem Rennrad auf das Stilfser Joch

Mit dem Rennrad aufs Stilfser Joch

Bis hierhin und nicht weiter. Ich krieche. Nein, ich taumle. Eiskalte Wassertropfen treffen mein Gesicht, sie fühlen sich an wie Nadelstiche. Es ist eine Mischung aus Regen und Graupel, die auf mich niederprasselt. Neben mir schwanken ausgezehrte Körper auf ihren Rädern. Sie fahren Schlangenlinien. Der Asphalt ist an dieser Stelle bis zu 12 Prozent steil. An den Straßenrändern ragen 1,50 Meter hohe Schneemauern auf. „3 KM“ steht auf dem Schild, das ich anstarre. Darüber türmt sich eine weiße Nebelwand auf. Mein Körper ist im Überlebensmodus. Gedanken sind zu diesem Zeitpunkt längst keine mehr in meinem Kopf. Ich bin ganz bei mir, im Hier und Jetzt. Mein Blick geht zur nächsten Kehre. Fünf davon sind es noch bis ins Ziel. 33 Kehren habe ich hinter mir. Dies sind die letzten Kilometer meines ersten Radmarathons auf italienischem Boden. Mein erster Gran Fondo. Das Stilfser Joch fasziniert mich seit meiner Kindheit. Damals habe ich heimlich eine Liste angelegt, die Liste meiner Rennrad-Träume. Darauf standen die Namen der Passstraßen, die ich durch wochenlanges TV-Studium von Tour de France und Giro d’Italia verinnerlicht habe. Ganz oben: L‘Alpe d’Huez, der Mont Ventoux und eben das Stilfser Joch.

„Ich höre die Klänge des Triumphes“

Der Stelvio, wie ihn die Italiener nennen, ist die zweithöchste asphaltierte Straße der Alpen, die „Königin der Passstraßen“ oder je nach Perspektive auch der „höchste Rummelplatz Europas“. Aus meiner heutigen Sicht ist es ganz einfach das Ziel des Gran Fondo Santini Stelvio. Ich kann die Musik schon Kilometer vor der Passhöhe hören. Der Wind weht die Klänge des Trubels zu mir hinunter. Die Musik treibt mich an nicht abzusteigen, obwohl ich allen Grund dazu hätte. Nicht ein Muskel krampft. Mein ganzer Körper streikt. Bei jedem Zug am Lenker schießen Krämpfe durch meine Unterarme. Meine Beine sind längst betäubt von der Kälte. Die Luft ist drei Grad Celsius kalt. Stunden zuvor und etwa 1500 Höhenmeter tiefer waren es noch 20 Grad mehr. Doch hier oben, 2400 Meter über dem Meer, scheint es, als wäre der Winter gerade erst zu Ende gegangen. Ab Juni ist der berühmteste Pass Italiens normalerweise befahrbar. Das kalte Weiß am Straßenrand zeugt von einem langen Winterschlaf.

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Tornante 34

Schlafen und Essen zählen zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Hier oben, kurz vor dem Ziel und am Ende meiner Kräfte werde ich wieder daran erinnert. Ich habe seit Tagen zu wenig geschlafen. Der Start um 6:30 Uhr in Bormio kommt erschwerend hinzu. Als Morgenmuffel fällt Sport vor 10 Uhr für mich unter Folter. Ausgelaugt von mehr als 130 Kilometern Rennstrapazen, versuche ich meinen Körper zu überlisten. Ich träume vom Zucker – in fester und flüssiger Form: Kuchen, Muffins, Cola. Dieser Dreiklang treibt mich an und bringt mich wieder eine Kehre nach oben. Tornante 34 lese ich verschwommen am Straßenrand.

Mortirolo: Kurz, steil, legendär

Dabei hatte ich mich „nur“ für die mittlere Route des Gran Fondo Santini Stelvio entschieden. Sie ist 138 Kilometer lang und hat 3055 Höhenmeter. Das Stilfser Joch wartet erst zum finalen Höhepunkt: 21,5 Kilometer sind es von Bormio aus, 1560 Höhenmeter geht es am Stück bergauf. Auf der Route dazwischen liegen zwei eher kleinere Berge in Teglio und La Motta. Eigentlich nichts Besonderes, genau richtig für meinen ersten Radmarathon auf italienischem Boden. Für Andere bietet der Gran Fondo Stelvio noch zwei weitere Streckenvarianten: Die kurze, über 60 Kilometer, beginnt in Bormio, dreht eine kleine Schleife über Sondalo, bevor es hinauf zum Stelvio geht. Die lange Route ist um einiges schwieriger. Sie ist 151 Kilometer lang, hat 4058 Höhenmeter und eine weitere echte Pass-Legende im Programm: den Mortirolo. Die „Mauer“ nennen die Einheimischen den Weg hinauf. Der Mortirolo zählt zu den steilsten und härtesten Anstiegen im Alpenraum. Seine Durchschnittssteigung beträgt von Tovo di Sant‘Agata mehr als zwölf Prozent. An der brutalsten Stelle ist der Asphalt rau, die Straße extrem schmal und sie schraubt sich mit 17 Prozent in die Höhe.

Krämpfe, Nebel, Serpentinen

Der Mortirolo war einer der Gründe, warum ich bei der Streckenwahl im Vorfeld lange überlegt habe. Ein niederländischer Kollege hatte mich vorgewarnt: „Die lange Runde ist zwar deutlich kürzer als der Ötztaler Radmarathon, aber mindestens genauso anstrengend. Hast du den Mortirolo in den Knochen, wird es am Stelvio brutal hart.“ Wie Recht der Kollege aus Groningen hatte. Auch ohne die „Mauer“ hat es der Gran Fondo in sich. Das spüre ich jetzt auf den letzten drei Kilometern bis ins Ziel. Der Tacho pendelt zwischen neun und zehn Kilometern pro Stunde. Weiter unten, in den ersten Serpentinen, waren es noch doppelt so viele. Ich bin hierhergekommen, um mehr vom Stelvio-Feeling zu erfahren, dem Gefühl, von dem jeder schwärmt, der den Pass schon bezwungen hat. Von diesem Flow bin ich aktuell weit entfernt. Mir ist kalt, ich habe Krämpfe, um mich herum ist nichts als Nebel. Ich will einfach nur das Zielbanner sehen, eine heiße Dusche, eine heiße Suppe. An Genuss ist in diesem Augenblick nicht zu denken. Viel Zeit zum Genießen blieb mir von Anfang an nicht. Vom Start weg schießt das Feld los. Die ersten knapp 50 Kilometer führen leicht bergab. Die austrainierten italienischen Fahrer – geschätztes Durchschnittsgewicht 62 Kilogramm – um mich herum schlagen sofort ein hohes Tempo an. Rechts und links von mir fahren dünne, ölige Zahnstocherbeine vorbei. Die Sehnen und Venen verraten, dass sie schon viele Lebens- und Jahreskilometer absolviert haben. Zu viele für mich. Immer wieder versuche ich ein Hinterrad zu erhaschen. Meistens erfolglos. Nach einer Stunde Fahrzeit zeigt mein Tacho 42,4 Kilometer. Einen 40er Schnitt in meinem ersten Gran-Fondo-Rennen auf italienischem Boden hätte ich mir nicht erträumt. Doch ich weiß auch, dass noch fast 100 Kilometer vor mir liegen. Dieser Traum könnte noch zum Albtraum werden.

Durch Weinfelder und alte Dörfer

Als der erste echte Anstieg kommt, bin ich fast erleichtert. Kein Hinterradsuchen mehr, kein Stress, jeder fährt sein eigenes Tempo. Ich schlängele mich durch einen bunten Wald aus Radtrikots, deren Träger sich den Berg hinaufkämpfen. Rechts und links der Straße wachsen Weinreben. Ab und an stehen ein paar Weinbauern mit ihren Traktoren am Rand und schauen dem Treiben mit stoischer Ruhe zu. Der Anstieg führt mitten durch ihre Anbaugebiete. An diesem Sonntag müssen sie ihre Berge ein paar Stunden lang mit den Radfahrern teilen. Dann gibt die Straße einen Blick ins Tal frei. Unter mir liegt Teglio, eine 4500-Einwohner-Gemeinde mit uralten Häusern. Im nächsten Moment werde ich von einem lauten „Hey“ aus den Gedanken gerissen. „Wie geht’s dir?“, werde ich gefragt. Ich brauche zwei Sekunden, um Willem zu erkennen, meinen niederländischen Kollegen. Er war am Anfang in der Spitzengruppe und lässt sich jetzt zurückfallen. „Noch gut“, sage ich, „der Anfang war mir etwas zu schnell.“ Er grinst und meint: „Du machst es richtig. Ich bin jetzt schon fertig.“ Wir verabschieden uns, jeder fährt seinen Rhythmus.

Stilfser Joch Granfondo Ziel

Überall wird man wie ein Held empfangen

Spätestens nach dem ersten Berg hat man auch als Gran-Fondo-Neuling eine Gruppe zum Mitfahren gefunden. Meine ist in diesem Fall acht Fahrer stark und bunt zusammengewürfelt. Auf dem Rückweg Richtung Bormio kreiseln wir wie ein eingespieltes Team. Die Verständigung klappt wortlos. Wir passieren alte urige Dörfer, in denen die Menschen an diesem Sonntag aus ihren Häusern gekommen sind, um uns anzufeuern. Italien ist noch immer radsportverrückt. Das sieht man, das spürt man. Vom kleinen Kind bis zum Senior. Die Menschen stehen am Straßenrand und schwenken grün-weiß-rote Fähnchen. Selbst die Häuser sind beflaggt. Jeder einzelne Fahrer wird hier wie ein Held empfangen.

Kein leichter Weg

Unser Weg zurück nach Bormio ist mühsam. Die Gruppe zerfällt zunehmend. Die letzten 45 Kilometer bis ins Ziel steigen stetig an. Je näher es in Richtung des berühmten Skiorts geht, desto mehr kriecht die Anspannung in mir hoch. Als wir nur noch zu dritt das Ortsschild passieren und Richtung Altstadt abbiegen, fragt mich einer der italienischen Begleiter: „Are you ready for Stelvio?“ Ich zögere. Ob ich bereit bin oder nicht, spielt ohnehin keine Rolle. Ich muss da hoch. Vorher wartet noch die „Henkersmahlzeit“. Auf dem Marktplatz haben die Organisatoren eine große Verpflegungs-Station errichtet. Es gibt frisches Obst, Kuchen, belegte Brote und sogar Kaffee. Ich bleibe kurz stehen, schnappe mir so viel ich kriegen kann und schwinge mich wieder aufs Rad. Mit vollem Mund rumpele ich über das Kopfsteinpflaster und durch die engen Gassen zurück zur Hauptstraße. Dort beginnt der Anstieg des Stelvio. Die ersten Meter auf der SS 38 sind noch recht gemütlich. Schnell habe ich einen Rhythmus gefunden. Oberhalb der Bagni di Bormio, der berühmten Thermalheilbäder, passiere ich einen ersten 150 Meter langen Tunnel. Es wird mit einem Schlag finster. Um mich herum tropft das Wasser von der Decke und den Wänden. Ich spüre die Kälte mittlerweile am ganzen Körper. Auf dem Weg zur Passhöhe warten in kurzen Abständen sechs weitere in den Fels gehauene, irgendwie altertümliche Tunnel. Der längste von ihnen ist rund 250 Meter lang. Nicht alle davon sind gut ausgeleuchtet. Nach dem letzten Tunnel türmt sich dann eine zwölf Prozent steile Rampe auf. Gleich im Anschluss muss ich 14 weitere Kehren und über 300 Höhenmeter erklimmen. Noch ist mein Tritt einigermaßen rund. Schnell bin ich trotzdem nicht mehr.

Eineinhalb Stunden bergauf

Ich schleppe mich die letzte der Serpentinen nach oben. Hier ist man plötzlich in einer anderen Welt. Das fast baumlose Hochtal Bocca del Braulio erinnert eher an ein schottisches Hochmoor als an ein Alpental. Für die traumhafte Schönheit habe ich zu diesem Zeitpunkt keinen Blick mehr. Seit eineinhalb Stunden fahre ich jetzt bergauf – und sehne das Ende herbei. Nach fast 18 Kilometern Kletterei kommt die Abzweigung zum Umbrailpass. Die Schweizer Grenze ist nicht weit, der Umbrail liegt nur rund zwei Kilometer Luftlinie vom Stilfser Joch entfernt. Der Gran Fondo führt auf italienischem Terrain weiter. Es folgen die letzten dreieinhalb Kilometer und noch einmal fast 300 Höhenmeter zur Passhöhe. Hier oben spürt man die dünne Luft. Ich kämpfe, während mein Oberkörper von rechts nach links wiegt. Trotzdem werde ich immer langsamer. Das Ziel ist nur drei Kilometer entfernt. Doch in diesem Moment ist das eine Unendlichkeit.

Wenn Träume wahr werden

Die Steigung lässt kein bisschen nach. Dann beginnt es auch noch zu regnen. Erst sind es wenige schwere Regentropfen, die auf mein Trikot prasseln. An Kehre drei sammeln sich Schneekristalle auf meinen Armlingen. 200 Meter vor dem Ziel zieht keine Böe auf. Sie ist einfach da. Der Wind zerrt an mir. Mit 80 km/h zieht er über mich hinweg. Ich kämpfe, ich taumle, ich gehe aus dem Sattel. Zum Sprinten habe ich keine Kraft mehr. Meine Augen fixieren die Absperrgitter und den blauen Zielbogen. Das Ziel steht genau auf der Passhöhe. Die Menschenmasse dort nehme ich kaum wahr. Als mein Vorderrad über die Ziellinie rollt, huscht ein Lächeln über mein Gesicht und ich blinzle gen Himmel. Weißes Sonnenlicht trifft mein Gesicht. Die Sonne durchbricht für einen kurzen Moment die Wolkendecke. Mein Traum ist wahr geworden. Ich bin oben. //

Die Region Bormio

Die Lage: Bormio liegt in der norditalienischen Provinz Sondrio (Lombardei) und hat nur rund 4500 Einwohner. International bekannt ist es vor allem als Thermalzentrum und Wintersportort.

Die Anreise: Von München aus sind es über die A95 Richtung Garmisch-Partenkirchen, Fernpass, Landeck, Reschenpass, Schena, Prad und die Nordrampe des Stilfser Jochs rund 320 Kilometer; Fahrzeit: etwas mehr als fünf Stunden.

Unsere Hotel-Empfehlung: Das Hotel Funivia im Herzen von Bormio. Das Drei-Sterne-Hotel bietet gemütlich eingerichtete Zimmer, einen Radkeller mit Werkstatt sowie einen großen Wellness- und Spa-Bereich. Hotelbesitzer Daniele Schena ist leidenschaftlicher Radsportler. Er und sein Team ausgebildeter Bike-Guides begleiten Rennradfahrer auf die bekannten Pässe der Region. Stilfser Joch, Gavia- und Mortirolo-Pass stehen mindestens einmal pro Woche auf dem Plan.

Hotel Funivia Bormio

Hotel-Adresse: Hotel Funivia, Via Funivia 34, BORMIO (SO), Telefon: +39 0342903242, Mehr Infos unter: www.hotelfunivia.it

Granfondo Stelvio Santini: Die 2017er Ausgabe des Granfondo mit Ziel auf der Passhöhe des Stilfser Jochs findet am 11. Juni statt. Zur Auswahl stehen drei Routen: Die kurze Runde (60 Kilometer; 1950 Höhenmeter) führt von Bormio aus nach Sondalo und retour nach Bormio, bevor der 21 Kilomter lange Anstieg zum Stelvio beginnt. Die Medium-Route (138 Kilometer; 3053 Höhenmeter) schlängelt sich über Tirano und Aprica, zurück nach Bormio und dann aufs Stilfser Joch. Auf der langen Route (152 Kilometer; 4058 Höhenmeter) wartet zur Rennhälfte der Mortirolo, einer der steilsten Anstiege der Alpen. Das Stilfser Joch wartet als Krönung zum Schluss.

Route Granfondo Stelvio Santini

Mehr Infos zu Bormio: www.bormio.eu; www.granfondostelviosantini.com; www.stelvioexperience.it.

