Mentaltraining, Leistung, Psyche
Mentaltraining: Die Bedeutung der Psyche für die Leistung

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Mentaltraining: Die Bedeutung der Psyche für die Leistung

Radrennen und Radmarathons haben mit Schmerz zu tun. Den Umgang damit kann man lernen. Die Bedeutung der Psyche für die Leistung: Mentaltraining – Tipps & mehr.
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„Radsportler leben mit Schmerz. Wer keinen Schmerz aushält, wird nichts gewinnen. Es gewinnt der, der am meisten leiden kann.“ Dieses Zitat stammt von Eddy Merckx, dem erfolgreichsten Radsportler aller Zeiten. Jahrzehnte nach seinen großen Erfolgen sind die Trainingsmethoden im Profi-Radsport immer professioneller und wissenschaftlicher geworden – die körperliche Leistungsfähigkeit scheint immer häufiger ausgereizt zu werden. Was gleichgeblieben ist: Radsportler müssen große Schmerzen ertragen, sich überwinden, um zu siegen. Dafür ist auch mentale Stärke nötig – und auch diese kann man trainieren. Das Mentaltraining hat als Komponente des leistungsorientierten Trainings in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen – nicht nur, um im Wettkampf die volle Leistung abrufen zu können, sondern auch in Trainingsphasen.

In vielen Sportarten setzen die Spitzenathleten auf die Bedeutung der mentalen Stärke. Auch im Radsport arbeiten immer mehr Fahrer und Teams mit Mentaltrainern zusammen.

Körper und Psyche

Im Radsport geht es häufig vor allem darum, den Körper an seine Grenzen zu treiben und sich mental dazu zu bringen, so große Schmerzen wie möglich aushalten zu können. Doch irgendwann erreicht man den Punkt, an dem die Leistung nicht mehr weiter aufrechterhalten werden kann. Die Erschöpfung ist zu groß, nichts geht mehr – scheinbar.

Im Ausdauersport ist die Fähigkeit, eine hochintensive Belastung möglichst lange aufrechtzuerhalten, einer der wesentlichen leistungsbegrenzenden Faktoren. Durch die Belastung schreitet die Ermüdung mit der Zeit immer weiter fort. Lange Zeit wurde angenommen, dass der Körper hierbei der wesentliche begrenzende Faktor ist.

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Mentaltraining für eine höhere Leistungsbereitschaft des Körpers

Die Folgerung: Der Körper muss durch Training zu einer höheren Leistungsbereitschaft getrieben werden. Das ist auch richtig – erklärt die Leistungsfähigkeit jedoch nicht vollständig.

Forscher des Instituts für Sportwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität Kiel veröffentlichten Anfang dieses Jahres eine Studie mit dem Titel „Ermüdung im Radsport: Der Kopf will, aber die Beine können nicht – oder umgekehrt?!?“ Darin wollten sie ergründen, welcher Faktor ausschlaggebend für den Belastungsabbruch bei hochintensiven Belastungen ist – etwa bei intensiven Intervallen oberhalb der anaeroben Schwelle.

Die Testpersonen, neun gut trainierte Radsportler und Triathleten, sollten einen Dauerbelastungstest auf dem Ergometer bis zur vollständigen Erschöpfung absolvieren. Zuvor sollten sie einen Maximal-Sprint-Frequenz-Test durchlaufen. Während der Dauerbelastung wurden sie regelmäßig befragt, wie sie die Belastung empfinden. Direkt nach dem Abbruch des Tests wurden die Probanden erneut dazu aufgefordert, einen Maximalsprint über die Dauer von fünf Sekunden durchzuführen.

Dieser Test sollte prüfen, ob die Probanden muskulär komplett ermüdet waren. Wenn ihr Körper, wie von den Probanden angegeben, zu diesem Zeitpunkt komplett erschöpft wäre, könnte auch für kurze Zeit keine hohe Leistung mehr abgerufen werden.

Mentaltraining, Leistung, Psyche

Welches Leistungspotenzial kann man durch gezieltes Mentaltraining freisetzen?

