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Ketone: Wissenschaftliche Hintergründe zu ketogener Ernährung

Ketone

Ketone: Wissenschaftliche Hintergründe zu ketogener Ernährung

Mehr Ausdauer und einen klar optimierten Fettstoffwechsel – das versprechen Ketone. Studien, Effekte und Hintergründe zu ketogener Ernährung.
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87 Stunden, 20 Minuten und 5 Sekunden – für 3470 Kilometer. In 21 Tagen. Dies sind die Daten des Siegers des wichtigsten Radrennens der Welt im Jahre 2020. Die Daten des Tadej Pogacar. Der damals 21-jährige Slowene gewann die Gesamtwertung der Tour de France mit 59 Sekunden Vorsprung. Weniger als eine Minute – nach 3470 Kilometern. Dies zeigt, dass während eines Radrennens vor allem eines gilt: Jede Sekunde zählt. Jede kleine Verbesserung, jeder „marginal gain“, kann ein Schritt zum Erfolg sein – im Training, bei der Regeneration, der Aerodynamik, dem Gewicht, dem Material, der Ernährung. Letztere wird seit einigen Jahren von einer neuen Entwicklung und der Frage nach den Auswirkungen der körpereigenen Stoffe auf die Leistung beeinflusst: Was sind Ketone, und was bringen sie?

Vieles spricht für positive Auswirkungen auf bestimmte Leistungsbereiche. Fakt ist: Keton-Drinks finden eine immer weitere Verbreitung im Profi-Peloton. „Ketone sind Nahrungsergänzungsmittel. Die Substanz steht nicht auf der verbotenen Liste. Es ist bekannt, dass mehrere Teams sie verwenden“, sagt der Teamchef des Jumbo-Visma-Teams Richard Plugge. „Man kann sie nehmen wie Vitamine.“ Dennoch stehen sie für einige Experten – aufgrund ihres potenziell leistungssteigernden Effekts – an der Grenze zu Dopingmitteln.

2018 brach die italienische Profi-Fahrerin Vittoria Bussi den Stundenweltrekord. Sie absolvierte in 60 Minuten 48,007 Kilometer, nachdem sie während der gesamten Vorbereitung auch Keton-Getränke zu sich genommen hatte. Die gewünschten Effekte der Ketone wurden bereits in kleinen Studien nachgewiesen: eine optimierte Fettverbrennung, das Schonen der Kohlenhydratreserven während der Belastung – sowie das Steigern der Insulinsensitivität und der Regenerationsfähigkeit.

Mehr Leistung durch Ketone?

Die Definition: Ketone sind körpereigene Stoffe, die beim Fettsäureabbau in der Leber entstehen. Es sind Energieträger, die unter Hungerbedingungen – wenn keine Kohlenhydrate mehr zur Verfügung stehen – in der Leber aus Fett gebildet und zur Energiegewinnung verstoffwechselt werden. Auch bei der Geburt und in den ersten Monaten danach bedient sich der Körper der Ketone, um das schnelle Wachstum des Gehirns zu ermöglichen.

„Ketone“ ist eine Bezeichnung für alle chemischen Verbindungen mit einer bestimmten molekularen Anordnung von Sauerstoff und Kohlenstoff. In Zusammenhang mit dem menschlichen Stoffwechsel müsste genau genommen von „Ketonkörpern“ gesprochen werden. Der Begriff der Ketonkörper umfasst sowohl Ketone als auch eine chemisch leicht abgewandelte Form davon.

Im Körper entstehen drei Ketonkörper: Aceton, Acetoacetat und Beta-Hydroxybutyrat. Die beiden erstgenannten sind definitionsgemäß Ketone, das Drittgenannte weist eine leicht veränderte Molekülstruktur auf. Dieses ist der potenteste Ketonkörper für die Energiebereitstellung und kommt am häufigsten im Körper vor.

Aceton kann der Körper nicht verwerten und scheidet es über den Urin oder den Atem aus. Der Organismus, der menschliche „Motor“, kann seine Energie aus drei Brennstoffen gewinnen: Kohlenhydraten, Fett – und Ketonkörper. Der Glukose-Energievorrat ist schnell verfügbar, aber stark begrenzt. Trainierte Athleten können maximal bis zu 600 Gramm Zucker speichern. Der Fett-Vorrat ist dagegen, auch bei schlanken Menschen, nahezu „unbegrenzt“.

