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Durch Franken: 432 Kilometer, 10.009 Höhenmeter

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#franken9000 – ein extremer Selbstversuch. 432 Kilometer, 10.009 Höhenmeter nonstop. Die Reportage.
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So nah und doch so anders: natürlich, ruhig und extrem hügelig. Die Fränkische Schweiz bietet extrem viel – für Wanderer, Mountainbiker, Kletterer, Gravel- und Rennradfahrer. Wolfgang Voit und Peter Renner führten hier einen extremen Selbstversuch durch: 432 Kilometer, 10.009 Höhenmeter – nonstop. Die Reportage.

Sie gehen aus dem Sattel, zum hundertsten Mal heute, und kämpfen gegen die Schwerkraft – um genau zu sein: gegen die 20 Prozent Steigung, die die schmale Straße, auf der sie sich bergan wuchten, ihnen gerade in den Weg stellt. Dies ist die 14. Stunde ihrer Fahrt. Dies ist der, gefühlt, hundertste Hügel.

Es ist kurz vor 19 Uhr. Von Süden wälzen sich dunkle Wolken heran. Sie bringen Regen. Schon wieder. Wolfgang Voit und Peter Renner fahren bergauf. Wie so oft seit sie in Kalchreuth losfuhren, um 5:30 Uhr morgens. Sie haben längst aufgehört, die kurzen steilen Hügel zu zählen, die sie schon hinter sich haben. Jener, an dem sie gerade fahren, beginnt in der kleinen Ortschaft Weihersberg: der Moritzberg. Es ist einer der „Hausberge“ Nürnbergs. Renner und Voit kennen diesen Anstieg – wie fast alle Berge der Region – und wissen, was ihnen noch bevorsteht: eine Wand. Und insgesamt 2,5 Kilometer. Die steilsten Stellen kommen erst am Ende. Vor ihnen leuchtet ein neongelber Smiley, den irgendwer vor Jahren auf den Asphalt gesprayt hat, und signalisiert: Finale. Es wird steil und steiler.

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Peter Renner und Wolfgang Voit bei ihrer Extrem-Tour #franken9000 in Franken.

Steil & steiler

Bei 18, 19, 20 Prozent Steigung werden sie immer langsamer. Jeder Meter muss erkämpft werden. Irgendwann sind sie oben: Dies ist noch nicht das Finale ihrer Tour. Sie haben noch mehr als ein Viertel der Strecke vor sich – und rund 300 Kilometer mit 7000 Höhenmetern hinter sich. Hier und heute erleben sie ihren längsten Tag des Jahres. Es ist ein selbstauferlegtes Schicksal – eine Heimat-Tour extrem, ein Austesten des Möglichen, ein Erfahren der Natur. Abfahrt. Noch bevor sie unten ankommen, beginnt es zu regnen. Wie so oft während dieser Tour. Was sie noch von ihrem Ziel trennt: rund 100 Kilometer und mehr als 2000 Höhenmeter.

Heute erleben die beiden ihre Heimat und ihre Trainingsstrecken noch einmal anders als sonst. Vor allem: intensiver. Dutzende Täler durchschneiden die nördliche Frankenalb zwischen Erlangen, Forchheim und Bamberg. Die Landschaft: Flüsse, Felder, Wiesen, Grün und Grau – und Hügel. Viele Hügel. Immer wieder ragen schroffe hellgraue Felswände aus den dunkelgrünen Wäldern. Immer wieder sieht man vom Wasser zerfressene Kalkfelsen. Die Straßen, die durch diese Landschaft und die zerstreut in ihr liegenden Dörfer führen, sind fast immer schmal und nur wenig befahren. Nach jeder Biegung, nach jedem Hügel verändert sich die Szenerie. In einem Tal zwängt sich ein kleiner Bach rauschend am Wasserrad einer alten Mühle vorbei, in einem anderen – in Tüchersfeld – ragen mitten im Ort schmale hohe Felstürme zwischen den Häusern gen Himmel. Wieder ein paar Kilometer weiter thront eine Burg auf einer steilen Anhöhe. Burgen, oder zumindest Ruinen, sieht man in dieser Ecke Bayerns zuhauf.

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Statt der geplanten 9000 Höhenmeter wurden es am Ende mehr als 10.000 Höhenmeter.

