Nils Politt, Israel Start-Up Nation, Interview
Nils Politt: Interview über Saisonziele, Training und Paris-Roubaix

"Wenn der Kopf frei ist, sind es die Beine auch"

Nils Politt: Interview über Saisonziele, Training und Paris-Roubaix

Deutscher Hoffnungsträger: Der Radprofi Nils Politt war 2019 Zweiter bei dem Monument Paris-Roubaix. 2020 fährt er für das neue Team Israel Start-Up Nation. RennRad hat ihn in Istrien getroffen. Ein Gespräch über Ziele, Training und mehr.
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RennRad: Herr Politt, wie bereitet man sich über den Winter hinweg auf ein großes Ziel wie Paris-Roubaix vor?

Nils Politt: Ich hatte vergangene Saison eine sehr gute Vorbereitung und daran werde ich auch nicht viel ändern. Das einzige, was sich am Programm vielleicht ändert ist, dass ich im Januar ein Sechs-Tage-Rennen fahre. Sonst werde ich wohl fast die gleichen Rennen fahren. Ich werde mich dazu noch mit den Sportdirektoren zusammensetzen. Mein persönlicher Wunsch ist es allerdings, an dem, was ich vergangene Saison gemacht habe, nicht zu viel zu ändern. Ich sage immer: Never change a running system.

Wie sieht dieses „System“ aus?

Die eine oder andere Sache, die in der abgelaufenen Saison nicht so gut gelaufen ist, greife ich im Winter jetzt an. Die eine oder andere Trainingsmethode schaue ich mir an, die mir vielleicht noch das eine oder andere Prozent geben kann. Auch vor den Klassikern kann vielleicht noch etwas Neues eingebaut werden.

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Welche Trainingsmethoden konkret?

Da gibt es Verschiedenes. Mein Trainer reizt das immer weiter aus. Bei der vergangenen Flandernrundfahrt habe ich bei der letzten Überfahrt am Paterberg gemerkt, dass mir im Bereich der Maximalpower zwischen 30 und 40 Sekunden noch etwas fehlt – also der Punch, um über solche Hügelkuppen zu attackieren oder um an der Gruppe dranzubleiben. Das war in der vergangenen Saison zwei, drei Mal der Fall, also ist klar, dass ich hier noch etwas verbessern kann. Das greifen wir im Winter an. Da ist die Zeit dafür, auch wenn er immer kürzer wird.

Also lautet das Winter-Trainingsmotto „hart und intensiv“?

Ich bin nicht so sehr der intensive Typ und mag es eigentlich lieber, etwas länger hinter dem Moped herzufahren.

 

Nils Politt: „Warum sollen die anderen stärker sein als ich?“

 

Sie sind ein Freund des Mototrainings – im Windschatten hinter einem Roller?

Im Winter fahre ich auch sehr viel auf der Radrennbahn hinter dem Derny, weil ich denke, dass das ein guter Ausgleich ist. Gerade um auch die Drehzahl hoch zu bekommen. Man rostet in der Saison schon langsam ein, wenn man immer die dicken Gänge fährt. Das ist dann auf der Bahn ganz anders, wenn man nur einen Gang hat und hinter dem Derny her hohe Frequenzen treten muss.

Große Athleten tendieren häufig eher zu den „dicken“ Gängen. Arbeiten Sie bewusst im Training an der Trittfrequenz?

Gerade auf der Straße: Wenn ich die Gänge zur Verfügung habe, dann nutze ich sie auch gerne (lacht). Das ist das Positive am Bahntraining. Da baue ich mir gerne einen kleineren Gang drauf und weiß, dass ich dann zwei Stunden eine hohe Frequenz fahren muss.

 

Wie denkt Nils Politt im Rückblick über Paris-Roubaix?

 

Wenn Sie die TV-Bilder von sich während Paris-Roubaix sehen, was geht Ihnen dann durch den Kopf?

