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Nils van der Poel: Eisschnelllauf-Olympiasieger und sein Rennrad-Training

Trainingsblöcke

Nils van der Poel: Eisschnelllauf-Olympiasieger und sein Rennrad-Training

Er fährt 30 Stunden pro Woche Rennrad – und macht zwei Tage „frei“: Der Eisschnelllauf-Olympiasieger und Weltrekordler Nils van der Poel trainiert ungewöhnlich. Und transparent. Einblicke in sein Trainingstagebuch der vergangenen drei Jahre.
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48 km/h ist seine Durchschnittsgeschwindigkeit – eine, mit der er sich den Weltrekord holt. 12:30.74 Minuten braucht er für 10.000 Meter. Auf Eis. Er gewinnt damit Olympisches Gold, mit fast 14 Sekunden Vorsprung auf den Zweiten. Eine Welt.

Die Eisschnelllauf-Wettkämpfe der Winterspiele von Tokio waren der Höhe- und der Endpunkt seines dreijährigen Trainingsprogramms. Eines Programms, das er jetzt – inklusive aller Trainingspläne – veröffentlichte. In einem 62-seitigen Bericht, der fast schon ein Buch ist. Der Grund für diese Transparenz lautet, wie er schreibt: „Ich wünsche mir auch, dass sich der Sport weiterentwickelt und dass meine Rekorde gebrochen werden. Ich werde nicht derjenige sein, der schneller als 6.00 beziehungsweise 12.30 Minuten läuft, aber vielleicht tut das jemand anderes. Für diejenigen, die das wollen, habe ich dieses Dokument geschrieben. Es ist im Grunde eine Zusammenfassung meines Trainings vom Mai 2019 bis zum Februar 2022.“ Es ist: ein Geschenk.

Formaufbau

Nils van der Poel ist kein „gewöhnlicher“ Profi-Athlet. Er ist anders, er redet anders, er trainiert anders, er lebt anders. Nach den Winterspielen 2018 beendete er seine Eisschnelllauf-Karriere zum ersten Mal, und ging zum Militär. Denn: Er hatte den Spaß an seinem Sport verloren. Das Training war ihm zu monoton. So monoton, dass es ihn, wie er sagte, „ankackte“. Für ein komplettes Jahr absolvierte er keinerlei spezifische Trainingseinheiten und betrat keine Eisfläche.

Im Mai 2019 startete er einen Neubeginn. An dessen Ende, im Februar 2022, erreichte er alles, was er erreichen konnte. Und mehr. Er war in seiner eigenen Liga. Und verkündete danach sein endgültiges Karriereende als Eisschnellläufer zum Jahresende 2022. Was danach kommt?

Nils van der Poel und Jumbo-Visma

Im März berichteten mehrere Medien über das Interesse der WorldTour-Teams Jumbo-Visma und EF Education First an dem Schweden. Sollte er Radprofi werden, müsste er sein Training wohl nur wenig umstellen. Denn: Der Eisschnelllauf-Olympiasieger über 5000 und 10.000 Meter trainiert während weiter Phasen des Jahres rund 30 Stunden pro Woche auf dem Rennrad. Diesem Trainingsprofil nach zu urteilen, absolviert er 98 Prozent seiner Gesamt-Trainingszeit auf dem Rad.

Jumbo-Visma, Nils van der Poel, Radsport

Wechselt Nils van der Poel vom Eisschnelllauf zum Radsport ins Team Jumbo-Visma?

Diese, und sehr viel mehr Zahlen und Fakten, sind in seinem Werk nachzulesen. Dessen Titel: „How to skate a 10k, and also a half 10k“ – Wie man einen Zehn-Kilometer-Lauf eisschnellläuft, und zudem noch einen halben. „Mein Trainingsprogramm ist sehr, sehr einfach, nichts Spezielles – aber mitunter brutal hart“, schreibt er. „Ich machte nur, was ich begriff. Ich kaufte dafür kein teures Equipment, denn Eisschnelllaufen besteht für mich schlicht aus einer einbeinigen Kniebeuge, die man immer und immer mit einer fast maximalen Herzfrequenz durchführt.“

Das Tagebuch, wie auch sein Trainingsprozess, begann im Mai 2019. Nils van der Poel war zu diesem Zeitpunkt, wie er sagt, „wie jeder andere junge Soldat. Ich war okay im Fitnessstudio, machte Kniebeugen mit 125 Kilogramm und konnte zehn Kilometer in 40 Minuten laufen.“ Auf diesem Fitnesslevel begann er seinen Weg – mit zwei Olympischen Gold-Medaillen endete er 32 Monate später, im Februar 2022. Es war ein extremer Weg. Ein Weg, der extrem anders war als das, was man von einem Profisportler, vor allem einem Olympiasieger, erwartet hätte.

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Nils van der Poel mit seinen zwei Olympischen Goldmedaillen

Ausdauer und Kraft

Noch ungewöhnlicher ist wohl nur die Transparenz, mit der Van der Poel sein Trainingsprogramm für jeden zugänglich macht. Er schildert seine Philosophie, seine Trainingsumfänge, die Intensitäten – und vieles mehr. Er schreibt: „Viele Profiathleten sagen, dass sie, weil sie Profis sind, so viel trainieren können, wie sie wollen – und bauen deshalb auch Krafttraining, Dehnübungen, Trainingswettbewerbe, Koordinationsübungen und noch mehr in ihr Alltags-Training ein.

