Romy Kasper, Jumbo-Visma, Kolumne
Romy Kasper: Radsportlerin über ihr Jumbo-Visma, Training und Ziele

Tempomacherin

Romy Kasper: Radsportlerin über ihr Jumbo-Visma, Training und Ziele

Romy Kasper ist seit mehr als einem Jahrzehnt Profi-Radsportlerin. Hier bietet sie Einblicke in ihr neues Team – und in ihren Renn- & Trainingsalltag.
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Virtuelle Radrennen sind kurz und hart – und sie machen mir Spaß. Das Ganze ist eine Art Intervall-Training mit anderen, mit einem Unterhaltungsfaktor und mit taktischem Geplänkel. Deshalb habe ich diese, auch coronakonforme, Trainingsform im Winter und Frühjahr regelmäßig genutzt – und dabei im Vorjahr unter anderem das erste virtuelle Rennen der Rad-Bundesliga-Serie gewonnen.

In diesem Winter war ich noch einmal besonders motiviert, denn: Ich habe das Team gewechselt. Und fahre jetzt mit einer der größten Fahrerinnen, wohl der Größten und Besten überhaupt, unseres Sports im selben Team: Marianne Vos. Sie ist rund ein Jahr älter als ich – und eine Legende. Ich bin in meiner langen Karriere schon für einige Teams gefahren, darum weiß ich, dass es immer schwer ist, sich als neue Equipe zusammenzufinden.

Es ist ja viel mehr, als nur ein gegenseitiges Kennenlernen. Es geht vor allem darum zu erfahren, wo die Stärken und Schwächen der Teamkolleginnen liegen. Man muss in den Rennen schließlich genau wissen, wie jede reagiert und wie man wen am besten einsetzen kann, um das optimale Team-Ergebnis zu erreichen.

Romy Kasper über Training während der Pandemie

Wegen der Pandemie konnten Teamtreffen, wie sie sonst vor der Saison üblich sind, nicht stattfinden. Erst im Januar kam es dann doch zum ersten Trainingslager. Alle kamen zusammen: die Männer um Primož Roglič und Wout van Aert, wir Frauen und das Development-Team. Bei Jumbo-Visma legt man viel Wert darauf, dass wir als Einheit auftreten und nicht getrennt voneinander behandelt werden. Es wird kein Unterschied gemacht und alle respektieren sich gegenseitig.

In Alicante hatten wir ein Hotel komplett für uns. Zwar haben wir uns in unterschiedlichen „Anti-Corona-Blasen“ bewegt – aber dennoch entstand ein großes „Wir“-Gefühl.  Das war eine unglaublich schöne neue Erfahrung für mich. Jeder war und ist für jeden da. Wir fahren auch alle das gleiche Material: Primož Rogličs Cervelo-Rennmaschine ist genauso ausgestattet wie meine. Ich liebe die Räder von Cérvelo, egal ob es das Aerobike S5, das „Bergrad“ R5 oder das Zeitfahrrad ist.

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Ernährungsberatung

Neben dem Material wird bei uns auch viel Wert auf die Ernährung gelegt. Wir Frauen profitieren von den Foodcoaches der Männer und haben auch eine Ernährungsberaterin, die speziell für uns verantwortlich ist. Wir nutzen im Team auch eine eigene, speziell von unseren Foodcoaches für uns entwickelte App, die allen zur Verfügung steht. Darüber bekommt jede von uns individuell ihren täglichen Ernährungsplan, egal wo wir uns gerade befinden. Dieser Plan enthält genaue Angaben dazu, wie viele Kalorien, Proteine und Fette wir zu jeder Mahlzeit zu uns nehmen sollten und ist immer exakt auf das jeweilige Training des Tages abgestimmt.

Das klingt alles super kompliziert und ist es sicher auch, da immer mehrere Leute zusammenarbeiten müssen. Aber dadurch ist es auch wieder genial, denn es funktioniert. Ich persönlich kann sagen, dass ich in der Vergangenheit schon Erfahrung mit Ernährungsberatung hatte, aber dieses System für mich noch einmal ein riesiger Zugewinn ist. Ich bin damit in kurzer Zeit auf mein optimales Wettkampf-Gewicht gekommen – und das ohne zu Hungern. Ich habe sogar oft mehr gegessen, aber eben das Richtige zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge.

Doppelsiege und WM

Eine weitere Überraschung erlebte ich bei unserem ersten Race-Meeting vor dem Omloop Het Nieuwsblad. Da saßen doch beim Meeting im Bus unser großer Chef Richard Plugge und Grischa Niermann, der Sportliche Leiter der Männer, mit dabei, um uns Strecken-Tipps zu geben und viel Glück zu wünschen. Das haben wir als große Wertschätzung empfunden. Wir Frauen sind nicht nur „Beiwerk“, sondern werden voll respektiert und unterstützt.

