Abnehmen mit dem Rennrad: Diäten, Mythen und Trainingstipps

Pfundamental

Abnehmen mit dem Rennrad: Diäten, Mythen und Trainingstipps

Im Frühling rechnen viele Radsportler anders als sonst – sie wechseln die Recheneinheit: von Kilometer zu Kilogramm. Doch nicht jede Standard-Diät passt zu einem Sportler. Wir geben hilfreiche Tipps und sprechen über die Ernährungsmythen.
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Das schlechte Wetter, die kurzen Tage, die Sportpause, die dreckigen Straßen, das Motivationsloch – all das liegt im Frühling hinter einem. Die Saison naht. Man hat Ziele: die erste Ausfahrt mit der Gruppe, die erste inoffizielle Bergwertung, Trainingslager, Rennen, Radmarathons. Die Leistung auf dem Rad hat mit Watt zu tun. Und mit der zu bewegenden Masse.
Es gibt viele Gründe abzunehmen. Und noch mehr Wege, die (vermeintlich) zu diesem Ziel führen. Wer suchet, der findet – zum Beispiel weit mehr als 500 verschiedene Diäten: Ananas, Apfelessig, Atkins, Blutgruppen, Brigitte, Chili-Ingwer, Hollywood, Hypnose, Kohlsuppe, Trennkost, Vollweib, Zone. Da ist für jeden etwas dabei. Alle paar Wochen wird eine neue noch adipöse, aber abnehmwillige Sau durchs Dorf getrieben. Für die Wirkung vieler Diäten gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Manche sind sinnlos, manche gefährlich.

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Diät: Sportler sind anders

Die meisten Diäten – und auch fast alle Studien zum Thema Abnehmen – sind auf übergewichtige, unsportliche Menschen ausgerichtet. Sportler gehören nicht zur Zielgruppe. Für die meisten dicken Menschen gilt als erste Regel: Beweg dich! Schon Hobbysportler haben andere Voraussetzungen. Sie verbrauchen in der Regel ohnehin schon viel Energie und gehen beim Abnehmen andere Risiken ein. Denn während einer Radikaldiät wird meist auch Muskelmasse abgebaut, die Leistungsfähigkeit nimmt ab.
Beim Abnehmen ist es wie in der Finanzpolitik. Auf beides gibt es zwei Sichtweisen: die auf die Einnahmen – und die auf die Ausgaben. Wir brauchen mehr Geld, lässt Angela Merkel verlautbaren.
Dass die Steuereinnahmen so hoch sind wie noch nie, sagt sie nicht. Die Große Koalition fokussiert sich allein auf die Einnahmenseite. Denn Sparen könnte ja Wählerstimmen kosten. Auch Athleten sollten sich auf das konzentrieren, was eingenommen wird: auf die Qualität und Quantität der Nahrung.

Während der Saison sind Diäten kaum durchführbar. Ernährungsumstellungen sollten eher davor oder danach getestet werden.