Die Trittfrequenz beim Rennradtraining: Wissensstand und Einflussfaktoren

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Worum es geht

Unter Trittfrequenz versteht man die Anzahl der kompletten Kurbelumdrehungen pro Zeiteinheit, in der Regel pro Minute. Die Trittfrequenz wird in Watt (Newtonmeter/Sekunde) gemessen, also in Kraft mal Weg durch Zeit. Der Weg ergibt sich aus dem Umfang einer Pedalumdrehung mal deren Anzahl: Je höher die Trittfrequenz ist, desto größer ist der zurückgelegte Weg, desto kleiner ist die aufzubringende Kraft. Eine hohe Trittfrequenz schont zum einen die Gelenke, zum anderen bedingt sie eine ökonomisierte Muskelarbeit: Muskeln werden häufiger ange- und wieder entspannt, die Phasen der Anspannung sind kürzer, daher wird der Blutfluss innerhalb des Muskels nur kurz behindert – das Blut kann besser zirkulieren. In der Theorie – aber so einfach ist es in der Praxis nicht, wie untenstehende Studienergebnisse – und erfolgreiche Fahrer, die extrem kraftvoll und mit niedriger Frequenz treten – beweisen. Als hohe Trittfrequenzen gelten in der Regel zwischen 90 und 130 Umdrehungen pro Minute, als niedrige 50 bis 90 Umdrehungen pro Minute.

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Stand der Wissenschaft

Die ersten Studien zur „optimalen“ Trittfrequenz gab es 1929. Seitdem ist es unter anderem die „frei gewählte Trittfrequenz“ (FGT), die im Fokus der Forschungen steht. Laut vieler Studienergebnisse erhöht sie sich bei ansteigender Leistung. So wählten die Probanden, trainierte Fahrer, in einer Studie von Hansen (2002) bei 150 Watt eine durchschnittliche Trittfrequenz von 75. Bei 250 Watt eine von 82. Etwas anderes ist die sogenannte „optimale Trittfrequenz“, die landläufig auch oft als „der runde Tritt“ bezeichnet wird. So wurde in einer US-amerikanischen Studie aus 2006 der Einfluss auf die Zeitfahrleistung untersucht. Die Strecke war rund acht Kilometer lang. Ergebnisse: Die Athleten, die mit einer durchschnittlichen Trittfrequenz von 83 unterwegs waren, waren um rund neun Prozent schneller als die Fahrer jener Gruppe, die mit einer Durchschnittsfrequenz von 92 fuhren. Die Teilnehmer mit einer 101er Frequenz waren wiederum um rund elf Prozent langsamer als jene aus der 92er-Gruppe. Fazit: Die Weisheit „schneller treten ist ökonomischer“ ist demnach nicht haltbar. Es kommt auf die Situation an – und auf die eigene Konstitution.

Einflussfaktoren

Die „optimale Trittfrequenz“ wird unter anderem vom maximalen Sauerstoffaufnahmevermögen beeinflusst. Und von der Position und Bewegung des Oberkörpers: Am Berg ist bei vielen Radfahrern eine vermehrte Bewegung des Oberkörpers und eine aufrechtere Sitzposition zu beobachten. Die Erklärung dafür: eine effektivere Wirkungsweise der Hüftmuskulatur. Auch deshalb ist die richtige Sitzposition so wichtig. Der dritte Faktor ist die äußere mechanische Widerstandskraft: Diese setzt sich aus allen Kräften zusammen, die der motorischen Antriebskraft entgegenwirken.

Wirkungsgrad

In der Theorie hat die eingesetzte Kraft immer nur, wenn sie im 90 Grad Winkel zur Kurbel wirkt, den optimalen Wirkungsgrad. Betrachtet man die Sitzposition auf dem Rad, betrifft dies zwei Kurbelpositionen, bei 90 und 270 Grad. Viele Studien an Radfahrern haben gezeigt, dass die überwältigende Mehrheit von ihnen in der „Zugphase“, zwischen 180 und 360 Grad, nicht am Pedal zieht. Die Zugphase zu betonen kann jedoch den Wirkungsgrad erhöhen. Andererseits haben EMG-Studien jedoch auch gezeigt, dass bei einem erhöhten Wirkungsgrad in der Regel auch die Muskelaktivität erhöht ist – somit wird dann mehr Energie benötigt. Wieder zeigt sich: Es gibt keine allgemeingültigen Empfehlungen, sondern „der optimale Tritt“ ist höchst individuell. Ein Techniktraining – wie etwa das einbeinige oder auch extrem hochfrequente Pedalieren auf dem Rollentrainer – hat sich in den meisten Fällen als effektiv erwiesen.

Typsache

Die Trittfrequenz wird unter anderem auch von der Laktatkonzentration im Blut und der Herzfrequenz während der Belastung beeinflusst. Untersuchungsergebnisse von Coast (1985) zeigten die geringste Laktatbildung bei Trittfrequenzen von rund 80 Umdrehungen pro Minute.

Eine Studie von Suzuki (1979) zeigte, dass sich zwischen Probanden mit einem extrem hohen Anteil an FT-Fasern (schnell zuckende Muskelfasern) und Probanden mit einem extrem hohen Anteil an ST-Fasern (langsam zukkende Muskelfasern) Unterschiede des Wirkungsgrades bei 100 Umdrehungen pro Minute zeigten: Probanden mit einem hohen Anteil von FT-Fasern erzielten einen signifikant höheren Wirkungsgrad als jene mit einem hohen Anteil an ST-Fasern. Bei einer Trittfrequenz von 60 ergab sich kein signifikanter Unterschied im Wirkungsgrad. Suzuki folgerte daraus, dass langsame Muskelfasern bei einer hohen Trittfrequenz einen geringeren Wirkungsgrad, bei einer niedrigeren dagegen einen höheren Wirkungsgrad aufweisen als schnelle Fasern. //

Neuer Weltrekord von Christoph Strasser in Australien

Christoph Strasser Aufmacher

Ein leises gleichmäßiges Surren begleitet das Gespräch. Das Geräusch einer Kette, die Ritzel bewegt. Christoph Strasser trainiert auf dem Ergometer. Vor genau zwei Wochen fuhr er noch auf dunklem Asphalt, auf der linken Straßenseite, am anderen Ende der Welt – einmal quer durch Australien, knapp sechseinhalb Tage, fast ohne Pause.

Die ersten Fragen drehen sich um ein zum Rollen-Training passendes Thema: Monotonie. Australien ist zu größten Teilen ein flacher, karger, heißer, kaum besiedelter Kontinent. Ein weites leeres Land. Fast 4000 Kilometer lang hat es gedauert, es zu durchqueren – von einer Küste zur anderen.

„Das Wort monoton ist eigentlich untertrieben, es ist nicht stark genug. Von den 3950 Kilometern sahen 3700 komplett gleich aus. Mal sind die Bäumchen zwei Meter hoch, mal drei. Mal sieht man alle 50 Meter einen Termitenhügel, mal alle 100. Die einzige psychische Strategie, die einem da bleibt, ist, sich immer nur auf die aktuelle Gerade zu konzentrieren.“

Gegen die Hitze – und gegen sich selbst

Die Straßen sind meist endlos, ohne Kurven, eine schnurgerade schwarze Linie, die im Horizont verschwindet. Am 10. Januar um 14 Uhr steigt Christoph Strasser in Perth, an der Westküste, auf sein Fahrrad. Am 17. Januar um 3:58 Uhr nachts kommt er vor dem Opernhaus in Sydney an. Am anderen Ende des Kontinents. Den Start am Mittag hat er mit Bedacht gewählt. Denn um diese Tageszeit weht ein starker Wind vom Meer landeinwärts. Er hat sich selbst Rückenwind besorgt – für die ersten 100 Kilometer seiner Tour. Nein, es ist keine Tour. Es ist ein Rennen. Eines ohne physischen Gegner – außer der Natur. Ein Rennen gegen sich selbst. Ein Kampf des Willens, ein Kampf gegen sich selbst.

Christoph Strasser MassageChristoph Strasser seitlichChristoph Strasser von Hinten Christoph Strasser von Vorne

An den ersten beiden Tagen ist die Luft 40, 41, 42 Grad heiß. Die Sonne heizt den Asphalt auf, der von unten die Hitze an den Radfahrer weitergibt. Der Tagtraum der ersten 1000 Kilometer: Wieder in Österreich, nackt im Schnee liegen. Seine Begleiter haben eine große Sprühpumpe, wie sie in Gärtnereien und der Landwirtschaft eingesetzt wird, umfunktioniert. Einer hängt aus dem Fenster des nebenher fahrenden Minivans, pumpt – und sorgt für einen Mini-Regenschauer über dem Radfahrer. Am Zeitfahrauflieger des Rades ist eine kleinere Version der Apparatur befestigt. Eine kalte Dusche, zumindest fürs Gesicht. Am dritten Tag: Regen. Wie aus Kübeln.

„Das ist immer noch besser als die Hitze. Ich weiß von früheren Versuchen, dass es nichts bringt in der Sauna auf der Rolle zu trainieren – außer Stress für das Immunsystem und schöne Pressefotos. Nur zwei Dinge bringen was: Akklimatisation und Kühlung. Ich hatte zehn Tage, um mich an das Klima zu gewöhnen und ich hatte eine Kühlweste und Handgelenksmanschetten, die meine Begleiter aus dem Gefrierfach des Campers holten, wenn es nicht mehr anders ging. Aber, was man auch klar sagen muss: Bleibt es sieben Tage lang so heiß wie an den ersten beiden, denke ich nicht, dass man ins Ziel kommt. Wobei mir drei andere Faktoren noch mehr Probleme gemacht haben als die Hitze: Der Schlafentzug – den spürt man jeden Tag mehr. Der Verkehr – man fährt ja auf der linken, der falschen Straßenseite, teilweise über Autobahnen, weil es sonst keine Wege gibt, man wird dauernd von Roadtrains, riesigen teils 40 Meter langen LKW-Gespannen überholt, man hat Angst. Die Motivation – weil niemand anderes da ist, niemand sitzt einem im Nacken, es gibt niemanden, den man einholen kann, es gibt nur mich und das Outback.“

Doch die Australier sind Australier – das heißt, sie verhalten sich klischeegemäß: freundlich, offen, herzlich, rücksichtsvoll. Das gilt auch und besonders für die LKW-Fahrer. Christoph Strasser erlebt keinen einzigen extrem gefährlichen Moment im Straßenverkehr. Zumindest keinen, für den man einen Autofahrer verantwortlich machen könnte. Sondern solche, für die sein vom Schlafmangel benebelter Geist verantwortlich ist. Als er zum ersten Mal vom Rad steigt, sind 36 Stunden vergangen. Pause, im Begleit-Wohnmobil, zehn Minuten Schlaf, ein Powernap. Die erste richtige Pause: nach 48 Stunden. 60 Minuten Schlaf. Sein Rhythmus für die nächsten Tage: zehn Minuten Powernap am Tag, 50 Minuten Schlaf in der Nacht.

Weniger Training

Die Idee zu der Fahrt durch Australien ist einige Jahre alt. Doch erst im Oktober 2015 wurde daraus ein Plan. Nach einem Trainingsunfall, nach einer Schulter-Operation, nachdem klar war, dass er im nächsten Jahr nicht beim Race Across America würde starten können. Doch das Training blieb, wie es in den Jahren zuvor war.

„Ich fahre nicht mehr überlang, keine Zehn- oder Zwölf-Stunden-Einheiten wie früher. Bei mir sind es inzwischen maximal sechs. Dafür sind die intensiver. Neu war, dass ich noch mehr lange Einheiten auf dem Ergometer fahren musste. Sonst war ich ja noch nie so früh im Jahr, im Winter, so gut in Form. Aber das ist kein Problem für mich, weil ich auf der Rolle viel am Laptop arbeite. Und im November war auch noch die 24-Stunden-Weltmeisterschaft. Letzten Endes kam ich im Durchschnitt auf etwa 25 Stunden Training pro Woche. Viel weniger als früher.“

Christoph Strasser ernährt sich seit sechs Jahren nach seiner eigenen Interpretation der Paleo-Diät. Also fast ohne Brot, Weizen- und Milchprodukte. Dafür mit Fleisch, Gemüse, Kräutern, Hirse, Süßkartoffeln. Er tut dies nicht, um schneller Rad zu fahren, sondern um gesünder zu sein, für eine bessere Verdauung – und damit ein stärkeres Immunsystem. In einer normalen Woche trainiert er zweimal ohne Frühstück – Nüchterntraining, um den Fettstoffwechsel zu fördern. Mit dem in einer Reha-Phase begonnenen Krafttraining hat er gegen den Rat seines Trainers wieder aufgehört. Er hat den Signalen seines Körpers vertraut. Die Belastung war zu groß. Stabilisationsübungen für den Oberkörper gehören aber weiterhin zu seinem Standard-Trainingsprogramm.

Christoph Strasser Fahrend Christoph Strasser Fuß Christoph Strasser groß Christoph Strasser im Auto

Auch in Australien ernährt er sich wie bei all seinen Extrem-Fahrten: flüssig. Ensure heißt die Konzentrat-Nahrung aus Kohlenhydraten, Proteinen, Mineralien. Die kleinen Tetrapacks bekommt man in Apotheken, in fast allen Ländern des Planeten. Christoph Strasser trinkt etliche davon, immer auf dem Rad, bis zu 13.000 Kalorien pro Tag. In die Trinkflaschen kommt immer dasselbe: Wasser mit einem Kohlenhydrat-Elektrolytpulver. Strasser trinkt bis zu 30 Liter pro Tag. Am vierten Tag regnet es noch leicht, am fünften und sechsten ist es bewölkt, 27, 28, 29, 30 Grad. Trotzdem kommt das große Tief erst nach der Hitze. Sein Tief.

„Ab der Hälfte der Strecke war klar, dass wir den Rekord holen werden. Aber unser internes Ziel war nicht nur den Rekord zu brechen, sondern nach sechs Tagen und zwölf Stunden im Ziel zu sein. Nach vier Tagen lag ich schon weit hinter unserem Plan: Der sah vor, jeden Tag 600 Kilometer zu fahren. Am ersten Tag kam ich auf 750 Kilometer, am zweiten auf 620, aber dann ging es rapide bergab. Das lag vor allem am starken Gegen- und Seitenwind – und an meiner Psyche. Ich hatte einen moralischen Knick. Das kenne ich schon von mir, das passiert bei fast jeder langen Fahrt. Ich bin immer wieder aus dem Loch rausgekommen. Indem ich mir selbst sage: Es gibt doch keine Alternative. Je langsamer du fährst, desto länger musst du auf diesem Rad sitzen, desto länger bist du dem Wetter und dem Verkehr ausgeliefert, desto länger leidest du. Also geht es nur weiter, immer weiter – so schnell es geht.“

Kampf gegen die Müdigkeit

Er ist unzufrieden. Beim nächsten Powernap kann er nicht einschlafen. Nach vier Minuten steht er auf und steigt aufs Rad. Zwei Stunden später landet er im Schotterbett neben der Straße. Sekundenschlaf. Ab dem zweiten, dritten Tag kommt eh an jeder roten Ampel die Müdigkeit durch. Sie wird jeden Tag stärker. Doch er wird auch wieder stärker. Der Gegenwind lässt nach.

Der Tagtraum der Kilometer 1000 bis 3000: Schlafen, richtiger Schlaf, in einem richtigen Bett. Er ist dankbar für jede Luftwelle, die er immer spürt, wenn ihn ein LKW überholt, jedes Mal ein Moment der Wachheit, ein minimaler Schub. Alles ist besser als die Stille. Und die aus­tralische Steigerungsform der Monotonie.

„Bitte bitte redet mit mir. Den Satz habe ich so oft gesagt. Ohne das Funkgerät, ohne mein Team in den zwei Begleitfahrzeugen, wäre ich niemals so schnell gefahren. Ohne die Ablenkung, ohne das Reden, das Denken würde ich so etwas nicht überstehen. Ich müsste viel öfter und länger schlafen. Sie haben mit mir diskutiert, Emails vorgelesen oder Kopfrechenaufgaben gestellt. Hauptsache geistige Beschäftigung. Reden ist viel wichtiger als Musikhören. Das habe ich zwischendrin aber auch, das meistgespielte Lied war ‚Hymn for the Weekend‘ von Coldplay, etwas softes, nichts, das pusht. Bei solch langen Distanzen wäre das kontraproduktiv.“

Er fährt schneller, mit höheren Wattwerten als bei anderen Extrem-Rennen, etwa dem Race Across America, bei dem er auch den Rekord hält. Die Strecke ist flacher. Es gibt keine extremen Spitzenbelastungen – aber auch keine Pausen, keine Abfahrten, keine Rollphasen. Treten, immer treten. Die Kniegelenke machen weniger Probleme als sonst, die Hände mehr. Die Finger werden taub, die Handflächen schmerzen, immer. Eine Sehnenscheidenentzündung am linken Daumen. Offene, entzündete Stellen am Hintern. Er kennt das alles schon. 95 Prozent der Zeit sitzt er auf seinem Zeitfahrrad, einem Specialized Shiv, hinten ist ein Citec-Scheibenrad aus Carbon verbaut, nur ab und zu, an den wenigen Anstiegen oder wenn der Oberkörper total verkrampft, wechselt er auf das normale Rennrad, ein Roubaix.

