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Markus Rieber: Langstrecken-Spezialist über Training, Motivation, Ernährung

Ein Jahr – 48.000 Kilometer

Markus Rieber: Langstrecken-Spezialist über Training, Motivation, Ernährung

Markus Rieber ist ein Spezialist für Langstrecken-Radsport – er hat 24-Stunden-Radrennen dominiert. Rieber über sein Training, sein Leben und seine Sucht nach Sport.
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Markus Rieber über Training, Radsport und Langstrecken

Sein Training:

„Ich fahre immer gleich Rad. Immer mit Druck. Alles mit Kraft. Jeden Tag. Ich kam 2016 auf 48.000 Kilometer im Jahr. Wenn ich 200 Kilometer trainieren fahre, ist das immer ein Rennen. Ein typisches Wochenende ist für mich: Freitag 200 Kilometer schnell, Samstag 200 Kilometer schnell, Sonntag 200 bis 250 Kilometer schnell. Immer so mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 33, 34, 35 km/h. Wie man mit meiner Statur gut am Berg und in der Ebene sein kann? Das weiß ich auch nicht wirklich. Leicht bin ich nicht, ich bin schon eher ein Bär. 75 Kilogramm bei 1,77 Metern. Ich mache halt alles mit Kraft. Niedrige Trittfrequenz, hochwuchten. Das kleine Kettenblatt ist an meinen Rädern eher Zierde. Für mich gibt es auf dem Rad immer nur eines: am Horn ziehen. Jeden Tag. Deshalb will auch nie jemand mit mir trainieren. Ich mache kein Ausgleichs- oder Stabi- oder Krafttraining. Ich fahre Rad. Immer. Ich habe ein Ergometer im Wohnzimmer stehen. Aber ich fahre trotzdem jeden Tag draußen. Wenn es wirklich eiskalt ist, fahre ich halt morgens drei Stunden auf der Rolle und mittags noch 150 Kilometer draußen. Ich brauche auch keine Abwechslung. Ich kann jeden Tag dieselbe Strecke fahren. Hauptsache Kilometer machen. Als das mit den 46.000 bis 48.000 Kilometern geklappt hat, als die Leistung da war, der Druck auf dem Pedal, da hab’ ich halt so weitergemacht. Ich habe keinen Zeitdruck. Diese Umfänge fahre ich seit acht Jahren. Vorher war es auch nicht viel weniger. Ich bin schon mit Anfang zwanzig 40.000 Kilometer im Jahr gefahren. Jeder Trainer würde sagen: Das ist total bescheuert.“

„Ich brauche keine Abwechslung. Ich kann jeden Tag dieselbe Strecke fahren.“

Sein Weg zum Radsport:

„Mein Bruder hat sich zur Konfirmation ein Rennrad gekauft. Dann ist er seine ersten Rennen gefahren und war bald in der Nationalmannschaft. Ich habe zu der Zeit viel geraucht und gesoffen und irgendwann gedacht: Das probierst du auch mal. Da war ich 16. Seitdem fahre ich Rennrad. Als Lizenz-Amateurfahrer hatte ich immer wieder Hüft- und Knieprobleme. Ich hatte ein paar Operationen und bin deshalb fünfmal aus der A-Klasse abgestiegen. Und danach immer wieder aufgestiegen. Aber die meisten Rennen waren eher nichts für mich. Denn die Strecken waren kurz und flach, und ich kann nicht sprinten. Im Sprint fährt meine Oma im Rollstuhl schneller als ich.“

Auf seiner Homepage können Sie noch mehr über Markus Rieber erfahren

Seine Langstrecken-Tipps:

„Auf der Langstrecke ist der Kopf entscheidend. Das Mentale ist mindestens genauso wichtig wie der Körper. Ich trainiere ziemlich verrückt. Deshalb bin ich ein schlechtes Beispiel. Eigentlich sollte man das Gegenteil von dem machen, was ich mache. Deshalb lautet mein Rat: Macht es nicht so wie ich. Und: Nehmt euren Elektronik-, Power-, Daten- und Computer-Scheiß, schmeißt ihn weg – und lernt, auf euren Körper zu hören.“