Am Anfang habe ich gar nicht so richtig realisiert, was da passiert ist. Es ist witzig, aber vor ein paar Wochen kamen die Klassiker noch einmal auf Eurosport als Wiederholung und ich saß auf der Couch. Ich habe ein bisschen herumgeswitched und bin auf Paris-Roubaix gestoßen. Zuvor hatte ich nie so richtig Zeit, mir das Rennen genau anzuschauen. Das habe ich dann gemacht und mir die letzten 80 Kilometer angeguckt und mir nur gedacht: „Wow. Was du da geleistet hast, ist der Wahnsinn.“ Das kommt nach dem Ende der Saison dann wieder hoch, die Gefühle, alles. Gerade Paris-Roubaix ist DAS Radrennen für mich. Das Rennen, das die ganze Radsportwelt feiert, weil es so hart, spektakulär und nicht einsehbar ist. Da Zweiter zu werden und so nah am Sieg dran zu sein, das ist einfach ein krasses Gefühl. Wenn ich immer wieder auf den kleinen Pflasterstein schaue, der zu Hause steht, weiß ich so richtig, was ich geschafft habe.

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Nils Politt, Paris-Roubaix

Nils Politt wurde bei Paris-Roubaix 2019 Zweiter

Mit solchen Erfolgen wächst auch die Aufmerksamkeit. Wird Ihnen diese manchmal zu viel?

Im Endeffekt sagen viele, dass es super ist, dass ich eine offene Ader habe. Das ist meine Mentalität, das ist die rheinländische Mentalität. Ich bin immer ein ganz normaler Mensch. André Greipel ist ein guter Freund von mir geworden, aber als ich ihn kennengelernt habe, war ich ein U15-Fahrer. Wir hatten vom Verein jeden Samstag um 14 Uhr eine Trainingsausfahrt und ich habe meinen Vater immer gefragt: „Papa, meinst du heute kommt André?“ Klar habe ich im Laufe der Zeit immer mehr mit ihm trainiert, aber es ist für mich immer noch was Besonderes, mit ihm in einem Team zu fahren. Er war ein Vorbild für mich. Und als er zu mir einmal gesagt hat, dass ich zu ihm nach Hause kommen soll, war ich extrem stolz. Er hat dort Kartons aufgemacht und mir Sachen von Highroad und T-Mobile geschenkt. Und für mich ist es jetzt genauso schön, mit ihm im Team zu fahren. Aber wir sind alle Menschen, wir sind zum Anfassen da und daher will ich nicht, dass jemand vielleicht Angst hat, mich anzusprechen.

Zur Ihrer gemeinsamen Trainingsausfahrt kamen mehr als 400 Leute.

Wir hatten zwar ein paar Anfragen bei Instagram, aber dass es so groß wird, hätten wir nicht gedacht. Wir haben vor der Tour gesagt, dass wir die Leute ein bisschen mitnehmen und haben die Instagram-Seite „Kölner Trainingstiere“ genannt. André ist ja der Gorilla, Rick hat sich als Löwe geoutet: „Ich bin der Löwe und greife immer an.“ Dann haben sie zu mir halt wegen der Größe „Giraffe“ gesagt. Mein Schwager, der ist Amateurfahrer und fährt öfter mit uns, heißt Freddy – also wurde er Fred Ferkel und dann kam noch Juri Hollmann, der bei Movistar unter Vertrag ist, dazu und der war das „Küken“. Das ist wohl mega gut angekommen und dass dann 450 Leute gekommen sind, macht mich sprachlos.

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Diese Trainingsgemeinschaft ist aber nicht nur eine Show für die sozialen Medien. Wie viel profitieren Sie voneinander?

Wir sind gut befreundet und machen auch in der Freizeit viel zusammen und motivieren uns. Wenn es regnet, würde ich vielleicht nicht alleine für zwei Stunden raus, aber wenn André oder Rick auch fahren, geht das leichter. Und wenn wir dann zwei Stunden im Regen fahren, sagen wir „ach komm, drei Stunden“, dann auch „ach komm, vier Stunden. Vier Stunden ist gut.“ Und dann kommen wir nach vier Stunden nach Hause. Klar ist André der erfahrene Mann bei uns und gibt uns viele Tipps. Er hat mir auch viel in meiner Karriere geholfen. Er war es auch, der nach Rennen zu mir kam und meinte: „Also was du heute gemacht hast, Junge. Du warst der Stärkste im Feld, aber du fährst so dumm Radrennen.“ Das kam schon öfter vor (lacht).

 

Marco Haller an Nils Politt: „Wer soll dich morgen schlagen?“

 

Wie fühlt es sich an, wenn André Greipel, das ehemalige Idol, sagt, dass er bei den Klassikern für Sie fahren wird?

