„Kraftübertragung und Komfort gehören zusammen“
Rennrad-Schuhe: Interview mit Solestar-Gründer Oliver Eisenbach
in Race
Rennrad-Schuhe: Größe, Passform, Marke und Modell
RennRad: Herr Elsenbach, wann passt ein Rennrad-Schuh richtig?
Oliver Elsenbach: Ein Radschuh muss kurz und eng sitzen, ohne zu drücken. Vom großen Zeh bis zum Ende der Einlegesohle sollten drei bis fünf Millimeter Luft sein. Mehr benötigt es nicht. Wie viel Platz man in der „Zehen-Box“ hat, ist vor allem Geschmackssache. Wichtig ist aber: Die Ferse sollte fest umschlossen sein, der Mittelfuß muss stabilisiert sein. Auf den Mittelfußgelenken innen und außen darf kein Druck sein. Der Schuh sollte sich beim Anprobieren fest und komfortabel anfühlen – auf keinen Fall sollten hier bereits Druckstellen bemerkbar sein.
Welche Besonderheiten gibt es bei der Passform? Beispiel: Welche Marke sollte ich kaufen, wenn ich breite Füße habe?
Allgemeine Aussagen über Passformen sind nicht möglich. Fußformen sind sehr individuell. Besonders schmale Füße sowie besonders kurze Füße haben es aber generell schwer. Es gilt: Probieren und auf das eigene Gefühl vertrauen. Es sollte für jeden Fuß einen passenden Schuh geben – man sollte sich nur nicht auf ein Modell oder eine Marke fixieren, sondern offen sein. Top-Modelle sind keineswegs automatisch die besseren Schuhe.
Verschlüsse, Sohlen und Material bei Rennrad-Schuhen
Worin unterscheiden sich verschiedene Verschlusssysteme?
Aus meiner Sicht ist ein Schnürsenkel das beste Verschlusssystem. Auf dem Rennrad ist er aber nur bedingt geeignet, da man nicht während der Fahrt nachjustieren kann. BOA ist mittlerweile der Marktführer, hier wird die Funktion von Schnürriemen radsportgeeignet umgesetzt. Aber auch bei einem Drehverschluss müssen die Umlenkpunkte erst einmal richtig gesetzt werden. Denn das hat wesentlichen Einfluss auf die Stabilität. Riemen und Ratschen gibt es fast nur noch bei preiswerteren Modellen. Sie tun ihren Dienst, sind aber dem BOA-System unterlegen.
Steife Sohlen und festes Obermaterial – was bedeutet das für mich?
Je steifer und fester die Sohle und das Obermaterial, desto besser ist die Kraftübertragung. Für die Sohle gilt: je steifer, desto besser. Das betrifft nicht nur die Performance, sondern auch den Komfort – auch wenn das paradox klingen mag. Denn wenn sich die Sohle nicht verbiegt, bleibt der Fuß stabiler und ermüdet weniger. Anders beim Obermaterial: Hier hängt der Komfort häufig vom Material ab. Es gilt: An Punkten der Kraftübertragung sollte der Oberschuh maximal fest sein. Sensible Fußbereiche ohne Funktion für die Kraftübertragung sollten weicher gepolstert sein. Aber auch hier ist vieles Geschmackssache. Auf längeren Fahrten ist aber auf Komfort kaum zu verzichten.
Rennradschuhe kaufen: Worauf sollte ich achten?
Wie sieht das Zusammenspiel zwischen Schuh und Cleats aus?
Nicht mit jedem Schuh ist für jeden die ideale Cleatposition möglich! Die Fußform sollte die Cleatposition bestimmen, aber das ist nicht immer möglich. Speedplay-Pedale sind manchmal hilfreich. Für die Einstellung der Cleatlöcher gibt es Adapter, die viele Positionen erlauben. Außerdem gibt es unterschiedlich lange Achsbreiten, so dass der Fuß immer passend auf dem Pedal stehen kann. Zur Not können Spezialisten Cleatlöcher neu bohren.
Radschuhe: Probleme, Fußform, Einlegesohlen
Was sind die häufigsten Probleme mit Radschuhen?
Die meisten Druckstellen gibt es im Bereich des „Mittelfußkopfs fünf“, außen vorne. Das liegt oft an der falschen Pedaleinstellung, der Fuß drückt zu sehr seitlich gegen den Schuh. Diese Kraft sollte eigentlich in den Vortrieb und nicht in den Fuß. Knochenwachstum und massive Hornhaut sind die Folge. Ich kenne Fahrer, die nach jeder Saison eine Fuß-OP benötigen, um das Überbein zu entfernen. Einige Fahrer haben auch massiv mit Reibung an der Ferse zu tun. Ein Grund mehr, auf Schuhsponsoring für ganze Teams zu verzichten. Nicht jeder Hersteller hat für jeden Fuß den passenden Schuh. Leider geht der Trend aber in die andere Richtung.
Wohin geht die Entwicklung? Passt sich die Industrie den Fußformen und Bedürfnissen an?
In der Vergangenheit gab es mehr schmale Radschuhe. Die Entwicklung der Rennradschuhe ist von den Italienern beeinflusst. Die Leisten schmaler Business-Schuhe wurden für Radschuhe verwendet. Mittlerweile geht es mehr Richtung „normal“ – also weder schmal, noch breit. Auch das ist nicht ideal. Richtig schmale Radschuhe sind kaum mehr zu finden. Immer häufiger gibt es Schuhe mit Obermaterial aus einem Stück, das hat Vor- und Nachteile. Das Material gibt relativ schnell nach und hat bald nicht mehr die Stabilität wie am Anfang. Außerdem: Es ist immer besser, wenn sich das Material am Fuß nicht überall gleich anpasst, sondern an manchen Stellen mehr, an anderen weniger. Außerdem sind die Schuhe leichter geworden. Ein großer Vorteil.
Was lässt sich mit Einlegesohlen im Radschuh erreichen?
Sohlen sollte man getrennt vom Schuh sehen. Jeder Radschuh wird durch eine Einlegesohle aufgewertet. Der Schuh kann die Funktion der Einlegesohle nicht übernehmen – und umgekehrt. Die Einlegesohle führt und fixiert den Fuß. Einlegesohlen reduzieren jegliche Bewegung des Fußes im Schuh oder verhindern sie komplett. Kraftübertragung und Komfort gehören zusammen. Einlegesohlen für andere Sportarten, etwa zum Laufen, taugen nicht. Der Fuß ist von der Evolution her nicht zum Radfahren geschaffen, umso wichtiger ist die Position im Schuh.
Diplom-Sportwissenschaftler Oliver Elsenbach ist Geschäftsführer des Kölner Instituts Kom*Sport und Entwickler des Solestar-Konzepts für Radschuh-Einlagen. Diese sollen den Fuß im Radschuh stabilisieren und die Kraftübertragung verbessern. Zahlreiche Profis, etwa André Greipel, werden von Solestar beraten und versorgt.