Diese angesprochene „Kennenlernphase“ war bei uns, gefühlt, relativ kurz. Es hat bereits im Trainingslager „Klick gemacht“ und wir haben uns super verstanden und gut harmoniert. Wenngleich es natürlich auch ein paar Situationen gab, in denen man merkte, dass wir neu zusammenfahren und noch nicht alles perfekt aufeinander abgestimmt ist. Aber aus diesen „Fehlern“ lernen wir für die nächsten Rennen. Und wie man sieht, hat dies wohl ziemlich schnell und gut geklappt.

Mit den beiden Siegen bei den großen WorldTour-Rennen des Frühjahrs sind wir extrem happy: Marianne Vos gewann sowohl Gent-Wevelgem als auch das Amstel Gold Race. Auch ich selbst war mit meiner Leistung sehr zufrieden, auch wenn man das nicht immer an den Ergebnissen ablesen kann. Dies liegt aber daran, dass ich bei 90 Prozent aller Rennen der „Roadcaptain“ war und somit die Aufgabe hatte, das Team zu koordinieren und dafür zu sorgen, dass Marianne oder eine andere Leaderin aus dem Wind gehalten wurde und möglichst frisch ins Finale kam.

Romy Kasper: Volle Power

Bei Gent-Wevelgem hieß das für mich: volle Power bis zu den letzten Kilometern. Denn wir mussten im Finale noch ein „Loch“ zu einer Spitzengruppe zufahren, damit Marianne um den Sieg sprinten konnte. Von den Rennen, die ich in diesem Frühjahr gefahren bin, war Gent-Wevelgem das härteste. Es war brutal, und ich habe mehr als einmal gedacht: „So, das war es jetzt. Es geht nichts mehr. Ich habe mein Tagwerk vollbracht.“ Doch jedesmal kam über Funk: „Romy, du bist jetzt zehn Mal gestorben, du kannst es auch noch ein elftes Mal, also fahr, bring Marianne nach vorn.“

Später haben wir über den Funk erfahren, dass Wout van Aert das Männerrennen gewonnen hat. Das hat uns noch einmal gepusht. Wir wollten den Doppelsieg für Jumbo-Visma, für unser neues Team, in seiner Premierensaison. Mir war mehr als einmal schwarz vor Augen.

Ich weiß gar nicht mehr, wann ich raus bin und die Führung abgegeben habe. Ich weiß nur, dass ich dachte: „Mist, das war zu früh.“ Ich konnte kaum mehr treten und rollte aus. Es herrschte eine minutenlange Stille im Funk.

Und dann plötzlich hörte ich einen Schrei unserer Sportlichen Leiterin Lieselot Decroix. Neben mir fuhr da gerade meine Teamkollegin Nancy van der Burg. Wir haben uns kurz angeschaut und dann zusammen gejubelt, denn wir wussten, was das bedeutete: Marianne hatte gewonnen. In so einem Moment weißt du, wofür du diese ganze Schinderei auf dich nimmst.

Zwei Wochen später wiederholten wir und das Männerteam beim Amstel Gold Race dieses Ergebnis: Marianne gewann das Frauen- und Wout das Männer-Rennen. Unglaublich.

Persönliche Erfolgserlebnisse für Romy Kasper

Ich hatte im Frühjahr auch persönliche Erfolgserlebnisse: Bei Le Samyn, dem Semi-Klassiker, erhielt ich „freie Fahrt“ und durfte „auf Ergebnis“ fahren. Ich fuhr auf Rang zehn – und erreichte damit mein Ziel eines Top-Ten-Ergebnisses. Auch bei der Healthy Ageing Tour konnte ich meine Form zeigen: Ich war jeden Tag unter den besten 20 und konnte mit Platz 13 in der Gesamtwertung ein gutes Ergebnis abliefern. Das Frühjahr lief also echt gut und macht Lust auf mehr.

Vor allem, wenn ich an die Weltmeisterschaften in Flandern im September denke. Ich habe nach den Klassikern die Gelegenheit genutzt und mir die Strecke angesehen. Meine Erkenntnis, beziehungsweise mein Fazit: Der WM-Parcours ist echt der Hammer. Ich glaube nicht, dass viele ankommen werden. Auf der großen Flandern-Runde, wie sie es nennen, gibt es sechs Anstiege mit bis zu 18 Prozent Steigung – teilweise auf alten schmalen Kopfsteinpflaster-Wegchen, bei denen die Steine so weit auseinander liegen, dass man weder im Sitzen noch im Stehen gut drüber kommt.

Auch die Zielrunde in Leuwen hat es in sich: Zwei-, dreimal steht man da vor einer Wand. Die Steigungen sind kurz, aber steil und heftig. Es ist ein ständiges Auf und Ab, mit viel Wind – ein typischer Flandern-Kurs. Man muss sich früh positionieren, wenn man auf diesem Parcours eine Chance haben will. Aber ich mag ja solche Strecken und freue mich auch schon darauf.

Dieser Artikel erschien der RennRad 7/2021. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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