Manuela Freund: Ex-Tour-de-France-Fahrerin im Portrait – Training, Familie, Beruf

Sport & Alltag

Manuela Freund: Ex-Tour-de-France-Fahrerin im Portrait – Training, Familie, Beruf

Training, Familie, Beruf – und Siege bei Rad- und Gravel-Rennen: Manuela Freund kann dies alles vereinbaren. Sie fuhr die Tour de France der Frauen, gewann – mit 47 Jahren – den German Cycling Cup und trainiert besonders. Portrait & Trainingstipps.
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Links, rechts, wieder links. Die Straße ist eng, drei, maximal vier Meter breit. Der Untergrund: Kopfsteinpflaster. Das Profil der breiten Stollenreifen ihres Gravelbikes bietet kaum Grip in den Kurven. Die Herzfrequenz: 178, 179, 180 Schläge pro Minute. Der Jubel, den Lärm, das alles nimmt sie nicht wahr. Sie sieht den Zielbogen – und noch eine Fahrerin vor ihr. Noch einmal geht sie aus dem Sattel und tritt voll an. Es geht um eine Medaille, es geht um alles. Der Abstand: 30, 20, zehn Meter – dann zieht sie vorbei. Manuela Freund wird im Zielsprint des Gravel-WM-Rennens Vierte. Sie „verpasst“ damit das Podium um weniger als vier Sekunden. Aber sie wirkt nicht enttäuscht, sondern glücklich – sie lacht.

Ein eigenes Gravel-Bike besitzt die 55-Jährige erst seit wenigen Monaten. Die WM im belgischen Leuven ist erst ihr drittes Gravel-Rennen überhaupt. Noch wenige Monate zuvor fuhr die Lehrerin aus Erftstadt in Nordrhein-Westfalen „nur noch zum Spaß“ –mit dem Rennrad und gelegentlich mit dem Mountainbike. Sie fuhr oft nur, wenn sie gerade Lust hatte und meistens allein. Vor allem Langdistanzen mit dem Rennrad – 300, 400, 500 Kilometer und mehr. Und jetzt: Weltmeisterschaften. Dies war ihre erste WM-Teilnahme seit über 30 Jahren. Denn sie war schon einmal dort – „ganz oben“ im Profi-Radsport.

Manuela Freund bei der Tour de France

1994. Ein legendärer Anstieg – die letzte Etappe, das Finale der Tour de France Féminin. Manuela Freund trägt ein weißes Trikot mit schwarz-rot-goldenen Streifen. Ihr Fahrrad: ein Impalla aus der Schweiz mit einem Stahlrahmen und einer Neunfach-Schaltung. Kein Kamera-Motorrad ist bei ihr. Kein Spalier von Menschenmassen jubelt ihr zu. Sie ist allein – mit ihrem Schmerz – hier an diesem Berg der Mythen: dem Anstieg nach L’Alpe d’Huez. Dessen Daten: 13,4 Kilometer, 1132 Höhenmeter und 8,4 Prozent Durchschnittssteigung.

Manuela Freund fährt im Wiegetritt. Elf, zehn, neun – die 21 Kehren bis zur Skistation zählt sie im Kopf herunter. „Wenn man sich das in der Rückschau einmal ansieht, ist das überhaupt nicht mit heute vergleichbar. Es waren schon mehr Zuschauer, als ich es von zu Hause gewohnt war, aber Menschenmassen wie bei den Männern standen nicht am Straßenrand.“

