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Sturz auf den Kopf: Folgen und Gefahren für Rennradfahrer bei Unfällen

Neues aus der Forschung: Kopfsache

Sturz auf den Kopf: Folgen und Gefahren für Rennradfahrer bei Unfällen

Was passiert bei einem Sturz auf den Kopf? Die Folgen und Gefahren werden häufig unterschätzt. Ein Überblick.
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Die Tour of California, 2017: Der Radprofi Toms Skujins stürzt in einer kurvigen Abfahrt. Er prallt auf den Asphalt, überschlägt sich, das Trikot ist zerrissen. Er versucht aufzustehen – und kann es nicht: Er torkelt, versucht, wieder auf sein Rennrad zu steigen, stürzt erneut. Schließlich sitzt er wieder auf dem Rad und fährt weiter – bis ihn die Teamverantwortlichen aus dem Rennen nehmen. Die Diagnose: Wunden, ein gebrochenes Schlüsselbein und eine Gehirnerschütterung. Radsportler halten häufig große Schmerzen aus. Doch mit Kopfverletzungen geht man inzwischen vorsichtig um. Lange Zeit wurden Schädel-Hirn-Traumata nach einem Sturz unterschätzt. Wie man Langzeitfolgen vorbeugt – und wie man sich besser schützen kann.

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Gehirnerschütterung: Definition

Gehirnerschütterungen zählen zu den leichten Formen von Schädel-Hirn-Traumata. Gerade deshalb sind sie oft schwierig zu erkennen. Personen mit Gehirnerschütterungen sind häufig noch normal ansprechbar und orientiert. Sie wissen etwa ihren Namen und erkennen, wie viele Finger man ihnen vor die Augen hält.

Die Hirnschädigung wird ausgelöst, indem mechanische Kräfte auf das Gehirn einwirken. Hierfür bedarf es häufig nicht eines direkten Aufpralls mit dem Kopf. Schon bloße Erschütterungen können Gehirnerschütterungen herbeiführen. Bei vielen Arten von Stürzen wirken enorme Beschleunigungskräfte, die über die Wirbelsäule bis zum Kopf weitergeleitet werden können. Sie können die Ursache für ein solches Schädel-Hirn-Trauma sein.

Anzeichen und Diagnose

Eine Gehirnerschütterung äußert sich in der Regel durch eine kurze Leistungsstörung des Gehirns. Konkret kann es zu Koordinations-, Seh-, Wahrnehmungs-, Bewusstseins-, Hör- oder auch zu Verhaltensstörungen kommen. Häufig werden diese Beschwerden von Übelkeit und Kopfschmerzen begleitet. Akute Anzeichen sind ein leerer Blick, verzögerte Reaktionen, Konzentrationsdefizite, Desorientierung oder Gedächtnisstörungen. Gehirnerschütterungen sind auch deshalb so gefährlich, weil sie oft nicht erkannt werden. Spätfolgen drohen besonders dann, wenn die Regenerationszeit nicht ausreichend ist.

Eine gemeinsame Studie der Universitäten Marburg und Münster zeigte, dass Betroffene auch nach einer nur leichten Gehirnerschütterung gravierende Langzeitfolgen davontragen können. Einige Patienten litten selbst nach sechs Jahren noch unter einer eingeschränkten Lernfähigkeit und unter Gedächtnisschwierigkeiten. Weiter wurden vermehrt depressive Beschwerden festgestellt. Bei der im Jahr 2010 im Magazin „Psychological Medicine“ veröffentlichten Studie wurden 33 Patienten untersucht, die sich einige Jahre zuvor ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma zugezogen hatten. Zum Vergleich testeten die Forscher unter der Leitung des Psychiaters Carsten Konrad 33 gesunde Probanden. Dazu wurden bei den Versuchspersonen umfangreiche psychiatrische, neurologische sowie neuropsychologische Untersuchungen durchgeführt.

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Veränderungen im Gehirn

Die Ergebnisse zeigen mittlere bis starke Beeinträchtigungen in verschiedenen Bereichen wie Lernen, Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit. Sogar die Exekutivfunktionen, also Fähigkeiten wie das Entscheidungsverhalten, die Zielstrebigkeit und die Planung der Zukunft, wichen negativ von denen der Vergleichsgruppe ab.

Diese Resultate konnte auch eine Studie der Neuroradiologin Yvonne Lui von der New York University bestätigen. Die Forscher stellten bei den Untersuchten zwei Jahre nach einer leichten traumatischen Hirnverletzung strukturelle Veränderungen im Gehirn fest – unter anderem in zwei Gehirnregionen, welche an der Stimmungsregulation und an komplexen Denkprozessen beteiligt sind. Die Auswirkungen: Die Betroffenen hatten Probleme, Neues zu erlernen, konnten sich weniger lange konzentrieren, und sie litten unter Verstimmungen.

Verhalten bei Gehirnerschütterungen

Gehirnerschütterungen können nicht mit Medikamenten behandelt werden. Um die Gefahr einer Hirnblutung zu vermeiden, bleiben Patienten bei schweren Gehirnerschütterungen mindestens 24 Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus.

Bereits bei leichten Gehirnerschütterungen sollte man einige Tage Bettruhe einhalten. Auf mental fordernde Prozesse wie Lernen, Lesen, Fernsehen oder lautes Musikhören sollte man in dieser Zeit gänzlich verzichten. Mit dem Sport sollte man erst einige Tage nach dem Abklingen sämtlicher Symptome wie Kopfschmerzen und Übelkeit sowie nach der Freigabe eines Arztes beginnen.

Kopfschutz: Helme

Helme sind unentbehrlich, sie schützen Radfahrer unumstritten vor verschiedenen Arten schwerer Kopfverletzungen. Unklar ist bisher allerdings, wie stark sie das Risiko einer Gehirnerschütterung senken können. Gehirnerschütterungen stellen im Radsport die häufigste Kopfverletzung da. Ohne Kopfschutz wäre der Anteil noch schlimmerer Verletzungen wie Schädelfrakturen zwar wohl deutlich höher.

Doch problematisch für den Schutz vor Gehirnerschütterungen sind vor allem die Rotationskräfte, die beim Aufprall auf das Gehirn wirken. Herkömmliche Helmsysteme lindern zwar den Aufprall, können jedoch diese Rotationskräfte nur bedingt abfedern. Das sogenannte Multi-Directional Impact Protection System – kurz: MIPS – soll genau diese Scherkräfte eindämmen und kommt daher bei vielen Modellen unterschiedlicher Hersteller zum Einsatz. Die Funktionsweise: Es wird eine zusätzliche, bewegliche Kunststoffschicht an der Helminnenseite angebracht. Bei einem Aufprall kann der Rotationsstopp des schwimmend im Schädel gelagerten Gehirns daher weniger abrupt erfolgen. Denn der Kopf kann sich durch das MIPS im Helm bewegen.

Erklärung: Was genau ist MIPS? Hier gibt es Antworten!

Der Hersteller Bontrager hat für eine ähnliche Schutzleistung das neue Wavecel-System entwickelt. Die Helmwände bestehen aus einer wabenartigen Schicht, die bei einem Aufprall in alle Richtungen verformbar ist. Das soll sowohl die Aufprallenergie als auch die seitlich wirkenden Rotationskräfte besser dämpfen als herkömmliche Helm-Systeme.

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