Wout van Aert, Tour de France, Grünes Trikot
Wout van Aert: Der wohl kompletteste Fahrer seiner Generation

Mehr als Grün

Wout van Aert: Der wohl kompletteste Fahrer seiner Generation

Er gewinnt Massensprints, Zeitfahren und Bergetappen: Wout van Aert ist einer der erfolgreichsten Fahrer der Gegenwart – und einer der vielseitigsten.
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Gelb, weiß, grün – die Fahrer in diesen drei Trikots sind noch vorne. Im Finale dieser 18. Etappe der Tour de France – am Anstieg zur Skistation Hautacam in den Pyrenäen. Die ersten beiden der Gesamtwertung duellieren sich. Vor ihnen fährt der Träger des Grünen Trikots – der beste Sprinter der Tour: Wout van Aert. Er beschleunigt. Es ist ein Maximal-Sprint im Hochgebirge. Der Mann im Weißen Trikot, der zweimalige Tour-de-France-Sieger Tadej Pogačar, kann nicht mehr mitgehen. Es ist der Moment der Entscheidung. Wout van Aert schert aus. Und Jonas Vingegaard, der Fahrer in Gelb, zieht durch. Bis ins Ziel. Er macht aus weniger als zweieinhalb 3:26 Minuten Vorsprung. Mehr als Pogačar im kommenden Zeitfahren je aufholen kann.

Ein Sprinter sorgt für die Vorentscheidung der Tour? Klar ist: Wout van Aert ist sehr viel mehr als ein Sprinter. Er ist der wohl kompletteste Fahrer seiner Generation. Und er war mit der dominierende Profi dieser Tour de France. Er war während jeder Etappe präsent – mal als Helfer für seinen Kapitän Jonas Vingegaard, mal als Sprinter, mal als Ausreißer, mal als Zeitfahrer, mal als Bergfahrer. Sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten der Sprintwertung: fast 200 Punkte. Eine Welt.

Quasi nebenbei fuhr er in der Bergwertung noch auf Rang fünf. Obwohl er nicht die typische Statur eines Bergspezialisten hat: Wout van Aert ist 1,90 Meter groß und wiegt rund 78 Kilogramm.

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Wout van Aert und das Grüne Trikot

Schon im Auftaktzeitfahren in Kopenhagen zeigte er seine Form: Er wurde hinter seinem Landsmann Yves Lampaert Zweiter. Schon am nächsten Tag holte er sich das Gelbe Trikot – durch seinen zweiten Platz im Massensprint hinter Fabio Jakobsen. Die dritte Etappe endete: mit seinem dritten zweiten Platz. Wieder im Sprint. Am vierten Tour-Tag war es dann so weit: In Calais holte sich der 28-Jährige seinen bis dahin siebten Tour-Etappensieg.

Zwei Tage später verlor er zwar das Gelbe Trikot an Tadej Pogačar, übernahm dafür aber das Trikot, das er sich vor der Tour als Ziel gesetzt hatte: das des besten Sprinters. Er behielt es bis zum Schluss – und feierte in Grün zwei weitere Etappensiege. In Paris hatte er 480 Punkte gesammelt. 194 Punkte mehr als der zweitplatzierte Belgier Jasper Philipsen.

Wout van Aert: Erfolge und Konkurrenzkampf

Seine enorme Vielseitigkeit bewies er schon im Vorjahr – indem er drei extrem unterschiedliche Tour-Etappen gewann: eine Berg­etappe über den Mont Ventoux nach Malaucène, das Zeitfahren von Saint-Émilion und den Massensprint der Schlussetappe in Paris. Dennoch reichte es im vergangenen Jahr nicht für das Grüne Trikot. Das gewann der Brite Mark Cavendish.

Nun, ein Jahr später, nach drei weiteren grandiosen Etappensiegen, ist er am Ziel. „Ich bin sehr stolz, dass ich das Grüne nach Paris tragen durfte. Ich habe schon einige Grüne Trikots gewonnen, aber das der Tour ist etwas ganz Besonderes“, sagte er im Ziel in Paris. Eine Überraschung war seine starke Tour de France 2022 nicht. Er begann die Saison bereits mit einem Sieg beim Omloop Het Volk Ende Februar.

Es folgten ein Etappensieg bei Paris-Nizza und der Gewinn des Grünen Trikots sowie der Sieg beim E3-Preis. Aufgrund einer Corona-Infektion verpasste er zwar die Flandern-Rundfahrt und das Amstel Gold Race, fuhr aber kurz darauf bei Paris-Roubaix schon wieder auf Platz zwei und auf Rang drei bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Es folgten: zwei Etappensiege beim Critérium du Dauphiné und der Gewinn des Grünen Trikots.

Konkurrenzkampf mit Mathieu van der Poel

Wout van Aerts Karriere ist geprägt von Erfolgen – und dem Konkurrenzkampf mit dem Niederländer Mathieu van der Poel. Beide duellieren sich seit den Nachwuchsklassen. Erst im Cyclocross, dann auf der Straße. In den vergangenen zehn Jahren standen sie siebenmal gemeinsam auf dem Podium. Zwischen 2012 und 2021 gewann Van Aert insgesamt vier Cross-WM-Titel, war viermal Zweiter und einmal Dritter. Van der Poel wurde insgesamt sechsmal Weltmeister, einmal Zweiter und zweimal Dritter. „Van der Poel ist der Gegner, den ich stets am meisten fürchtete“, sagt Van Aert.

Geboren und aufgewachsen ist er in Herentals, einer knapp 30.000 Einwohner zählenden Stadt im Herzen Flanderns. Hier lebt er heute noch gemeinsam mit seiner Frau Sarah und dem 2021 geborenen Sohn Georges. Auch der zweifache Weltmeister und Gewinner fast aller Klassiker Rik van Looy lebt in Herentals.

Bei der Zahl der Tour-Etappensiege aber hat Van Aert seinen Landsmann bereits überholt: Van Looy gewann sieben, Van Aert bereits neun Etappen. Dabei war seine Karriere nach einem schweren Sturz während der Tour de France 2019 schon fast vorbei: Bei der Operation übersahen die Chirurgen eine gerissene Sehne und verschlimmerten die Verletzung. Das Karriereende drohte. Doch Wout van Aert kam danach stärker zurück. Und verbessert sich weiterhin von Jahr zu Jahr.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 10/2022. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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