Routen & Höhenmeter

Berge, Felsen, Anhöhen – dies macht diesen Teil Frankens aus. Und steht für ihren legendären Ruf unter Kletterern. Legenden dieses Sports wie Wolfgang Güllich und Kurt Albert haben an den Felsen des Frankenjuras trainiert und unvergessene Leistungen erbracht. Rund 12.000 Routen in allen Schwierigkeitsgraden machen die „Fränkische“, wie die Gegend genannt wird, zum wichtigsten deutschen Sportklettergebiet. Überhaupt haben die Menschen in der Fränkischen Schweiz eine besondere Beziehung zu ihren „Bergen“. Dem 540 Meter hohen Entenberg bei Leinburg hat man nicht nur ein kleines Skigebiet spendiert, sondern – wie einem echten Alpenpass – sogar eine Schranke, um den „Pass“ im Winter sperren zu können. Zu den vielen, auch und gerade unter Radfahrern, berühmten Anstiegen der Region zählen etwa das 513 Meter hohe Walberla, „das Tor zur Fränkischen“, und der 90 Meter höhere Moritzberg, auf dessen Gipfel ein Aussichtsturm, ein Kirchlein und ein Biergarten stehen.

Fast alle Hügel der Region innerhalb einer Tour zu bezwingen – dies war die eine Idee hinter der Extrem-Fahrt des Wolfgang Voit und des Peter Renner. Das Projekt „Franken 9000“ wird beweisen, dass die „Fränkische“ ihren Beinamen „Schweiz“ verdient hat. Mehr Höhenmeter als bei einem „Everesting“, ergo einer Fahrt, bei der man – in der Regel an nur einem Anstieg – 8848 vertikale Meter sammelt und rund doppelt so viele wie die Strecke des legendären Ötztaler-Alpen-Radmarathons den Startern in den Weg stellt, während einer Fahrt, fast nonstop, an Dutzenden verschiedenen Anstiegen: Aus all diesen Ideen wurde diese Tour. Aus all diesen Ideen wurde die Challenge #franken9000.

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Mit einer Ausnahme wurde kein Wegabschnitt doppelt gefahren, auch kreuzte sich die Strecke nicht.

Beide Fahrer kennen die Region, seit sie vor mehr als 20 Jahren mit dem Radsport begonnen haben. Tausende Kilometer sind sie hier gefahren. Doch noch nie war eine ihrer Heimattouren auch nur annähernd so extrem. Und: Die Tour sollte mehr sein als ein stupides Höhenmeter-Sammeln. Sie sollte landschaftlich schön, wenig befahren und extrem abwechslungsreich sein. Sie sollte vieles von dem zeigen, für das die Region steht – das „Best of Fränkische Schweiz“. Die weiteren Strecken-Parameter für das Projekt: viele Höhenmeter, keine Kreuzungspunkte und kein doppelt gefahrener Meter. „Mit einer Ausnahme“, sagt Wolfgang Voit, „denn der Moritzberg ist eine Sackgasse, da geht es nicht anders: Man muss auf derselben Straße wieder hinunter. Aber das ist in der Region der Anstieg schlechthin und der darf deshalb aus ästhetischen Gründen aus dem Konzept ausbrechen.“

„Die Planung: rund 9000 Höhenmeter – mehr als ein Everesting. Die Realität: mehr als 10.000 Höhenmeter – fast doppelt soviel wie die Strecke des legendären Ötztaler Radmarathons aufweist.“

Nacht & Erschöpfung

Inzwischen ist es dunkel geworden. Peter Renner und Wolfgang Voit haben die Akkulampen an ihren Rennrädern eingeschaltet. Ihre schmalen Lichtkegel erhellen ein paar Meter des schmalen schwarzen Asphaltbands vor ihnen. Das Finale, das Ende der Tour, ist nahe. Doch eine Hürde wartet noch auf sie. In dem Dörfchen Kirchensittenbach beginnt er: der Stöppacher Berg. Voit und Renner passieren das Straßenschild, das ankündigt, was da kommt: eine Distanz von rund einem Kilometer – mit bis zu 22 Prozent Steigung. Sie handeln fast schon automatisch: schalten, aus dem Sattel gehen, am Lenker und den Pedalen ziehen, wuchten, nicht nachlassen. Jeder fährt sein Tempo. Oben wird gewartet. Halten, Absteigen, einen Riegel essen, Jacke anziehen. Abfahrt.

„Solche Hügel, solche Abfahrten, solche 14-, 16-, 18-, 20-Prozent-Rampen in einer solchen Dichte fahren zu können, macht diese Gegend hier mit aus“, sagt Wolfgang Voit. „Das ist schon etwas Besonderes.“ Hügel, Rampen, Sonne, Kälte, Wind, stundenlanger Regen – all dies erleben sie während einer Tour. All dies zehrt. An der Kraft. Am Körper. Am Geist.