Energiegewinnung aus Körperfett

Die Energiegewinnung aus Körperfett hat zwei Nachteile: Zum einen dauert die Umwandlung länger, zum anderen „läuft“ das Gehirn auf Kohlenhydraten. Fettsäuren können die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen – mit einer Ausnahme: den sogenannten MCTs, medium chain triglycerides, mittelkettigen Fettsäuren.

Sind die Glukose-Speicher leer, kann es zu einem Prozess kommen, den gerade Sportler vermeiden wollen: der Glukoneogenese, der Neubildung von Glukose, unter anderem durch den Abbau von  Muskelprotein. Zudem startet der Körper während eines solchen Hungerzustandes die Produktion von Ketonkörpern aus Fett. Diese versorgen das Gehirn mit Energie und stehen auch den anderen Körperzellen als schnell einsatzbereite Energiequelle zur Verfügung. Diese vom Körper hergestellten Ketonkörper nennt man „endogene Ketone“. Die von außerhalb zugeführten Ketonkörper werden als  „exogene Ketone“ bezeichnet.

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Die ketogene Ernährung

Exogene Ketone werden seit Jahrzehnten eingesetzt. Die Herstellung war anfangs noch extrem teuer. Zunächst beschränkte sich der Einsatz exogener Ketone auf Sparten wie die Raumfahrt und das Militär.

Auch in der Medizin werden sie seit Jahren eingesetzt, vor allem zur Behandlung von Epilepsie oder psychischen Störungen. Durch die Einnahme von Ketonen kann es zu positiven Stoffwechselveränderungen kommen: etwa zu einer verbesserten Mitochondrien-Funktion und anti-entzündlichen Prozessen. Tierversuche zeigten zudem eine Senkung des Blutzuckers.

Erste Pilotstudien an Menschen lieferten positive Effekte hinsichtlich der Bekämpfung von Übergewicht sowie gegen einen Energiemangel im Gehirn bei Demenzerkrankungen. Als Nahrungsergänzungsmittel kommt bisher ausschließlich das sogenannte Beta-Hydroxybutyrat, BHB, zum Einsatz. Diese exogenen Ketone sind nur indirekt wirksam. Der Körper stellt in der Leber ausschließlich rechtsdrehendes BHB her, während in Nahrungsergänzungsmitteln häufig auch linksdrehendes vorkommt. Für die schnelle Energiegewinnung benötigt der Körper jedoch rechtsdrehendes BHB. Linksdrehendes wird entweder im Organismus in die rechtsdrehende Form umgewandelt oder komplett ausgeschieden, da es nicht verwertet werden kann.

Lange bevor es exogene Ketone gab, versuchten Menschen den Körper zur Produktion von Ketonkörpern anzuregen. Das Mittel dazu war: die ketogene Ernährung. Dabei wurde während bestimmter Phasen weitestgehend auf Kohlenhydrate verzichtet. Das Ziel war es, den Körper zur Produktion von Ketonkörpern zu bringen. Die ketogene Ernährung ist nicht mit den modernen Low-Carb-Diäten gleichzusetzen. Bei diesen wird der Körper in der Regel nicht zur Bildung von Ketonkörpern „gezwungen“. Schränkt man Kohlenhydrate jedoch auf ein unumgängliches Minimum ein, werden in der Leber Ketonkörper gebildet.

Die maximale Menge der zugeführten Kohlenhydrate ist individuell verschieden: zwischen 20 und 50 Gramm pro Tag. Sind im Blut erhöhte Werte von Ketonkörpern nachzuweisen, spricht man vom Zustand der Ketose. Im Normalzustand liegt diese Konzentration zwischen 0,05 und 0,1 Millimol pro Liter Blut. Im Zustand der Ketose liegen die Werte zwischen 0,5 und fünf Millimol. Achtung: Zu Beginn einer ketogenen Ernährung kann der Organismus Probleme haben, ausreichend viele Ketonkörper zu bilden. Ist dies der Fall, leidet man zeitweise unter den Folgen des Nahrungsentzugs. Der Fachbegriff dafür lautet: „Keto-Grippe“. Zur Überbrückung dieses Zustands, werden inzwischen auch exogene Ketone eingesetzt.

Ketone und Sport

Die ketogene Ernährung ist umstritten – unter anderem deshalb, da sie eine mögliche Erhöhung des „schlechten“ LDL-Cholesterins hervorrufen kann. Dieses steht im Verdacht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorzurufen. Einen Sonderfall stellen hierbei Typ-1-Diabetiker dar. Da ihre Bauchspeicheldrüse kein Insulin produzieren kann und die Körperzellen meist keine Glukose insulinunabhängig aufnehmen können, kommt es durch Energiemangel in den Zellen zur Produktion von Ketonkörpern.

