Erfolg & Kommerz
Kommerzialisierung des Sports: Vergleich zwischen Radsport und Fußball
in Race
Im System Sport sind alle gleich. Alle starten zum selben Zeitpunkt, alle halten sich an dieselben Regeln, alle haben dieselben Chancen zu gewinnen. Eigentlich. Doch der Profi-Sport ist schon lange keine reine „Gegenwelt“ zum Alltag mehr. Das zeigen etliche Zahlen. Zahlen, die für Geldsummen stehen, um die es geht, um Investitionen, Umsätze, Erlöse. Und diese Zahl: 73. 73 Prozent beträgt der Anteil der WorldTour-Radrennen, die zum Saisonbeginn 2023, bis Anfang April, von nur vier Teams gewonnen wurden: UAE Team Emirates, Jumbo-Visma, Alpecin-Deceuninck und Soudal Quick-Step. Vier von 18 Mannschaften holen rund drei Viertel aller großen Siege.
Warum? Ist dies die Manifestation des Radsport-Äquivalents der berühmten Fußball-Weisheit: Geld schießt Tore. Kauft Geld auch Siege? Es scheint so. Genauer gesagt: Es kauft die Fahrer, das Know-How, die Betreuer, die Professionalität, die dafür nötig sind, um zu siegen. „Das größte Budget zu haben, sorgt nicht automatisch für Siege“, sagt Jonathan Vaughters, der Temchef der Equipe EF Education EasyPost. „Wenn du aber deine Siegfahrer dauerhaft bei dir behalten willst, musst du zu den vier oder fünf Top-Teams der Tour zählen.“
Budgets und Siege
So ganz stimmt die Korrelation zwischen Budget und Erfolg jedoch nicht. Denn das Team, dem man das höchste Jahres-Budget nachsagt – Ineos Grenadiers, rund 50 Millionen Euro – holte in der ersten Saisonphase „nur“ 13 Siege. Und liegt damit auf Rang sechs aller Teams.
„Sehen Sie sich erst die Budgets an und dann die Klassements“, sagt Marc Madiot, der Teamchef von Groupama-FDJ. „Diese Teams können sich den Tag, die genaue Zeit und den Ort aussuchen, an dem sie attackieren wollen. Und das tun sie. Bei Groupama-FDJ sind wir bei den Etappenrennen und den Klassikern vorne mit dabei. Aber wir haben nicht gewonnen und wir werden auch nicht gewinnen. Diese Teams können sechs oder sieben Kapitäne bei jedem Rennen haben. Das können wir nicht. Wenn wir nicht damit anfangen, die Budgets zu begrenzen, wird die Situation so bleiben, wie sie ist. Es ist schwierig, die Dinge zu verändern.“
Die jeweiligen Jahres-Budgets sind nicht genau angegeben – aber Schätzungen, die die Etats aller WorldTour-Equipes 2021 betreffen, liegen zwischen acht und 50 Millionen Euro. Bereits 2019 zeigte eine Studie, die von der UCI in Auftrag gegeben wurde, dass die Fans den Ausgang vieler Radsport-Ereignisse für vorhersehbar halten.
Zu den Aspekten, die den Radsport weniger attraktiv machen, zählen dieser großen Umfrage zufolge: Funkgeräte, Wattmesser und die großen Unterschiede hinsichtlich der Budgets. 76 Prozent der Fans gaben an, dass diese großen Differenzen einen Effekt auf die Zuschauerfreundlichkeit haben.
Superleague für den Radsport?
Im Fußball gab es vor wenigen Jahren Diskussionen über eine „Superleague“ – über ein Ausscheren der größten, erfolgreichsten und vor allem „reichsten“ Teams Europas aus den nationalen Ligen und die Gründung einer eigenen „High-Class-Liga“.
Jonathan Vaughters plädierte damals dafür, dieses Konzept auf den Profi-Radsport zu übertragen. „Die Logik hinter diesen ‚Superleagues‘ ist sehr einfach“, schrieb er auf Twitter. „Wäre ich ein Investor und würde in ein Sport-Team investieren, dann würde ich das nicht in einer Sportart machen, in der es Abstiegsmöglichkeiten gibt. Ich würde zudem nicht in einen Sport investieren, der keine harten finanziellen Gleichheits-Regeln aufstellt. Beides treibt die Kosten in die Höhe und die Wettbewerbsfähigkeit leidet.“
Für Vaughters sind im Radsport demnach keine idealen Investitions-Voraussetzungen gegeben. Ein Abstieg aus der WorldTour ist für die Teams zwar unwahrscheinlich, aber denkbar. „Für viele Geldgeber ist eine garantierte Teilnahme an der Tour de France entscheidend. Wenn dies wegfällt, ist die Sponsorensuche extrem schwierig. Es geht darum, einen Wert zu kreieren und ein konstantes Publikum anzusprechen. Im Radsport gibt es keinen ‚Salary Cap‘ – wenn du Geld in die Hand nimmst, gewinnst du. Es ist eine einfache Gleichung. Dafür muss man kein Genie sein. Die gleichen Teams – Ineos, UAE, Jumbo-Visma – gewinnen immer wieder. Dies zieht auch die Zuschauerzahlen in gewisse Richtungen. Aber der Wettbewerb, im Sinne einer Gewinner-Diversität, leidet im Laufe der Zeit. Wir sollten auf den Radsport wie ein Investor schauen. Warum sollte man in den Radsport investieren, wenn es keine Garantie dafür gibt, in der Top-Liga mitzuspielen?“
Investitionen und Erträge
2021 kam es zu einer weiteren Premiere in der Welt des professionellen Radsports: Ein Spielervermittler aus dem Fußball trat in den „Markt“ ein. Jorge Mendes, der unter anderem die Fußball-Stars Cristiano Ronaldo, Ángel Di María und den Trainer José Mourinho vertritt oder vertrat, übernahm das Management mehrerer Radprofis, darunter João Almeida und Rubén Guerreiro.
