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Fuga 300: RennRad fährt die 300 Kilometer an einem Tag

Von den Alpen bis zur Adria

Fuga 300: RennRad fährt die 300 Kilometer an einem Tag

Ein gelebter Traum: 300 Kilometer, an einem Tag, von einem Alpengipfel ans Meer. Ein Selbstversuch bei der Fuga 300 von den Alpen bis zur Adria.
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Mein längster Tag beginnt auf einem Gipfel, umgeben von Schnee und Kälte. Wie ein weißer Teppich, versetzt mit Millionen kleiner Diamanten, spiegelt der Großglockner die Strahlen der Morgensonne wider. Die Pasterze, der längste Gletscher der Ostalpen, liegt uns auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe zu Füßen. Es ist Juni, die Sonnenwende steht bevor, und es ist kalt. Bitterkalt. Die sechs Grad über dem Gefrierpunkt fühlen sich im Wind auf 2369 Metern über dem Meer an wie ein Polarsturm. Ich trage dünne Radkleidung – und zittere. Das ist die Fuga 300.

Juni nahe des Großglockners. Sechs Grad Außentemperatur. In dünner Radkleidung wird gefroren.

Doch der Anblick des majestätischen Alpenkolosses von dem Besucherzentrum aus, das den Namen des legendären Habsbur-ger-Regenten trägt, entschädigt hundertfach für die Kälte und für die kurze Nacht zuvor. Dieser Ort war einst der Anfang hunderter hochalpiner Expeditionen – heute ist er der Ausgangspunkt unserer Reise. Einer Reise vom Gletscher bis ans Meer.

Fuga 300: Es geht Bergab

Der Großglockner ist der Startort einer Flucht von der Kälte in die Wärme. Da raus leitet sich der Namen ab: Fuga 300. Die deutsche Übersetzung des italienischen Wortes lautet: „Flucht“. 300 steht für die Zahl an Kilometern, die wir heute zurücklegen werden – auf dem Rennrad.

Hier werden wir starten, auf dem Großglockner. Wir werden erst aufhören zu fahren, wenn wir am Meer sind. In Grado an der Adria. Das Event begann bereits am Tag zuvor. Wir trafen uns alle in Villach, wo wir das Gepäck und die Fahrräder in den bereitgestellten Bussen und Anhängern verstauten. Von dort ging es nach Heiligenblut am Fuße des Großglockners. Nach dem gemeinsamen Essen und der Besprechung gingen alle früh zu Bett. Denn die Nacht wurde kurz, sehr kurz.

Drei Länder, 301 Kilometer, neun Stunden und acht Minuten Fahrzeit. Durchschnittsgeschwindigkeit: 33 km/h.

Abfahrt für die Fuga 300 um 6 Uhr morgens

Um 4.30 Uhr klingelt mein Wecker. Danach: Frühstück um fünf. Abfahrt um sechs. Um 6.15 Uhr schlängeln sich die Busse schon über die – noch für den öffentlichen Verkehr gesperrte – Hochalpenstraße. Die Anspannung ist spürbar. Die Nervosität ist groß – denn für die meisten wird dies der erste „Dreihunderter“ ihres Lebens. Aber auch die Vorfreude. Es ist eine positive Energie, die in den Bussen herrscht. Und auch noch beim Richten der Räder, beim Aufsteigen und dann, als es schließlich losgeht. Bergab.

Um genau sieben Uhr morgens rollen wir los. Der Tag beginnt mit einer langen, schnellen, kurvigen Abfahrt. Was kann es Schöneres geben? Okay, ein paar Grad mehr als die rund acht Grad Celsius, die im hochalpinen Bereich herrschen, könnten es schon sein.

Kein Risiko bei der Fuga 300

Wir bleiben in einer Gruppe, keiner riskiert zu viel. Alles rollt, alles ist im Flow. Die Kilometer verfliegen. Erst im Mölltal, nach rund 50 absolvierten Kilometern, kommt mein Körper auf Betriebstemperatur. Das enge Tal wirkt wie ein Kanal: Morgens kommt der starke Wind aus der für uns richtigen Richtung und schiebt uns artig bis nach Spittal an der Drau.