Sein Weg zur Langdistanz:

„Mein erstes Langstrecken-Rennen war mit einem Vierer-Team auf dem Nürburgring. Aber mit so vielen Leuten und den ganzen Betreuern außenrum wird so etwas immer kompliziert, und dann sind auch nie alle Fahrer gleich stark. Da habe ich sofort gesagt: Ich mach das alleine. Trotzdem bin ich im Lauf der Jahre siebenmal die Tour Transalp in Zweier-Teams gefahren. Wir waren fast immer auf dem Podest. 2015 haben Klaus Elsner und ich dann die Grandmaster-Wertung gewonnen.“

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Regeneration, Material und Pacing von Markus Rieber

Seine Regeneration:

„Ruhetage? Gute Frage. Früher war ein Ruhetag für mich: 100 Kilometer langsam fahren. Das war meine Regeneration. Heute mache ich öfter montags frei. Aber nicht, weil ich nicht Radfahren will oder kann, sondern weil so viel Zeug anfällt, das erledigt werden muss. Wenn ich einen Tag nicht trainiere, werde ich schon halb wahnsinnig. Ob sich das jetzt ändert, weiß ich noch nicht.“

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Sein Material:

„Ich habe ein Specialized Tarmac – und nichts Elektronisches am Rad. Kein Powermeter, kein GPS, kein Pulsmesser. Früher hatte ich im Rennen ein Rad für den Tag, eines für die Nacht. Aber durch den Radwechsel verliert man Zeit. Also wechsle ich jetzt nur noch den Helm. An dem für die Nacht ist eine Lupine-Akkulampe montiert. Ich fahre im Rennen Lightweight-Laufräder und immer Zehnfach-Kassetten. Meine Kettenblätter: 55 und 44. Wenn es sehr bergig wird, ist das kleine ein 42er. Dazu eine 180-Millimeter-Kurbel. Ich bin ganz alte Schule.“

„Ich lebe in der Nacht. Wenn es Nacht wird, komme ich in meine Welt. Die anderen werden müde, ich werde wach.“

Sein Pacing & seine Taktik:

„Ich nenne sie ,die magischen 200‘. Die ersten 200 Kilometer sind wie ein normales Straßenrennen: Ich gebe Gas. Die nächsten 100 sind auch schnell. Dann schaut man, wer noch vorne dabei ist. Und mit denen beschäftigt man sich dann. Dann fängt man an zu attackieren. Wobei die Felder immer stärker werden. In Kelheim waren in dieser Phase noch fünf Einzelfahrer mit dabei, fast lauter neue Leute. Fast immer gibt es eine oder zwei Runden, die schlecht sind, die schwerfallen. Aber ich drücke einfach weiter. Bis 300 Kilometer ist es ein Kampf, vor allem gegen sich selbst, gegen die Stimmen im Kopf. Der Kopf wehrt sich und wehrt sich gegen den Schmerz. Bis zu Kilometer 350 oder 400. Dann sind die Stimmen tot. Dann kann man einfach treten. Ich habe fast permanent die gleiche Geschwindigkeit, den ganzen Tag, die ganze Nacht über. Die Leute sagen immer: Das hält der nie durch. Aber es geht. Ich arbeite schon immer Nachtschichten, seit mehr als 35 Jahren. Ich lebe in der Nacht. Wenn es Nacht wird, komme ich in meine Welt. Die anderen werden müde, ich werde wach. Pausen? Mache ich nicht. In Kelheim habe ich einmal gehalten, um zu pinkeln, eine Minute. Auch Psychospielchen gehören dazu. Das habe ich bei meinem zweiten 24-Stunden-Rennen gespürt. Das war mein erster Sieg in Kelheim. Aber am Ende war ich der Buhmann, weil ich während einer Pinkelpause von zwei anderen weitergefahren bin und nicht gewartet habe. Nur hatten die kurz vorher schon zwei Pausen gemacht. Das waren einfach Spielchen.“

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Mentale Stärke, Ernährung und Alltag eines Spezialisten auf der Langstrecke