Ermüdung und Psyche

Vor dem Test wurde den Probanden nicht mitgeteilt, dass im Anschluss nochmals ein Sprinttest stattfinden würde. So sollte verhindert werden, dass die Sportler sich für den Sprinttest eine Leistungsreserve aufsparen. Die Auswertung ergab eine signifikante Leistungsabnahme zwischen dem ersten und dem zweiten Sprinttest.

Allerdings gab es eine signifikante Zunahme der Leistung im zweiten Sprinttest im Vergleich zum vorhergehenden Dauerbelastungstest. Das spricht dafür, dass das Gehirn die Leistung reguliert und auch Reserven vorhalten kann.

Zudem zeigten die Ergebnisse eine signifikante Korrelation zwischen dem Anstrengungsempfinden und der Dauer des Belastungstests. Je länger die Belastung dauerte, desto anstrengender empfanden die Probanden die Belastung. Im Sprinttest war demnach eine Leistungssteigerung festzustellen, obwohl die Probanden zuvor angegeben hatten, den Erschöpfungszustand erreicht zu haben.

Psychobiologisches Ermüdungsmodell

Das Modell der peripheren Ermüdung geht davon aus, dass die muskuläre Ermüdung der Grund für den Abbruch einer Leistung ist. Dieses Modell konnte als Erklärung hier nicht ausreichen. Erklären lassen sich diese und weitere Testergebnisse vielmehr mit dem psychobiologischen Ermüdungsmodell. In diesem wird der Belastungsabbruch als eine willentlich herbeigeführte bewusste Entscheidung angesehen.

Die Entscheidung, ob man die Belastung aufrechterhält oder abbricht, wird nach diesem Modell anhand folgender Einflussfaktoren getroffen: des Anstrengungsempfindens, der Motivation, der Kenntnis über die bereits zurückgelegte sowie die verbleibende Strecke und der Vorerfahrung beziehungsweise der Erinnerung an wahrgenommene Anstrengungen während ähnlicher Belastungen.

Die Schlussfolgerung lautet: Ein psychischer Abwägungsprozess entscheidet letztlich über den Belastungsabbruch. Der Körper und die Psyche bilden eine untrennbare Einheit. Nur wer psychisch dazu bereit ist, kann seine volle Leistung abrufen. Daraus ergibt sich auch, dass zahlreiche psychische Faktoren, wie etwa die Motivation, das Anstrengungsempfinden oder die eigenen vorhergehenden Erfahrungen, die Leistung beeinflussen. Diese psychischen Faktoren wiederum zu optimieren, ist ein wichtiges Ziel beim Mentaltraining.

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Psychische Motivationsfaktoren

Auch zu den psychischen Motivationsfaktoren, mehr Leistung zu erbringen, gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse. Forscher der Universität Edge Hill etwa ließen trainierte Radsportler unter drei unterschiedlichen Bedingungen Ergometer-Tests fahren: Einmal sahen sie ihren virtuellen Avatar auf einem Bildschirm vor sich, einmal auch virtuelle Gegner und einmal war der Bildschirm schwarz.

Das Ergebnis: Die mit Abstand beste Leistung erbrachten die Athleten, wenn sie einen Gegner sahen, die schlechteste bei dunklem Monitor. Dann, so die Erklärung der Forscher, sei der Aufmerksamkeitsfokus am stärksten nach innen, auf sich selbst gerichtet. Die wahrgenommene Anstrengung bei der gleichen Leistung sei deutlich größer.

Mentaltraining, Leistung

Leistung geht über Schmerz – und mit gezieltem Mentaltraining ist es möglich, mehr Schmerz auszuhalten.

Schmerz und Leistung

Den Einfluss der mentalen Stärke auf die Radleistung untersuchten auch Forscher der britischen Universität Hull. Die Probanden füllten zunächst Fragebögen aus, anhand derer Ergebnisse sie in zwei Gruppen eingeteilt wurden: in eine mental starke und eine mental schwache Gruppe. Danach absolvierten sie halbstündige Rad-Einheiten mit verschiedenen Intensitäten auf dem Ergometer, während derer sie ihre Anstrengung bewerten mussten.

Ergebnis: Auf den unteren Intensitätsebenen waren keine Unterschiede festzustellen. Sobald es jedoch intensiv wurde – bei 70 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme – gaben die mental starken Probanden hochsignifikant niedrigere Anstrengungsgrade an. Um den Ansatz des mentalen Trainings zu verstehen, unterscheidet man bei Gedankenprozessen häufig zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Das Bewusstsein wird auch als Logik oder Verstand bezeichnet.