Laut Marc Madiot wäre es eine Katastrophe, wenn Mendes den „Fußball-Style“ mit seiner speziellen Transferpolitik in den Radsport brächte. „Wenn Mendes Almeidas Agent ist, dann wird er nie in meinem Team fahren“, sagte der Franzose im Interview mit RMC. „Ich will das Fußball-System nicht. Was soll dieses Agenten-System überhaupt sein? Es bedeutet, dass man einen Pool an Spielern hat und die so oft wie möglich von einem Team zum anderen transferiert, um jedes Mal neu zu verdienen. Es ist ein Glücksspiel in einer sich erweiternden Blase. Wo befindet sich der Fußball aktuell mit dieser Blase? Und Leute wie Mendes wollen wir im Radsport haben? Ich nicht.“
Auch im Radsport gibt es Agenten beziehungsweise Manager Der Unterschied sei, so Madiot, dass die Verträge im Radsport kürzer seien als im Fußball und die Vertragsdauer für gewöhnlich respektiert werde. „Mendes wird wohl wissen, dass er im Radsport nicht so viel verdienen kann wie im Fußball. Vielleicht hat er noch andere Ideen im Hinterkopf. Das wäre nicht gut. Diese Leute wollen das generelle System im Radsport auf den Kopf stellen – und das wäre noch katastrophaler.“
Gerät der Radsport in die Kommerzialisierungs-Spirale?
Gerät auch der Radsport in eine Kommerzialisierungs-Spirale? Folgt er dem Weg des Profi-Fußballs? Und wo liegen die Grenzen zwischen Sport und Kommerz?
Im Fußball werden ständig neue Rekordzahlen vermeldet. Zum Beispiel: 330 Millionen Euro – gab allein ein englischer Club, der FC Chelsea, nur in dieser Winter-Transferperiode, innerhalb von vier Wochen, für neue Spieler aus. Seit August 2022 gerechnet betragen die Transfer-Ausgaben des englischen Teams rund 620 Millionen Euro. Auf Rang zwei dieses Rankings liegt Manchester United mit Ausgaben von „nur“ 240 Millionen Euro.
Business und Sport
Alle Bundesliga-Klubs zusammen investierten in diesem Zeitraum 555 Millionen. Die vieldiskutierten „Financial-Fairplay-Regeln“ im Profi-Fußball sind bis dato wohl vor allem irrelevante „Feigenblätter“. Hinter dem FC Chelsea steht die US-amerikanische Investorengesellschaft Clearland Capital Group, hinter Manchester United die US-Magnaten-Familie Glazer, hinter Manchester City die Vereinigten Arabischen Emirate, hinter Paris Saint Germain Katar. Diese Clubs sind Investments. Sie wurden gekauft und übernommen wie Firmen – und dienen als Gewinn- beziehungsweise Marketing-Vehikel. Wie viel Sport bleibt da noch in diesem „big business“ übrig? Natürlich schießt Geld, indirekt, Tore.
Knapp drei Milliarden Euro: Das ist die kolportierte Summe, die die 20 Premier-League-Klubs allein in diesem aktuellen Sommer- und Winter-Transferfenster für neue Spieler ausgaben – mehr als das Doppelte des bisherigen Rekordwerts. Der Anteil, den die britische Liga in diesem Winter an den Gesamtausgaben der fünf größten Ligen hat: 79 Prozent. Andere Ligen verkommen anscheinend zu Ausbildungs- und Günstig-Einkauf-Institutionen. Wo soll diese Entwicklung hinführen?
Das Prinzip der Ablösesummen ist im Radsport – noch – nicht gängig. Seit Anfang Juni 2023 gibt es eine Entschädigung für Ausbildungsteams von Neuprofis. Die Summe, um die es dabei pro Ausbildungsjahr geht: 2000 Euro. Noch sind die Dimensionen im Radsport völlig andere als im Fußball.
Dieser Leitartikel erschien in der RennRad 7/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.