Als ich dort auf meinen Radcomputer schaue, kann ich kaum glauben, was dort steht. Die Zahl 100. 100 Kilometer haben wir bereits absolviert. Ein Drittel der Marathondistanz. Es verging wie im Flug. Noch spürt keiner von uns Müdigkeit. Die Stimmung steigt.

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Lang, schmal und kurvig - die 300 Kilometer beginnen schön.

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Wir fahren zunächst in einer Gruppe.

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Dank Smartphone: Das Ziel immer vor Augen.

Profi-Gefühl beim 300-Kilometer-Rennen

Auch weil es eine sehr sichere Fahrt ist: Polizisten auf Motorrädern eskortieren unser kleines Fahrerfeld. Sie sorgen nicht nur für Sicherheit, sondern auch für eine fast freie Fahrt. Auch in den Städten rollen wir fast ungebremst mitten durch den samstäglichen Einkaufsverkehr – ein Gefühl wie in einem Profirennen. Etliche Passanten winken uns zu und applaudieren.

Das Tempo ist zügig, aber kontrolliert. Wir fahren in Zweierreihen, wechseln uns ab. Das Streckenprofil ist meist flach – oder geht gar leicht bergab. Die Guides kommunizieren per Funk miteinander und regulieren so das Tempo. Fahrzeuge der Organisation geleiten das Feld vorne und hinten und schirmen es ab: ein Materialwagen, ein Wagen des Mechanikers und ein Versorgungsmotorrad runden den Tross ab. Pilotiert wird das Motorrad von Emil Haller, dem Vater des österreichischen Katusha-Alpecin-Profis Marco Haller. Ein Handzeichen genügt, und er reicht einem aus voller Fahrt unterwegs neue Trinkflaschen oder Bananen. Hunger und Durst muss niemand leiden. Welch ein Luxus.

Auf den letzten Kilometern wird die Fahrt zu einem Rennen – jeder kämpft für sich.

Das Tor aus den Bergen

Dafür sorgen auch die Verpflegungsstopps. Das erste Mal halten wir in Villach, nach 135 Kilometern. Hier wartet ein riesiges Buffet auf uns. Eine Stunde wird pausiert, ehe es wieder losgeht in Richtung Grenzübergang Arnoldstein. Nach einem kurzen Schwenk durch Italien geht es bergauf, an einem der wenigen längeren Anstiege der Strecke: dem Predil-Pass.

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Fuga 300: Fahrt entwickelt sich zu einem Radrennen

Von Tarvis aus windet sich der hellgraue Asphalt hinauf zur Grenze nach Slowenien. Dann, auf den letzten Kilometern, passiert, was fast immer passiert, wenn Rennradfahrer zusammen bergauf fahren: Die Fahrt wird zu einem Radrennen. Das Peloton zersplittert, fast jeder fährt für sich – bis zum höchsten Punkt. Hier küren wir unseren King of the Mountain. Und hier kann sich jeder wieder erholen, denn Energieriegel und Getränke stehen schon bereit. Fast noch besser als die Pause ist der Blick auf meine digitale Kilometeranzeige und die dort gezeigte Zahl: 175.

Die Abfahrt ist schön und schnell. Doch unten wird es noch besser: Wir rollen durch das Tal der Soča. Der kleine, wilde Bergfluss schillert in Türkisblau, keine Häuser, keine Autos stören die Idylle. Das Feld wird auf der engen, kurvigen Straße in drei Gruppen geteilt. Später, entlang des „Isonzo“, geht es in einem hohen Tempo weiter bis nach Koberit, wo wir die 200-Kilometer-Marke durchbrechen. Wir sind im letzten Drittel unserer langen Reise.

Geschafft. 300 Kilometer. Aus den Bergen an den Sandstrand. Hoch die Räder!

