Romain Bardet, Tour de France, Porträt
Romain Bardet: Tour-de-France-Hoffnung in neuem Team

Neustart

Romain Bardet: Tour-de-France-Hoffnung in neuem Team

Seit 1985 warten die Franzosen auf einen Tour-Sieger aus dem eigenen Land. Romain Bardet ist ihre größte Hoffnung. Nun versucht er einen Neustart – in einem deutschen Team.
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Die Lacets du Montvernier – einer der schönsten, der spektakulärsten Anstiege der französischen Alpen: Die engen Serpentinen zu den Seen hinauf sind der Ort, an dem Romain Bardet seinen ersten großen Erfolg als Profi feiert: 2015, mit 24 Jahren, gewinnt er mit einer Attacke an diesem Anstieg seine erste Tour-Etappe. Bereits im Jahr zuvor wurde er Sechster der Gesamtwertung. Doch dieser Sieg zeigt: Romain Bardet kann eines Tages die Tour de France gewinnen. Das hoffen viele Radsportfans in Frankreich, die seit dem Sieg Bernard Hinaults 1985 auf einen französischen Sieger der Grande Boucle warten.

Sie warten auch sechs Jahre später noch. Romain Bardet wurde je Zweiter und Dritter der Gesamtwertung, und zweimal Sechster. Er gewann 2019 das Bergtrikot – doch er konnte sich nie das Gelbe Trikot überstreifen.

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Romain Bardet: Der nächste große Star?

Die Fans feiern ihn dennoch als den nächsten großen Star. Er verkörpert alles, was sie schätzen:  Kampfgeist, Aggressivität, Leid, Scheitern – Triumph und Tragik. Wie im Jahr 2017, als er im abschließenden Zeitfahren einbricht und beinahe noch den dritten Platz an Mikel Landa verloren hätte. Oder im vergangenen Jahr, als er in einer aussichtsreichen Position in der Gesamtwertung liegend stürzt und mit einer Gehirnerschütterung aufgeben muss.

Romain Bardet gewinnt nicht häufig. Er ist oft „dabei“, bei den besten. Die Hoffnungen und Erwartungen, die die Fans und die Öffentlichkeit in Bardet setzen, bleiben dennoch hoch. Auch wenn er inzwischen kein Talent mehr ist, sondern ein 30-jähriger reifer Fahrer.

Neun Jahre lang fuhr er für eines der traditionsreichsten französischen Teams, AG2R. Zur Saison 2021 wechselte er nun erstmals die Equipe, hin zu dem deutschen Team DSM. „Ich wurde schon früh in die Leaderrolle gedrängt“, sagt Bardet. „Ich konnte mich nie im Schatten anderer entwickeln. Im Team DSM kann ich nicht nur ruhiger und präziser arbeiten, sondern auch Rennen fahren, bei denen ich dem Team helfe, ganz ohne persönlichen Ehrgeiz.“

Rundfahrten und Klassiker

„Er ist ein großartiger Fahrer, der viele Möglichkeiten, vielseitige Qualitäten und ein sehr gutes Palmarès vorzuweisen hat. Er wird in einer Vielzahl von Rennen eine großartige Ergänzung für unser Team sein“, sagt der DSM-Teammanager Iwan Spekenbrink über seinen Neuzugang.

Bardet ist ein Rundfahrer, ein Bergspezialist mit Schwächen im Einzelzeitfahren. Er ist bei einer Größe von 1,84 Metern 64 Kilogramm leicht. Doch seine Ergebnisse bestätigen, dass der Franzose vielseitiger ist, als diese Einschätzung vermuten lässt. 2018 wurde er Zweiter in dem – sehr schweren – WM-Rennen von Innsbruck.