Ernährung: Theoretisch einfach

Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate, das sind die drei Energieträger in der menschlichen Nahrung. Lange wurden die Fette als alleinige Dickmacher verteufelt. Dann kamen die Kohlenhydrate an die Reihe. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach. Theoretisch. Wer abnehmen will, muss sich an eine einzige Formel halten: Nimm weniger Kalorien zu dir als du verbrauchst. Es gibt etliche konkrete Handlungsanweisungen,an die man sich halten soll. Zum Beispiel die der American Heart Association. Deren Abnehm-Rezept lautet: Nimm weniger Kalorien zu dir als sonst, aber nicht weniger als 1500 Kilokalorien pro Tag (für Männer und 1200 kcal für Frauen). Mindestens 55 Prozent davon sollten Kohlenhydrate sein, weniger als 30 Prozent Fett, 15 Prozent Protein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt: fünfmal am Tag Obst oder Gemüse. Klingt vernünftig, klingt einfach.
Doch viele Studien zeigen, dass gerade Sportler vor besonderen Problemen stehen. Demnach büßen Athleten in Fastenzeiten sportliche Leistungsfähigkeit ein. In einer Studie an Ringern konnten die Sportlergruppen, die 41 oder sogar 55 Prozent der Gesamtenergiemenge aus Kohlenhydraten aufnahmen, ihre Leistungen nicht halten. Das gelang nur der Gruppe, deren Nahrung einen Kohlenhydratanteil von 66 Prozent hatte. Daraus leiten die Forscher ab, dass auch Athleten, die abnehmen wollen, täglich mindestens fünf Gramm Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen sollten.
Demnach sind die seit einigen Jahren so populären Low-Carb-Diäten, bei denen der Kohlenhydratanteil der Ernährung reduziert wird, nicht immer sinnvoll. Generell sind die Effekte vieler Diäten nicht erforscht. Doch über eines herrscht Gewissheit. Über eine Gemeinsamkeit aller Radikaldiäten. Über den einen Feind aller Fastenden. Ein unheimlicher, heimtückischer, scheinbar unbesiegbarer Feind, dessen Name überall geflüstert wird: JOJO. Was mit dem Spielgerät geschieht, geschieht auch mit dem Körpergewicht. Was runter geht (das Gewicht, die Fettreserven), geht auch wieder rauf. Der Geist agiert, indem er den Körper zum Sparen zwingt. Der Körper reagiert, indem er nach der Zeit des Verzichts verstärkt Reserven bildet. Wie man den Jojo-Effekt vermeidet, erklärt der Ernährungsexperte Professor Ingo Froböse im RennRad-Interview.

Abnehmen: Gene und Training

Oft ist nach der Diät vor der Diät. Oder schlimmer. In einer Metaanalyse, die im Journal „American Psychology“ erschien, wurde konstatiert: Mehr als ein Drittel aller Teilnehmer, die eine Diät hinter sich hatten, wogen kurz danach deutlich mehr als davor. Der Anteil derer, die ihr während der Diät erreichtes Gewicht halten konnten, lag bei nur zehn Prozent.
In einer anderen US-amerikanischen Studie wurde festgestellt, dass dieselbe Maßnahme zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Alle Probanden aßen über den Untersuchungszeitraum hinweg nur so viel, dass sie täglich 1000 Kilokalorien weniger zu sich nahmen als sie verbrauchten. Das Ergebnis: Manche nahmen nicht einmal ein Kilogramm ab, andere mehr als acht. Nur Zwillinge nahmen stets genau gleich viel ab. Beim Abnehmen spielen also auch die Gene eine Rolle.
„Aber niemand braucht sich seinem Schicksal zu ergeben“, sagt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Jeder kann seinen Stoffwechsel trainieren. Jeder kann seinen Grundumsatz erhöhen. Den Energieverbrauch im „Leerlauf“. Der einfache Weg zu weniger Fett, einem schlankeren, gesünderen Körper: mehr Muskeln, mehr Ausdauertraining. Der Weg des Radfahrers.

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Mythos und Wahrheit

1. Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen, Trainieren. Das sogenannte „ketonische Training“ auf nüchternen Magen wird von etlichen Profis praktiziert. Grund: Vor dem Frühstück ist der Insulinspiegel noch niedrig. Einige Studien – auch mit Radfahrern, wie etwa die der Universität Birmingham – deuten darauf hin, dass die Muskeln dann mehr Fettsäuren verbrennen.

2. Es ist ein bekannter Begriff: Entschlacken. Dass soll beim Fasten mit dem Körper geschehen. Nur: Beweise dafür gibt es nicht. Gerade das zum „Entschlacken“ eingesetzte Heilfasten kann problematisch sein. Man isst gar nicht, sondern ernährt sich flüssig, von Wasser, Tee, Saft, Gemüsebrühe. Doch nach der Diät setzt ganz sicher der Jojo-Effekt ein. Und: Bislang hat kein Mediziner so etwas wie „Schlacken“ in einem menschlichen Körper gefunden.