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Bereits um 5.30 Uhr starteten Peter Renner und Wolfgang Voit zur 18,5 Stunden langen Fahrt.

Die enorme Distanz ist nicht das größte Problem der beiden. Dies ist nicht ihre erste gemeinsame Extrem-Tour. 2020 führen sie – spontan – zusammen von Nürnberg aus ins Karwendel und wieder zurück. Die Daten der Fahrt: 621 Kilometer, 4800 Höhenmeter, nonstop. Was sie bei #franken9000 an ihre Grenzen führt, ist die Topographie: Ihre Strecke ist fast nie länger als wenige Kilometer flach. Auf auf folgt ab, auf Hügel folgt Hügel folgt Rampe folgt Wand. Die oft „nur“ 100, 150 oder 200 Vertikalmeter verteilen sich meist auf Distanzen von einem bis zwei, selten mehr Kilometern. Was bedeutet: Die Anstiege sind meist steil – und selten gleichmäßig. Sie sind Rhythmusbrecher. Trittfrequenz, Tempo, Wattwerte – alles variiert. Fast immer.

Leistung & Rhythmus

„Anders als bei einem langen Alpenpass, der mit einer relativ konstanten Steigung bergauf führt, kann ich hier eben nicht im Sweetspot-Bereich fahren. In der Fränkischen muss man an oder sogar über die Schwelle gehen. Nicht einmal, sondern wieder und wieder und wieder.“ Dieses extrem unrhythmische Fahren führt zu zahlreichen Leistungsspitzen und dazu, dass die beiden immer wieder über ihren persönlichen Schwellenwert, der bei einer Leistungsdiagnostik in der sportmedizinischen Praxis iQ-Move in Erlangen wenige Tage vor dem Start der Tour ermittelt wurde, gehen müssen. Auch die Abfahrten sind fordernd. Um sich bergab auszuruhen, sind sie meist zu kurz, zu kurvig und – da die Strecke oft auf kleinen Sträßchen durch Laubwälder führt – sie verlangen zu viel Aufmerksamkeit und Steuerarbeit. Das Rad laufenlassen, durchschnaufen, sich für die nächste Rampe sammeln, ist kaum möglich.

Seit mehr als 20 Stunden sind sie bereits unterwegs. Bald sind sie am Ziel. Nur noch ein paar Dutzend Kilometer und eine Handvoll Anstiege trennen sie davon. Am Ortsschild von Kalchreuth blickt Peter Renner nach unten, auf das Display seines Radcomputers und sieht: die Zahl 9930. Sie haben mehr Höhenmeter absolviert, als sie planten. Noch ein Hügel, noch 70 vertikale Meter und sie sind „vierstellig“. Es dauert keine halbe Sekunde, bis beiden klar ist: „Die 10.000 packen wir auch noch.“ Zwei Zusatzschleifen und eine halbe Stunde später sind sie da. In Kalchreuth. Am Ziel. Am Ende des längsten Tages ihres Jahres. Am Ende eines Erlebnisses, das in ihre und ihre Familiengeschichte eingehen wird. Am Ende einer Tour der Extreme – zwischen Kälte und Hitze, Nässe und Trockenheit, Hunger und Völle, Wille und Vernunft. //

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Mehr als 11.000 Kalorien verbrauchte Wolfgang Voit während der Fahrt.

#franken9000 – Daten der Extrem-Tour

432 Kilometer
10.009 Höhenmeter
18:26 Stunden
23,4 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit
Zum Link zu den GPS-Daten im Strava-Post

[Eine ausführliche Analyse der Leistungsdaten der Extrem-Tour #franken9000 finden Sie im Artikel, der in einer der kommenden RennRad-Magazin-Ausgaben veröffentlicht wird.]

#Franken9000: Das Video von Tom Meyer

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Die Region

Dank der speziellen Topografie hat die nördliche Frankenalb für alle Leistungsklassen ein enormes Tourenpotential. Und: Die Landschaft ist nicht nur natürlich und fordernd, sondern auch telegen. Das dachten sich wohl auch die Organisatoren der Deutschland-Tour. Denn: 2021 führten zwei der vier Etappe durch die Region. Von Ilmenau aus startend endete eine Etappe in Erlangen. Von dort aus machten sich die Profis auf zu einer 1800 Höhenmetern umfassenden Tour durch die Fränkische Schweiz bis zum Ziel vor dem Opernhaus von Nürnberg.

