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Bergtraining: Tipps und Anleitung für das Training bergauf und bergab
in Training
32.000 Menschen bewerben sich um 9000 Startplätze – dafür, an einem Tag auf abgesperrten Straßen über Dolomiten-Pässe fahren zu dürfen. Für einen der wohl schönsten Radmarathons der Welt, den Maratona dles Dolomites: 138 Kilometer, 4230 Höhenmeter. Radmarathons boomen. Genau wie das Hobby Radsport. Die Strecken der Events sind oft lang, hart, bergig – und bilden für die Athleten meist die Herausforderung des Jahres. Das große Saison- und Trainingsziel. Konkret lautet dies für viele ambitionierte Freizeit- und Amateur-Radsportler: Ötztaler Radmarathon. Vier Pässe, 227 Kilometer, 5200 Höhenmeter. Doch auch wer weniger ambitionierte Ziele hat, steht vor ähnlichen Fragen: Wie komme ich schneller und effizienter bergauf? Wie verbessere ich meine Ausdauer? Wie meinen Punch bergauf? Das richtige Bergtraining ist unabdingbar.
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Bergtraining: Die Muskulatur
Die Gleichung klingt so einfach: Mehr Leistung ergibt ein schnelleres Tempo bergauf. Der alles entscheidende Parameter: Watt pro Kilogramm – die eigene Leistung in Relation zum Gewicht. Doch das Bergfahren erfordert mehr als das simple Abrufen der antrainierten Leistungsfähigkeit. Das wissen alle Radsportler, die schon einmal einen Alpenpass oder einen anderen langen Anstieg gefahren sind: Je länger und steiler ein Berg ist, desto härter wird es, selbst eine Leistung zu erbringen, die in der Ebene ohne größere Schwierigkeiten gefahren werden kann. An dieser Realität scheitern alljährlich viele Starter bei den schwersten Radmarathons oder bergigen Straßenrennen. Sogar Athleten mit einem hohen Leistungsniveau, die theoretisch ein schnelles Bergtempo erzielten sollten, schaffen es häufig nicht, diese Leistungsfähigkeit ebenso auch an den Steigungen abzurufen.
Die Erklärung: Es bestehen physiologische Unterschiede zwischen den Anforderungen beim Bergauffahren und dem Fahren in der Ebene. Sobald die Steigungsprozente der Straße größer werden, wird die Muskulatur auf eine andere Weise beansprucht. Denn: Die Gravitationskraft sorgt dafür, dass bei den höheren Intensitäten vermehrt die „Typ-1“-Muskelfasern herangezogen werden – die langsam zuckenden „Ausdauerfasern“. Sind die Muskeln diese Belastungen nicht ausreichend gewohnt beziehungsweise dafür trainiert, ermüden sie deutlich schneller. Das oft beobachtete Ergebnis: Der Radfahrer geht bergauf „ein“.
Bergtraining: Die Psyche
Ein anderer Aspekt, den wohl die meisten unterschätzen, ist das Mentale: die Psyche. Bergauf steigt die Anstrengung, während die Geschwindigkeit sinkt. In diesen Momenten bleibt das positive Feedback durch ein Geschwindigkeitsgefühl aus. „Bei vielen Athleten wird dann ein Schalter im Kopf umgelegt“, sagt Stephen Gallagher, Ex-Profi und Leiter von DigDeep Coaching. „Die Gedanken beginnen, sich darum zu drehen, dass die Quälerei noch lange weitergehen wird, und eine negative Denk-Spirale setzt ein.“ Die Leistung kann dann nicht mehr abgerufen werden.
Zudem erlauben Steigungen in der Regel keine ausreichenden Erholungspausen. Dieses Anforderungsprofil ist für viele unerfahrenere Bergfahrer mental nur schwer zu ertragen. Die gute Nachricht lautet jedoch, dass das Bergfahren generell gut trainierbar ist – mit dem richtigen Bergtraining. Gerade vor Berg-Radmarathons gilt somit für jeden: Höhenmeter im Training zahlen sich aus. Selbst ein Wochenende in den Alpen oder in einem Mittelgebirge wie der Rhön oder dem Harz kann sich schon auszahlen. Denn schon nach zwei bis drei aufeinanderfolgenden Fahrten setzt sowohl die spezifische Konditionierung der Muskulatur als auch eine mentale Gewöhnung ein. Denn Fakt ist: Selbst die besten Bergfahrer müssen an jedem längeren Anstieg mit ihren Kräften haushalten.
Warum ist die richtige Pace beim Bergfahren so wichtig?
Gerade auf Routen mit zahlreichen Pässen sollte das Tempo zunächst vorsichtig gewählt werden. Denn die eigene Kletterpace bestimmt, wie schnell ein Erschöpfungsgrad „angesammelt wird“, von dem man sich während Fahrt nicht mehr erholen kann. Profis und Top-Radmarathon-Spezialisten können auch über drei oder vier lange Pässe ein Tempo von 85 bis 90 Prozent ihrer Schwellenleistung halten.