Der Tagtraum der letzten 1000 Kilometer: Steak, Gemüse, Salat. Die letzten 300 Kilometer sind die schwierigsten. Es geht durch die Blue Mountains, ständig hoch und runter – auf einer Autobahn.

„Durch den Schlafentzug werde ich mehr und mehr orientierungslos. Ich weiß nicht, wo ich bin, wohin ich muss und frage mich, was ich auf einem Highway mache. Die weißen Seitenstreifen sehen für mich wie zehn Zentimeter hohe Bordsteine aus. Ich habe total Angst, sie zu berühren, weil ich dann stürze. 50 Kilometer vor dem Ziel beginnen schon die Vororte von Sydney. Verkehr, Ampeln, Kreisverkehre. Selbst jetzt denke ich nie ans Ziel, sondern immer nur daran, den nächsten Kilometer zu überstehen. Irgendwann sehe ich dann das Meer. Die Oper erkenne ich erst, als ich direkt davor stehe. Sie ist nicht beleuchtet, wir sind vor dem Hintereingang. Die Jungs meines Begleitteams kommen zu mir – nach fünf Minuten aber auch ein paar Security-Männer, die uns vertreiben, weil wir zu laut sind. Ich werde ins Wohnmobil verfrachtet und schlafe zwei Stunden. Das war meine Ankunft.“

Motivation

Seine erste Mahlzeit, die erste feste Nahrung nach mehr als sechs Tagen: ein riesiger Burger. Danach geht es ins Hotel. Dort schläft er vier Stunden lang. Das war es, vorerst. Die richtige, die wahre, tiefe Müdigkeit kommt erst nach einer Woche. Vorher kommen die Umstellungen des Körpers, die Schweißausbrüche im Bett, die Knieschmerzen, die Gleichgewichtsprobleme beim Gehen. Er ist daran gewöhnt. Christoph Strasser hat im Extrem-Radsport alles gewonnen. Er hält zwei Welt- und etliche Streckenrekorde. Was treibt ihn jetzt noch an?

„Warum hat Roger Federer im Januar die Australian Open gewonnen? Der ist 35, er hat vier Kinder und so viele große Siege. Viele fallen in ein mentales Loch, wenn sie ein großes Ziel erreicht haben. Andere aber nicht. Ich bin so priviligiert. Ich habe das riesige Glück, mein Hobby zum Beruf zu haben. Siege haben für mich fast keine Bedeutung. Es ist die Freude am Sport. Ich liebe es Rad zu fahren. Das ist meine Triebfeder. Mir geht es um Erlebnisse. Dazu gehört es, den Verlockungen des normalen Wohlstandslebens zu widerstehen: Ausgehen, auf der Couch zu sitzen, faul zu werden. Die sechs bis acht Tage Ausnahmezustand wie in Australien gehören dazu, die nehme ich in Kauf. Das ist aber nicht mein Antrieb. Mein Antrieb ist das Jahr davor.“

Trainings-Beispiele

Sweetspot: Gesamtdauer fünf Stunden. Erst vier Stunden im Grundlagenbereich (GA1), dann drei Intervalle à zehn Minuten am Sweetspot.*

Einbeinig: Abwechselnd je 30 Sekunden nur mit dem linken, dann nur mit dem rechten Bein treten. Trittfrequenz: 90 bis 100. Hochintensiv. Alle zehn Minuten ein Intervall. Gesamtdauer der Trainings- einheit: sechs Stunden.

K3: Kraftbasiertes Training auf dem Rad. Sechs Mal sechs Minuten (später vier Mal zehn) mit niedriger Trittfrequenz an der FTP-Schwelle.**

Autogenes Training: Es kann helfen, sich lange zu fokussieren. Christoph Strasser hat damit zudem gelernt, sehr schnell einzuschlafen.

* Der Sweetspot liegt zwischen 88 und 93 Prozent der Maximalleistung sowie zwischen 75 und 83 Prozent der maximalen Herzfrequenz.
** Die FTP (Functional Threshold Power) ist definiert als die durchschnittliche Leistung, die ein Radfahrer über eine Stunde maximal erbringen kann.

Der Athlet

Christoph Strasser ist 34 Jahre alt und lebt in Graz. Er arbeitete einst als Radkurier. Im Alter von 18 begann er mit dem Radsport. 2002 nahm er an seinem ersten 24-Stunden-Rennen teil. 2011, mit 28 Jahren, gewann er zum ersten Mal das 4800 Kilometer lange Race Across America. Im November 2016 wurde er Weltmeister im 24-Stunden-Fahren. An einem Tag und in einer Nacht fuhr er 886 Kilometer weit. Nach seinem Weltrekord durch Australien blieb er noch fünf Tage lang dort, um sich zu erholen, am Bondi Beach. Nach zwei Wochen Regeneration begann er den Formaufbau für das nächste Projekt: Sein vierter Sieg beim Race Across America durch die USA. Start: 13. Juni. Genau vier Monate später, am 13. Oktober, will er auf der Radrennbahn im Schweizer Grenchen den 24-Stunden-Weltrekord für die meisten Kilometer auf der Bahn brechen. Weitere Informationen zu Christoph Strasser: www.christophstrasser.at

Das Projekt zuvor: Weltmeister Christoph Strassers 24-Stunden von Kalifornien

24 Stunden — 886 Kilometer — 37,18 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit
Im November 2016 gewann Christoph Strasser die 24-Stun- den-Weltmeisterschaft in der kalifornischen Hitze. Wir haben seine Leistungsdaten.
Durchschnittswatt (NP): 256 Durchschnittswatt (avg): 241
Die schnellsten 90 Minuten: zwischen 5:00 und 6:30 Stunden Fahrzeit — mit 300 Watt
Die schwächste Phase: von 17 bis 23 Stunden — 190 Watt
Watt pro Kilogramm Körpergewicht: 3,3

Der Weltrekord in Zahlen

Gewichtsverlust: 3 Kilogramm
Geringste Kalorienzufuhr am Tag: 8000
Höchste Kalorienzufuhr am Tag: 13.000
Höchste Temperatur: 43 Grad
Niedrigste Temperatur: 12 Grad
Geringste Flüssigkeits- zufuhr am Tag: 15 Liter
Höchste Flüssigkeitszu- fuhr am Tag: 30 Liter
Durchschnittliche Watt- leistung am ersten Tag: 220
Durchschnittliche Watt- leistung am zweiten Tag: 200
Durchschnittliche Tritt- frequenz am ersten Tag: 86
Durchschnittliche Tritt- frequenz am letzten Tag: 72
Höchste Zahl der an einem Tag gefahrenen Kilometer: 750 (Strecke München-Hamburg)
Zahl der Trainingsstunden im Jahr 2016: 790

Rennrad: Wie bereite ich mich auf die neue Saison vor?

Das Frühjahr ist die Zeit des Übergangs – von der dunklen Jahreszeit in die helle – und es die Zeit des schlechten Gewissens. Zumindest für viele Hobby-Athleten. Spätestens jetzt wird Vielen klar, dass es noch ein langer harter Weg bis zur Top-Form ist.Doch dieser Rückstand ist aufzuholen. Entweder durch ein langes, aber zeiteffizientes Programm Zuhause – oder durch ein Trainingslager. Vor allem zwischen Ende Dezember und Ende April werden manche Ziele im milden Süden, Mallorca und die Kanaren etwa, zu „Radsportzentren“. Ein Radurlaub im Süden muss nicht nur der Flucht vor dem Winter, vor Kälte und Regen dienen. Er kann auch ganz neue Trainingsreize setzen – und damit helfen, die eigene generelle Leistungsfähigkeit auf ein höheres Niveau zu heben.

Ein gut geplantes Trainingslager ermöglichtes auch Hobby-Radsportlern, ein oder zwei Wochen lang wie ein Profi zu trainieren und zu leben. Fernab von beruflichen Verpflichtungen lässt sich das Training ohne Einschränkungen gestalten und kontrollieren – auf ruhigen Straßen und in schönen Landschaften. Wir erläutern, wie man sich optimal auf ein Trainingslager vorbereitet und wie eine möglichst effektive Gestaltung für verschiedene Perioden der Rad-Saison aussieht.

Das Ziel eines Trainingslagers

Zunächst einmal das Offensichtliche: Hat man viel Zeit, kann man mehr davon in seinen Sport investieren. Ergo: Während eines Trainingslagers kann die allgemeine Belastung deutlich gesteigert werden. Hier ist es sogar das Ziel, den Körper Belastungsreizen auszusetzen, die so stark sind, dass sie mit der üblichen Trainingsroutine nicht zu erreichen wären. Dies kann langfristig zu einer Leistungssteigerung führen, von der man während der gesamten Radsaison profitieren kann. Eine Steigerung des Umfangs und/oder der Intensität um 100 Prozent oder mehr führt zu einem sehr großen Trainingsstress und sollte zum Zustand des „funktionalen Overreachings“ führen. Overreach bedeutet zu Deutsch: „sich übernehmen“ beziehungsweise „über das Ziel hinaus schießen“.

Der Radsporttrainer Dan Fleeman erklärt das Konzept folgendermaßen: „Um die größtmöglichen Effekte aus einem Trainingslager herauszuholen, bringen wir unsere Athleten an den Rand ihrer Kapazitäten. Dabei sinkt kurzfristig sogar die maximale Leistungsfähigkeit.“ Für Radsport-Einsteiger empfiehlt sich diese Herangehensweise jedoch nicht. Denn dabei besteht ein recht hohes Risiko, in den Bereich des „nicht-funktionalen Overreachings“ zu kommen. In der guten alten Trainingslehre nennt man diesen Zustand auch: Übertraining. Ihn gilt es um jeden Preis zu vermeiden, denn ist man erst einmal „übertrainiert“, führen Trainingsreize nicht mehr zu einem Leistungszuwachs, sondern zu einer weiteren Überlastung des Körpers. Deshalb gilt generell – und besonders im Trainingslager: Ein Hauptziel muss es sein, die richtige Balance zwischen Belastung und Regeneration zu finden beziehungsweise einzuhalten.

Auch deshalb sind regelmäßige Ruhetage so sind wichtig. Auch dann, wenn einen die Verhältnisse – etwa das gute Wetter, der Ehrgeiz oder der Spaß in der Trainingsgruppe – dazu verleiten, jeden Tag harte Touren zu fahren. Zusätzlich sollte man großen Wert auf ausreichend Schlaf und eine adäquate Ernährung legen.

Schwierig kann es auch werden, wenn – nach einer nicht optimalen Vorbereitung – im Trainingslager oder bei den ersten wärmeren Tagen sofort mit intensiven Einheiten begonnen wird. Gerade das HIIT, „High Intensity Intervall Training“, hat sich in den vergangenen Jahren schon fast zum Trend entwickelt. Die Vorteile liegen auf der Hand, das haben etliche Studien gezeigt: So wurde etwa in einer Untersuchung der kanadischen McMaster-Universität gezeigt, dass ein intensives Training mit minimalem Zeitaufwand zu einem sehr viel schnelleren Leistungsanstieg führt als niedrigintensives Grundlagentraining. Die Probanden waren eher wenig trainierte Radsportler. Verglichen wurden die Effekte von Trainingseinheiten, die aus zehn einminütigen Sprint-Intervallen mit einer Pausendauer von einer Minute bestanden, dreimal in der Woche, mit „normalem“ Grundlagenausdauertraining (GA). Auf der zellulären Ebene konnten die Forscher zu großen Teilen gleiche Effekte wie beim GA-Training feststellen, so erhöhte sich unter anderem die Zahl der Mitochondrien signifikant. Gerade Rennradeinsteiger sollten es jedoch mit dem HIIT zunächst nicht übertreiben. Denn auch hier besteht das Risiko, zu früh zu viel zu wollen und etwa ins Übertraining zu geraten.

Die Vorbereitung

Mit null Vorbereitungskilometern in den Flieger Richtung Mallorca zu steigen, ist eher suboptimal. Denn die Belastung in einem Trainingslager ist hoch. Der Körper sollte zuvor zumindest ein gewisses Ausdauerniveau gebildet haben – sonst besteht vor Ort ein erhöhtes Risiko ins Übertraining zu geraten. Idealerweise startet man gesund und ausgeruht in jede harte Trainingsphase. Traininglager sind deshalb auch nicht unbedingt als Wiedereinstieg in strukturiertes Training geeignet. Der ideale Zeitpunkt einer solchen Reise ist demnach gegen Ende eines großen Trainingsblocks – als Höhepunkt der Belastungsreize. Einige Tage vor der Abreise sollte man seinen Trainingsumfang sowie die Intensität deutlich reduzieren. Nach der Heimreise sollten in der Regel auch einige Regenerations-Tage eingelegt werden.

Grundstruktur und Saisonplanung

Egal zu welchem Saisonzeitpunkt: Klare Ziele zu setzen ist immer elementar wichtig. Ein Trainingslager sollte immer in den aktuellen Zyklus der Periodisierung integriert werden. Eine Steigerung des Umfangs ist dabei immer eingeplant. Wichtig und schwierig ist es oft, auch beim Training in der Gruppe die eigenen Trainingsbereiche einzuhalten. Man sollte sich demnach – vor allem wenn Grundlage auf dem Trainingsplan steht – nicht von „Attacken“ der Trainingskollegen verleiten lassen. Weiterhin gilt: Im Normalfall wechseln sich zwei bis vier intensivere oder längere Einheiten mit einer lockeren Fahrt beziehungsweise einem Ruhetag ab.

Stichwort Periodisierung: Ein Trainingslager sollte zeitlich und inhaltlich zu seinem Formaufbau und seinem Saisonplan passen – egal ob das persönliche Ziel nun Lizenzrennen, Ötztaler-Radmarathon oder Zehn-Kilogramm-Weniger heißt. In der Vorbereitungsphase im Winter absolvieren die meisten Radsportler vor allem Grundlagen-Einheiten: lang, moderat, gleichmäßig. Möglichst viele Kilometer und Stunden auf dem Rad zu absolvieren, kann auch für Hobby-Athleten ein Ziel des Trainingslagers sein. Wann sonst im Jahr kann man schon einmal 20 oder 25 Stunden pro Woche Radfahren? Zusätzlich können, je nach Gelände und Form, erste höhere Intensitäten in die Einheiten integriert werden. Ein auch bei erfahrenen Sportlern beliebtes konkretes Beispiel wäre: Fünf bis 20 Minuten am „Sweetspot“ bergauf fahren. Dieser Trainingsbereich liegt zwischen 88 und 93 Prozent der Leistung an der individuellen anaeroben Schwelle (IANS). Als Variante kann man auch mit kürzeren Intervallen oder Schwellenbelastungen an kurzen bis mittellangen Anstiegen beginnen.

 

Sprint Lotto

 

Training Duo

 

Training: Definitionen

Over-Unders: Intervalle, bei denen sich Intensitäten über und unter der IANS abwechseln – in der Regel alle 20 bis 40 Sekunden. Dieser Trainingsinhalt ist besonders zeiteffizient sowie effektiv zur Entwicklung von Explosivität vor Wettkämpfen.

Hill-Repeats: Intervalle am Berg – Anstiege werden wiederholt mit einer festlegten Leistung gefahren. Zum Beispiel: Vier Mal drei Kilometer im Entwicklungsbereich.

Sweetspot: Dieser befindet sich zwischen dem oberen Bereich der Grundlagenausdauer 2 und dem unteren Entwicklungsbereich (EB), in der Regel bei 88 bis 93 Prozent der maximalen Leistung.

IANS: Die individuelle anaerobe Schwelle, auch Laktatschwelle genannt, ist die maximale Belastung, während der sich ein Athlet im Gleichgewichtszustand aus Laktataufbau und -abbau befindet. Intensitäten darüber hinaus (vor allem im SB) führen in der Regel schon nach kurzer Zeit zur Erschöpfung, da Laktatabbau und Energieproduktion nicht schnell genug passieren.

SB: Der Spitzenbereich ist der Trainingsbereich, bei dem 105 Prozent oder mehr der IANS-Leistung erbracht werden – SB wird vor allem in der Form von hoch-intensiven Intervallen angewandt. Zum Beispiel: Fünf Mal je zwei Minuten.

Sprint-Intervalle: sechs bis zwölf Sekunden All-out Belastungen (100 Prozent Intensität) – dabei wird noch kein Laktat produziert. Diese Sprints benötigen aufgrund ihrer Kürze weder extra Glucose (Kohlenhydrate) noch Fett zur Energiebereitstellung.

Grundlage: Die Belastung liegt meist unter 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz und die Laktatkonzentration bleibt niedrig. Der Körper geht keine Sauerstoffschuld ein, der Stoffwechsel befindet sich in einem stabilen Gleichgewicht. Die Trittfrequenz ist mit 80 bis 110 eher hoch. Die gleichmäßige Dauermethode wird am häufigsten angewendet.

