Oliver Zimmerli, Nima Hashemi, Alpen, Tour, Rennrad, Pässe, Bericht
Oliver Zimmerli und Nima Hashemi: Tour über 40 Pässe der Alpen

10 Tage, 40 Pässe

Oliver Zimmerli und Nima Hashemi: Tour über 40 Pässe der Alpen

Sie hatten zehn Tage Zeit und ein Ziel: Höhenmeter. Sie haben es erreicht. Die Daten ihrer Tour: 1.070 Kilometer, 31.630 Höhenmeter, 40 Pässe. Der Bericht über eine besondere Reise durch die Alpen.
TEILE DIESEN ARTIKEL

Der Asphalt flimmert, Sonnenstrahlen brennen auf der nackten Haut. Muskeln, Venen und Sehnen stehen aus braun gegerbter Haut hervor. Kuhglocken läuten, Autos hupen und quälen sich mit hoher Drehzahl an zwei Radfahrern vorbei. Ihre Oberkörper wiegen hin und her. Die Kette surrt im kleinsten Gang.

Oliver Zimmerli und Nima Hashemi sind am Limit. Vier Berge haben sie schon in den Beinen: Col des Planches, Forclaz, Col des Mosses, Col de la Croix. Hier, am Col du Pillon oberhalb von Gstaad, kämpfen sie um die letzten Meter bis zur Passhöhe. Sieben Stunden sitzen sie zu diesem Zeitpunkt schon im Sattel. Keiner von beiden ist die Pässe vorher abgefahren. Zimmerli und Hashemi bewegen sich an den Grenzen des eigenen Körpers – und manchmal auch darüber.

Dehydriert, ermattet von 36 Grad Celsius und 170 zurückgelegten Kilometern. Dies ist der erste Tag, die Königsetappe: 186 Kilometer und 4859 Höhenmeter sollen es am Ende werden. Fast 27.000 Höhenmeter sollen in den neun Tagen darauf noch folgen. Denn dies ist erst der Anfang ihrer Tour – eines gewaltigen Projekts: 40 Pässe in zehn Tagen. „Wir wollen alle Highlights der Schweiz mit einem, mit unserem, Trip abdecken“, sagt Nima Hashemi. Doch schon am Col du Pillon, auf der ersten Etappe gerät dieser Plan ins Wanken.

Auf die erste Etappe folgten noch weitere 27.000 Höhenmeter.

Am Anfang der Alpen-Tour steht eine Whatsapp-Gruppe

Whatsapp-Gruppen sind ein Hort der seichten Unterhaltung. Man tauscht sich aus, verschickt Fotos und Videos. Manchmal sind solche Gruppenchats aber auch der Hort einer verrückten Idee, die zum bedeutungsvollen Projekt – zu etwas Einmaligem – wird. Im Februar 2017 lädt Oliver Zimmerli 200 Freunde in eine solche Gruppe ein. Er nennt sie: 40 Pässe in zehn Tagen.

Es ist sein Lebenstraum, der auf dem Rennrad in Erfüllung gehen soll. Dafür sucht er Mitstreiter. Die Reaktionen sind durchwachsen. Einige halten ihn für einen Spinner. Die meisten Emojis lachen Tränen. Tag für Tag verabschieden sich die Teilnehmer aus der Gruppe. Drei Wochen später sind fast alle ausgetreten.

„32.000 Höhenmeter und 40 Alpenpässe in 10 Tagen. Dagegen scheint die Tour de Suisse ein Sonntagsausflug.“

Oliver Zimmerli und Nima Hashemi bleiben übrig. Sie kennen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange. Sie treffen sich auf einen Kaffee, diskutieren über mögliche Routen, spinnen die verrückte Idee zu einem konkreten Plan und sagen sich gegenseitig fix zu. 32.000 Höhenmeter und 40 Alpenpässe wollen sie in nur zehn Tagen zurücklegen. Dagegen scheint die Tour de Suisse ein Sonntagsausflug. Zum Vergleich: Die Profis legten dort 2017 in neun Tagen etwa ähnlich so viele Kilometer zurück, aber mit 17.490 nur etwa halb so viele Höhenmeter.

RennRad, Abo, Mini-Abo, Banner

Jetzt die RennRad ohne Risiko testen! Zum Shop!

Oliver Zimmerli und Nima Hashemi: Bergfahrer und Rouleur

Zimmerli und Hashemi bilden ein ungleiches Gespann: Zimmerli ist Radsport- und Fitness-Trainer, groß gewachsen, blonde Haare, kein Gramm zu viel auf seinen Rippen. Typ: Bergfahrer. Hashemi ist der muskulösere der beiden. Mit knapp 80 Kilogramm hat er seine Stärken eher auf dem flacheren Terrain. Er ist der Idealtypus eines „Rouleurs“.