Doch das ist nicht die Regel: Für die meisten findet sich die sogenannte „nachhaltige Pace“ irgendwo im Bereich zwischen 80 und 85 Prozent ihrer individuellen anaeroben Schwelle – und damit im sogenannten GA2-Bereich. Auch deshalb sind einige vorbereitende Ausfahrten in den Bergen so wichtig – um das eigene Tempo zu finden. Insbesondere für längere Touren oder Events mit vielen Anstiegen müssen die Limits vorher klar definiert werden.
Wichtigkeit der Streckenkenntnis
Das gilt auch, wenn man versucht, mit einer stärkeren Gruppe mitzuhalten. Denn dies ist ein extrem häufig gemachter Fehler: Man überzieht zu früh, lässt sich den Rhythmus von anderen diktieren, statt sein eigenes Tempo zu fahren. Auch dies gehört zur mental fordernden Seite der Rad-Leistung: zu lernen, der Versuchung, der Challenge, nicht nachzugeben. Sich zurückzuhalten. Und „stur“ bei seinem eigenen optimalen Tempo bleiben.
Dabei spielt auch die Streckenkenntnis eine Rolle: Das Wissen um einen Anstieg bringt Vorteile – gerade wenn es darum geht, sich seine Kraft einzuteilen. Generell gilt für lange Bergfahrten: Nur wenn die Steigung für kurze Zeit über neun oder zehn Prozent geht und der Tritt deutlich schwerer wird, sollte die Pace in den Entwicklungsbereich steigen – über 90 Prozent der Schwellenleistung.
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Zeitreserve Abfahrten
Aber nur, um über kurze Steilstücke zu „drücken“, nicht dauerhaft. Dafür muss auch die richtige Übersetzung bedacht werden: Ein 28er-Ritzel an der Kassette ist für die meisten Hobbyathleten ein Muss – viele haben auch Vorteile davon, ein 30er- oder gar 32er-Ritzel zu montieren. Wer bergauf fährt, muss beziehungsweise darf auch wieder bergab.
Die Bedeutung von Abfahrten – beim Thema Sicherheit, aber auch beim Thema Zeit – wird oft unterschätzt: Die Zeit, die am Berg gewonnen wird, kann bergab schnell wieder verloren werden. Eine gute Abfahrtstechnik bringt einen Fahrer nicht nur schneller den Berg herunter, sondern wirkt auch kraftsparend, sodass für die nächsten Anstiege mehr Reserven zu Verfügung stehen.
Zudem gilt: Nur wer sich bergab sicher fühlt und sein Rad beherrscht, erlebt auch den Fahrspaß der Geschwindigkeit. Natürlich ist das Abfahren nicht einfach zu trainieren, da auch immer eine Risiko-Abwägung dazugehört. Deshalb sollte man sich an die richtige Kurventechnik und sein Gefühl für die Geschwindigkeit nach und nach „herantasten“.
Wieso ist beim Bergtraining auch die Abfahrt-Fahrtechnik so relevant?
Die Leistungsreserve Abfahrt, gerade bei Radmarathons, sollte man jedoch nicht unterschätzen. Das Beispiel Ötztaler Radmarathon: Allein in der Abfahrt vom ersten Anstieg, dem Kühtai, können erfahrene Berg- und Abfahrer gegenüber unerfahrenen bis zu zehn Minuten gewinnen. Umgerechnet kann dieser Zeitgewinn am Anstieg zuvor, der mindestens eine Stunde dauert, mehr als 50 Watt und bis zu ein Watt pro Kilogramm Körpergewicht ausmachen. Die Gründe für die teils riesigen Differenzen sind sowohl fahrtechnischer als auch mentaler Natur.
Häufig verkrampfen Fahrer in den Abfahrten: Denn sie sind an diese Geschwindigkeiten nicht gewöhnt und verschwenden viel Energie – durch andauerndes Beschleunigen und Bremsen. Durch die fehlende Erfahrung werden Abfahrten zu einem reinen Stressfaktor, während sich andere Athleten hier erholen können und so Kräfte sammeln für den nächsten Anstieg.
Sportwissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass zwischen besseren Abfahrtszeiten und höheren Wattleistungen kein signifikanter Zusammenhang besteht. Das heißt also: Die Unterschiede zwischen sehr guten und schlechten Abfahrern entstehen nicht durch „mehr Druck“ auf dem Pedal, sondern fast ausschließlich durch eine bessere Linienwahl und späteres Bremsen.
RennRad 8/2019: Alle Inhalte der Ausgabe
Tipps zur effizientes Bergtraining
L6-High-Intensity-Intervalle | 30 Sekunden All Out am Berg, 140-150% der Schwellenleistung, 30 Sekunden aktive Pause bei 50 bis 65%. 2-4 Serien a 8 Minuten, mit je 10 Minuten Serienpause. |
Kraftausdauer-Intervalle | 3 x 8-12 Minuten Intervalle bei 90% der Schwellenleistung. Kadenz bei 50-70 RPM halten, am Berg. Alle 2 Minuten für jeweils 20 Sekunden auf 100% und über 80 bis 90 RPM Kadenz beschleunigen. |
Entwicklungsbereich-Intervalle | Ideale Schwellenintervalle: 3 oder 4 x 8-10 Minuten bei 95% der Schwellenleistung. Variation: Erste und letzte Minute bei 110%. Aktive Pause: je 5 Minuten sehr locker. |