Aber: Alle Trainingseinheiten werden auf Kosten anderer, effizienterer Einheiten – oder auf Kosten der Erholung nach diesen Einheiten – durchgeführt. Ja, der Kraftraum ist warm und schön, überall gibt es Spiegel, damit du dein hübsches Gesicht und deine attraktiven Muskeln sehen kannst. Aber um sich dem Weltrekord zu nähern, ist es wahrscheinlicher, dass man dem eher dadurch näherkommt, seine anaerobe Schwelle auf dem Rad um 50 Watt zu erhöhen, als sich bei der freien Kniebeuge mit der Hantel auf der Schulter um 50 Kilogramm zu steigern. Aber wenn ich zurückblicke, wären wohl fünf Minuten Core-Training und Stretching pro Woche klug gewesen, zumindest zur Verletzungs-Prophylaxe. Ich habe fast immer nach einem 5-2-Tage-Trainingsprogramm trainiert: fünf Tage Training, dann zwei Tage Pause. Meine Ruhetage waren normalerweise an den Wochenenden. Auf diese Weise konnte ich normal leben und mit meinen Freunden etwas unternehmen. Normalerweise habe ich an den Ruhetagen überhaupt nicht trainiert. Ich ruhte sowohl meinen Geist als auch meinen Körper aus. Aber wenn meine Freunde Ski fahren oder wandern gehen wollten, ging ich mit ihnen.

Aerobe Saison, Schwellen, spezifische Saison

Mein Jahres-Trainingsprogramm war in drei große Phasen und eine kleine Zusatz-Saison unterteilt: Erst kam die „aerobe Saison“, dann die „Schwellen“- und dann die „spezifische Saison“. Danach folgte die kurze „aerobe Saison 2.0“. Mein Ziel war es, während des Sommers 2021 wöchentlich 33 Stunden Rad zu fahren. Meist in Form von drei Sieben-Stunden- und zwei Sechs-Stunden-Fahrten.

Um etwas Abwechslung reinzubekommen, startete ich bei ein paar Langdistanz-Wettkämpfen. Zum Beispiel: bei einem 100-Kilometer-Lauf, einem 280-Kilometer-Extremlauf über fünf Tage oder einer 600-Kilometer-Nonstop-Radfahrt.

Auf dem Rennrad fuhr ich anfangs mit durchschnittlich rund 200 Watt und kam dann schnell auf 250 Watt. Diesen Bereich behielt ich bei. Manchmal fuhr ich auch härter, aber 250 Watt über sechs bis sieben Stunden genügte normalerweise als Herausforderung.

Die aerobe Saison war für mich die entspannteste Zeit. Ich trainierte zwar am längsten, aber am wenigsten intensiv. Deshalb lebte ich außerhalb des Trainings freier – sofern ich die Energie dazu hatte. Wenn ich zum Beispiel von Donnerstag bis Sonntag eine kleine Reise mit meinen Freunden machen wollte, habe ich eben an den vier Wochentagen davor insgesamt 30 Stunden trainiert. Vier Tage Training, vier Tage frei. Das war nur während dieser besonderen Phase möglich.

Olympiasieger, Nils van der Poel, Training

Wie trainiert Olympiasieger Nils van der Poel?

Schwellensaison: Intervalle

Ich habe die Schwellensaison im August begonnen. Ihre Dauer: rund zehn Wochen. Während dieser Phase habe ich den Trainingsumfang auf 25 Stunden pro Woche reduziert – und versucht, so viele dieser Stunden wie möglich an der Schwelle zu absolvieren. Dabei habe ich die Intensität anfangs recht niedrig angesetzt und mich dann nach und nach gesteigert. Ich begann die Schwellensaison mit Einheiten wie: sechs mal acht Minuten, mehrmals pro Woche. Diese Belastung habe ich so schnell wie möglich gesteigert – auf acht Stunden pro Woche mit Einheiten wie viermal 30 Minuten und sechsmal 15 Minuten.

Ich habe auch ein paar Mal versucht, mehr als acht Stunden pro Woche so intensiv zu trainieren, aber das ging jedes Mal nach hinten los. Meist habe ich im Laktatbereich von etwas unterhalb vier Millimol pro Liter trainiert. Mit dem Ziel, das Gesamtschwellenvolumen zu erhöhen. Heute glaube ich, dass ich mit einer etwas höheren Intensität von genau vier Millimol mit einer etwas geringeren Trainingszeit dasselbe hätte erreichen können. Vielleicht wäre das sogar effizienter gewesen.