Bei einem Diabetiker fehlen die Regelmechanismen durch Insulin und es können zu viele Ketonkörper produziert werden, wodurch der pH-Wert des Blutes sinkt und es zu einer Übersäuerung kommen kann. Im Extremfall kann dies lebensgefährlich werden. Deshalb sollten Diabetiker ihren Ketonspiegel gelegentlich untersuchen.

Nüchterntraining

Ein Mittel, das auch immer mehr Amateur- und Hobby-Athleten zur Fettstoffwechsel-Optimierung einsetzen, heißt: Nüchterntraining. Man trainiert morgens vor dem Frühstück 60 bis 90 Minuten im Grundlagen-Bereich.

Der Effekt: Aufgrund des Kohlenhydratmangels produziert der Körper Ketone. Das Ausmaß dieser Produktion ist jedoch – in Relation zu einer Fastenkur oder einer ketogenen Ernährung – sehr viel geringer. Der Einsatz von Ketonen im Sport kann unterschiedlichen Zwecken dienen. Zum einen können sie potenziell den Abnehm-Prozess unterstützen. Denn während einer signifikanten Gewichtsreduktionsphase kann es zu Energiemängeln und Leistungseinbrüchen kommen.

Ketone können unter anderem das Hungergefühl dämpfen, indem Hungerhormone wie Ghrelin reduziert werden. Zudem kann mit ihnen das Gehirn während des Trainings mit Energie versorgt werden, ohne dass eine Zufuhr von Kohlenhydraten notwendig ist. Das Konsumieren von Glukose ruft einen merklichen Insulinanstieg hervor, der die Fettverbrennung bremst oder sogar „abschalten“ kann. Mit Ketonen läuft die Fettverbrennung weiter und wird sogar „angekurbelt“. Auch kann der Muskelabbau während des Nüchterntrainings verhindert werden, da Ketone die Glukoneogenese unterbinden.

Bei der Einnahme exogener Ketone während eines Wettkampfs oder des Trainings greift der Körper primär auf diese Stoffe zur Energiegewinnung zurück. Somit werden die Kohlenhydratspeicher geschont. Parallel kann die Fettoxidation erhöht werden, was wiederum den Zuckeranteil an der Energiegewinnung reduziert. So zeigten mehrere wissenschaftliche Studien – etwa jene der Universität Leuven  – dass die Keton-Zufuhr während intensiven Belastungen zu einer signifikanten Abnahme der Laktatkonzentration führt.

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Welche Auswirkungen haben Ketone auf die Regeneration?

Eine verbesserte Regeneration durch Ketone

Diese Studie zeigt, dass die Ketone-Zufuhr nach einer Trainingseinheit mit einer Steigerung der Glykogensynthese zusammenhängt. Ein Umstand, der zu einer verbesserten Regeneration beitragen kann.

Dr. Brianna Stubbs von der Universität Oxford und andere Wissenschaftler stellen in ihrer Studie fest, dass nach der Keton-Einnahme der Muskeltonus gesenkt und die Entstehung von Blutgefäßen angeregt wird. Biomarker, die mit kardiovaskulärem Stress und Herzinsuffizienz in Verbindung gebracht werden, werden reduziert. Studien – wie jene von Peter Hespel und anderen – zeigten zudem, dass die Gefahr von Übertraining durch intensive oder umfangreiche Einheiten herabgesetzt werden kann. In Wettkämpfen sind nicht nur die körperlichen, sondern auch die geistigen Anforderungen hoch.

Dass die Keton-Zufuhr auch diese – in Form einer verbesserten Energieversorgung des Gehirns – unterstützen kann, zeigte eine Untersuchung der Universität Madrid. Die Forscher stellten bei ihren Probanden eine erhöhte Konzentration und einen verbesserten mentalen Fokus fest.

Ketone sind kein Wundermittel

Doch: Ketone sind kein Wundermittel. Das Bild hinsichtlich potenzieller Leistungssteigerungen ist uneinheitlich. So ist es nicht erwiesen, dass die Einnahme einen Effekt auf die Leistung bei kurzen hochintensiven Belastungen hat – trotz einer häufig festgestellten verringerten Laktatkonzentration im Blut der Probanden.