Mehrmals erreichte er die Top-Ten beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich. Im vergangenen Jahr nahm er erstmals an einem Kopfsteinpflaster-Klassiker teil, der Flandernrundfahrt – und wurde 25. Dies sind mehr als achtbare Platzierungen für einen vermeintlich „reinen“ Bergspezialisten. Neue Rennen, neue Ziele, neue Erfahrungen: Romain Bardet begann im Vorjahr, sich als Rennfahrer neu zu definieren, etwas zu verändern. Mit dem Teamwechsel will er nun den kompletten Neustart. Tabula rasa.

Romain Bardet, Tour de France, Porträt

Hoffnungsträger des französischen Radsports: Romain Bardet

Romain Bardet: Wechsel als „Schub“?

„Ich landete in einer Routine, die mir nicht mehr gefiel. Ich musste ein Risiko eingehen, mit einem Neuanfang und einem Schub für meine Karriere“, sagt der 30-Jährige. Er wolle sich jetzt erst einmal auf die Grundlagen besinnen und daran arbeiten, sich als Athlet insgesamt noch einmal zu verbessern. „Das Team setzt auf mich und meine Erfahrung. Aber ich bin nicht mehr der einzige Leader im Team.“

Der Effekt für ihn: weniger Druck, weniger Verantwortung. Gerade bei jenem Rennen, über das er seine Karriere bislang definierte: die Tour de France. Sie bedeutete für Romain Bardet vor allem eines: Stress. Mehr noch als für die anderen Fahrer im Peloton. Ob er um das Podium fuhr oder nicht – er war im Fokus der Öffentlichkeit. Er, der Hoffnungsträger der Nation. Auch als Julian Alaphilippe und Thibaut Pinot in einem ähnlichen Maß von der Sehnsucht einer Nation mitgerissen wurden, blieb das Interesse an Bardet hoch. Mit drei Etappensiegen und zwei Podiumsplatzierungen in Paris ist seine Bilanz sicher nicht enttäuschend – wenn man bedenkt, dass er insgesamt „nur“ sieben Rennen in seiner Karriere gewinnen konnte. Allesamt in Frankreich.

Völlig anderes Rahmenprogramm

In diesem Jahr wird sein Rennprogramm völlig anders aussehen: Bardet wird sich nicht auf die Tour, sondern auf den Giro d’Italia und die Vuelta konzentrieren. Zum ersten Mal seit 2012 wird er nicht bei der Grande Boucle starten. Beim Giro wird er wohl der Kapitän seines Teams sein. Eventuell wird er sich die Leaderrolle dort mit dem Vorjahreszweiten Jai Hindley teilen.

Durch die Abgänge von Wilco Keldermann zu Bora-Hansgrohe und Marc Hirschi zum UAE-Team-Emirates werden von ihm wohl auch bei seinem neuen Team DSM Erfolge erwartet werden. Doch die Umstände sind in diesem Jahr andere. Romain Bardet wirkt befreit.

Bei seinem ersten Rennen für das Team DSM, dem Klassiker Omloop Het Nieuwsblad, stellte er sich in den Dienst seiner Teamkollegen: Er leistete Nachführarbeit, um eine Spitzengruppe einzuholen. Und fuhr als 62. über die Ziellinie. Romain Bardet mag Deutschland, vielleicht gab auch dies den Ausschlag für das Team DSM, das mit einer deutschen Lizenz fährt.

Bardet hat künftig acht deutsche Teamkollegen, mit denen er sein Deutsch weiter verbessern kann. Als Jugendlicher war er zum Schüleraustausch in Leipzig und lernte später an der Wirtschaftsschule die Sprache des Nachbarlandes. „Die deutsche Sprache ist sehr schwer, man sollte sie öfter üben“, sagt Bardet, der als einer von wenigen Radprofis während seiner Karriere ein Studium absolvierte: Er erarbeitet sich an der Universität Grenoble einen Masterabschluss in BWL. Die finalen Prüfungen fanden kurz nach dem Zieleinlauf der Tour de France 2016 statt – nach seinem zweiten Platz. Seinem wohl größten Erfolg. Bislang.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 5/2021. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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