Zwei Wochen zuvor: die zweite Etappe über 121 Kilometer von Lanester nach Lorient. Das Terrain: leicht wellig. Eine Etappe zum „Warmfahren“. „50 Kilometer lang lief es super, dann gab es einen Sturz und ich musste eine Vollbremsung machen. Wieder im Feld ging dann aber auf einmal nichts mehr. Ich dachte, ich habe es nicht drauf, ich bin hier falsch. Es ist die erste Etappe und ich komme schon jetzt nicht mehr mit. Als es am Ende richtig schnell wurde, konnte ich nicht mehr. Da bin ich aus der Gruppe rausgefallen und hatte im Ziel schon eineinhalb Minuten Rückstand auf die Tagessiegerin. Ich war völlig am Boden und am Verzweifeln. Das war erst die erste Etappe. Dann stellte sich aber heraus, dass ich mir bei der Vollbremsung mein Hinterrad verzogen hatte und die Bremse die ganze Zeit über an der Felge schliff. Ich hätte nur die Bremse ein wenig aufmachen müssen und schon hätte ich kein Problem mehr gehabt. Wie blöd kann man denn eigentlich sein? Aber gut, zumindest wusste ich, dass es nicht an mir lag. Das beruhigte mich dann wieder etwas.“

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Tourmalet & L‘Alpe d’Huez

Die siebte Etappe von Saint-Gaudens nach Cugnaux: Schon an den Tagen zuvor war es extrem heiß. Zum Etappenbeginn zogen dunkle Gewitterwolken auf. „Das war so ein richtiges Sommergewitter mit Sturm und es gab auch ein paar heftige Stürze. Ständig flogen irgendwelche Gartenstühle oder andere Gegenstände über die Straßen. Wir kamen teilweise gar nicht weiter, sind abgestiegen, haben die Räder über die umgestürzten Bäume getragen und sind weitergefahren. Ina-Yoko Teutenberg und ich waren noch im Rennen. Irgendwann habe ich zu Ina gesagt: ‚Pass Mal auf, da vorne ist eine gemauerte Bushaltestelle und da stelle ich mich jetzt rein. Ich weiß nicht, was hier passiert. Ich weiß nur, ich finde das langsam lebensgefährlich, was wir hier machen und ich bin jetzt raus.’“

Die zweiwöchige Rundfahrt gewann die Russin Valentina Polhanova. Von sechs gestarteten deutschen Athletinnen kamen nur zwei ins Ziel. Manuela Freund fuhr auf den 38. Platz mit einem Rückstand von 40:02 Minuten nach 1229 Kilometern. Es war ihre erste und einzige Teilnahme bei der Frankreich-Rundfahrt. Ein Jahr später beendet sie ihre Radsport-Karriere. Sie will sich von nun an auf ihr Studium konzentrieren.

Manuela Freund: Vom Schwimmen zum Radsport

Bevor sie ihre ersten Radrennen fuhr, schwamm sie im Verein. 1984, mit 15 Jahren, bekam sie ihr erstes Rennrad von ihrem Vater geschenkt. „Wir waren eine Radsportfamilie. Wie kommt man in dieser Zeit als Mädchen sonst zum Radsport, wenn nicht über den Vater oder den Bruder?“ Sie trat ihrem Heimatverein, dem RTC 77 Remscheid bei, den ihr Vater mitgegründet hatte. Ihr erstes Radrennen ist zugleich die Bezirksmeisterschaft im Bergischen Land.

Ihr Zweites: Das Rennen in Pulheim, das es heute noch gibt. Die Streckenlänge in der Mädchen-Klasse: 24 Kilometer, vier Runden à sechs Kilometer. Zwei Runden lang hält sie gut mit, in der dritten ist sie bei der Zieldurchfahrt nicht mehr zu sehen. „Ich bin völlig selbst verschuldet an einem Hinterrad hängen geblieben und hart auf dem Asphalt gelandet. Quasi meine ganze rechte Körperseite war auf. Das war technisches Unvermögen, weil ich es einfach noch nicht konnte. Bis zu meinem 18. Geburtstag fuhr ich in der damaligen Mädchen-Klasse. Du musstest nicht bis nach ‚Posemuckel‘ für ein Event fahren, sondern hattest pro Wochenende meistens zwei Rennen im Kölner Bezirk zur Auswahl. Das war großartig und es standen immer viele Zuschauer am Streckenrand. Heute wäre das undenkbar. Heute gibt es kaum noch Rennen, aber trotzdem weiß die Jugend nicht mehr, was sie machen soll, bei der Vielzahl der Angebote.“