HIIT: Die „High Intensity Intervalle“ sind, wie der Name vermuten lässt, kurz und hart. Viele Studien haben gezeigt, dass sie ähnliche Adaptionen des Körpers hervorrufen können wie lange Grundlageneinheiten. Das Hochintensitätstraining liegt bei den Radprofis schon lange im Trend: Schon in den neunziger Jahren trainierten italienische Profis mit den berüchtigten 40/20-Intervallen. 40 Sekunden Belastung (mit 100 Prozent Intensität) gefolgt von 20 Sekunden Erholung. Ein weiteres Beispiel: Zehn Mal 60 Sekunden.

Beispiel-Trainingsplan für ein Trainingslager von zwei Wochen

1. Woche

Tag 1: 2-3h GA1, 50-65% IANS
Tag 2: 4h plus GA1, 50-70% IANS mit Sprints
Tag 3: 4h plus GA1, 50-70% IANS
Tag 4: 1-2h Aktive Regeneration, <55% IANS oder Ruhetag
Tag 5: 4h plus GA1, 50-70% IANS mit EB Belastung
Tag 6: 4h plus GA1, 50-65% IANS
Tag 7: 4h plus GA1, 50-70% IANS mit Sprints

2. Woche

Tag 1: 2-3h GA1, 50-65% IANS
Tag 2: 3-5h GA1, 50-75% IANS mit 3 x 12 min Sweetspot, 88-93% IANS
Tag 3: 4h plus GA1, 50-70% IANS
Tag 4: 1-2h Aktive Regeneration, <55% IANS oder Ruhetag
Tag 5: 4h plus GA1, 50-70% IANS mit 5 x 3 min SB 110% IANS
Tag 6: 4h plus GA1, 50-70% IANS
Tag 7: 3-5h plus GA1, 50-75% IANS mit 3 x 10 min EB 95% IANS

Ein Trainingslager während der Aufbauphase, die in der Regel von Ende Februar bis April dauert, kann den Fokus auf intensivere Einheiten legen. Gezielte Intervalle im Entwicklungs- oder Spitzenbereich können dann jeden zweiten Tag eingeplant werden. Wenn der Körper, wie gewünscht, mit Adaptionen reagiert – hier sollte man sich mit langsamen Steigerungen an die hohen Intensitäten „herantasten“. In Kombination mit einem deutlich vergrößerten Trainingsvolumen werden so die entscheidenden Reize für einen Leistungssprung gesetzt. Auch in der Wettkampf- beziehungsweise Saison-Highlight-Phase während des Sommers kann sich ein vier- bis zehntägiges Trainingslager lohnen, um sich den letzten Schliff für die Topform zu erarbeiten. Dies gilt gerade für schwere Alpen-Radmarathons: Die Sieger des „Ötztalers“ der vergangenen Jahre setzen fast alle gezielte Kurz-Trainingslager im Sommer ein, um noch einmal gezielt harte Intervalle am Berg zu fahren und vor allem etliche Höhenmeter an langen Pässen in den Alpen zu sammeln. Es gilt der alte bewährte Leitspruch: Wie das Ziel, so das Training.

Inhalte

Intensität

November bis März: Vorbereitungsphase (Grundlage)

– Hauptsächlich GA1 bei 50-70% der IANS

– Stetige Pace, an Anstiegen bis 80%

– Zahlreiche Ausfahrten von 4 Stunden plus

– Sprints, z.B. 5 x 12 s All-Out mit 5 min. Pause

– EB 6 x 3 min mit 95%

 

Februar bis Mai: Aufbauphase (Schwellentraining)

– Lange GA1 Trainings mit gezielten Intervallen

– Längere Belastungen: 8 bis 30 min im Schwellenbereich

– Intensive Reize : 2-6 min im Spitzenbereich

– Sweetspot, z.B. 3 x 15 min mit 88-93%

– EB, z.B. 4 x 8 min mit 100%

– SB, z.B. 6 x 3 min mit 112%

 

April bis September: Spezifische Wettkampfphase (Radmarathon)

– Lange Einheiten, auch ab und an mit Wettkampfdauer

– Zeit und Terrain nutzen, um anstehende Rennen zu simulieren

– Dazu sehr kurze, harte Belastungen für die Explosivität – vor allem Over-Unders: 20-40 Sekunden bei 110-125% abwechselnd mit 10-20 Sekunden Pause

– Rennsimulation, z.B. alle Anstiege mit Rennpace

– Sweetspot 3 x 10 min mit 20 s SB alle 2 min

– 5 x 40 / 20 Sekunden Over-Unders mit 115% und 70% (2 Serien)

 

April bis September: Spezifische Wettkampfphase (Radmarathon)

– Lange GA1-Trainings mit gezielten hoch-intensiven Intervallen

– Fokus auf Maximierung der Bereitschaft für kurze, sehr intensive Belastungen

– Dazu Imitieren von entscheidenden Anstiegen – z.B. 4 min lange „Hill-Repeats“

– Anaerobe Kapazität, z.B. 8 x 1 min mit 120%

– 6 x 30 / 10 s Over-Unders mit 125% und 70% (2 Serien)

– 4 x Hill-Repeats an Anstiegen, ähnlich Wettkampf, z.B. 4:30 min oder 6 min

Die Tour du Ruanda – eine Reportage

Tour du Ruanda

Eine Wand aus Lärm

Ein Hügel, eine eigene Welt. Mitten in der Hauptstadt. 900 Meter lang, steil, Kopfsteinpflaster – eine Welt des Schmerzes. Und der Euphorie. Wir fahren durch eine Wand aus Lärm. Schreie, Gesang, Trommeln, Vuvuzelas. Tausende Menschen, eher zehntausende, auf so wenig Raum. Von den Häusern rechts und links der schmalen Straße sieht man nur die Dächer. Auf diesem Hügel existiert kein leerer Quadratzentimeter. Menschen, Menschen, überall Menschen.

Ich sitze in einem alten dunkelgrünen Toyota Corolla, dem ein Rücklicht fehlt. 100 Meter vor uns kämpfen sich sechs Fahrer den Hügel ­hinauf, getragen von einem Lärm, wie ich ihn noch nie gehört habe. Ein Lärm, wie man ihn wohl auch bei der Tour de France noch nie hörte. Auf dem Dach unseres Autos ist ein Rennrad festgemacht, mit vier großen Saugnäpfen, neben mir auf der Rückbank liegen Trinkflaschen, ein Vorderrad, ein Hinterrad, daneben sitzt der Teammechaniker und starrt nach vorne durch die Windschutzscheibe. Dies ist das Finale der sechsten Etappe der Tour du Ruanda. Es sind die wichtigsten Tage des Jahres in diesem Land. Es ist das Ereignis des Jahres. Es ist die Zeit, in der Helden geschaffen werden. Und damit vor allem eines: Identität.

„Vor sechs Jahren war Kigali ein Dorf. Heute erkennt man es nicht wieder “ – Yves Beau

Radsport-Nation

Drei der sechs Fahrer in der Spitzengruppe vor uns sind Ruander. Darunter der Mann im Gelben Trikot. Und der Mann, der genau ein Jahr zuvor genau diese Etappe gewonnen hat – und zwei Tage später die gesamte Rundfahrt. Unser Mann. Jean Bosco Nsengimana fährt für das Team, das ich durch dieses Rennen – und dieses Land – begleite. Ein deutsches Team, das hier mit einem deutschen Fahrer antritt. Einem Ruander. Einem Tansanier. Einem Eritreer. Ein Team, das um viel mehr kämpft als nur Siege: BikeAid. Hinter dem Profiteam stehen ein Verein, eine Gemeinschaft, hunderte Menschen, die den afrikanischen Radsport fördern und Spenden sammeln. Sie fahren Radrennen in ganz Afrika, vernetzen sich, suchen Talente, bilden sie aus – auf und neben dem Rad.

Begleitwagen Team BikeAid

 

Bodenkultur in Ruanda

 

Der Mitgründer des Teams fährt weit hinten: Matthias Schnapka führt die letzte Gruppe an, das Gruppetto, viele Kilometer trennen ihn noch vom Ziel. Sein Teamkollege aus Ruanda ist vorne. Doch für Jean Bosco Nsengimana ist heute alles anders als vor einem Jahr, am Tag seines Triumphs: Es regnet, es ist kalt, vielleicht 18 Grad, die Strecke wurde verkürzt. Er hat keine Chance. Als achter rollt er ins Ziel. Nass, frierend, geschlagen. Fünf Minuten später lächelt er wieder. Denn ein Ruander hat gewonnen. Ein Ruander hat die Gesamtführung. Das ist, was zählt.

Räder als Haupttransportmittel

 

 

Fahrer Ruanda

 

Ruanda ist ein Radsport- und ein Entwicklungsland. Die Nation ist arm, rund 40 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Als arm gilt, wer weniger als zwei US-Dollar am Tag verdient. Doch das Land hat eine Entwicklung hinter sich wie kaum ein anderes in Afrika. Dabei ist die Katastrophe erst 23 Jahre her: der Genozid. 1994 wurden innerhalb von drei Monaten bis zu einer Million Menschen ermordet. 97 Prozent der Opfer waren Tutsi, die Hälfte waren Kinder, mehr als ein Drittel wurden mit Macheten zerstückelt, vier Prozent in Latrinen ertränkt. Nachbarn töteten Nachbarn, Schüler ihre Lehrer, Freunde ihre Freunde. Es war kein Krieg zwischen den Stämmen der Hutu, Tutsi und Twa. Es war ein Abschlachten. Mit Kalaschnikows, mit Messern, mit Knüppeln, mit Feuer. Männer, Frauen, Babys. Völkermord. Die Weltgemeinschaft schaute zu.

Der Mann, der das Schlachten damals mit seiner Rebellenarmee beendete, ist noch heute der Staatschef: Paul Kagame. Er ist demokratisch gewählt. Aber auch eine Art Alleinherrscher. Viele westliche Journalisten nennen Ruanda einen Polizeistaat. Fest steht: Kagame hat es zu einem der sichersten und saubersten Länder Zentralafrikas gemacht. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum zwischen 2001 und 2015: acht Prozent.

Auferstanden

Am Abend meiner Ankunft in Kigali, der Hauptstadt, frage ich einen ruandischen Team-Betreuer nach dem Verhältnis von Hutu und Tutsi heute. Seine Augen werden groß, sein Mund steht offen. Panik. Er schaut sich um, schaut, ob uns jemand gehört hat, nein, und sagt: „Sei leise, leise! So darf man nicht reden, niemals. Das ist gefährlich. Diese Worte gibt es nicht mehr, es gibt nur noch Ruanda.“ Die Tour du Ruanda ist auch ein politisches Projekt. Eines, das helfen soll, Gräben zu bedecken, gesellschaftliche Risse zu kitten, Stolz zu wecken, aus Stämmen eine Nation zu machen.

Was nach dem Genozid übrig war: ein gespaltenes Land. Leid. Hass. Der Wunsch nach Rache. Niemand hatte damals eine solche Entwicklung erwartet. „Ich war 2010 zum ersten Mal hier“, sagt Yves Beau, „für die Tour du Ruanda. Damals war Kigali ein Dorf, man sah keine Autos, fast nur Lehmhütten, die Kinder auf dem Land rannten in Lumpen neben uns her.“ Yves ist 57, Franzose, Ex-Radprofi, Lebenskünstler, Afrikareisender – und Sportlicher Leiter des Teams BikeAid: Shorts, Flipflops, den Habitus eines 18-Jährigen, blaue Augen, graue Haare, die er sich in Kigali schneiden ließ, für einen Euro fünfzig, fünfzig Cent mehr als im Jahr davor. Er sitzt am Steuer des Corolla.

Auch während der ersten Etappe, rund um Kigali. Yves hupt den alten Toyota durch die Menschenmassen aus Kindern, vor allem Kindern. 60 Prozent der Ruander sind jünger als 25 Jahre. Vor der Startlinie bleiben wir stehen, öffnen die Tür. Vor uns steht ein Junge, vielleicht zwölf, dünn, ein altes T-Shirt, ausgetretene zu große Sportschuhe. Er spricht erst englisch, dann französisch. Wo wir herkommen. Wo wir wohnen. Warum Bosco für uns fährt. Als wir 30 Sekunden nach dem Startschuss in den Wagen steigen, sagt er nur „bis Sonntag“. In sieben Tagen. Wenn die Tour endet, wo sie begann. In Kigali.

„Ruanda ist nicht Afrika“

Der erste Startschuss der Rundfahrt fällt am Convention Center, einem Neubau aus Glas, oben rund, wie eine auf dem abgeschnittenen Ende stehende Gurke, abends neonbeleuchtet. Daneben: Ein noch leerstehendes Radisson Blu Hotel, an dessen Fassade die Bauarbeiter werken. Davor: ein riesiger Kreisverkehr mit einem Denkmal und englischem Rasen darauf, zwei Neubauten, zwei Rohbauten, viele Holzgerüste. Ruanda verändert sich. Schnell, sehr schnell. Es industrialisiert sich, eine Mittelschicht entsteht. Die beiden Haupttreiber dieser Entwicklung sind: Bildung – Ruanda hat inzwischen eine Einschulungsquote von 100 Prozent. Ein zumindest rudimentäres Sozialsystem – in die neu eingerichtete Krankenversicherung sind heute 91 Prozent der Ruander aufgenommen. Und: eine relativ geringe Korruptionsrate. Ein großes Problem bleibt jedoch: die Überbevölkerung. Doch auch hier wurden Fortschritte erzielt: Die durchschnittliche Geburtenrate je Frau ist von 5,6 auf 4,5 Kinder gesunken.

„Ruanda ist nicht Afrika. Es ist anders als all die anderen Länder hier“, sagt Yves Beau, der Mann, der, wie er selbst sagt, 106 Mal in Afrika war. 28 Mal in Kamerun, 22 Mal in Burkina Faso, überall. „Als ich hier von der Polizei angehalten wurde und denen Geld geben wollte, haben sie gesagt, sie stecken mich ins Gefängnis. Unglaublich!“ Ein völlig neues Erlebnis in Afrika. Es war das erste Mal, dass der direkte „unbürokratische“ Weg über einen kleinen Geldbetrag nicht funktioniert hat.

„In dem Center leben und trainieren dir größten Talet des Landes Zukünftige Nationalhelden.“

Von Helden

Während der zweiten Etappe haben wir einen Unfall. Logisch irgendwie. Denn hinter dem Radrennen wird ein zweites Rennen ausgetragen. Das der Begleitwagen. Auch hier haben die Teilnehmer Startnummern: Der Wagen des Teams, in dem der Gesamtführende fährt, bekommt die Nummer eins, und darf im Wagenkonvoi ganz vorne fahren – und so weiter. Theoretisch. Praktisch wird überholt, gehupt, um Kurven gezirkelt, voll beschleunigt, vollgebremst. 30 Kilometer nach dem Start, in einem der vielen kleinen eins wie das andere aussehenden Dörfern trifft uns ein Schlag. Der Corolla macht einen Satz nach vorne. Aussteigen, den Schaden betrachten, den Trainer der äthiopischen Nationalmannschaft, der mit seinem silbernen Corolla nicht schnell genug vollgebremst hat, fragen, ob alles ok ist. Nach einer Minute geht es weiter. Vollgas, links vorbei an allen anderen Corollas, den grünen, den schwarzen, den silbernen. Nach ganz vorne.

Tour du Ruanda

 

Tour du Ruanda Kehre

 

Jean Bosco Nsengimana

 

Einer von uns ist in der Spitzengruppe. Meron Amanuel aus Eritrea ist 27, Sprinter, seit dem ersten Jahr des Teams BikeAid mit dabei, seit 2014. Er gehört zu den Erfahrenen im Team, zu den Ruhigen, Nachdenklichen. Man spürt in jeder Minute, dass er weiß, was der Radsport ihm gibt und was er ihm verdankt. Denn als Sportler darf Meron reisen – aus diesem trockenen Land, aus Asmara, der Hauptstadt, in der er lebt und in der er irgendwann ein Radgeschäft eröffnen will, aus einem Land, dessen Bürger vor jeder Reise ein Ausreisevisum beantragen müssen – das fast nie genehmigt wird. Einem Land, dessen Bewohner in die Armee gezwungen werden, in einen Grundwehrdienst, der Jahrzehnte dauern kann und während dem man kaum genug Sold erhält, um zu überleben.