Der finale Teil der Reise

Einige Hügel stellen sich uns in den Weg, doch hinten im Windschatten der Gruppe sind sie für die meisten kaum zu spüren. Mein Tacho zeigt fast beständig zwischen 33 und 38 Stundenkilometer an. Italien kommt immer näher – und damit unser nächstes Zwischenziel: die Ebene des Friaul. Nach 240 Kilometern erreichen wir Cividale del Friuli, das Tor hinaus aus den Bergen. Wir sind im finalen, im fast gänzlich flachen Teil unserer Reise.

Der Wind ist uns wieder gewogen, und wir fliegen gen Süden. Vorbei an typischen Sandsteinhäusern, entlang alter Mauern und durch Zypressen-Alleen. Die Ausläufer der Berge zur Linken, lassen wir die sternförmige Planstadt Palmanova rechts liegen und biegen südlich von Cervignano del Friuli auf die Straße ein, die uns an unser Ziel führen soll: Grado.

Ich kann es kaum glauben, doch uns trennen nur noch rund 20 Kilometer von unserem Sehnsuchtsort. Schon hier ist die Luft eine ganz andere als noch am Morgen: voller, würziger, salziger. Dann, hinter einer Hügelkuppe, sehen wir es: ein Glitzern. Die unendliche glatte Fläche des Mittelmeers. Die kleinen Wellen funkeln im Schein der Abendsonne. Die salzige Meeresluft füllt unsere Lungen. Vor weniger als neun Stunden noch standen wir in der Eiseskälte des Großglockners. Jetzt sind wir am Ziel. In einer anderen Welt.

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Wir rollen durch die engen Gassen Grados, über die Strand-Promenade, bis zum Sandstrand, bis es nicht mehr weitergeht. Automatisch, ohne darüber zu sprechen, machen alle dasselbe: absteigen, die Radschuhe ausziehen. Und ab ins Meer.

Fuga 300: Das Event

Die Fuga startet in Österreich, durchquert Slowenien und endet in Italien.

Die Fuga 300

Die „Fuga“, zu Deutsch Flucht, bietet mit ihrem flachen Profil und der guten Organisation einen idealen Rahmen, um 300 Kilometer an einem Tag zu schaffen. Und das in einer entspannten Atmosphäre und in einmaligen Landschaften. Leistungsunterschiede können innerhalb der Gruppe ausgeglichen werden: Für trainierte Fahrer sollte die Distanz somit – auch aufgrund der Pausen und des großen Feldes – kein Problem darstellen. Ambitioniertere Fahrer dürfen an der Spitze Tempoarbeit verrichten, weniger trainierte können vom Windschatten profitieren. Dank der begleitenden Busse ist es möglich, sich während der Pausen umzuziehen. Für kommendes Jahr wurde die Fuga bereits bestätigt.

Doch der Organisator, Ex-Profi Peter „Paco“ Wrolich, will das Feld auf maximal 150 Teilnehmer limitieren. Für Damen ist auch eine eigene „Fuga Rosa“ angedacht, die in Villach zum Fahrerfeld stoßen soll. „Wir möchten zeigen, dass es möglich ist, gemeinsam einen Tag zu fahren, ohne am Anfang und am Ende einen Strich ziehen zu müssen“, sagt Organisator Wrolich. Der Ex-Radprofi ist Ideengeber zu der „Flucht“. Natürlich fährt er auch selbst per Rad mit. 2018 waren 80 Fahrer dabei – darunter vier Damen. „Es ist ein neues Konzept, das drei Länder miteinander verbindet, weg vom Radmarathon, weg vom Radrennen.“ Zwar ist die Fuga kein Rennen, dennoch ist ihr Ziel ambitioniert: 300 Kilometer, oft bergab, mit einem Stundenmittel von 33 Kilometern. Durch Österreich, Slowenien und Italien. „Und das gemeinsam“, betont Wrolich, „daher gibt es auch weder Startnummern noch eine Zeitnahme.“

 

Für nächstes Jahr ist das Event bereits bestätigt.

Das Streckenprofil auf einen Blick.

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