3. Große Versprechungen sollte man hinterfragen. Beispiele: Bei der Blutgruppendiät soll diese, evolutionär bedingt, dafür entscheidend sein, wie jemand bestimmte Nahrungsmittel verträgt. Die wissenschaftlichen Belege: kaum vorhanden. Bei der Trennkostdiät geht es darum, Kohlenhydrate und Eiweiße strikt voneinander zu trennen, da der Mensch nicht beides gleichzeitig verdauen könne. Diese Behauptung ist längst wissenschaftlich widerlegt.

4. Ein aktueller Trend führt zurück in die Steinzeit: die Paleo-Diät. Deren Kurzfassung: Iss, was es damals, in der Altsteinzeit, schon gab. Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Eier, Obst, Gemüse, Kräuter. Iss nichts, das erst später erfunden, entwickelt oder errungen wurde. Kein Brot, keine Nudeln, keine Milch, kein Zucker. Die Wirkung der Steinzeiternährung wurde bislang wenig erforscht. Erste Studien deuten eine mögliche Verringerung des Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Allerdings gibt es auch viele kritische Stimmen. Zu einseitig sei diese Ernährung.

5. Fett ist böse. Fett macht krank und dick. Weg damit! Diese weitüberlieferte Weisheit ist falsch. Das ist längst erwiesen. Zum Beispiel durch eine Harvard-Studie, bei der eine sehr fettarme Ernährung mit einer relativ fettreichen verglichen wurde. Das Ergebnis: Die Probanden, die sich nach einem Speiseplan wie er in Mittelmeerregionen (mit viel Fisch und hochwertigen Pflanzenfetten wie etwa aus Olivenöl) ernährten, nahmen mehr und nachhaltiger ab als die Fettverweigerer – durchschnittlich 4,5 Kilogramm innerhalb von 18 Monaten. Und damit 1,5 Kilogramm mehr als die Probanden, die sich fettarm ernährten.

6. Lang und ruhig. So soll es sein, das „Fettverbrennungstraining“. Nur: Schnell wirkt auch. In einer klassischen Studie der Laval Universität, Kanada, zeigte sich nach 20 Wochen Training, dass die Probanden, die mit geringer Intensität trainiert hatten, mehr Kalorien (28.800) verbraucht hatten als die, die 15 Wochen lang intensiver trainiert hatten (13.800). Aber: Die Intensivtrainierer hatten mehr Körperfett verloren. Die Forscher schrieben dies dem verbesserten Fettmetabolismus und erhöhter Enzymaktivität zu.

Aufgrund der Kohlenhydrate sollte man seine Nudeln stets al dente kochen.

Ernährungsexperte Ingo Froböse im Interview: „Den Grundumsatz verdoppeln“

RennRad: Herr Professor Froböse, manche Menschen können so viel essen, wie sie wollen ohne zuzunehmen, andere müssen das Stück Schwarzwälder-Kirsch nur anschauen und schon schwillt der Bauch. Was ist die Erklärung für diese Ungerechtigkeit?

Ingo Froböse Manche Menschen verbrennen schneller und besser Energie als andere. Wenn zwei VW Golf nebeneinander an der Ampel stehen, sieht man äußerlich auch keinen Unterschied, aber die Motoren können verschieden sein: Der, der mehr PS und einen größeren Hubraum hat, verbraucht mehr Benzin.

Man sollte seine Maschine also auf mehr Verbrauch tunen?
Genau. Die Muskelmasse des Körpers entspricht dem Hubraum des Motors, die Zahl der Mitochondrien in den Zellen den PS. Deshalb muss ein Sportler beim Abnehmen immer darauf achten, dass sein Motor beides nicht verliert.

Was sollten abnehmwillige Hobby- und Leistungssportler konkret beachten?
Als Athlet, egal auf welchem Niveau, sollte man immer parallel die Muskulatur trainieren – und auch in Abnehmzeiten für eine ausreichende Aminosäurenzufuhr sorgen. Denn nach jeder Belastung gibt es ein anaboles Zeitfenster, in der Regel die ersten 60 Minuten nach Belastungsende. In denen sollte man Aminosäuren zu sich nehmen, um die Regeneration zu unterstützen und Muskelschäden zu vermeiden.