Heute, in Ruanda, holt sich der Eritreer Meron Amanuel, der für ein deutsches Team fährt, unser Team, die einzige Bergwertung des Tages – und damit das Trikot des besten Bergfahrers. Nach 30 Kilometern wird die Spitzengruppe wieder eingeholt. Die Etappe läuft ab wie die meisten, die noch folgen werden: Eine Mannschaft dominiert, Dimension Data, das Nachwuchsteam des südafrikanischen WorldTour-Teams gleichen Namens. Ein Fahrer von den Philippinen, zwei aus Eritrea, einer aus Ruanda, Valens Ndayisenga. Er ist einer der radfahrenden Nationalhelden – der Sieger der Tour du Ruanda 2014. Ein anderen ist Jean Bosco Nsengimana, sein Nachfolger im Jahr darauf. Bosco, so nennen sie ihn. 1,86 Meter groß, extrem schlank, feingliedrig, dünne sehnige Beine, 62 Kilogramm – eine Figur wie ein Marathonläufer. Eine Frisur wie fast alle anderen Ruander: 15 Millimeter kurze Haare. Große sehr dunkle Augen, eingefallene Wangen, ein ruhiger scheuer Blick, aus dem die Schüchternheit spricht. „Ich kann die Tour du Ruanda wieder gewinnen. Das ist mein Ziel“, sagt er am Abend vor dem Prolog. Auf dem Weg zum Start der ersten Etappe lautet das meistgenannte Wort im Radio: Bosco. Bosco. Bosco. Im Hotel versammeln sich zum Abschied die Angestellten. Alle wollen Selfies mit ihm, alle wünschen ihm Glück. Bosco lächelt.

Aus dem Nichts

Fünf Tage später sind wir dort, wo er lange gelebt hat. Im Zentrum des ruandischen Nationalsports. Im Cycling Center. Im Reich des Jock. Jonathan „Jock“ Boyer war der erste US-Amerikaner, der an der Tour de France teilnahm. In den USA war er eine persona non grata, verurteilt wegen einer Beziehung mit einer Minderjährigen. 2007 reiste er nach Ruanda – und blieb. Ohne ihn wäre der ruandische Radsport nicht, was er heute ist. Vielleicht wäre Ruanda nicht, was es heute ist.

Er fing bei null an. Der Mann, der den Radsport nach Ruanda brachte, ist 61 Jahre alt, sieht aber viel jünger aus, eigentlich sieht er aus wie Bill aus den Kill-Bill-Filmen: groß, schlank, sehnig, graumeliertes Haar, ein strenges Asketengesicht. Er fährt immer noch fast jeden Tag Rad. Mit seinen Jungs, mit den besten Fahrern Ruandas. Sie leben alle bei ihm, in seinem Center. Die fünfte Etappe ging zehn Kilometer von hier zu Ende, in Ruhengeri, im Musanze-Distrikt, in einer Stadt, hinter der riesige dunkelgrüne Kegel aufragen, erloschene Vulkane. Eine Stadt, die sauber ist, die moderne Hotels hat, eine Stadt, in die US-Amerikaner, Europäer, Japaner, Australier kommen. Die Stadt der Affen.

Im Dschungel um die Virunga-Vulkane herum leben Berggorillas. Wegen Ihnen kommen die Touristen, wegen Ihnen gibt es die Hotels. Hotels, die neu sind und teuer, Hotels für anspruchsvolle Gäste. Der Eintritt in den Nationalpark inklusive Wanderung zu den Affen kostet 750 US-Dollar, pro Person, pro Tag. Dies ist der Norden Ruandas, irgendwo hinter den Vulkanen, hinter dem Nationalpark beginnt der Kongo, auch Uganda ist nah. Wir biegen von der Straße, die zum Wald der Gorillas führt, links ab. Ein schmiedeeisernes buntbemaltes Tor, ein Wachmann. Dahinter, von außen nicht zu sehen, ein eigenes kleines Dorf. Acht, neun, zehn Gebäude, neu, gemütlich. Dazwischen frisch gemähter grüner Rasen, zwei große gutmütige Hunde, Jocks Hunde. Dies ist sein Projekt, seine Idee, die Realität geworden ist: das Cycling Center. Es gibt Materiallager, einen hausgroßen Generator, eine hausgroße Wasseraufbereitungsanalage, Werkstätten, Büros, Unterrichtsräume, Trainingsräume mit Hanteln und einem altertümlichen Ergometer für Leistungstests, eine Küche, einen Speisesaal. 15 Nachwuchsradsportler leben hier. Die größten Talente des Landes. Potenzielle zukünftige Nationalhelden.

Hier leben sie, hier trainieren sie. Sie werden bezahlt, bekocht, versorgt. Sie sind zwischen 16 und 23 Jahre alt – und gehören schon zur gesellschaftlichen Oberschicht. „Die meisten von ihnen haben als Fahrrad­taxi-Fahrer angefangen“, sagt Jock. Das Fahrrad ist das traditionelle Fortbewegungsmittel in Ruanda. Die Räder sind überall, antik, stählern, mit einem Gang und einem gepolsterten Sitz für den Fahrgast statt eines Gepäckträgers. Während der Tour du Ruanda sieht man auf und an diesen Rädern: bis zu vier Menschen, bis zu fünf Hühner, bis zu vier Meter lange Holzbretter, bis zu sieben Zementsäcke. Im ganzen Land gibt es Rennen für Radtaxifahrer, in jeder größeren Stadt gibt es einen Radclub. Talente zu finden ist Jocks Mission – und eine staatliche Aufgabe. Denn der Sport hilft, das Nationalgefühl zu stärken. Der Sport schafft Idole. Vorbilder. Lebenswege, denen man nacheifern kann. Helden für die ganze Nation.

Talent und Taktik

Jean Bosco kann jeden Tag Artikel über sich in den Zeitungen lesen. Jeden Abend kommen Zusammenfassungen der Etappen im Fernsehen. „Natürlich sind er und Valens hier Helden“, sagt Jock. Bosco war zwei Jahre lang bei ihm im Center. Ein ruhiger Junge vom Land, der als Kind drei Jahre lang zur Schule ging, dann seiner Mutter auf dem Markt half. Ein Junge, dessen Vater währen des Genozids ermordet wurde. Ein heute 22-Jähriger, der für die Saison 2016 einen Vertrag beim deutschen Continental-Team BikeAid unterschrieben hat. So wie Janvier Hadi. Die beiden Ruander sollten während der Radsaison in Deutschland leben, im Saarland, in Blieskastel, sie sollten sich fortbilden, Englisch lernen, Rennen fahren, Renntaktiken lernen. Sie kamen im März. An ihrem dritten Tag in Europa fuhren sie Rad, in kurzen Hosen, da sie keine langen hatten. Etwas Weißes kam vom Himmel. Etwas, das sie nie zuvor gesehen hatten: Schnee, der erste ihres Lebens. Von einer Tankstelle aus riefen sie an und ließen sich abholen. Nach sechs Wochen in Deutschland flogen sie wieder nach Hause. Heimweh.

„Bosco ist das größte Talent, das Ruanda je hatte. Physisch. Aber er wird es in Europa nicht schaffen. Er wird kein großer Radprofi werden. Denn leider passt der große Rest nicht: Die Psyche – Fahrtechnik, Taktik, Wissen, das wird er nicht mehr lernen. Es ist eine Tragödie.“ Jock ist ganz ruhig, als er diese Worte spricht. Aber sein Blick ist hart. „Ich brauche die Fahrer jünger hier, mit dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Es gibt so viel zu lernen – und so viele andere Aspekte als körperliches Talent. Davon haben wir hier in Ruanda grenzenlos viel.“

Natur, Kultur

Nach der zweiten Etappe ist Bosco fünfter der Gesamtwertung. Noch ist alles möglich. Die Tage laufen für die Fahrer immer gleich ab. Drei Stunden vor dem Start Aufstehen, Frühstücken, mit dem Rad zur Startlinie rollen, Radrennen fahren, Hotelsuche im Zielort, Duschen, Essen, Schlafen, Massage, Essen, Schlafen. An einem Tag Dauerregen und Kälte, am nächsten Tag wolkenlos und 33 Grad. Die Start- und Zielorte wechseln – die Landschaft nicht. Felder, Häuser, Hütten, Pfade, Hügel, Menschen. Das ist, was wir sehen. Tagelang. Mal liegen 30 Meter zwischen den Häusern und Hütten, mal 50, mal 100, mal 300. Nie mehr. Ruanda ist das Land der tausend Hügel – und das Land, das sich der Mensch vollkommen untertan gemacht hat. Kein Meter ist nicht bebaut, kultiviert, verändert, geformt. Natur sehe ich zum ersten Mal am dritten Tag: Eine Hügelkuppe, auf der weder Menschen noch Felder noch Häuser sind. Sondern Wald, dunkelgrün, lebendig. Ein Kontrast – umgeben vom vertrauten Braun, Grün, Rot der Kulturlandschaft. Die „Wildnis“ ist vielleicht 500 Quadratmeter groß.

Eine Etappe führt durch ein Naturschutzgebiet. 40 Kilometer weit. Ein alter metallener Eingangsbogen über der Straße, eine grüne Wand – und man ist in einer anderen Welt. Auf einer kleinen Insel, einer Zeitkapsel, die sichtbar macht, wie dieses Land einst aussah. Es sind die einzigen Kilometer der Tour du Ruanda ohne Menschen an den Straßenrändern. Grüne Täler, Vogelrufe, Baumriesen, es ist wunderschön. Dann durchqueren wir ein anderes Metalltor und von einem Meter zum nächsten ist alles, wie es all die anderen hunderten Kilometer vor dem ersten Tor war. Häuser, Menschen, Pfade, Felder. Ruanda ist so groß wie Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammen, hat aber weit mehr als doppelt so viele Einwohner: 13 Millionen.

Finale

Zwei Etappen führen am Kivusee entlang. Er liegt rechts neben uns, im Tal, riesig, glitzernd, palmengesäumt. Rund 90 Kilometer lang, 50 Kilometer breit. Ein tropisches Paradies. Eines, das ein Geheimnis birgt: In seinen tiefsten Schichten sind Gase gelöst, Experten gehen von 250 Kubikkilometern CO2 und 60 Kubikkilometern Methan aus. Sollten diese Gase freigesetzt werden, könnten bis zu zwei Millionen Menschen ersticken. Abends sind wir in einem Hotel 80 Meter vom Seeufer entfernt. Die Fahrer haben keine Toiletten auf den Zimmern, keine Duschen. Der Strom fällt für eine halbe Stunde aus. Das Abendessen läuft ab wie immer. Es gibt immer dasselbe: Reis, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Bananen, Äpfel, dazu Fanta. Nur diesmal hat man von der Terrasse, auf der das Buffet aufgebaut ist, einen Blick auf den See. Und auf die Demokratische Republik Kongo. Die beginnt auf der anderen Seite des Wassers. Die Tour du Ruanda endet, wie sie begann. In Kigali. Die letzte Etappe hat ein Klassikerprofil: neun Runden, je ein steiler Anstieg, direkt vor der Ziellinie. Es hat 34 Grad, der heißeste Tag der Rundfahrt. Es wird ein Ausscheidungsfahren – das vom selben Team dominiert wird wie alle Etappen zuvor: Dimension Data. 20 Minuten vor dem letzten Startschuss parkt Yves den Team-Corolla in der Nähe des Stadions. Er macht die Tür auf. Vor ihm steht der Junge mit den zu großen Schuhen. Genau wie eine Woche zuvor. Er gibt jedem die Hand. Später, während des Rennens, sitzt er neben dem Mechaniker auf der Rückbank, den Kopf aus dem Fenster gestreckt, bei 60 km/h in der Ebene. Er sieht, wie Bosco kämpft, wie er den Anschluss verliert, wie ein Eritreer die Etappe gewinnt und Valens die Rundfahrt. Nach dem Rennen steht er neben Yves. Er legt seine Hand auf Boscos Schulter, schaut beim Räderaufladen zu. Er geht mit zwei Trinkflaschen, Radhandschuhen, ein paar Energieriegeln und den Worten: „Danke. Bis nächstes Jahr.“ //

„Er ist das größte Talent, das Ruanda je hatte. Aber er wird es nicht schaffen. Es ist eine Tragödie.“ – Jock Boyer

BikeAid: ein Team – und ein Projekt

BikeAid ist ein Profi-Team der Continental-Kategorie, das 2014 im Saarland gegründet wurde. Es ist jedoch viel mehr als ein Radteam, den Organisatoren geht es um viel mehr als sportliche Erfolge. Auch wenn diese dennoch eingefahren werden. Zum Beispiel von dem Eritreer Mekseb Debesay, der 2014 im BikeAid-Trikot die UCI-Afrika-Tour gewann. Inzwischen fährt er für das WorldTour-Team Dimension Data. In der aktuellen Saison dominierte das Team etwa die Kamerun-Rundfahrt. Im BikeAid-Team sind neben den beiden Mitorganisatoren Mathias Schnapka und Timo Schäfer und erfahrenen deutschen Profis wie Zugang Tino Thömel oder Bergspezialist Nikodemus Holler auch zwei Fahrer aus Eritrea und drei aus Kenia vertreten. Jean Bosco Nsengimana ist 2017 nicht mehr im Team, sondern fährt wieder für die ruandische Nationalmannschaft. Auch Richard Laizer, ein Massai aus Tansania, der in Ruanda für BikeAid am Start war, ist 2017 nicht mehr im Team. In diesem Jahr fusionierte BikeAid mit dem Team Kenyan Riders, einem Projekt zur Entwicklung ostafrikanischer Radsportler. Damit besteht nun eine Basis in Afrika, in der 2400 Meter über dem Meer gelegenen „Hochburg“ der ostafrikanischen Top-Langstreckenläufer: Iten im kenianischen Hochland. Die besten Fahrer des Teams werden während der Saison im BikeAid-Trikot unterwegs sein, während die Kenyan Riders schwerpunktmäßig vor Ort in Kenia das Scouting von neuen Talenten und deren Ausbildung über ein Development Team übernehmen. In diesem werden aktuell sechs kenianische Talente im Alter von 18 bis 23 Jahren entwickelt – seit ­April leben und trainieren sie für die Dauer der Rennsaison in Deutschland, im saarländischen Blieskastel, rund 25 Kilometer von Saarbrücken entfernt. Das Ziel des Teams ist es, vor allem in Afrika soziale Projekte wie etwa Schulen zu unterstützen und afrikanische Radsportler nach Europa zu holen und ihnen damit Chancen zu eröffnen, die sie sonst nie bekämen. Doch BikeAid ist auch ein Verein, eine Community, eine Wohltätigkeits-Organisation, die Spendengelder sammelt und ohne Abzug von Verwaltungsgebühren zu 100 Prozent an Hilfsprojekte weitergibt. Weitere Informationen zu dem Team und den Hilfsprojekten: www.bike-aid.de

Ruanda

Das ostafrikanische Binnenland hat 13 Millionen Einwohner. Es liegt zwischen Tansania, Uganda, Burundi und der Demokratischen Republik Kongo. Das Land gilt als recht sicher. Der Flug von Deutschland aus dauert rund 13 Stunden. Direktverbindungen in die Hauptstadt Kigali bietet etwa die Airline KLM. Die Preise beginnen bei rund 400 Euro für Hin- und Rückflug. Das „Projekt Ruanda“ wurde 2006 von dem Mountainbike-Pionier Tom Ritchey mitgegründet – mit dem Ziel, mehr Ruander mobil zu machen und das Fahrrad weiter zu verbreiten. Dazu wurden etwa besonders stabile und wartungsfreundliche Transporträder angeboten. Das von Jock Boyer aufgebaute „Ruanda Cycling Team“ ging aus diesem Projekt hervor. Inzwischen ist dieses Nationalteam recht professionell aufgestellt, so sind die Fahrer auf Pinarello-Dogma-Rennrädern unterwegs. Mit Adrien Niyonshuti fährt bereits ein Ruander für ein WorldTour-Team, Dimension Data. Valens Ndayisenga, der Gewinner der Tour du Ruanda 2016, startet seit der aktuellen Saison für das österreichische Continental-Team Tirol.

Das Rennen

Die Tour du Ruanda wird, mit Unterbrechungen, seit 1988 ausgetragen. Erst als regionales Rennen, seit 2008 als internationales. 2016 holte sich der Ruander Valens Ndayisenga (Dimension Data) auf der 2. Etappe mit seinem Sieg auch das Gelbe Trikot – und gab es, auch dank seines starken Teams und der Hilfe der anderen Ruander im Feld, nicht mehr ab. Jean Bosco Nsengimana konnte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Am Ende wurde er neunter der Gesamtwertung. „Die Tour du Ruanda ist das mit weitem Abstand bestorganisierte Radrennen Afrikas“, sagt Yves Beau, der Mann, der schon mehr als 100 Etappenrennen in afrikanischen Ländern erlebt hat. Neben vielen Teams aus Afrika und dem einzigen deutschen Vertreter, BikeAid, waren 2016 Teams aus Kanada, Israel, Frankreich und der Schweiz in Ruanda am Start.

