Raymond Poulidor, Nachruf
Raymond Poulidor: Nachruf auf die französische Radsport-Legende

Ein Mann des Volkes

Raymond Poulidor: Nachruf auf die französische Radsport-Legende

Raymond Poulidor ist am 13. November gestorben. Doch in Frankreich bleibt er als Champion der Herzen unvergessen, gerade weil ihm der größte Triumph verwehrt blieb. Ein Nachruf auf einen Pechvogel, Helden, Fanliebling.
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Es ist der 12. Juli 1964. Die 20. Etappe der Tour de France endet im Zentralmassiv, auf dem Puy de Dome. Er sollte die Rundfahrt in diesem Jahr entscheiden. Die letzten fünf Kilometer steigen mit 13 Prozent durchschnittlich an, die Fahrer haben bereits drei entbehrungsreiche Wochen in den Beinen. Und es gibt zwei Anwärter auf den Sieg und beide sind Franzosen. Jacques Anquetil ist der Träger des gelben Trikots, viermaliger Sieger der Tour, der Favorit. Die Frisur sitzt perfekt, seine Bewegungen auf dem Rad sind geschmeidig, elegant, er ist in den frühen 60er-Jahren der Superstar der Szene. Nun quält er sich neben Raymond Poulidor den Berg hinauf. Dem Herausforderer. Er hat im Mai bereits die Vuelta a Espana gewonnen, Anquetil den Giro. Nun trennt sie vor diesem entscheidenden Anstieg nicht einmal eine Minute in der Gesamtwertung.

Poulidor gilt als der bessere Bergfahrer, doch Anquetil ist ein Pokerspieler, ein Perfektionist. Seine Rivalität mit dem Landsmann befindet sich in diesem Augenblick auf dem Höhepunkt, da kann der „Maitre“ keinen Zentimeter herschenken. Ellenbogen an Ellenbogen kämpfen sie sich die steilen Rampen hinauf. Bereits am letzten Kilometer gehen beim Mann im gelben Trikot die Lichter aus. Unter dem Geschrei der Fans kann sich Poulidor Zentimeter und Zentimeter lösen und verpasst im Ziel um 14 Sekunden das Maillot Jaune.

Raymond Poulidor, Nachruf

 

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Raymond Poulidor: Nicht einen Tag das Gelbe Trikot bei der Tour de France

Näher wird er diesem Traum nie kommen. Poulidor wird von 1962 bis 1976 drei Mal Zweiter und fünf Mal Dritter bei der Tour. Nicht einen Tag lang trägt er in 14 Jahren das gelbe Trikot. Er scheitert an übermächtigen Gegnern wie Anquetil und später Eddy Merckx.

Alle Sieger in der Geschichte der Tour de France

Doch ebenso häufig scheitert er an sich selbst und einer ungeheuren Portion Pech. Doch gerade seine Verfehlungen lassen ihn zum Fanliebling der Franzosen werden. Anquetil wird respektiert, „Pou-Pou“ wird bis heute innig geliebt.

Poulidor wächst in einfachen Verhältnissen im Departement Creuse auf, einem Landstrich mit wenig Städten und viel Gegend. Auch dieser Aspekt seiner Biographie versicherte ihm die Anhängerschaft seiner Landsleute. Er war nahbar und echt, eben einer von ihnen. Darum ist in Frankreich nun Volkstrauer, da der „ewige Zweite“ am 13. November im Alter von 83 Jahren verstarb.

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Raymond Poulidor und die Rivalität mit Jacques Anquetil

Seine Rivalität mit Anquetil, eigentlich seine ganze Karriere lassen sich an dem Beispiel der Tour 1964 verdeutlichen. Da ist zunächst die neunte Etappe durch die Alpen mit Ziel in Monaco. Durch das Fürstentum wird eine Runde gedreht, Poulidor jubelt aber bereits bei der ersten Zielüberquerung – tatsächlich gewinnt am Ende natürlich Anquetil, der damit eine Minute auf seinen Rivalen gutmacht.