Während Nima Hashemi eher nach Lust und Laune trainiert, hält sich Oliver Zimmerli bei seiner Vorbereitung strikt an seinen Plan. Er fährt jährlich bis zu 10.000 Kilometer, trainiert mit Powermeter und kennt seine Schwellenwerte genau. Viel Zeit seiner Vorbereitung hat der Aargauer im Fitnessstudio verbracht. Seine Lieblingstrainingseinheit: 30 bis 35 Beinpressen bis zum Anschlag und anschließend 45 Minuten Indoor-Cycling bei einer Herzfrequenz von 169 bis 189. Ein Programm, das garantiert für müde Beine sorgt.

In der Grundverschiedenheit liegt die große Stärke des Gespanns. „Oliver ist die Bergziege und kommt mit der Kälte nicht so gut zurecht, während ich mich bei sanften Anstiegen und auch im Regen gut zurechtfinde“, beschreibt Hashemi die interne Rollenverteilung. Sie wird sich im Laufe ihres Projekts bewähren müssen.

„Wir hatten das Privileg an den schönsten Orten Europas Rennrad zu fahren“, sagt Nima Hashemi.

Grundlagen- und Bergtraining

Warum tut man sich so etwas überhaupt an? Es scheint, als hätten die beiden Schweizer genau auf diese Frage gewartet. Zimmerli antwortet schnell mit einem Lächeln: „Ich habe eine Herausforderung gesucht. Etwas, das noch nie jemand versucht hat. Und zehn und 40 sind schön runde Zahlen.“ Über seine WhatsApp-Gruppe suchte er nach Sparringspartnern. „Und ich war der einzige Depp, der sich gemeldet hat“, fällt ihm Hashemi ins Wort und lacht.

Während der Vorbereitung lernen sie sich und ihre Schwächen näher kennen. Viele Grundlagenkilometer legen die beiden gemeinsam zurück. 7000 Kilometer sind es insgesamt bis zum Start im August. Grundlagentraining bedeuten in diesem Fall 150 Kilometer und mehr. Sobald der Schnee von den Pässen verschwindet, beginnen sie im Frühjahr 2017 mit dem Bergtraining. Ihr Lieblingsanstieg: Der Klausenpass in der Innerschweiz. 23 Kilometer lang, 1500 Höhenmeter. Er ist für den vierten Tag ihrer Tour geplant.

„Und ich war der einzige Depp, der sich gemeldet hat.“

Eine Frage der Planung

Das „Projekt 10/40“ ist auch logistisch eine Herausforderung. Pässe suchen, Routen finden, Hotels buchen, Transfers organisieren. Zimmerli und Hashemi stellen sich dazu ein kleines Team zusammen. Vater und Schwiegervater von Oliver Zimmerli fahren das Begleitfahrzeug. Sie sollen an den Passhöhen warten. Sie geben die Verpflegung, füllen Trinkflaschen und haben ein Ersatzrad im Auto deponiert.

Daneben gehören ein befreundeter Mechaniker sowie ein Physiotherapeut zur Crew. Für Notfälle stehen ein Arzt und eine Krankenschwester auf Abruf bereit.

Jetzt RennRad-Händler finden!

Der Startschuss zur Tour in den Alpen

Am 2. August ging es los. Der Wecker klingelt um 6 Uhr. Aufstehen, Morgentoilette, Frühstück. Um 8 Uhr sitzen Zimmerli und Hashemi auf ihren Rädern. Das Wetter meint es gut mit ihnen. Blauer Himmel, Sonnenschein, 30 Grad schon gegen 11 Uhr. Trikot, kurze Hose, Socken, Schuhe und ihr Rad. Mehr braucht es nicht zum Glück.

Pausen haben sie fast keine eingeplant. Ein kurzer Snack an den Passhöhen, ein Schluck aus den Trinkflaschen mit isotonischem Kohlenhydratpulver. Zimmerli und Hashemi trinken bis zu fünf Liter am Tag. Von einem Schweizer Nahrungsergänzungshersteller haben sie sich im Vorfeld einen konkreten Ernährungsplan zusammenstellen lassen.

Sie rollen über die ersten Anstiege in der Westschweiz. Am Col des Mosses geraten sie zum ersten Mal ins Straucheln. Die Hitze macht ihnen zu schaffen. „Die Streckenlänge war nicht das Problem. Das Entscheidende waren in diesem Fall die knapp 5000 Höhenmeter gleich zu Beginn“, sagt Hashemi. „Der erste Tag war gleich der schwierigste. Als wir den gemeistert hatten, war uns klar, dass wir es packen können.“

An neun von zehn Tagen meinte das Wetter es gut mit den beiden Radfahrern.

Etappe vier und eine unerwartete Begleitung

Es folgen 111 Kilometer und 2637 Höhenmeter an Tag zwei, 93 Kilometer und 1929 Höhenmeter an Tag drei und schließlich die 89 Kilometer und 2609 Höhenmeter der vierten Etappe.