Mehr Informationen zur Tour: www.tourdurwanda.rw

Ötztaler Radmarathon Rekord: 10 Mal in 10 Tagen

Nadja Prieling Auffahrt Timmelsjoch

Fünfmal die Ötztaler-Strecke zu fahren, würde auch reichen, hat Mutter Prieling zu ihrer Tochter gesagt. Doch das war Nadja Prieling nicht genug. 238 Kilometer und 5500 Höhenmeter stellt einem der Ötztaler Radmarathon in den Weg. Ihn einmal zu bewältigen, ist der große Traum vieler Rennradfahrer. Ihn an zehn Tagen zehnmal hintereinander zu bewältigen, war der Traum von Nadja Prieling.

Start in Sölden, 1200 Höhenmeter hinauf aufs Kühtai, 777 Höhenmeter zum Brenner, 1130 Höhenmeter am Jaufenpass und zum Abschluss noch einmal 1759 Höhenmeter und 28,7 Kilometer von Sankt Leonhard aufs Timmelsjoch. Der Ötztaler ist die inoffizielle Weltmeisterschaft der Radmarathonfahrer. Doch was ist schon eine Weltmeisterschaft gegen einen Weltrekord. Nadja Prieling will nicht wieder Zweite beim Ötztaler werden. Zweimal, 2013 und 2015, stand die 34-jährige Tirolerin schon auf der zweithöchsten Stufe des Siegerpodests. Den Traum vom Gewinnen tauscht sie 2016 gegen den Traum eines neuen Rekords.

Von der Idee zum Rekord

2014 hat der österreichische Extremradsportler Wolfgang Mader dasselbe probiert – und ist gescheitert. Am Wetter, den Schmerzen, aber vor allem an den 55.000 Höhenmetern und 2380 Kilometern in zehn Tagen. Nadja Prieling trifft Mader im Herbst 2015 und fragt ihn, ob sie sein Projekt aufgreifen darf. Sie will es zu ihrem machen. Mader willigt ein und sagt ihr seine Unterstützung zu. Noch im selben Herbst beginnen die ersten Vorbereitungen – das Training, aber vor allem die Suche nach Sponsoren für dieses Projekt. Sie nennt es „Ötztaler 9+1“. Neunmal will sie die Strecke hintereinander fahren. Das zehnte und letzte Mal dann am Ötztaler-Renntag. „Des is a verrückte Henne“, sagen einige ihrer Freunde und Kollegen. „Ich sehe das als Kompliment“, meint die Kitzbühelerin, „ich weiß, was ich meinem Körper zutrauen kann. Das unglaubliche Zusammenspiel von Kopf und Körper reizt mich ungemein.“ Ihre Familie, ihre Freunde sprechen ihr Mut zu und motivieren sie.

„Ich selbst war zu 100 Prozent davon überzeugt, dass ich es schaffe. Der Kopf spielt eine ganz entscheidende Rolle. Ich denke, dass viele Radsportler physisch mein Projekt schaffen könnten, aber an der Psyche scheitern. Es ist der Grund, weshalb viele erst gar nicht auf die Idee eines solchen Projekts kommen. Wenn du dir es nicht vorstellen kannst, dann kann es auch nicht funktionieren. Ich glaube, dass zu 60 Prozent der Kopf entscheidet. Und natürlich das Umfeld. Man muss jeden Tag aufs Neue aufstehen und sich wieder aufs Rad setzen – die Strecke einfach fahren. Ich war im Kopf schon immer stark. Ich vertraue mir, fahre mein Rennen und lasse mich nicht verunsichern. Ich vertraue stark auf die Fähigkeiten, die ich habe.“

Die Vorbereitung

Ihre mentale Stärke bringt Nadja Prieling auch im anstrengenden Trainingsalltag weiter. Sie vertraut auf Mentaltraining, nutzt die Visualisierung ihrer Ziele, um den Kopf auf die anstehenden Höchstleistungen vorzubereiten. Knapp ein Jahr dauert die Vorbereitung für das Projekt „Ötztaler 9+1“. Im Winter schuftet sie im Kraftraum, geht Skitouren oder nutzt das Skilanglaufen. Ihr Rennrad rührt sie zu dieser Zeit kaum an. Das Rollentraining beschränkt sie auf eine Stunde pro Woche. Ab Januar erhöht sie das Grundlagentraining, legt ihre Kilometer aber zu 90 Prozent weiter auf Skiern zurück. Krafttraining und Klettern in der Halle nutzt sie, um die Rumpfstabilität zu steigern und an der Maximalkraft zu arbeiten. Erst ab Mitte März beginnt ihre „wahre“ Radsaison. Ein Trainingslager in den Wintermonaten plant sie nie. Wenn dann fliegt sie spontan für ein paar Tage gen Süden. Bisher ging es immer ohne. Sie bleibt lieber daheim in den Tiroler Alpen. Kitzbühel statt Costa Blanca. Zur unmittelbaren Wettkampf-Vorbereitung fährt sie im Juli in ein dreiwöchiges Höhentrainingslager nach Livigno. Essen, Trainieren, Schlafen und wieder von vorne. 21 Tage lang ist dies ihr Tagesablauf.

„Grundsätzlich trainiere ich alleine. Ich genieße es, mich nur aufs Radfahren zu konzentrieren. Ich kann meinen Tagesablauf so gestalten, wie ich will. An einem normalen Trainingstag fahre ich zwischen 130 bis 180 Kilometer und rund 4000 Höhenmeter. Mein Training steuere ich selbst. Ich habe einen groben Plan, bin aber auch eine große ‚Gefühl-Trainiererin‘. Gegen das wattgesteuerte Training habe ich mich lange gewehrt und erst 2016 ausprobiert. Natürlich ist das interessant. Aber am liebsten verlasse ich mich auf mein Gefühl. In den letzten Wochen vor dem Ötztaler habe ich mein Trainingspensum deutlich zurückgeschraubt. Im Prinzip habe ich nicht viel anders gemacht als die Jahre zuvor, außer die extrem harten Trainingseinheiten durch extrem lange Trainingseinheiten zu tauschen.“

Zwischen 10.000 und 15.000 Kilometer fährt Nadja Prieling jährlich auf ihrem Rennrad. Rund 200.000 Höhenmeter kommen dabei zusammen. 2016 hat sie bis August rund 150.000 Höhenmeter gesammelt. Der Ötztaler Radmarathon fasziniert sie schon lange. Ihre Bestzeit steht bei knapp über acht Stunden. Siebenmal ist sie bereits mitgefahren. Oft ist sie Zweite geworden. Zu oft. „Ötztaler 9+1“ war daher auch ein sehr persönliches Projekt – weg vom Gedanken, endlich gewinnen zu müssen. Abstand gewinnen von diesem Ziel und neue Erfahrungen sammeln. Am 19. August 2016 startet sie mit einem Team aus Familie, Freunden und Physiotherapeuten ihren Rekordversuch. Ihre Betreuer begleiten sie in einem Wagen. Sie reichen Verpflegung, sie helfen bei Defekten – und bei nachlassender Motivation. Alle hoffen auf gutes Wetter, gute Beine und gute Laune. Als sie um 6:15 Uhr in Sölden los fahren, geht gerade die Sonne auf und verdrängt eine sternenklare Nacht.

„Nach den ersten drei Tagen hatte ich das Gefühl, dass wirklich alles funktioniert und ich mich tatsächlich nur aufs Radfahren konzentrieren konnte. Das Beeindruckendste für mich war der Zusammenhalt im Team. Es gab in den zehn Tagen keine gröberen Zwischenfälle. Irgendwann hatte ich kein Zeitgefühl mehr. Nur noch jeden Tag aufs Neue die Strecke zu absolvieren. Wir hatten extremes Glück mit dem Wetter. Das war vielleicht mitentscheidend, dass alles so reibungslos klappte.“

Im Durchschnitt verbringt Nadja Prieling rund zehneinhalb Stunden täglich auf dem Rad. Kühtai, Brenner, Jaufenpass und Timmelsjoch. Tagein, tagaus. Immer und immer wieder. Nach den Zielankünften muss alles sehr schnell gehen. Die Energiespeicher müssen wieder gefüllt werden. Es gibt große Portionen Nudeln für Prieling – jeden Tag. Die Kitzbühelerin hat das Glück, dass sie in Ernährungsfragen unkompliziert bis undogmatisch ist. Sie ist weder Vegetarierin noch Veganerin, von speziellen Diäten hält sie nichts. Während der Fahrt reichen ihr die Begleiter Brötchen mit Schinken, Bananen und Äpfel. Ab und zu gibt es zwischendurch auch ein Stück Kuchen. Hauptsache viele Kohlenhydrate – und, was heute fast schon ungewöhnlich ist: Hauptsache es schmeckt.

Schock und Triumph

Bis zum vorletzten Tag klappt alles reibungslos. Einen Leistungseinbruch hat sie nie. Prieling tritt ihren Rhythmus, spricht unterwegs mit ihren Begleitern und hat zwischendurch sogar Zeit für Fotos. Siebenmal hat sie die 238 Kilometer und 5500 Höhenmeter schon absolviert, als sich am achten Tag ihre Achillessehne meldet: mit Schmerzen, die sie bei jeder Pedalumdrehung spürt. Sie muss anhalten, absteigen, warten. Minuten der Verzweiflung. Die Physiotherapeuten im Team drücken und kneten und tapen. Angst vorm Scheitern hat sie nicht. Ans Aufhören denkt sie nie. Von Pannen und Stürzen ist sie während der acht Tage im Sattel verschont geblieben. Nur einmal geraten die anderen Rennradfahrer, die sie einen Teil des langen langen Weges begleiten, in eine brenzlige Situation: Als am Jaufenpass ein Auto in die Gruppe fährt. Die Radfahrer stürzen. Am schlimmsten trifft es Ottmar Peer, den Sprecher des Ötztaler Radmarathons. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er sie begleitet. Jetzt wird er mit einem Brustwirbelbruch abtransportiert. Nach dem ersten Schock und einer kurzen Pause fährt Nadja Prieling weiter.

Dann kommt der 28. August: Für 4000 Teilnehmer ist der Ötztaler Radmarathon der Höhepunkt des Jahres. Sie haben alles auf diesen einen Tag ausgerichtet. Für Nadja Prieling ist es der zehnte Ötztaler am zehnten Tag hintereinander. Als der Startschuss fällt, hat sie schon 2142 Kilometer und 49.500 Höhenmeter in den Beinen. Sie ist nervös, hat Respekt und auch etwas Furcht vor dem Geräusch, wenn Carbon auf Asphalt trifft. Gerade die ersten Kilometer des Ötztalers sind gefährlich. Die große anonyme Masse drängt aus Sölden hinaus – auf der Abfahrt nach Oetz. Hier passieren die meisten Stürze – oft aus Unachtsamkeit und Unerfahrenheit.

Nadja Prieling fährt in der Mitte des zerstreuten „Frauenfeldes“ – trotz der enormen Vorbelastung, trotz der müden Muskeln. Gegen die Ötztaler-Siegerin Laila Orenos (die wir in der RennRad 1/2_2017 portraitierten) reicht es erwartungsgemäß nicht. Das war auch nicht ihr Ziel. Nicht in diesem Jahr. Der Ziel war der Rekord: Ötztaler 9+1. Nach zehn Stunden und 33 Minuten überquert sie die Ziellinie in Sölden, zum zehnten Mal – auf Platz 78. des Damen-Klassements.

„Die Zieldurchfahrt war der absolute Wahnsinn: Eine unbändige Freude. Ich war so stolz auf mich und mein Team, darauf, dass wir diesen Rekord geschafft haben. Etwas geschafft zu haben, was noch keiner vorher geschafft hat. Das werde ich nie vergessen. Realisiert habe ich die Dimension erst später. Auch wenn es viele nicht glauben: Die zehn Tage waren tatsächlich ein Genuss, keine Quälerei. Ich musste nicht, ich wollte unbedingt den Rekord holen. Ich habe mich unglaublich schnell wieder von den Strapazen erholt. Schon zwei Wochen später bin ich wieder Rennen gefahren.“

Nadja Prieling genießt die Wochen nach ihrem Rekord. Sie hält Vorträge und berichtet über ihr Projekt „Ötztaler 9+1“. Warum sie diese Strapazen auf sich genommen hat, fragen viele Zuschauer. Viele glauben an eine verlorene Wette. Nadja Prieling aber hat keine Wette verloren, sie hat einen Rekord gewonnen. Ihren Traum vom Ötztaler-Sieg will sie weiter träumen. „Ich habe noch eine Rechnung offen“, sagt sie, „im Vordergrund steht jetzt nicht noch länger zu fahren, sondern schneller zu werden. Mein Traum ist es einmal im Leben den Ötztaler Radmarathon zu gewinnen.“ //

Die Athletin

Nadja Prieling ist 34 Jahre alt und lebt in Reith bei Kitzbühel. Sie arbeitet als Diplom-Shiatsu-Praktikerin in ihrer eigenen Praxis. 2013 und 2015 wurde sie jeweils Zweite beim berühmten Ötztaler Radmarathon. Ihre Bestzeit dort: acht Stunden und zwei Minuten (2015). Während ihres Rekordversuchs fuhr sie die Ötztaler-Runde im Durchschnitt in zehn Stunden und 30 Minuten. Die schnellste Runde legte sie in neun Stunden und 56 Minuten zurück, die langsamste aufgrund von Achillessehnenproblemen am neunten Tag in elf Stunden und 53 Minuten. Prieling nimmt an Radmarathons und Mehretappenrennen in ganz Europa teil. Dafür fährt sie zwischen 10.000 bis 15.000 Trainingskilometer jährlich und legt dabei bis zu 200.000 Höhenmeter zurück. Ihr großes Ziel ist es, einmal den „Ötztaler“ zu gewinnen.

Ihr Training

Nach jeder Rennsaison gönnt sich Nadja Prieling acht Wochen Pause, bevor sie Mitte November wieder mit dem Training für die nächste Saison beginnt. Im Winter setzt sie auf Abwechslung: Skitouren und Langlaufen sowie Rollentraining von maximal einer Stunde pro Woche. Klettern in der Halle nutzt sie als Rumpfstabilitätstraining. Zusätzlich feilt sie im Kraftraum an ihrer Maximalkraft. Erst Mitte März sitzt Prieling wieder verstärkt auf ihrem Rennrad. Zur Vorbereitung auf den Ötztaler Radmarathon absolviert sie regelmäßig ein dreiwöchiges Höhentrainingslager in Livigno. An einem durchschnittlichen Trainingstag fährt sie dort zwischen 130 und 180 Kilometer mit rund 4000 Höhenmetern.

Mehr Infos zu Nadja Prieling: www.roadbike-extrem.at

Die Strecke des Ötztaler Radmarathons

Sölden (1.377 Meter) – Längenfeld – Umhausen – Oetz (820) – Kühtai (2.020) – Kematen (610) – Völs – Innsbruck (600) — Sonnenburgerhof – Schönberg – Matrei am Brenner – Steinach am Brenner – Gries am Brenner – Brenner (1.377) – Sterzing – Jaufenpass (2.090) – St. Leonhard im Passeiertal – Timmelsjoch (2.509) – Sölden (1.377 Meter über dem Meer)

Der Ötztaler Radmarathon ist der wohl bekannteste Radmarathon im Alpenraum. Jährlich bewerben sich rund 20.000 Sportler für die 4000 Teilnehmerplätze. Die Strecke ist 238 Kilometer lang und hat 5500 Höhenmeter. Sie steigt auf knapp 100 von 238 Kilometern an. Das Gros des Teilnehmerfeldes bewältigt den Radmarathon in neun oder mehr Stunden.

Mehr Infos zum Event: www.oetztaler-radmarathon.de

Radtouren in den Alpen mit dem Rennrad

Rennrad-Alpen-Tour-Tipps

Dieser Berg ist anders als alle um ihn herum. Er zerstört mich, meine Muskulatur, meine Motivation, meine Moral. Er stellt mir eine Straße in den Weg, die sich kilometerweit schnurgerade vor mir in den Himmel schraubt. 15, 16 Prozent Steigung zeigt mein Radcomputer. 20, 22 Prozent fühlen meine Beine – und melden ihren Schmerz gen Gehirn. Ein kalter Wind weht über den Berggipfel und mir ins Gesicht. Wind und Steigung haben sich verbündet, um mich den Berg hinunterzuschieben. Die Schweine. Links neben mir baumeln die Gondeln einer Liftanlage. Ganz oben links, am Rande meines Blickfeldes führen terrassierte Serpentinen noch weiter in Richtung des grauen drohenden Himmels. Ich komme ihnen nicht näher. Die Natur ist gegen mich, die Physik ist gegen mich, vielleicht ist auch ein höheres Wesen gegen mich. Sisyphos musste ähnliche Probleme gehabt haben, seinen Berggipfel zu erreichen wie ich jetzt. Der Fedaia macht mich fertig.