„Anspruchsvolle Anstiege, eine großartige Landschaft mit engen, felsigen Tälern, extrem viele Wege, auch wenn man sich die schönen kleinen erst erfahren muss. Und je tiefer man in die Fränkische vordringt, desto ruhiger wird es“, zählt Wolfgang Voit einige Vorteile seines Trainingsreviers auf. Peter Renner sieht das ganz ähnlich. „Viele Ecken, wie das Pegnitz- oder das Trubachtal, sind einfach idyllisch. Es gibt wenig Verkehr und überwiegend sehr gute Straßen, perfekt also zum Rennradfahren. Die kleinen Anstiege haben alle ihren eigenen Charme. Sie sind zwar nicht ewig lang, aber teils richtig steil und man muss nicht weit fahren, um eine unglaubliche Auswahl an Rampen zu haben.“

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Als Einheimische kannten Wolfgang Voit und Peter Renner die Streckenabschnitte der selbstgeplanten #franken9000-Tour bereits.

Die Region in Franken hat zu jeder Jahreszeit ihren ganz eigenen Reiz: Im Frühjahr blühen die Streuobstwiesen, im Sommer locken zahlreiche kleine Brauereien – der Bezirk Oberfranken besitzt die höchste Brauereidichte Deutschlands und der Ort Aufseß hält mit vier Brauereien für rund 1400 Einwohner sogar den Weltrekord in dieser Disziplin – und Gastwirtschaften mit gemütlichen Biergärten. Wenn die Tage länger werden, verbreiten die bunt-verfärbten Mischwälder Indian-Summer-Flair und aufgrund der Höhenlage – über 600 Meter geht es kaum hinauf – muss man selbst im Winter nicht auf sein Hobby verzichten.

Die Stadt Erlangen

Erlangen gilt als eine der besterhaltenen barocken Planstädte Deutschlands. 1974 überschritt sie erstmals die Grenze von 100.000 Einwohnern und wurde damit zur kleinsten Großstadt Bayerns. Hier machen viele Fahrradfahrer auf ihrer Durchreise Station oder verbringen durch die gute Anbindung an Tourismusregionen wie die Fränkische Schweiz und guten Übernachtungsmöglichkeiten gleich ein paar Nächte. Erlangen liegt auch an einem der beliebtesten Radwege Frankens, dem RegnitzRadweg. Er verbindet immer entlang der Regnitz führend die Städteachse Nürnberg – Fürth – Erlangen – Forchheim und Bamberg.

Als städtebauliche Besonderheit gilt in Erlangen die historische Innenstadt als barocke Idealstadtanlage. Die Neustadt wurde ab 1686 für die französisch-reformierten Calvinisten, die als Flüchtlinge nach Erlangen kamen, im rechtwinkligen Rastersystem angelegt. Nach dem Stadtbrand 1706 wurde die Altstadt nach dem Vorbild der barocken Neustadt wieder aufgebaut. Im Herzen der Stadt gibt es dank der damaligen Baumaßnahmen ein Markgrafenschloss mit großem Schlossgarten und Orangerie zu entdecken. Rund um das Schloss bietet die Alt- und Neustadt viele Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten. Gleichzeitig bring auch die Universität mit ihren 20.000 Studenten Leben in die Stadt. Das wirkt sich auch auf die dortige Gastronomie aus, die sich in der Vielfalt an kleinen Cafés und bunt gemischten Restaurants widerspiegelt. Mehr Informationen zur Stadt Erlangen.

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Die Anstiege in Franken sind überwiegend kurz, aber steil.

Erlangen: Anstiege der Region

Zur Burg Feuerstein
Distanz: 5,6 Kilometer
Anstieg: 222 Höhenmeter
Startort: Rüssenbach
Zum Quäldich.de-Profil des Anstieges

Moritzberg
Distanz: 2,2 Kilometer
Anstieg: 225 Höhenmeter
Startort: Unterhaidelbach
Zum Quäldich.de-Profil des Anstieges

Stöppacher Anhöhe
Distanz: 3,8 Kilometer
Anstieg: 214 Höhenmeter
Startort: Aspertshofen
Zum Quäldich.de-Profil des Anstieges

Deckersberg
Distanz: 3 Kilometer
Anstieg: 154 Höhenmeter
Startort: Kruppach
Zum Quäldich.de-Profil des Anstieges

'Franken9000

Franken9000: Der Fotograf Tom Meyer hat die beiden Fahrer den ganzen Tag lang begleitet. Auch das Video stammt von ihm.

 

Top-Touren der Region

Romantische-Täler-Runde
126 Kilometer – 1090 Höhenmeter
Startort: Erlangen
Der Link zu den GPS-Daten

Legenden der Region
140 Kilometer – 1920 Höhenmeter
Startort: Erlangen
Der Link zu den GPS-Daten

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