1986 steht sie bei ihrer ersten Deutschen Meisterschaft in Wiehl am Start, 40 Kilometer von Köln entfernt. Im Folgejahr wird sie zum ersten Mal zu den National-Kaderlehrgängen eingeladen. Während ihrer kaufmännischen Ausbildung „quetscht“ sie das Training irgendwie dazwischen, wie sie sagt. „Ich war an den meisten Tagen der Woche um 17 Uhr zu Hause und dann blieb eigentlich nur eine halbe Stunde, um irgendetwas zu essen, sich umzuziehen und auf das Rad zu steigen. Ich schaffte zu meiner besten Zeit 18.000 Kilometer im Jahr – weniger als heute – aber um ganz vorne mitfahren zu können, hätte ich wahrscheinlich mindestens 5000 mehr fahren müssen. 1988 hat dann unsere Lokalzeitung fast täglich von der Tour de France Féminin berichtet. Der Grund: Stephanie Halbach – die auch aus Remscheid stammt – fuhr in diesem Jahr mit. Ich weiß noch: Während der Schlussetappe in Paris sprintete sie damals auf Platz neun. Das habe ich zu der Zeit natürlich schon mitbekommen. Die ganzen großen Namen dieser Zeit: Petra Rossner, Jutta Niehaus, Ines Varenkamp, Viola Paulitz.

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Erfolge und Entscheidungen

Da habe ich mir erst keine großen Gedanken gemacht, weil ich mir da noch dachte, das sei alles weit weg und ich hätte sowieso keine Chance. Aber dann kam die Nachricht, dass diese Fahrerin nicht in Form ist oder jene verletzt, und dann rutscht man immer weiter nach oben. Und dann kam doch noch die Einladung zur Tour. Wir fuhren über den Col du Tourmalet und nach L‘Alpe d’Huez. Wir waren Amateure, aber mit der gleichen Leidenschaft wie sie die Profis brauchen. Vielleicht sogar mit einer größeren, denn viel mehr als Applaus und Anerkennung gab es für uns nicht zu gewinnen. Keine Fahrerin fuhr in einem Trikot, das ihr wirklich passte. Ähnliches galt aus heutiger Sicht für die Räder.

Die Wäsche haben wir im Waschsalon am Ruhetag selbst erledigt. Ich hatte vielleicht zwei, drei Trikots für die gesamte Rundfahrt zur Verfügung. Heute würde man so kein Rennen mehr fahren, aber damals habe ich mich schon gefühlt wie ein König, auch wegen der ganzen Aufmerksamkeit. Meine Startnummer, das Programmheft, die ganzen Ergebnislisten, das alles habe ich aufgehoben. So ein Erlebnis prägt einen –definitiv. Das vergesse ich auch nicht. Und doch, glaube ich, habe ich nicht den Kopf oder den Mut gehabt, um zu sagen: ‚So lass das Mal sein mit der Schule, mit dem Studium, der Ausbildung, fahr Fahrrad und danach kannst du immer noch gucken.‘ Das muss man sich auch erlauben können.

Ich habe den Sport immer neben der Schule, Ausbildung und Studium betrieben. Aber ich merkte damals schon, dass ich das nicht hinbekomme. Zu meiner besten Zeit hatte ich durch die Sporthilfe und den Verein 900 D-Mark im Monat zur Verfügung. Ja, was ist denn das? Das ist ein besseres Taschengeld unterm Strich.“ Ein Jahr nach ihrer Tour-de-France-Teilnahme entscheidet sie sich dazu, mit dem professionellen Radsport aufzuhören. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 26 Jahre alt. Sie beendet ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum mit dem ersten Staatsexamen, beginnt das Referendariat in Bonn, arbeitet nach dem zweiten Staatsexamen als Lehrerin an einem kaufmännischen Berufskolleg und gründet eine Familie. Das Fahrrad hat für sie in dieser Zeit keine große Bedeutung mehr. „Am Anfang bin ich noch auf 10.000, dann nur noch auf 6000, 3000, 2000 Kilometer im Jahr gekommen. Der Tiefpunkt waren 300 Kilometer – in dem Jahr, in dem ich zum zweiten Mal schwanger war. In dieser Zeit hat mich der Frauenradsport auch nicht mehr interessiert und ich habe das auch nicht mehr verfolgt. Es gab andere Prioritäten.“