Rennrad-Alpen-Touren

Wetter-Chaos

Dieser Pass passt nicht zu den anderen Dolomitenpässen dieser Gegend. Die sind berühmter, man kennt den Klang ihrer Namen, sie sind Bestandteile der Strecke des Radmarathons Maratona d’les Dolomites, sie stehen für die ganze Region, sie sind teilweise auch länger – vor allem aber sind sie harmloser. Der Passo Pordoi, der Passo Gardena, der Campolongo sind alle nicht besonders steil, sie steigen gleichmäßig an, sie sind rhythmisch und einigermaßen angenehm zu fahren. Der Passo di Fedaia ist das Gegenteil, er ist 180-Grad-anders. Er ist hart, er ist steil, er ist unrhythmisch, er bietet weniger weite und schöne Ausblicke. Nicht nur der Berg zehrt an mir, an meinen Kräften, an meiner Psyche – auch das Wetter. Es ist grau, kalt, stürmisch, die Luft ist schwer, es riecht nach Regen. Es ist so ganz anders als an den Tagen zuvor. Dies ist mein sechster Tag auf dem Rad. Drei stehen mir noch bevor.

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Dies ist die dritte Alpentour, die ich zusammen mit einem Freund und ehemaligen Radteamkollegen fahre. Die erste hatte drei Etappen, die zweite fünf – diese hat neun. Fast eine halbe Tour de France. Ohne Fahrerfeld, ohne viel Windschatten, ohne Ruhetag, und zum Glück auch ohne Renncharakter. Unser Zeitlimit lautet jeden Tag: Sonnenuntergang. Vor dem Start hatten wir einige Gründe zur Sorge. Unsere Form zum Beispiel. Und das Wetter. Der Sommer 2016 war bis zum August keiner. Er war eher ein Herbst. Die Wetterprognose für unsere Tour war dementsprechend: die ersten beiden Tage Sonne, danach erst ein Temperaturabfall, dann Regen, dann noch mehr Regen.

Regen, Regen, Regen

Mein Rucksack, der alles enthielt, was man für neun- Tage braucht, wurde also noch schwerer. Überschuhe, Handschuhe, Helmmütze, Regenjacke und sogar eine kurze Regenhose — alles musste mit. Die Organisation der Reise hatten wir uns einfach gemacht: Wir hielten uns während der gesamten Route an Roadbike-Holidays-Hotels. Dieser Zusammenschluss ist im gesamten Alpenraum präsent und auf rennradfahrende Gäste spezialisiert. Eine An- und Abreise haben wir uns diesmal erspart. Unsere Tour begann vor unseren Haustüren. Die Strecke lautete: Von München nach München – über Tannheim, die Südtiroler Weinstraße, Cortina d’Ampezzo, Zams in Osttirol. Und über viele, viele Pässe. Mehr als 1300 Kilometer, 24.000 Höhenmeter.

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Ohne Plan

Der erste Tag. Ausschlafen, Frühstücken, Umziehen, den gepackten Rucksack aufziehen, Abfahrt. Wir treffen uns im Süden der Stadt — und fahren von da an immer weiter gen Süden. Erst über wohlbekannte Trainingsstrecken nach Wolfratshausen, dann über flaches Neuland bis nach Murnau, wo wir erst einen 15-Kilometer-Umweg fahren müssen, weil eine Straße wegen Hochwassers gesperrt ist und uns danach erst einmal verfahren. Es ereilt uns der erste Platten, beziehungsweise ein großer tiefer Schnitt im Tubelessreifen. Dann fallen die ersten Tropfen aus dem grauen Himmel. Es läuft nicht gut für uns. Auch die Suche nach einer Bäckerei verläuft erfolglos. Wir landen in einem Biergarten und essen Standard-Apfelstrudel, der mit Standard-Vanilleeis ohne Vanille serviert wird. Die Strecke ist flach. Wir vermeiden die großen Straßen – und kommen, je näher wir dem Tagesziel kommen, immer besser voran. Der Regen hört auf. Am Horizont zeigt sich die Sonne. Ihr Untergang ist nah. Wir sind spät dran, viel später als geplant, doch wir sind am Ziel, im anderen Land, Tannheim, Österreich.

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Das Hotel liegt etwas außerhalb des kleinen Ortes. Wir checken ein und wissen, dass morgen fast wieder ein „Urlaubstag“ auf uns wartet. Denn wir müssen noch nicht weiter. Wir werden noch einmal hier übernachten und vorher eine Runde durch die Region drehen. Am nächsten Morgen zeigt sich ein für diesen Sommer bis dahin völlig ungewöhnliches Bild: blauer Himmel, Sonnenschein, Wärme. Wir drehen unsere Runde im Allgäu, die Kaffeepause in Sonthofen fällt ex­trem lang aus – wegen der Sonne und vor allem wegen der jeweils drei Stücke Kuchen beziehungsweise Torte. Neben der Verdauungsarbeit ist die größte Schwierigkeit des Tages die höchstgelegene Passstraße Deutschlands, 1400 Meter über dem Meer: der Riedbergpass. Er beginnt steil und wird dann immer steiler – wobei die Auffahrt von Balderschwang aus noch die „einfachere“ ist, acht Kilometer, 410 Höhenmeter. Die Sonne brennt auf unsere Rücken. Oben stehen Rennradfahrer und machen Selfies.

Wieder ein Tag im Regen

Am nächsten Tag steigern wir die Zahl der Kilometer und die der Höhenmeter. Schon kurz nach dem Start steht das Hahntennjoch vor uns: fast 15 Kilometer lang, fast 1000 Höhenmeter am Stück, der erste „richtige“ Pass unserer Tour. Die Strecke ist jeden Schweißtropfen wert. Die Ausblicke sind weit, frei und schön. Uns begegnen so gut wie keine Autos. Wieder liegen wir weit hinter unserem Zeitplan. Und wir wissen: Der Weg zu unserem Tagesziel führt bergauf. Nauders liegt auf 1350 Metern Höhe, hinter dem Reschenpass. Die direkte Auffahrt ist weder schön noch ungefährlich für Radfahrer. Deshalb umfahren wir sie und biegen erst in Martina ab auf die ansteigende Straße. Hier ist kaum Verkehr, der Weg nach oben ist rhythmisch und gut zu fahren. Mit uns erreichen die dunklen Wolken unser Ziel.

Über den Reschenpass

Als wir beim Abendessen sitzen, öffnet sich der Himmel. Es beginnt zu schütten – und hört weder in der Nacht noch am nächsten Morgen je damit auf. Es ist Zeit für mein Regenoutfit, Jacke, Hose, Handschuhe, Überschuhe, Mütze. Vor allem weil es die ersten Kilometer bergab geht. Wir vermeiden die extrem viel befahrene Straße am Reschenpass und rollen über kleine leere Radwege direkt am Reschensee entlang. Rückenwind. Die Aussicht, mein guter Regenschutz und die relativ hohe Temperatur von rund 15 Grad halten meine Laune und unsere Motivation trotz der sehr feuchten Umgebung oben.

RiedbergpassWald Abenteuer Alpentour

Je weiter wir nach unten und nach Süden kommen, desto wärmer und sonniger wird es. Nach fünf Stunden auf dem Rad können wir die Regenklamotten ablegen und in kurzen Trikots weiterfahren. Die Strecke ist leicht abfallend oder flach, der Wind ist gnädig, mein Tacho zeigt beständig 35, 36, 37 km/h. Wir fliegen unserem Ziel entgegen. Einem kleinen Dorf mit großem Namen: Tramin. Heimat des Gewürztraminers. Abends sitzen wir im Garten des Hotels, neben Obstbäumen und einem Pool, probieren drei, vier, fünf Rotweine und essen hervorragende Pasta — und ein paar Gänge mehr. Der nasse, graue, kalte, trostlose Morgen ist Lichtjahre weit weg. Der Hotelchef Arno empfiehlt uns nicht nur wunderbaren Wein, sondern auch eine Strecke für den nächsten Tag. An diesem wechseln wir zwar das Hotel, bleiben aber in der Region, an der Südtiroler Weinstraße. Unsere Runde führt uns über den Mendelpass und die auf ihn folgende ewige Abfahrt sowie den kaum bekannten und so gut wie nicht befahrenen Passo Predaia.

Ein Tal, das keines ist

Der Predaia ist zwar weder besonders lang noch besonders steil, aber er zehrt an unseren Kräften. Die Sonne brennt, Schweiß tropft auf heißen schwarzen Asphalt. Doch die letzten Kilometer vor dem „Gipfel“ werden flacher und führen durch einen schattenspendenden Wald. Nach der Abfahrt nutzen wir Arnos Schleichwege und zwei offizielle Radwege. Und kommen dort an, wo wir hinwollten: Kurtinig. Nach einem langen ausgiebigen BBQ-Buffet und einer kurzen Nacht steht uns die erste Königsetappe bevor: von Kurtinig nach Cortina d’Ampezzo. Nach ganzen acht flachen Kilometern beginnt der erste Berg des Tages. Mein Tacho zeigt zehn km/h, neun, acht. Das Thermometer zeigt: 27, 28, 29 Grad. Die Schilder am Straßenrand zeigen 16, 18, 20 Prozent Steigung.

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Nach Ewigkeiten haben wir die sechs Kilometer hinter uns. Eine kurze Abfahrt und wir sind im Cembratal. Wobei das Wort Tal hier irreführend ist: Die Straße steigt fast durchgehend leicht an. Der Wind, der vormittags eigentlich in Richtung der Berge wehen sollte, kommt aus der falschen Richtung und macht uns das Leben beziehungsweise das Vorankommen extrem schwer. Als der zweite wirkliche Berg vor uns aufragt, haben wir die meisten Energiereserven schon verbraucht. Der Pordoi ist fast zehn Kilometer lang. Doch der Pass ist ein gar gnädiger. Es rollt gut hinauf. Die Aussicht lenkt von den Wattzahlen ab, die man dazu treten muss. Später, in Cortina d‘Ampezzo, verfahren wir uns erst einmal. Doch am Ende sind wir noch gerade rechtzeitig zum Abendessen im Hotel.

Der nächste Tag, die nächste Runde vor Ort. Zwar ist der Himmel grau, die Temperatur rund 15 Grad kälter als gestern, aber wir haben uns viel vorgenommen: die Runde des Maratona dles Dolomites quasi, mit ein paar Änderungen. Rund 140 Kilometer, rund 4000 Höhenmeter. Es läuft gut. Die Landschaft ist atemberaubend. Die Berge sind eher gleichmäßig, nicht zu steil, angenehm. Bis zum Fedaia.

David Binnig Rad DolomitiSüdtiroler Weinstraße

Irgendwann sind wir dann doch oben. Und wieder unten. Und, nach zwei weiteren Bergen, wieder im Hotel. Den nächsten Tag beginnen wir im Auto unseres Südtiroler Fotografen, der uns zwei Tage lang begleitet. Wir haben ein schlechtes Gewissen, aber die Tagesetappe wäre sonst nicht zu schaffen. Doch den mit Abstand schwierigsten Teil der Strecke ersparen wir uns nicht: Vor dem Timmelsjoch steigen wir auf unsere Räder. Dies ist die deutlich schwerere Seite eines extrem langen Berges: 29 Kilometer und mehr als 1800 Höhenmeter sind es bis zum höchsten Punkt. Ich kenne den Anstieg vom Ötztaler Radmarathon. Doch im Gegensatz zu damals hört er jetzt irgendwann auf. Heute ist er endlich. Heute ist mein Tritt auch auf dem letzten Kilometer noch einigermaßen flüssig. Heute warten oben kein Schneeregen und keine drei Grad Celsius. Sondern Sonne und zehn Grad. Nach der Abfahrt, in Sölden, machen wir eine Kaffee- und Kuchenpause. Zwei Kaffee, drei Stücke Kuchen, mit Sahne.

Straße aus Blech

Das, was jetzt kommt, hat uns Sorgen gemacht: 35 meist leicht abfallende Kilometer. Das abfallende ist nicht das Problem. Aber der Verkehr. Wir fahren das Ötztal entlang — und haben Glück. Der Autoverkehr hält sich in Grenzen. Außerdem sind die einheimischen Autofahrer an Rennradfahrer gewöhnt. Dies ist immerhin die Heimat des Ötztaler Radmarathons. Mit 40 km/h fahren wir Richtung Oetz. Dann der Kreisverkehr. Rechts vor uns liegt der Spar-Markt und daneben die steil ansteigende Straße zum Kühtai. Schon bei deren Anblick beginnen meine Beine zu schmerzen. Doch diesmal fahren wir geradeaus weiter im Flachen. Wir bleiben heute meist auf den großen Straßen. Keine Zeit und keine Energie für Experimente. Es ist der vorletzte Tag unserer Tour — und zum ersten Mal kommen wir im Zeitplan am Ziel an: Zams in Osttirol. Ein kurzer Süßigkeiten- und Zuckerwassereinkaufsstopp an der Tankstelle, dann geht es ins Hotel, in die Dusche, ans Buffet. Vier, fünf Mal.

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Der letzte Tag. Der Weg zurück nach München. 170 Kilometer, vor denen wir Respekt haben. Vor allem vor dem Verkehr. Die schönen Routenoptionen sind uns heute zu weit, deshalb kommen wir nicht drum herum dort zu fahren, wo Radfahrer sonst eher wenig zu suchen haben: am Fernpass. Die ersten 40 flachen Kilometer verfliegen. Dann, irgendwann beginnt der Pass, der in Sachen Länge und Höhenmeter wohl der einfachste unserer gesamten Tour ist. Wir biegen auf die Straße ein und sehen: Stau. Eine Blechlawine, die erstarrt ist. Ein Stillleben aus Karosserien. Es ist perfekt. Kein Lärm, keine Gefahr, niemand überholt uns. Unsere muskelbetriebenen Fortbewegungsmittel bilden die schnellste Möglichkeit, von Österreich nach Deutschland zu kommen. Kurz vor Garmisch-Partenkirchen verlassen wir die blecherne Straße und fahren über wunderschöne ruhige Sträßchen gen Norden.

Wolfratshausen. Die letzte Pause. 30 Kilometer vor der eigenen Dusche, dem eigenen Bett, dem eigenen Schreibtisch mit dem eigenen Computer darauf, in dessen eigenem Arbeits-Maileingang einen irgendwas zwischen 500 und 1500 Emails erwarten. Ein Erdbeerbecher, extra groß, ein Espresso, zwei. Wir sind fast am Ziel, fast zurück im Alltag, im normalen Leben. Wir reden über den nächsten Sommer. Die nächste Tour. Die nächsten Pässe. Die nächste Flucht. //

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Die Etappenorte

  • Tannheim
    Hotel Bogner Hof (Bogen 9, 6675 Tannheim-Tirol, Österreich, info@bognerhof.at)

Das familiengeführte Hotel Bogner Hof liegt etwas außerhalb des Dorfes, an der kleinen Straße, die zum idyllischen Vilsalpsee führt. Der Hotelchef ist gleichzeitig Guide. In der Lobby warten ausgearbeitete Touren. GPS-Downloads und -Leihgeräte sind kostenlos. Die Küche ist auf Radfahrer ausgelegt. Der Wellnessbereich ist groß und modern, der Radraum ist überwacht.

Nauders
Alpen-Comfort-Hotel (Central Unterdorfweg 196, 6543 Nauders , Österreich, info@hotel-central.at)

Das Hotel Central liegt inmitten etlicher Herausforderungen für Rennradfahrer: Reschenpass, Flüelpass, Ofenpass, Stilfserjoch, Kaunertaler Glescherstraße, Berninapass, Albulapass. Zudem ist Nauders Start- und Zielort des Dreiländergiros. Kein Wunder, dass 80 Prozent der Central-Sommergäste Radfahrer sind. Radraum, Spa-Bereich und Tourenvorschläge gehören zum Standard.

Tramin
Bikehotel Arndt (Weinstraße 42, 39040 Tramin, Italien, hotel.arndt@dnet.it)

Tramin bietet mehr als nur Wein. Das Hotel Arndt liegt nur vier Kilometer vom Kalterersee entfernt, der kleine alte Ort ist inmitten von Obst- und Weinanbaugebieten gelegen. Der Hotel-Inhaber Arno ist seit Jahrzehnten Radfahrer und Triathlet — er kennt alle Schleichwege, gibt Fahrtechnikkurse und begleitet seine Gäste auf die schönsten Touren. Der Hotelgarten ist idyllisch und bietet einen Pool. Weitere Highlights: kostenloser Radverleih, Radraum, Sauna und Solarium, kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und Eintritt in Museen.