Seine mentale Stärke:

„Warum ich nicht einbreche? Das ist mein Kopf. Ich kannte nie etwas anderes als Kämpfen. Ich habe früh meinen Vater verloren. Bei mir gab es nie jemanden, der gesagt hat: ‚Bub, das hast du gut gemacht.‘ Der Einzige, der das machen konnte, war man selbst. Man muss sich selbst bestätigen, sich selbst Ziele setzen. Aber in diesem Jahr hat beim Rennen in Kelheim mein Kopf angefangen zu überlegen, zu zweifeln. Zum ersten Mal. Das war etwas völlig Neues für mich. Und es war wohl ein Zeichen. Das Zeichen, dass ich alt werde, dass der Biss nachlässt, dass ich aufhören soll. Es ist nicht der Körper, der nicht mehr will, sondern der Kopf. Ich hatte noch nie so viele störende Gedanken. Ich hatte Fragen im Kopf, die ich mir noch nie gestellt habe: Warum machst du das? Warum musst du so leiden? Warum gehst du solche Risiken ein?“

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Seine Ernährung:

„Ich esse im Rennen nichts Festes. Ich trinke Cola und esse Powerbar-Gels – so circa eines pro Runde. So kommen in 24 Stunden mehr als 40 Gels und ein paar Liter Cola zusammen. Das ist das Einzige, was ich während der Belastung vertrage.“

Seine Sucht nach dem Radfahren:

„Ich bekomme schon psychische Probleme, wenn meine Frau sagt, dass wir abends auf einen Geburtstag müssen. Ich denke dann, ich muss ins Bett, ich muss ja bald wieder trainieren. Das war auch nach dem Oberschenkelbruch so. Zehn Tage, nachdem ich aus dem Krankenhaus draußen war, habe ich versucht, auf dem Ergometer zu trainieren. Es hat nicht geklappt. Viele lernen eben nie zu kämpfen. Ich musste immer kämpfen, mein ganzes Leben lang. Und ich kann mit Schmerz umgehen. Durch die permanente Belastung haben sich mein Körper und mein Kopf daran gewöhnt. 200-Kilometer-Einheiten sind für mich wie für andere 80. Ich wollte meinen Körper immer stressen, ihn immer belasten, so dass er sich daran gewöhnt, so dass er stärker wird. Natürlich kommt dieser Antrieb auch daher, dass ich ein kranker Mensch bin. Gesund und normal ist das nicht. Das ist krankhaft. Es ist eine Sucht, von der ich irgendwie wegkommen muss.“

„Ich bekomme schon psychische Probleme, wenn meine Frau sagt, dass wir abends auf einen Geburtstag müssen.“

Sein Alltag:

„Ich arbeite mehr als Vollzeit: sechs Tage in der Woche. Also sechsmal acht bis neun Stunden. Mein täglicher Ablauf sieht folgendermaßen aus: Ich komme von der Nachtschicht nach Hause, schlafe vier bis 4,5 Stunden lang, stehe auf, esse, ziehe mich um und fahre vier bis acht Stunden Rad.“

Seine Träume & Ziele:

„Ich hätte schon mal Lust gehabt auf ein Race Across America. Das hätte mir gelegen. Da waren teils Leute vorne – um die wäre ich Kringel gefahren. Aber ich habe nie Sponsoren gefunden. Und um das alles selbst zu bezahlen, bin ich zu sehr Schwabe. Im letzten Jahr, als ich verletzt war, hätte ich dann einen Sponsor gehabt. Das ist typisch Rieber: Dann, wenn ich aufhöre, hätte ich mal Glück. Und jetzt bin ich einfach schon ein alter Hund. Die Zeit ist abgelaufen. Jetzt bin ich fertig damit. Vielleicht.“

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Dieser Beitrag ist Teil der dreiteiligen Serie zu Markus Rieber und dem Langdistanz-Radsport. Die beiden weiteren Artikel finden Sie hier:

Langdistanz-Training: Trainingsansätze und Tipps

24-Stunden-Radrennen: Markus Rieber im Porträt

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