Hobby-Rennen und Neuanfang

2011 lädt die mehrfache Deutsche Meisterin Ines Varenkamp Manuela Freund und andere ehemalige Nationalfahrerinnen zu den Hamburg Cyclassics ein. Sie alle werden mit originalen, alten Wolltrikots ausgestattet und bekommen einen eigenen Startblock zugewiesen. „Freunde hatten schon vorher zu mir gesagt, dass ich mal Jedermannrennen und im German Cycling Cup fahren soll und ich dachte mir nur: ‚Ey, lass mich in Ruhe damit – ihr seid doch wahnsinnig, die können doch alle nicht Radfahren.‘ Aber zugesagt habe ich dann doch. Es war August und knallheiß. Wir standen mit unseren dicken, schwitzigen Wolltrikots in der ersten Reihe des Startblocks und ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, dass ich gleich beim größten Jedermannrennen Deutschlands starten werde.“

Im Ziel nach 100 Kilometern ist Manuela Freund die drittschnellste Frau und wundert sich, dass es keine Siegerehrung gibt – so wie sie es bis dahin gewohnt war. Im selben Jahr startet sie auch beim Münsterland Giro und gewinnt ihre Altersklasse. Die ersten Jedermann-Teams melden sich bei der damals 42-Jährigen. Sie fährt für das Team Drinkuth und später für die Equipe Green‘n Fit. 2014 trägt sie erstmals das gelbe Trikot der German-Cycling-Cup-Gesamtführenden. Sie ist 45 Jahre alt – ihre größten Konkurrentinnen sind in der Regel mindestens 20 Jahre jünger. Doch dann stürzt sie zweimal hintereinander und muss in der Folge am Oberschenkel operiert werden.

2015 führen private Gründe dazu, dass sie nicht mehr bei allen Rennen der Serie startet. „2016 habe ich das vollendet, was ich 2014 begonnen habe und doch noch gewonnen. Da war ich schon 47 Jahre und damit doppelt so alt wie die Zweitplatzierte. Die War 23. Ich bin schon stolz darauf, dass ich das komplett alleine geschafft habe, ohne die Hilfe der Männer im Team. 2018 bin ich dann in Schleiz wieder ins gelbe Trikot gefahren, am Ende fehlten mir aber zwölf Punkte für den GCC-Gesamtsieg. Dann habe ich mir aber gesagt, dass ich keine Lust mehr habe auf die ganzen Termine im Jahr. In Köln bin ich achtmal gefahren, in Göttingen auch achtmal, irgendwann ist es immer das Gleiche und diese Rennserie hatte für mich auch einfach keinen Reiz mehr. Es gibt so viele andere schöne Radveranstaltungen und Rennen.“

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300 Kilometer und mehr

Ihren 50. Geburtstag am 26. April 2019 will sie nicht zu Hause feiern. Im Berufskolleg sind gerade Osterferien, sie hat Zeit, sie will sich selbst mit etwas „beschenken“ und meldet sich beim Mallorca 312 an. Das Rennen führt über 312 Kilometer und 4500 Höhenmeter vom Nordosten der Balearen-Insel einmal quer durch das Tramuntana-Gebirge und in einem weiten Bogen zurück zum Start. „Ich bin eigentlich nicht schlecht berghoch, aber ich bin auch keine Bergziege. Also gegen 47-Kilo-Frauen habe ich keine Chance. Ich kenne aber genau mein Tempo, das ich fahren kann. Und das fahre ich dann auch. Und da breche ich auch nicht ein. Entlang der Küstenstraßen, das ist ja ziemlich wellig dort, da musst du einfach einen ‚dicken Gang‘ treten können mit den Jungs und das habe ich im German Cycling Cup gelernt.“

