Mont Ventoux, Geschichte, Tour de France
Mont Ventoux: Geschichte, Tragödien und Doping-Skandale der Tour de France

Berglegende

Mont Ventoux: Geschichte, Tragödien und Doping-Skandale der Tour de France

Er ging mehrfach in die Radsport-Geschichte ein: Der Mont Ventoux in der Provence ist eine Legende. Auch in diesem Jahr endet auf seinem Gipfel eine Etappe.
TEILE DIESEN ARTIKEL

Steine, Steine, Steine – mehr gibt es hier nicht. Es ist eine eigene, andere Welt hier oben. 1912 Meter ragt sein Gipfel in den Himmel. Auf dem Weg hinauf fährt man von Grün zu Grau – aus dem Wald in eine Steinwüste.

Kiefern, Eichen und Pinien säumen die ersten Kurven des 15,7 Kilometer langen Anstiegs. Mehr und mehr verblasst das satte Violett der Lavendelfelder der Provence und verwandelt sich in tristes Grau – je höher man kommt.

Der kahle Riese der Provence

Irgendwann, wenn man den Wald verlassen hat, realisiert man, wie schutzlos man hier ist. Regen, Kälte, Sonne – und vor allem Wind: Hier gibt es keinerlei Schutz. Keine Pflanze findet hier, in dieser Geröllwüste, dieser „Mondlandschaft“, genug Halt.

Der Mont Ventoux ist weniger hoch als viele Alpen-Riesen. Die Steigungsgrade sind deutlich geringer als jene anderer berühmter Anstiege. Doch dieser Berg ist anders. Er steht allein – wie ein Monolith erhebt er sich aus der Landschaft der Provence.

RennRad, Tour de France, Banner

Die Tour de France Aktion: 20% auf das Jahresabo oder das Miniabo sparen!

Ein Berg mit Geschichte – Triumphe und Tragödien

Viele Rennen wurden hier entschieden. Viele große Rennfahrer sind an ihm gescheitert. 1951 mussten die Teilnehmer der Tour de France zum ersten Mal auf den Ventoux. Vier Jahre später schimpfte der große Schweizer Ferdy Kübler: „Dieser Berg hat mich umgebracht.“ An jenem Tag verlor er bis ins Etappenziel in Avignon mehr als 20 Minuten auf die Spitze.

Aber Kübler konnte am nächsten Tag weiterfahren. Anders der Franzose Jean Malléjac: Während einer Etappe der Tour de France 1955 verlor er hier – vollgepumpt mit Aufputschmitteln – das Bewusstsein. Aber er überlebte. Anders als der Brite Tom Simpson.

Der Tod von Tom Simpson

Er verlor zwölf Jahre später am Mont Ventoux sein Leben. Diese Tragödie hat die Tour de France verändert, denn sein Tod war kein Unfall, sondern die Folge unkontrollierten Medikamentenmissbrauchs. Zum ersten Mal wurde öffentlich über Doping diskutiert – zum ersten Mal wurden die Schattenseiten des Spitzenradsports deutlich.

Aus den verehrten „Helden der Landstraße“, wie ein Buch des Journalisten Sven Bremer aus dem Jahr 1963 betitelt ist, wurden Sünder. Mit Tom Simpson verlor die Welt nicht nur einen der besten Radprofis, sondern die Tour de France auch ihre „Unschuld“. Tom Simpson wurde nur 29 Jahre alt.

Tom Simpson, Tour de France, Mont Ventoux

 

Tom Simpson, Tour de France, Mont Ventoux

 

Der letzte Anstieg

Zwei Jahre zuvor hatte er sich im spanischen Lasarte den WM-Titel geholt – vor dem Deutschen Rudi Altig. Er gehörte aufgrund seiner Vielsprachigkeit und seiner offensiven, aber stets fairen Fahrweise zu den beliebtesten Fahrern des Pelotons. Er gewann Mailand–Sanremo, die Flandern-Rundfahrt und das Etappenrennen Paris–Nizza.

Doch er kam nicht bis Paris. Am 13. Juli 1967 verlor er am Mont Ventoux sein Leben. Dieser Donnerstag ist der heißeste Tag des Jahres: 42 Grad im Schatten. Am Mont Ventoux gibt es keinen Schatten – nirgends.

Letzte Worte

In Carpentras beginnt der Anstieg zum Gipfel. Raymond Poulidor startet eine Attacke. In einer Verfolgergruppe kämpft Tom Simpson um den Anschluss. Doch drei Kilometer unterhalb des Gipfels gerät er völlig außer Tritt: In Schlangenlinien fährt er von einer Straßenseite zur anderen. Dann kippt er plötzlich von seinem Rad.