An diesem Tag kommt es zu einer besonderen Begegnung. „Plötzlich stand da ein Herr, etwa Mitte 50, um mir zu sagen, dass er extra wegen mir gekommen sei. Er begleitete uns dann eine Weile auf seinem E-Bike und leistete uns Gesellschaft. Er sei Iraner und hat von unserem Projekt mitbekommen“, schildert Hashemi die Begegnung. Sein eigener Vater kommt aus dem Iran. Nima Hashemi ist in der Schweiz geboren. „Diese Begegnung, die Begleitung und Unterstützung des Mannes haben mich sehr berührt.“

Dieser Reisebericht erschien in der RennRad-Ausgabe 5/2018. Diese können Sie in unseren Shop als E-Paper sowie im Print-Format nachbestellen!

Zimmerli und Hashemi: Im Flow

Zwischen zweieinhalb und acht Stunden sitzen Zimmerli und Hashemi täglich im Sattel. „Je länger wir unterwegs waren, desto stärker sind wir geworden“, wird Nima Hashemi später auf diese Tage zurückblicken. Auf der siebten Etappe, jener in Italien, erwischen sie den perfekten Tag. Pordoi, Sella Joch, Grödner Joch, Campolongo. Die 59 Kilometer und 1634 Höhenmeter absolvieren sie eine Stunde schneller als geplant.

Das Anstrengende folgt im Anschluss: Die Transfers zum nächsten Startort. Oliver Zimmerli und Nima Hashemi sitzen im Begleitbus auf der Rückbank, versuchen zu schlafen, die Beine hochzulegen. Die Müdigkeit nach der Etappe ist groß. „An manchen Tagen sind wir erst gegen 20 Uhr im geplanten Hotel angekommen“, schildert Hashemi die logistischen Herausforderungen am Ende eines langen, höhenmeterreichen Tages im Sattel. Es gibt Regenerations-Getränke mit Eiweißbausteinen. Am Abend freuen sich beide auf eine große Portion Cordon Bleu.

„Je länger wir unterwegs waren, desto stärker sind wir geworden.“

Bei Sonne durch die Alpen, dann der Umschwung

Neun von zehn Tagen des Projekts scheint die Sonne. An neun Tagen kämpft das Duo Zimmerli/Hashemi mit den sommerlichen Temperaturen. Am zehnten Tag, ihrer finalen Etappe, schlägt das Wetter um. Nebelschwaden und Regenwolken wabern durch die Bergwelt. Die Straße ist feucht, glitschig und es ist kalt.

Die finalen 150 Kilometer und 3350 Höhenmeter über kämpfen Zimmerli und Hashemi gegen die Naturgewalten. „Irgendwann war jede Regenjacke durch. Die Nässe kam von überall“, erinnert sich Hashemi. Am Anstieg zum Gotthard-Pass beginnt es zu hageln. Je weiter das Duo nach oben klettert, desto mehr verwandeln sich die kleinen, groben Hagelkörner in große, sanfte Schneeflocken.

Der Wetterumschwung stellte die beiden zum Ende noch einmal vor eine Herausforderung.

Zimmerli und Hashemi: Zwei Freunde erreichen das Ziel

Nach 5:05:47 Stunden durch Regen und Kälte erreichen Zimmerli und Hashemi die Passhöhe am Gotthard. Ihre Betreuer warten bereits. Eine nasse Sektdusche, ein kurzes Foto und dann ins Auto.

Die Ankunft verläuft so unglamourös wie passend zum Naturell der beiden Schweizer. „Das Entscheidende am Projekt waren schlussendlich die durchschnittlich 3000 Höhenmeter pro Tag. Die Streckenlängen an sich waren kein Problem. Und das Beste überhaupt war ohnehin: Wir hatten das Privileg an den schönsten Orten Europas Rennrad zu fahren“, sagt Hashemi.

„Wir sind gute Freunde geworden“, die Tour hat Zimmerli und Hashemi zusammengeschweißt.

Ihr Projekt „40 Pässe in zehn Tagen“ hat Oliver Zimmerli und Nima Hashemi zusammengeschweißt. Die vielen Kilometer, die gemeisterten Krisen auf dem Rad, der Regen, die Hitze, die schmerzenden Muskeln. „Wir sind gute Freunde geworden“, sagt Nima Hashemi „Die Qualen am Berg werden eben belohnt: durch den Ausblick auf der Passhöhe, die Geschwindigkeit und die Abkühlung in der Abfahrt – oder die unbändige Vorfreude auf einen Teller Pasta.“

Für 2018 haben Zimmerli und Hashemi bereits neue Pläne und ein ähnliches Projekt. Mehr wollen sie noch nicht verraten. Das Ziel ist aber ist schon heute klar: „Mehr Pässe in weniger Tagen.“

Schlagworte
envelope facebook social link instagram