90 Frauen starten beim Mallorca 312. Manuela Freund erreicht als fünftschnellste Frau nach 10:41 Stunden das Ziel in Playa de Muro. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit: 29 km/h. 300 Kilometer und mehr: 2017 fährt sie von ihrer Heimat an die holländische Küste, einfach so. Während der Corona-Lockdowns sammelt sie für die Stiftung Kinderherz Spenden und fährt dabei eine 500-Kilometer-Runde, die in der Karten-Draufsicht wie ein Herz aussieht. „Diese langen Dinger habe ich einfach für mich entdeckt. 24 Stunden ohne Schlaf, das liegt mir. Ich kenne viele Leute, die konditionell locker dazu in der Lage wären, aber der Kopf muss auch stimmen. Wenn jemand sagt: ‚Ich sehe darin keinen Sinn‘, dann quälst du dich ja nur die ganze Zeit.“

Ihre Distanzfahrten werden immer länger und regelmäßiger. Im Juni des gleichen Jahres plant sie eine Route durch fünf Länder – Deutschland, Belgien, Luxemburg, Frankreich und die Niederlande. Während der ersten 250 Kilometer hat sie nur Gegenwind. Die Ardennen durchquert sie bei völliger Dunkelheit. „Irgendwo in der Pampa kam mir dann mitten in der Nacht ein Auto entgegen. Die Fahrerin fragte auf Französisch, ob alles okay sei und ob sie mich mitnehmen solle. Ich sagte: ‚Nein, alles in Ordnung.‘ Sie fuhr weiter, wendete und hielt noch mal neben mir und fragte, ob ich mir sicher sei. Sie muss sich gedacht haben: ‚Die tickt doch nicht ganz sauber‘ – und ich konnte das in dem Moment auch komplett nachvollziehen. Um neun Uhr fuhr ich am Samstagmorgen los, um halb zwölf mittags war ich am Sonntag wieder zu Hause. 500 Kilometer ohne Schlaf. Bisher habe ich das immer für mich gemacht. Aber vielleicht fahre ich auch irgendwann bei einigen offiziellen Veranstaltungen mit. Wie viel schläfst du? Wo schläfst du? Was musst du mitnehmen? Das sind so Fragen, die man sich dann stellen muss. Also ich schließe nicht aus, dass ich mir irgendwann eine Rückennummer anpinne und meine Zeit bei so einem Event genommen wird. Eigentlich ist das ja auch die logische Konsequenz aus dem, was ich bisher gemacht habe.“

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„Ich fahre jetzt seit über 40 Jahren Rennrad. Also wenn ich jetzt noch immer nicht spüre, wie mein Körper funktioniert, dann weiß ich auch nicht.“

Manuela Freund: Rennrad und Gravel

Bei einer Spendentour lernt sie Björn Müller kennen, den Veranstalter und „Kopf“ hinter 3RIDES, dem größten deutschen Gravel- und Gran-Fondo-Event. Ein eigenes 3RIDES-Team soll entstehen. Manuela Freund bewirbt sich spontan und wird angenommen. Ihr erstes Event ist ein UCI-Qualifikations-Gravel-Rennen in Valkenburg, in den Niederlanden. Sie gewinnt ihre Altersklasse mit elf Minuten Vorsprung vor der Zweitplatzierten – und qualifiziert sich direkt für die WM. Bei ihrem „Heimrennen“, während des 3RIDES, startet sie beim Gran-Fondo-Rennrad-Event und wird Dritte. Innerhalb weniger Monate qualifiziert sie sich für zwei Weltmeisterschaften.