Auf das Bewusstsein kann man aktiv zugreifen: Man nimmt Dinge wahr und bewertet diese, um daraus logische Schlüsse oder Entscheidungen zu treffen. Das Unterbewusstsein ist sehr viel „größer“. Dort sind alle Informationen gespeichert, die seit der Geburt aufgenommen wurden. Dies zeigen Beispiele aus der Hypnose, bei der sich Menschen wieder detailliert an Szenen aus ihrer Kindheit erinnerten, die sie zuvor im wachen „Normalzustand“ nicht wiedergeben konnten. Solche Informationen oder Prägungen werden vor allem in der Kindheit oder durch häufige Wiederholungen gespeichert und automatisiert.

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Mentaltraining und Unterbewusstsein

Ungefähr 90 Prozent des Verhaltens werden durch das Unterbewusstsein gesteuert. Dies zeigt, wie groß dessen Bedeutung, wie wichtig der unterbewusste Teil ist. Hier setzt das Mentaltraining an. Denn dabei wird das Unterbewusstsein so umprogrammiert, dass daraus ein positiver Nutzen entstehen kann.

Das Unterbewusstsein speichert neben diesen Informationen auch viele Glaubenssätze, Ängste, negative Erlebnisse und Defizite, etwa hinsichtlich der Bereiche Selbstwert, Selbstliebe oder Selbstvertrauen. Diese können die Leistungsfähigkeit blockieren und von dem Erreichen der Ziele abhalten. Genau deshalb ist dieser Teil so wichtig. Will man „bewusst“ ein hohes Ziel erreichen, sollten zuvor negative Blockaden zunächst wahrgenommen und dann überwunden werden.

Doch auch für Nicht-Wettkampf-Athleten bietet die Sportpsychologie interessante Konzepte: Von dem „Sich-selbst-bewusst-Werden“. Von dem Erkennen negativer Einstellungen. Von dem idealen Gefühl auf dem Rennrad. Dem Einssein mit sich selbst. Dem Ausschalten aller Gedanken. Dem Fühlen des Körpers. Dem Glückshormon-Rausch. Dem Zustand, den sich so viele wünschen. Dem Zustand, den der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi entdeckte und ihm einen Namen gab: dem Flow.


Mentaltraining: Methoden

Das Visualisieren

Das Visualisieren ist eine Methode, um Ziele leichter erreichen zu können. Dabei stellt man sich das Ziel so vor, als hätte man es bereits erreicht. Dies erfolgt am besten in einem sehr entspannten Zustand, etwa vor dem Einschlafen, nach dem Aufstehen oder auch mithilfe von Meditationstechniken – dabei sinkt die Gehirnfrequenz, man spricht von der sogenannten Alpha-Phase. Außerdem ist es wichtig, in das Visualisieren viele konkrete, auf die vorgestellte Situation bezogene Emotionen und Details für eine möglichst lebhafte Vorstellung mit hineinzubringen.

Das kann man besonders gut erreichen, wenn alle fünf Sinne – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken – eingesetzt werden. So sollen die vorgestellten Ziele möglichst tief im Unterbewusstsein verankert werden, was dabei helfen soll, sie besonders zielstrebig und konsequent zu verfolgen. Man spricht hierbei auch vom Effekt der „self-fulfilling prophecy“, also einer sich selbsterfüllenden Vorhersage.

Die Technik des Visualisierens kann prinzipiell für alle Lebensbereiche genutzt werden. Häufig wird es als Instrument zur Leistungssteigerung im Sport eingesetzt, sowohl im Wettkampf als auch im Training. Hier kann man gewissermaßen positive Vorstellungsbilder, die den Sportler beim Erreichen seines Zieles unterstützen, mental „programmieren“.

Schritte zum Ziel

Wenn das Ziel bereits klar definiert ist, gibt es eine weitere Methode, um ein Ziel einfach und schnell zu erreichen. Hierfür nimmt man zunächst zwei Blätter Papier und schreibt je auf eines „Heute“ und auf eines „Ziel“. Diese Blätter legt man anschließend auf den Boden.