Kurtinig
Hotel Teutschhaus (Martinsplatz 7, 39040 Kurtinig / Weinstraße (BZ), Italien, info@teutschhaus.it)

Eigener Wein, eine Lage im kleinen Ortskern und an der Südtiroler Weinstraße, ein eigenes Weingut, Bozen, Meran und sogar die Dolomiten in Reichweite — das sind Argumente für das Hotel Teutschhaus in Kurtinig. Das Hotel hat große Außensitzbereiche und bietet regionale und saisonale Speisen, die auf Sportler ausgerichtet sind, einen großen Radraum, ein Boccia-Feld.

Cortina d’ Ampezzo (Loc. Verocai 73, 32043 Cortina d’Ampezzo, Italien, booking@hotelvillablucortina.it)
Boutique Hotel Villa Blu Cortina

Dolomitengipfel umgeben das elegante 4-Sterne Boutique Hotel Villa Blu Cortina. Mitten im Grünen, nur 20 Kilometer von den Drei Zinnen entfernt. Die Strecke des Maratona d’les Dolomites mit dem berühmten Passo Giau ist nahe. Ebenso der Passo Falzarego. Die Küche ist gehoben, die Weine sind exquisit, viele Zimmer sind renoviert. Einen Rennrad-Guide kann man im Hotel buchen.

Zams
Hotel Jägerhof (Hauptstraße 52, 6511 Zams, Österreich, info@jaegerhof-zams.at)

Das Hotel Jägerhof liegt verkehrsgünstig und bietet einen sehr großen Wellness- und Beauty-Bereich. Neben einem großen Radraum und einem GPS-Verleih mit mindestens zehn vorprogrammierten Touren der Region ab und zum Hotel bietet der Jägerhof auch einen Reinigungsplatz und Reinigungsmittel für das Fahrrad sowie einen Wäscheservice und einen Trockenraum.

Einen Überblick über die Hotels und etliche Tourenvorschläge sowie GPS-Daten finden Sie hier unter www.roadbike-holidays.com

Die Tour

975 Kilometer – mehr als 20.000 Höhenmeter

Die neun Etappen: München – Tannheim / Tannheim – Tannheim / Tannheim – Nauders / Nauders – Tramin / Tramin – Kurtinig / Kurtinig – Cortina d’Ampezzo / Cortina – Cortina / Cortina – Zams / Zams – München

Vegetarische oder vegane Ernährung als Sportler: Worauf sollte man achten?

Fleisch, vegetarische oder vegane Ernährung

Sind eine vegetarische oder vegane Ernährung und sportliche Höchstleistungen ein Widerspruch? Dieser Aussage widersprechen viele Spitzenathleten aus den verschiedensten Disziplinen. Dazu gehören etwa die Tennisspielerin Venus Williams, Ironman-Legende Dave Scott, Fußballer Robert Lewandowski, aber auch Radprofis wie Weltmeisterin Lizzie Deignan (Anmerkung: geborene Armitstead; sie isst allerdings auch Fisch), die sich überwiegend vegetarisch oder vegan ernähren.

Vegetarische oder vegane Ernährung: Energie

Ballaststoffreiche Nahrungsmittel wie zum Beispiel Vollkornnudeln sind neben einem großen Anteil Gemüse und Obst zentraler Bestandteil einer jeden gesunden Ernährung. Sie sättigen schnell, liefern aber teilweise nur wenig Kalorien und damit Energie.

Regeneration im Radsport: Kompressionsbekleidung und Kryotherapie

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Wer sich als Sportler bewusst für eine vegetarische oder vegane Ernährung entscheidet, sollte vor allem bei hohen Belastungen genau darauf achten, auch wirklich genug „Kraftstoff“ zu sich zu nehmen. Fisch und Fleisch enthalten viele wichtige Nährstoffe wie Eisen, Omega-3-Fettsäuren, Eiweiß. Proteine lassen sich leicht über Produkte wie Milch oder Ei aufnehmen. Veganer haben es da schwerer, aber auch für sie gibt es genügend Möglichkeiten.

Sie können etwa auf Hülsenfrüchte – wie Soja, Linsen, Erbsen –, verschiedene Getreidesorten oder Pseudogetreide wie Buchweizen und Quinoa zurückgreifen. Als Richtwert, den etwa British Cycling angibt, sollten Männer täglich zwischen 1,2 und 1,6 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen, Frauen rund circa 15 Prozent weniger. Pflanzliches Eisen ist unter anderem in Spinat und Brokkoli enthalten, kann aber vom Körper nur verhältnismäßig schwierig umgesetzt werden. Ein Schuss Essig im Dressing oder auch Orangensaft können die Eisenaufnahme verbessern.

Carboloading: Energiespeicher Kohlenhydrate im Radsport

Ersatzstoffe bei Verzicht auf Fleisch

Omega-3-Fettsäuren sind entzündungshemmend und unterstützen die Regeneration. Nur Nahrungsmittel mit einem möglichst hohen Omega-3-Gehalt zu konsumieren, reicht allerdings nicht. Besonders wichtig ist das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren.

Das Vitamin B12 ist unter anderem für die Zellteilung und die Bildung roter Blutkörperchen wichtig. Vegetarier können sich über Milchprodukte mit dem Vitamin versorgen. Auch andere Lebensmittel, wie Müslis und verschiedene Sojaprodukte, werden häufig mit Vitamin B12 angereichert. Für Veganer stellt die Versorgung mit diesem Vitamin, das in Fleisch reichlich enthalten ist, eine besondere Herausforderung dar. Sie können zusätzlich auf spezielle Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen, um eine Unterversorgung zu vermeiden.

Was sind Superfoods?

Vegetarische oder vegane Ernährung: Planung

Österreichische Wissenschaftler haben eine vegan lebende Mountainbikerin während eines Transalp-Etappenrennens begleitet und dabei ihre Ernährung analysiert. Sie fanden unter anderem heraus, dass es bei einer derart hohen, mehrtägigen Belastung unbedingt notwendig ist, die Energieaufnahme genau auf den Athleten und die Anforderungen abzustimmen.

Insgesamt verteilte sich die Energiezufuhr bei der achttägigen Veranstaltung auf einen Anteil von 17,4 Prozent vor, 35,2 Prozent während und 47,4 Prozent nach der Belastung. Den Großteil der Kalorien, 83,3 Prozent, nahm die Athletin erwartungsgemäß in Form von Kohlenhydraten zu sich. Mit 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde (92 Gramm pro Stunde) nahm sie deutlich mehr zu sich, als die Forscher erwartet hatten.

Auch ihre Proteinaufnahme war leicht erhöht: Sie lag zwischen 1,2 und 1,8 Gramm pro Kilogramm und Tag. Nach dem Wettkampf griff die Athletin zu Recovery- beziehungsweise Proteinshakes, um die Regeneration zu verbessern.

Fettstoffwechsel: Welchen Einfluss hat Fett auf die Leistung?

Vegetarische oder vegane Ernährung: Risiken

Eine vegane beziehungsweise vegetarische Ernährung während des Trainings oder im Rennen ist keine wirkliche Herausforderung. Denn die meisten Energieriegel und -gels sind von Haus aus vegetarisch oder sogar vegan.

Aber auch wenn die vegane/vegetarische Ernährung aktuell einen gesellschaftlichen Trend darstellt, gibt es, gerade für Athleten, Risiken beziehungsweise Nachteile: So enthalten pflanzliche Proteine in der Regel weniger Aminosäuren und können damit eine um bis zu 50 Prozent reduzierte biologische Wertigkeit haben. Das beliebte Ersatzprodukt Soja steht im Zusammenhang mit einer Beeinflussung des Hormonhaushalts – und damit einer potenziell verschlechterten Regeneration.

Zudem kann beim Verzicht auf Fleisch die Eisen- und Vitamin-B12-Aufnahme schwieriger sein. So würde Hans Braun, Ernährungswissenschaftler an der Sporthochschule Köln, etwa Nachwuchssportlern von einer veganen Ernährung abraten. Erwachsene sollten regelmäßige ihre Blutwerte und ihren Immunstatus untersuchen lassen.

Nahrungsergänzungsmittel: Energieriegel, Gels und Getränkepulver im Test

Leistung bei Vegetarieren und Veganern

Welche Auswirkungen diese Ernährungsformen auf die sportliche Leistung haben, ist umstritten. Die Studienlage ist alles andere als eindeutig.

Aktuell deuten viele Ergebnisse darauf hin, dass im Ausdauerbereich eher wenige signifikante Unterschiede bestehen könnten. In Kraftsportarten zeigen sich in der Regel eher tendenziell geringe bis mittlere Leistungseinbußen, die etwa auf die beeinflussten Testosteron- und Kreatinphosphat-Level zurückgeführt werden könnten.

Hungerast als Gefahr: Ernährungsstrategien im Radsport

Kommentar: Höflichkeit im Radsport

Kommentar Über Höflichkeit

Dieser Kommentar handelt von Höflichkeit – und von sich wandelten Umgangsformen. Im Radsport gibt es viele ungeschriebene Gesetze. Wer Lizenzrennen fährt, lernt diese sehr, sehr schnell. Oder bekommt große Probleme in einem Fahrerfeld. Auf den Straßen kann man nicht voraussetzen, dass alle Radfahrer alle „guten Umgangsformen“ kennen. Aber es gibt ja noch nicht einmal mehr eine Basis der Höflichkeit.

Aktuelles Beispiele Nummer eins: Man fährt Rennrad, überholt einen anderen Rennradfahrer, grüßt ihn, wird nicht zurückgegrüßt. Derjenige hängt sich wortlos in den Windschatten, man fährt höflicherweise sein normales Tempo weiter, zeigt Richtungswechsel und Schlaglöcher an. Bis man gen Schleichweg nach Hause abbiegt. Man zeigt dies an, rollt vor der Kurve neben dem anderen her, schaut ihn an, er schaut zurück, eine Sekunde, bevor er wieder geradeaus schaut und weiterfährt. Kein Danke, kein Gruß, kein Kopfnicken, kein nichts. Dies war kein Einzelfall.

Kommentar: Braucht man Nummernschilder für Fahrräder?

Höflichkeit vs. Individualismus

Beispiel Nummer zwei: Das Thema Grüßen. Wenn man heute Rad fährt, begegnen einem viele Menschen, die vor sich hin oder einen anstarren, weiterpedalierend, keine Miene verziehend, auch kein einziger Finger bewegt sich auch nur einen Millimeter vom Lenker. Nach Jahren des Beobachtens habe ich beschlossen, eine kleine soziologische „Studie“ dazu durchzuführen. Während drei je zwei- bis dreistündigen Ausfahrten im Münchner Süden. Das Studiendesign: Bei einer Fahrt zählte ich alle Rennradfahrer, die mich zuerst grüßten – bei zwei Fahrten zählte ich alle Rennradfahrer, die zurückgrüßten, nachdem ich sie gegrüßt hatte. In die Grüßwertung ging jedes Fingeranheben vom Lenker sowie jedes Kopfnicken ein. Bei der Auswertung wurden je die Zahl der Grüßer mit der der Nicht-(Zurück)-Grüßer in Relation gesetzt.

Die Ergebnisse: Von jenen Rennradfahrern, die gegrüßt wurden, grüßten rund 35 Prozent zurück. Zuerst, also von sich aus, grüßten rund zehn Prozent der rennradfahrenden Probanden. Ein Desaster. In meinen Augen. Weitere Beobachtungen: Frauen grüßen eher noch seltener als Männer – genau wie Fahrer, die neue teure „Edel-Radkleidung“ bestimmter Marken tragen. Wer schnell und guttrainiert beziehungsweise nach Lizenzfahrer aussieht, grüßt tendenziell öfter.

Natürlich ist dies eine „Witz-Studie“, die weder valide noch objektiv ist. Dennoch haben diese Beobachtungen meine zuvor selbstauferlegte Gleichgültigkeit erschüttert. Ich wurde im Radsport anders sozialisiert. Die Ergebnisse der kleinen Studie haben wir auf der RennRad-Facebook-Seite geteilt. Das Feedback zeigte klar, dass dieses Verhalten kein regionales Phänomen ist. Es ist ein sozial-gesellschaftliches. Man teilt ein wunderschönes Hobby, man ist an der Natur, man könnte offen sein, zumindest höflich. Doch diese Zeiten sind wohl vorbei. Es herrscht die Zeit des auf den GPS-Computer oder das Smartphone-Starrens, die Zeit des sich selbst Vermessens, des ständigen Kosten-Nutzen-Abwägens, des sich für seine Leistung digital Aufmerksamkeit Sicherns. Es herrscht die Zeit des puren Individualismus.

Kommentar: Warum die Politik beim Umgang mit Radfahrern versagt

Rennrad Trainingslager in Andalusien: Region, Touren und Geheimtipps

Rennrad Trainingslager Andalusien

Etwa drei Flugstunden sind es von Deutschland nach Jerez de la Frontera in der Provinz Cadiz. An durchschnittlich über 300 Tagen pro Jahr scheint hier die Sonne. Die Durchschnittstemperatur liegt bei 16 Grad. Von Tarifa bis zur portugiesischen Grenze erstreckt sich die Costa de la Luz. An der Küste kann man sich an kilometerlangen Stränden optimal locker für die Saison einrollen.

Das grüne Hinterland bietet wellige bis anspruchsvolle Strecken in den Ausläufern der Sierra Nevada. Hier lockt ein abwechslungsreiches Terrain, bestehend aus Bergen und Schluchten mit Pinienwäldern, Mandel- und Orangenbäumen. Auf dem Weg von der Küste ins Hinterland fällt besonders die landschaftliche Vielfalt auf. Kaum ein anderes Gebiet in Spanien ist so kontrastreich wie Andalusien. Zwischen Küstensonne und ewigem Schnee liegt gerade eine Autostunde. Ideale Bedingungen zum Radfahren herrschen in der Zeit von April bis Ende Juni sowie im September und Oktober. Im Hochsommer ist es dem Durchschnittsmitteleuropäer schlichtweg zu heiß.

An der Costa de la Luz dagegen kann bereits ab Februar und auch bis Ende November ausgiebig trainiert werden. Cadiz, die Provinzhauptstadt, ist eine der ältesten Städte Europas. Sie bietet etliche Cafes, Hotels und Restaurants sowie Strände. Als Standort können wir etwa den Ferienort Novo Sancti Petri empfehlen. Dieser ist rund acht Kilometer vom Städtchen Chiclana de la Frontera, etwa 60 Kilometer vom Flughafen Jerez und rund 220 Kilometer von Malaga entfernt. Der dortige Naturstrand ist 14 Kilometer lang. Leihstationen bieten moderne Mieträder an. Von dort aus sind sowohl flache Touren am Meer entlang als auch wellige bis bergige Strecken im Hinterland kein Problem. Fährt man etwa in Richtung Paterna und Chiclana, wird es immer hügeliger. Will man zu den ganz hohen Bergen, werden die Runden jedoch noch sehr viel länger. Spezialisierte Radsporthotels, etwa von Max Hürzeler, bieten hier jedoch auch Bus-Transfers und -Abholungen an, zum Beispiel nach El Bosque. Bei einer Runde über Zahara de la Sierra kann man hier auf 95 Kilometern fast 2000 Höhenmeter sammeln.

Trainingslager für Radsportler: Vorteile, Nachteile und worauf es zu achten gilt

Die Region

Nur die Straße von Gibraltar trennt den Südwesten Andalusiens von Marokko. Tarifa an der Costa de la Luz ist die am südlichsten gelegene Stadt auf dem europäischen Festland. 14 Kilometer und eine Stunde mit der Fähre sind es nach Afrika. Gleißend helles Licht und strahlend blauer Himmel an der Küstenlinie geben der Gegend ihren Namen: Die Küste des Lichts (Costa de la Luz) bietet ganz besondere Voraussetzungen für ein Trainingslager.

Tourentipps

Tour 1: 116 KM, 782 HM
Novo Sancti Petri – Conil de la Frontera – El Palmar – Zahora – Los Canos de Meca – Barbate – Zahara de los Atunes – La Zarzuela – Manzanete – Conil de la Frontera – Novo Sancti Petri

Tour 2: 131 KM, 1207 HM
Novo Sancti Petri – Los Naveros – vorbei an Medina Sidonia – Runde mit Beginn und Ende in Benalup Casas Viejas – Los Naveros – Novo Sancti Petri

Geheimtipp

Heladería Cafetería Carapino
Die Eisdiele hat eine riesige Auswahl an verschiedenen Eissorten.

Ctra. de la Barrosa, 855, 11139 Chiclana de la Frontera, Cádiz

Hotelempfehlung

Hotel Hipotels Barrosa Park 4-Sterne
Urb. Novo Sancti Petri, s/n, 11130
Chiclana de la Frontera,

Cadiz, Spanien

www.hipotels.com