„Ich habe mir davor jahrelang gesagt, ich nehme an solchen Rennen nicht teil, da habe ich nichts zu suchen. Mittlerweile denke ich darüber anders. Die Leute, die vorne mitfahren, sind am Ende alle Ex-Rennfahrer.“ Der Kurs der Gran-Fondo-WM im dänischen Aalborg ist technisch und selektiv, das Sturzrisiko hoch. Die Daten der WM-Strecke: 114 Kilometer und 960 Höhenmeter. „Mein Ziel waren die Top-Ten und über das Podium habe ich nachgedacht, aber im Rennen habe ich dann zeitweilig den Überblick verloren und den Aufsprung auf den Männerzug – die nach uns gestartet sind – verpasst.“

WM-Siebte

Manuela Freund kommt nach etwas mehr als drei Stunden ins Ziel. Das Stundenmittel: 36,9 km/h. Ihre erste Gran-Fondo-WM beendet die 55-Jährige auf dem siebten Platz ihrer Altersklasse. Unter allen Frauen wird sie Gesamt-Vierzehnte. „Wenn ich eine Rückennummer am Trikot habe, dann fahre ich so schnell ich kann. Dann mache ich aus dem Rennen keine RTF. Dann bin ich fokussiert. Aber ich fange nicht vorher an, mir auszurechnen, was ich wann tun werde oder wann ich ein Gel oder einen Riegel nehmen muss. Ich will aber auch nicht nur mitfahren, nur um dabei zu sein. Das ist nicht mein Motto, auf gar keinen Fall.“

Manuela Freund über ihr Training

Einen strikten Trainingsplan befolgt die Erftstädterin nicht. Sie fährt einfach viel und regelmäßig, bis zu sechsmal pro Woche. Im Vorjahr kommt sie auf rund 25.000 Rad-Kilometer. „Ich fahre grundsätzlich nur draußen. Ich weiß, dass man mit Zwift und Co. viel zielgerichteter trainieren kann und dass das alles seine Daseinsberechtigung hat. Aber ich möchte das nicht für mich. Ich fahre auch bei minus zehn Grad draußen und als Lehrerin habe ich eigentlich auch im Winter immer die Möglichkeit bei Tageslicht zu trainieren. Ich versuche auch immer, viele Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen und das Auto weitestgehend stehen zu lassen. Wenn ich jetzt so einen Gesundheits-Check mache, dann weiß ich, dass dabei ein biologisches Alter von 40, vielleicht 35 Jahren herauskommt. Natürlich geht die Schnellkraft langsam verloren, aber meine Ausdauer ist großartig.

Ich glaube, ich mache intuitiv einfach Vieles richtig, ohne zu viel darüber nachzudenken oder es aufzuschreiben. Mit einem Powermeter bin ich noch nie gefahren. Nicht weil ich das für Blödsinn halte, ganz im Gegenteil. Wenn ich mir jetzt ein Fahrrad kaufe und da ist so ein Ding dran, würde ich nicht sagen, dass ich damit nicht fahren werde. Aber die meisten, die gucken auf die Bildschirme ihrer Radcomputer, kennen dann ihre Werte, aber machen am Ende nichts daraus. Ich will mir diesen Stress nicht mehr antun und ich fahre jetzt seit über 40 Jahren Rennrad. Also wenn ich jetzt noch immer nicht spüre, wie mein Körper funktioniert, dann weiß ich auch nicht.“


Athletin & 3RIDES Aachen

Manuela Freund ist 55 Jahre alt und in Remscheid geboren. Sie arbeitet als Lehrerin an einem kaufmännischen Berufskolleg und pendelt zwischen ihren beiden Wohnorten Erftstadt und Den Haag in den Niederlanden.