Seine Betreuer sind sofort zur Stelle. Er flüstert ihnen die Worte zu: „Setzt mich wieder aufs Rad.“ Sie heben ihn zurück in den Sattel. Doch dies waren seine letzten Worte. Der Brite stürzt erneut und bleibt bewusstlos liegen.

Die Wahrheit über seinen Tod

Der Tour-Arzt Dr. Pierre Dumas versucht fast eine Stunde lang, Simpsons Leben zu retten. Mit dem Hubschrauber bringt man ihn noch ins Krankenhaus nach Avignon. Aber auch dort kann man nichts mehr für ihn tun. Um 17:40 Uhr müssen die Ärzte aufgeben. Tom Simpson ist tot.

Herzversagen aufgrund erhöhter körperlicher Anstrengung – so lautet zunächst die offizielle Version. Doch Dr. Dumas verweigert seine Unterschrift auf dem Totenschein. Die Obduktion bringt es dann zutage: Man findet eine Kombination aus Amphetaminen, Betäubungsmitteln und Alkohol. Tom Simpson war gedopt.

Frühe Dopingpraktiken im Radsport

Dies war der erste offizielle Dopingfall der Tour – doch, wie heute jeder weiß, war Simpson nicht der erste Radprofi, der unerlaubte Mittel einsetzte. Jacques Anquetil, der fünfmalige Tour-Sieger, war einer von jenen, die sich schon Ende der 60er-Jahre öffentlich dazu bekannten – was seiner Popularität kaum schadete.

Viele wussten es, alle schwiegen. Denn Doping galt damals beinahe noch als Kavaliersdelikt. Die Strafen waren gering: 1000 Schweizer Franken Geldbuße, eine lächerliche Zeitstrafe und im Wiederholungsfall eine einmonatige Sperre – wen sollte das abschrecken?

Giftcocktails und ihre Opfer

Schon vor Simpson hatten sich Rennfahrer gedopt. In den Anfangsjahren griffen sie zu Stimulanzien wie Strychnin – ein toxisches Mittel, das Kraft und Schnelligkeit fördert und bei einer Überdosierung zu Muskelkrämpfen und Lähmungserscheinungen führt.

In seinen Tour-de-France-Erlebnissen schildert der Berliner Kurt Stöpel die Zielankunft der 19. Etappe nach Malo-les-Bains im Jahr 1932. Der Belgier Gaston Rebry musste im Ziel gewaltsam vom Rad geholt werden, während seine Augen ins Leere blickten und sich auf seinen Lippen weißer Schaum bildete.

Die 70er- und 80er-Jahre: Cortison und Tricks

Dem Amphetamin- und Anabolika-Missbrauch der 60er-Jahre folgte in den 70ern die „Wunderdroge“ Cortison. Nebenwirkungen: höhere Infektionsanfälligkeit, Magengeschwüre, Impotenz, Depressionen.

1977 wurden während der Tour mehrere Fahrer des Dopings überführt – darunter Luis Ocaña und Joop Zoetemelk. 1978 sorgte Michel Pollentier für Aufsehen, als er Fremdurin aus einer Gummiblase bei der Kontrolle abgeben wollte. Auch Pedro Delgado profitierte 1988 von einer Lücke im Regelwerk.

Die 90er-Jahre: EPO und der Festina-Skandal

1991 brach das Team PDM komplett zusammen – wegen einer Salmonellenvergiftung durch das Mittel Intralipid. 1997 wurde der usbekische Sprinter Abduschaparow mit Clenbuterol erwischt. In den 90er-Jahren hielt dann EPO Einzug – eine gefährliche Substanz, die das Blut verdickt und das Herzinfarktrisiko erhöht.

Der große Knall kam 1998: Beim Festina-Skandal wurde ein ganzer Koffer voller Dopingmittel gefunden. Das Team wurde ausgeschlossen, Fahrer wie Kriminelle behandelt, Teams reisten ab – die Tour stand kurz vor dem Abbruch.

Neue Enthüllungen und das Ende von Illusionen

2006 wurde Jan Ullrich wegen mutmaßlicher Verbindungen zu einem Dopingarzt suspendiert. 2007 gestanden mehrere Telekom-Fahrer EPO-Missbrauch. Auch Bjarne Riis gab sein Doping zu. Der größte Betrug aber war Lance Armstrongs Serie von sieben Siegen – alle unter Doping.

Ein Wettlauf ohne Ziel

Seitdem hat sich im Radsport viel getan: neue Tests, Blutpass, No-Needle-Policy. Doch das Wettrennen zwischen Dopern und Kontrolleuren bleibt unentschieden. Immer neue Mittel, immer neue Methoden.

Das Thema Doping bleibt aktuell – seit jenem schicksalhaften 13. Juli 1967 am Mont Ventoux.

Schlagworte
envelope facebook social link instagram