Da ist der Plattfuß beim Zeitfahren am nächsten Tag, wodurch er weiter Zeit auf den Titelverteidiger verliert. Da ist der Ruhetag in Andorra, bei dem Anquetil bei einem Lamm-Barbecue schlemmt, mit Rotwein und Zigarette gesichtet wird und am nächsten Tag prompt abgehängt wird. Doch eine Flasche Champagner und eine Trödelei der Vorderleute um Poulidor sorgen dafür, dass der Dominator der vergangenen Frankreich-Rundfahrten den Schaden begrenzt – anders als Raymond Poulidor. Dem bricht unterwegs eine Speiche und er verliert zwei Minuten auf die ärgsten Konkurrenten.

Kämpfer

Doch der Sohn eines Landwirts ist auch ein Kämpfer, der niemals aufgibt. Mit einer Solofahrt sichert er sich tags darauf den Etappensieg und ist auch in der Gesamtwertung wieder nah dran Maitre Anquetil. Es folgt die Fahrt auf den Puy de Dome und anschließend der Showdown auf der letzten Etappe in Paris. Ziel ist damals noch im Prinzenpark und die Schlussetappe ist ein Zeitfahren. Hunderttausende stehen an der Strecke, es ist der 14. Juli – Nationalfeiertag in Frankreich. Die meisten jubeln dem Mann im Trikot der Mercier-BP-Mannschaft zu. Doch der Mann in Gelb lässt sich im Zeitfahren den Sieg nicht nehmen, er ist „Monsieur Chrono“, der beste Zeitfahrer seiner Zeit. Und so wird Poulidor zum ersten Mal Zweiter in Paris.

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Poulidor vom Pech verfolgt

Auch in den nächsten Jahren wird er vom Pech verfolgt. 1965? Platz zwei hinter dem erst 22-jährigen Felice Gimondi. Pou-Pou hat Anquetil überstanden, doch einer steht ihm immer im Weg. 1966? Dritter hinter dem Franzosen Lucien Aimar. Als großer Favorit ins Rennen gegangen, beäugt er sich zu lange mit Anquetil und übersieht die Gefahr durch den jüngeren Landsmann. 1967? Ausgebremst durch einen Sturz, er hilft beim Sieg des Franzosen Roger Pingeon allerdings tatkräftig mit. 1968? Wieder einmal geht er als Topfavorit ins Rennen, wird allerdings von einem Motorrad über den Haufen gefahren und muss aufgeben.

Und dann betritt Eddy Merckx die Bühne. Hinter dem übermächtigen „Kannibalen“ wird Poulidor zwei Mal Dritter und einmal Zweiter – 1974 im stolzen Alter von 38 Jahren. Mit 40 Jahren wagt er 1976 einen letzten Versuch und wird zum fünften Mal Gesamt-Dritter. Der Traum von Gelb bleibt unvollendet.

Nicht der ewige Zweite

Es wäre allerdings falsch, Raymond Poulidor nur als ewigen Zweiten in Erinnerung zu behalten. Er gewinnt sieben Etappen, einmal die Spanien-Rundfahrt, zwei Mal die Dauphine-Rundfahrt, Mailand-San Remo, den Wallonischen Pfeil und zwei Mal Paris-Nizza. Das ist ein ansehnlicher Plamares für den angeblichen Verlierer.

Dennoch verbindet das französische Volk und die Radsportwelt Poulidor mit seinen Niederlagen. Das störte ihn jedoch nicht weiter, selbst im Umgang damit ging er als Sympathieträger heraus. In den vergangenen Jahren begleitete er wieder die Tour de France. Er fiel immer auf im Getümmel hinter den Kulissen eines Zielortes – er trug als Vertreter eines Sponsors des Führungstrikot immer ein leuchtend gelbes Poloshirt. Endlich.

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