Eine großangelegte Studie der beiden Forscher Brendan Egan und Dominic D’Agostino, die in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Cell Metabolism“ erschien, widmet sich dem Einsatz exogener Ketone im Hochleistungssport. Das Ergebnis: Es wurde bei bei den Probanden bei einem simulierten Zeitfahren auf dem Rad-Ergometer eine durchschnittliche Leistungsverbesserung von zwei Prozent festgestellt. Eine extreme Steigerung der Durchschnittsleistung um 15 Prozent während einer 30-minütigen Belastung nach der Einnahme von Ketonen zeigte sich in einer anderen Studie der Universität Leuven.

Magen-Darm-Beschwerden als Nebenwirkung

Als mögliche Nebenwirkung der Einnahme exogener Ketone wurde bislang von Magen-Darm-Beschwerden berichtet. Die auftretenden Beschwerden wie Übelkeit, Blähungen oder Durchfall waren vor allem auch von der Art des verwendeten Präparates abhängig und traten ebenso nach parallel getesteten Kohlenhydratgetränken auf.

Eine 28-tägige Untersuchung von Forschern der Universität Oxford, bei der die Probanden dreimal am Tag Ketone zu sich nahmen, ergab keine Veränderung physiologischer Parameter oder Veränderungen in den getesteten Werten von Blut und Urin. Noch fehlen Langzeit-Untersuchungen zu dem Themenfeld „Ketone im Sport“. Erste Studienergebnisse zeigen potenziell positive Effekte wie: eine verminderte Laktatbildung, eine erhöhte Fettoxidation, eine Schonung der Glykogenvorräte und eine verbesserte Regeneration. Jedoch sind die bisherigen Befunde in Bezug auf etwaige Leistungsverbesserungen uneinheitlich.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 5/2021. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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Wissen ist Macht: Wissenschaftliche Hintergründe zu Training und Ernährung


Risiken der ketogenen Diät

Die kohlenhydratarme und fettreiche ketogene Diät wird seit mehr als 70 Jahren in der Medizin eingesetzt – als nachweislich wirksame Behandlung von Epilepsie. Zudem kommt sie im Zuge von Therapien gegen Krankheiten wie Diabetes, Krebs und neurologischen Störungen, wie etwa Alzheimer und Parkinson, zum Einsatz.

Im Februar 2021 veröffentlichte das renommierte „Nature“-Journal eine aktuelle Studie zu den Risiken dieser Ernährungsform.

Die Grundlage: Während der Fettsäureoxidation werden in der Leber drei Hauptformen von Ketonkörpern gebildet: Acetoacetat, Aceton und Beta-Hydroxybutyrat. Letzteres macht rund 70 Prozent aller Ketonkörper aus. Es dient nicht nur als „Energiequelle“, sondern wirkt auch antioxidativ und entzündungshemmend. Doch: Seine Ausschüttung scheint, wie nach mehreren Untersuchungsergebnissen angenommen wird, auch potenzielle negative Effekte zu haben.

Diesen gingen chinesische Forscher in ihrer „Nature“-Studie nach. Es wurde festgestellt, dass die Konzentration von Beta-Hydroxybutyrat in Herzgeweben von Patienten, die an Vorhofflimmern leiden, signifikant erhöht ist. Zudem gehen auch Diabetes-Erkrankungen häufig mit erhöhten Ketonkörperspiegeln einher. Weiterhin wurde in mehreren Studien an Probanden, die sich dauerhaft ketogen ernährten, ein vermehrtes Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen festgestellt. Und: In einer großen 25 Jahre umfassenden Follow-Up-Studie zeigte sich, dass eine kohlenhydratarme Diät statistisch mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht.


Ernährung und Training

Die Sleep-Low-Train-High-Strategie: Hierbei werden zwei Trainingseinheiten an aufeinanderfolgenden Tagen verbunden. Am Vorabend leert man die Glykogenspeicher mit einer intensiven Trainingseinheit. Anschließend füllt man sie nicht wieder auf. Am nächsten Tag folgt eine Einheit mit niedriger Intensität.

Diese kann man entweder nüchtern oder nach einem Frühstück ohne Kohlenhydrate durchführen. Diese Trainingseinheit sollte maximal 60 bis 90 Minuten dauern. Anschließend füllt man die Energiespeicher mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit wieder auf, um die Energie für die nun folgenden intensiveren Trainingseinheiten bereitzustellen. Diese Methode dient dazu, den Fettstoffwechsel zu verbessern.

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