Meine Schwellen-Einheiten habe ich auf dem Rennrad absolviert – weil es dem Eisschnelllauf ähnelt und wegen der einfachen Leistungs-Messung in Watt. Ich habe meist zu Beginn der Woche noch nicht alles gegeben, sondern wollte bis zum Freitag meine Motivation, und meine Leistungsfähigkeit, hochhalten. Um zu wissen, wie hart zu hart ist, musste ich natürlich ein paar Mal meine Grenzen austesten. Mein Ziel für diese Rennrad-Schwellen-Trainingssätze lag bei 390 bis 420 Watt. Wenn ich nicht in der Lage war, meine normalen Wattzahlen zu halten – wenn meine Leistung um mehr als mehr als drei Prozent geringer als normal war –, entschied ich mich oft dafür, das Training abzubrechen und zwei Tage Pause zu machen. Ich habe so hart trainiert, dass ich mich damit abgefunden habe, meinem Körper Ruhe zu gönnen, wenn er es verlangte.

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Einheiten, Intensität, Intervalle

Leistungsfähigkeit halten

Um meine Wattzahlen im Verlauf einer normalen Trainingswoche zu halten, habe ich die Trainingszeit an der Schwelle von Tag zu Tag etwas verkürzt. Zudem absolvierte ich auch die Grundlagenfahrten weniger intensiv, mit nur noch rund 220 Watt. Das Ziel während dieser Phase war, so viel Zeit und Energie wie irgend möglich in das Training an der Schwelle zu investieren. Auf diese Phase folgte: die spezifische Saison. Ergo: die Zeit der Wettkämpfe auf dem Eis.

Zwischen den Eisschnelllauf-Rennen ging es vor allem darum, die Leistungsfähigkeit zu erhalten und möglichst schnell und optimal zu regenerieren. Während der Ausdauer-Saison habe ich wie wohl jeder andere 25-Jährige öfter mal ein paar Bier getrunken, aber als die Intensität der Einheiten zunahm, nahm auch mein Alkoholkonsum ab. Denn: Wenn ich viel trinke, schlafe ich zu wenig. Ich empfand einen guten ausreichend langen Schlaf auch im Winter als wichtiger als das Alkoholtrinken.

Aber: Ab und zu ist aus meiner Sicht eine Party nötig, um mental etwas abzuschalten und den Kopf wieder freizubekommen. Die größte Herausforderung meines ganzen Trainingsprogramms war es, immer weiter machen zu wollen. Immer und immer wieder Lust zu haben, zu trainieren. Für mich ist klar: Motivation ist der Schlüssel. Wenn mich etwas motiviert, stufe ich es mental als gut ein. Manchmal brauchte es dafür zwischendurch mal ein Bier. Oder acht Bier.“

Dieser Artikel erschien in der RennRad 9/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Nils van der Poel: Der Athlet

Der Eisschnellläufer Nils van der Poel ist nicht mit dem niederländischen Radprofi Mathieu van der Poel verwandt. Der Schwede hat jedoch niederländische Wurzeln. Van der Poel war in seiner Jugend bereits erfolgreicher Eisschnellläufer.

2015, mit 19 Jahren, wandte er sich erstmals vom Sport ab, da er in dem „stupiden täglichen Training“ keinen Sinn mehr sah. Nach einem Jahr Pause, in dem er verschiedene Ausdauersportarten ausprobierte, kehrte er zurück.

2018 pausierte er erneut und wurde vom schwedischen Biathlon- und Langlauftrainer Wolfgang Pichler zur Rückkehr bewegt. Bei den Weltmeisterschaften in Heerenveen 2021 gewann er die Goldmedaillen über 5000 und über 10.000 Meter. Bei den Olympischen Spielen gewann er über diese beiden Distanzen ebenfalls Gold und verbesserte den Weltrekord über 10.000 Meter und den Olympischen Rekord über 5000 Meter. Nun will er seine Karriere auf dem Eis beenden – und könnte Profiradsportler werden.

Abwechslungsreiche, effiziente und nicht „stupide“ Trainingspläne mit verschiedenen Zeitaufwänden finden Sie in jeder RennRad-Ausgabe und gesammelt in unserem digitalen Trainingsspezial.


Alternativ-Training

Ausdauer und Kraft, Grundlage und Intervalle – draußen, drinnen, Rennrad, Mountainbike, Cyclocrosser, Joggen, Schwimmen, Skitouren, Fitnessstudio: All dies gilt es, miteinander zu verbinden und zu kombinieren.

Inzwischen haben viele Studien gezeigt, dass auch Phasen intensiven Krafttrainings die Ausdauerleistung nicht negativ beeinflussen müssen.

So etwa eine aktuelle Studie norwegischer Forscher: Die Probanden, gut trainierte Radsportler, zeigten nach einem elfwöchigen zusätzlichen Kraftprogramm – je dreimal vier bis zehn Wiederholungen pro Übung – keine Veränderung in ihrer maximalen Leistung, die anhand von 40-minütigen „All-out-Tests“ verglichen wurde. Zweimal pro Woche ging es für je 30 bis 40 Minuten in den Kraftraum – absolviert wurden unter anderem Übungen an der Beinpresse und freie Kniebeugen.

Die Probanden verbesserten ihre maximale Sauerstoffaufnahme, steigerten die Muskelmasse – und nahmen dennoch nicht signifikant an Gewicht zu.

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