Nach ihrer aktiven Zeit fährt sie ab 2011 Jedermannrennen und startet im German Cycling Cup. 2014 wird sie Zweite, 2016 gewinnt sie die Gesamtwertung – mit 47 Jahren. Seit 2024 gehört sie zum neu gegründeten 3Rides-Team unter der Leitung des zweimaligen Ötztaler-Radmarathon-Siegers Stefan Kirchmair. In ihrer ersten Saison qualifiziert sie sich sowohl für die Gran Fondo-WM in Dänemark als auch für die Gravel-Weltmeisterschaften in Belgien.

Das 3RIDES ist das größte Gravel- und Gran-Fondo-Event Deutschlands. Auf dem Programm stehen für die Großveranstaltung vom 30. Mai bis 1. Juni 2025 neben den zwei Qualifikationsrennen der UCI Gran Fondo World Series und der UCI Gravel World Series noch verschiedene Rides, Ausfahrten ohne Zeitmessung, eine große Expo sowie verschiedene Angebote für Kinder auf dem Programm.

Die neuen Strecken durch die Eifel versprechen in diesem Jahr ganz neue Herausforderungen, noch mehr Landschaften und ein großes Plus an Sicherheit. Die Optimierungen sollen sich auch in den Teilnehmerzahlen abbilden. Waren zuletzt rund 5000 Teilnehmer und knapp 30.000 Besucher beim 3Rides in Aachen, peilt man für dieses Jahr für alle Rennen, Rides und Ausfahrten ohne Zeitmessung bis zu 7500 Starter an. Die Daten des Gravel Rides: 122 Kilometer und 1580 Höhenmeter. Die des Gran Fondo: 136 Kilometer, 2290 Höhenmeter. Für die Rennen zur UCI Gravel World Series und zur UCI Gran Fondo World Series sind aktuell noch Anmeldungen möglich.

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Training: Länger schnell

Studien zeigen, dass altersbedingte Leistungseinbußen im Ausdauersport durch gezieltes Training verlangsamt oder teilweise kompensiert werden können. Die maximale Sauerstoffaufnahme, VO2max, erreicht ihren Höchstwert zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Ohne gezieltes Training sinkt sie danach um rund acht bis zehn Prozent pro Jahrzehnt. Bei kontinuierlich trainierenden Ausdauersportlern reduziert sich dieser Rückgang auf etwa fünf Prozent.

Laut dem Sportwissenschaftler Joe Friel sind die Hauptgründe für den Leistungsrückgang: verminderte aerobe Kapazität, zunehmendes Körperfett und abnehmende Muskelmasse. Die maximale Herzfrequenz sinkt jährlich um rund einen Schlag, das Atemvolumen nimmt pro Jahrzehnt um 250 Milliliter ab und die Sauerstoffaufnahme des Blutes verschlechtert sich. Trainierte haben jedoch eine deutlich höhere VO2max als Untrainierte.

Der durchschnittliche Körperfettanteil steigt mit dem Alter: Er beträgt bei Männern im Alter von 20 Jahren rund zwölf bis 16 Prozent und nimmt dann allmählich zu. Zwischen 20 und 39 Jahren liegt dieser Anteil bereits bei 20 Prozent. Bei Frauen ist der Wert im Mittel generell etwas höher. Er liegt im Alter von 20 Jahren bei 23 bis 28 Prozent, bei 20- bis 39-Jährigen bei 25 bis 33 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Muskelmasse ab – gezieltes Krafttraining kann dem aber entgegenwirken.

Mindestens 20 bis 40 Prozent der altersbedingten Veränderungen sind nicht unausweichlich. Besonders effektiv sind intensive Programme wie das 30/30-Training, bei dem jeweils 30 Sekunden maximal und 30 Sekunden aktive Erholung im Wechsel absolviert werden, um gerade der Abnahme der VO2max entgegenzuwirken. Sinnvoll sind auch Übungen zur Steigerung der Maximalkraft und Schnelligkeit. Dazu gehören Trittfrequenzpyramiden und Sprinteinheiten auf dem Rad, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten.

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