Es gilt dann, die Entfernung von „Heute“ bis zum „Ziel“ zu überwinden. Hierfür überlegt man sich, welche Schritte man unternimmt, um das Ziel zu erreichen. Dazu fügt man so viele Teilziele oder zielführende Aktivitäten als weitere Papierstücke zwischen „Start“ und „Ziel“ ein, bis das Ziel erreicht werden kann.

Die Teilziele werden auch auf den Boden gelegt, sodass man sehen kann, welche Schritte in welcher Reihenfolge zum Ziel führen können. Ergo: Kleine Zwischenziele führen zu dem einen großen Ziel.


Tipps und Techniken zum Mentaltraining

Selbstregulation

Positive Selbstgespräche: Forscher der Universität Kent empfehlen, sich während der Belastung einfache positive Sätze zu sagen, zum Beispiel: „Ich kann das“ oder „tief, sehr tief atmen, ruhig und gleichmäßig pedalieren“.

Körperwahrnehmung

Um diese zu verbessern, kann man etwa regelmäßig morgens nach dem Aufwachen seine gefühlte Ruheherzfrequenz mit der gemessenen vergleichen. Visualisierung: Durch das Vorstellen von Bewegungen kann man diese, durch mentales Training, erlernen. Manche Mentaltrainer arbeiten zudem bei ihren Sportlern mit „Erfolgsfilmen“. Diese stellen sich die Sportler vor ihrem geistigen Auge selbst zusammen: 30 bis 60 Sekunden Erinnerungen an erfolgreiche Sportmomente.

Konzentrationsübung

Hierfür empfehlen sich „mentale Intervalle“, in denen man sich je eine Minute lang auf seine Atmung und danach auf seinen Tritt fokussiert. Zwischen den Konzentrationsphasen sollten, wie bei jedem Intervall, Pausen liegen. Entspannungsverfahren sind etwa: Massage, Tai-Chi, autogenes Training, Meditation, progressive Muskelentspannung. Selbstgesprächsregulation: Das Ziel ist die Kontrolle des Gedankenflusses in entscheidenden Situationen. Gemeint ist damit ein lang anhaltender stummer Monolog mit sich selbst. Um ein gedankliches Abdriften zu vermeiden, setzen Athleten Gedankenstopp-Techniken ein, zum Beispiel: „Wenn ein nicht hilfreicher Gedanke kommt, blicke ich auf die Wattwerte auf meinem Powermeter.“

Selbstwirksamkeit

Es existieren mehrere Trainingsformen, mit denen diese gesteigert werden kann. Sie alle haben gemein, dass der Athlet im Training eine Wettkampfsituation simuliert. Er steckt sich ein realistisches Ziel, an dem er auch scheitern kann. Ein Scheitern muss Konsequenzen haben. Die Aufgabe ist nicht wiederholbar.

Mentales Training

Davon spricht man, wenn Bewegungen beziehungsweise Handlungen planmäßig wiederholt und bewusst kognitiv simuliert werden, ohne sie durchzuführen. Die fünf Schritte des mentalen Trainings nach Eberspächer lauten: Instruktion, beschreiben, visualisieren, Knotenpunkte beschreiben, Knotenpunkte symbolisch nacheinander durchgehen.

Aktivierung

Hier ein beispielhaftes Vorgehen vor einem Rennen oder Zeitfahren: Atemübungen und positive Selbstgespräche, aktivierende Musik während des Warmfahrens, zum Beispiel durch eine hohe Zahl der Beats pro Minute. Im Rennen: kurze Selbstgespräche oder Trigger-Sätze, um die Konzentration und Aktivierung in den entscheidenden Phasen aufrechtzuerhalten.

Flow

Voraussetzung ist vor allem ein vernünftiger Wechsel zwischen Belastung und Entspannung. Eine leichte Aktivierung – etwa durch Bewegung – ist vonnöten. Denn im Flow-Zustand werden leicht erhöhte Cortisol-Level gemessen. Sympathikus und Parasympathikus sind gleichzeitig aktiviert, was uns dabei hilft, die goldene Mitte zwischen Anspannung und Relaxtheit zu erreichen.

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