Es ist natürlich riesengroß, mit André im Team zu sein. Mit Spaß kommt auch der Erfolg und das ist auch ein bisschen meine Devise. Ich denke, das kann unsere Stärke sein. Klar habe ich jetzt ein bisschen den Druck auf meinen Schultern, aber ich bin mir auch sicher, dass André noch nicht am Ende ist. Ich freue mich in erste Linie, dass wir mit ihm einen Fahrer haben, der uns auch ein bisschen den Weg zeigt, da wir ja auch eine relativ junge Truppe sind. Einer, der sagt, was gut und was schlecht ist. Das hatten wir in den vergangenen Jahren bei Katusha wohl zu wenig: Einen erfahrenen Mann an der Seite, der den Mund aufmacht. Bei Roubaix war er im Vorjahr auch in den Top Ten und ich denke, dass wir da eine ganz gute Speerspitze haben. Mathew Hayman hat Roubaix ja auch erst mit 37 Jahren gewonnen.

Wie wichtig ist generell die Psyche, der Kopf, für einen Radprofi?

Sehr wichtig. In der vergangenen Saison bin ich auch ein bisschen in einen Flow reingekommen. Bei Paris-Nizza hatte ich schon ein paar Zweifel, da ist es erst auf den letzten beiden Etappen besser gegangen. Aber auf einmal hat es Klick gemacht und es lief. Dann bin ich beim E3-Preis in die Top Ten gefahren, bei der Flandernrundfahrt wurde ich Fünfter – und ich war in einem Flow. Ich hatte Spaß, war lustig drauf und habe mir gedacht: „Warum sollen die anderen stärker sein als ich?“ Das habe ich auch vor Roubaix gedacht, und bin dann einen kleinen Selbsttest gefahren: Fünf Minuten lang alles was geht, einen Tag vor dem Rennen – und heraus kam: mein neuer Wattrekord. Es waren mehr als 550 Watt.

Das steigert das Selbstvertrauen.

Marco Haller hat dann zu mir gesagt: „Wer soll dich morgen schlagen?“ Wenn der Kopf frei ist, sind es die Beine auch.

Werden Sie den Test vor dem nächsten Klassiker wiederholen?

Vielleicht. Wenn ich merke, dass alles läuft, dann mache ich das nicht. Aber manchmal braucht man so etwas – um sich selbst zu beweisen, dass alles passt. Ich nehme mir so etwas nicht vor – es passiert spontan. Dann sage ich mir im Training: Eigentlich wollte ich nur drei Minuten fahren, aber jetzt mache ich die zwei auch noch. Das passiert aus dem Instinkt heraus.

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Nils Politt über Distanz zur Familie

 

Sie haben eine kleine Tochter. Wie schwierig ist es, sie so oft und regelmäßig nicht sehen zu können?

Es war tierisch hart, nicht bei ihrer Geburt dabei zu sein. Denn zu der Zeit bin ich die Tour de France gefahren. Aber es war dann Vorfreude pur, nach Hause zu fahren. Natürlich war es auch ein Stress, da so viele Medienanfragen kamen. Bis ich dann zum Pressesprecher gesagt habe, dass es jetzt reicht. Ich fahre gerade die Tour de France und will meine Ruhe haben. Eine Tochter zu Hause zu haben ist einfach wunderschön. Wenn du heimkommst und dich so eine süße Maus anlächelt, ist das unbeschreiblich.

Hier in Istrien herrschen gute Trainingsbedingungen. Gibt es Trainingsmethoden und -Inhalte, die Sie gar nicht mögen?

Ich habe eine Trainingseinheit, bei der ich sage: never ever, niemals. Und zwar das „40-20“ oder auch das „30-30“. 30 Sekunden maximal schnell fahren und 30 Sekunden aktive Pause. Das ist eigentlich der Bereich, den ich ein bisschen üben muss, aber diese Trainingsform muss nicht sein.

…ab sechs, sieben Minuten wird es zäh.

Ab wann wird es brutal?

Meistens geht das Ganze über zehn Minuten, aber ab sechs, sieben Minuten wird es zäh. Und wenn man dann drei, vier Sätze davon machen muss, ist das nicht lustig.

Wie hart fahren Sie diese 30 Sekunden – in Watt ausgedrückt?

Man kann sie All-Out, also mit 100 Prozent Intensität, fahren, das wären im Sitzen 600 bis 700 Watt und dann mit 200 Watt weiter rollen. Aber da muss man dann einmal durchatmen.

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