Das Thema Protein ist, wenn es um Diäten geht, seit Jahren im Gespräch. Sollte man im Sinne der Low-Carb-Diäten wirklich Kohlenhydrate eher vermeiden und durch Proteine ersetzen?
Zu diesem Thema gibt es fast schon Glaubenskriege. Ich gehe davon aus, dass Sportler eine gewisse Kohlenhydratzufuhr brauchen, als grober Richtwert gilt mindestens 60 Gramm pro Tag. Bei Proteinen gehen wir von einem täglichen Bedarf von drei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht aus. Und es steht fest, dass ältere Menschen einen höheren Bedarf haben als jüngere. Abends auf Kohlenhydrate zu verzichten, kann auf jeden Fall Sinn machen.

Dass es auf die Quantität ankommt, ist klar. Welche Rolle spielt die Qualität der Kohlenhydrate?
Wenn Kohlenhydrate, dann besser solche mit niedrigem glykämischen Index. Bei dem Thema kann man auch anmerken, dass Pastapartys vor einem Rennen oder Marathon oft gar nicht mal so gut sind.

Und warum nicht?
Weil die Nudeln oft verkocht sind. Je weicher die Nudeln sind, desto mehr kurzkettige Kohlenhydrate haben sie. Deshalb sollte man darauf achten, sie al dente zu kochen. Auch bei Kartoffeln kommt es auf die Qualität an: Junge Knollen sind besser als alte, denn sie haben mehr langkettige Kohlenhydrate.

Haben Sie noch mehr solcher Tipps?
Athleten brauchen Vitalstoffe wie Zink und Eisen in ausreichender Menge. Ein einfacher Tipp ist es, morgens ein, zwei Löffel Weizenkeime ins Müsli zu geben. Das enthält fast alle wesentlichen Vitalstoffe.

Sie sind ein Verfechter der langfristigen Ernährungsumstellung. Was halten Sie von Drei-Tages- oder sonstigen Crash-Diäten?
Die sind oft kontraproduktiv, denn nach ihnen ist der Jojo-Effekt vorprogrammiert. Der Körper ist eine radikale Sparmaschine. Er hat im Laufe der Evolution gelernt Energie zu sparen. Bei einer Unterversorgung fährt er sich runter, nach der Mangelernährung reagiert er dann mit vermehrter Fetteinlagerung. Deshalb sollte man nie weniger als die Kalorien, die dem eigenen Grundumsatz entsprechen, zu sich nehmen.

Und der ist trainierbar.  
Ja, der Grundumsatz ist der Energieverbrauch im Ruhezustand, und bei Sportlern höher als bei Nichtsportlern. Durch gezieltes Training kann man ihn innerhalb eines Jahres verdoppeln. Deshalb steht fest: Niemand braucht sich seinem Schicksal zu ergeben. Mit einer sanften Ernährungsumstellung und Bewegung kann jeder abnehmen. Mit diesem gesunden Weg sind bis zu zwei Kilogramm pro Monat möglich.

Ohne Risiko testen!

RennRad Tipps gegen Kilos

  • Trainieren Sie „ketonisch“, also auf nüchternen Magen.
  • Verzichten Sie ab und an abends auf Kohlenhydrate. Alternativen zu Nudeln und Co.: Fisch, mageres Fleisch, Tofu, Gemüse.
  • Erhöhen Sie Ihren Grundumsatz. Durch Ausdauer- und Muskelaufbautraining.
  • In der ersten Stunde nach dem Training sollte auf eine ausreichende Proteinversorgung geachtet werden.
  • Achten Sie auf die Qualität des Fetts, das Sie zu sich nehmen. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren, wie sie etwa in Distelöl vorkommen, können sich günstig auf das Risiko für Herzkrankheiten auswirken. Trans-Fettsäuren, die etwa in Pommes oder Chips vorkommen, sollten möglichst gemieden werden.
  • Achten Sie auf die Qualität der Kohlenhydrate, die Sie zu sich nehmen. Nudeln sollten zum Beispiel „al dente“ gekocht werden.
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