Eilat, Gran Fondo
Tour Eilat: Gran Fondo in Israel

Israels größter Gran Fondo: Tour Eilat

Tour Eilat: Gran Fondo in Israel

Hochsommer-Wetter und Radrennen - mitten im Winter. Plus: Kultur, Kulinarik, Natur, Wüste. All das bietet die Tour Eilat. Ein Selbstversuch.
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Meine Herzfrequenz: 182. Meine Geschwindigkeit: 26 km/h. Der Steigungsgrad der Straße: null Komma null Prozent. Das dunklelgraue Band vor mir ist fast kurvenlos – und verschwindet am Horizont. Ich sehe weit – und ich sehe, was mich noch erwartet. Die Frequenz der Schweißtropfen, die von meinem Helm über meine Stirn nach unten Tropfen, und schnell verdampfen: circa drei pro zehn Sekunden.

Das Datum des heutigen Tages: 17. Dezember. Die Distanz zu meinem Zuhause in München, zu meinem Alltag: 3500 Kilometer – beziehungsweise rund vier Flugstunden. Als ich hier ankam, am Ausgangs- und Endpunkt dieses Rennens – des je nach der Interpretation wohl letzten Radmarathons der alten beziehungsweise des ersten der neuen Saison – ging ich als erstes runter zum Strand. In die Sonne. Ans Ufer des Roten Meeres. Zum Baden im Dezember. Die Wassertemperatur: 24 Grad. Von hier, der Küste, aus hat man einen 360-Grad-Blick auf vier Länder: Israel, Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien.

Meer & Abenteuer

Die „Enge“ und die Besonderheit der Region – und die Weite der Wüste – definieren auch das, was ich heute erlebe: die Rennstrecke des Gran Fondo Eilat. Der Radmarathon wird erst zum zweiten Mal ausgetragen. Zumindest hier, in und um Eilat, die 50.000-Einwohner-Stadt mit rund drei Millionen Übernachtungsgästen jährlich. Mehr als 90 Prozent stammen aus Israel. Eilat bildet einen kleinen Gipfel Israels am Roten Meer. Eilat ist die Stadt des nationalen Strandtourismus und die des „ewigen Sommers“. Sie soll zudem zu einer Top-Destination für Sport-Urlauber werden.

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Dafür steht auch dieser Radmarathon. Der Charakter dieses Rennens „verleitet“ mich quasi zu meiner ersten Attacke. Die Stimmung ist anders, ganz anderes, als man es von heimischen Rennen oder Marathons gewohnt ist. Hier redet man miteinander. Alles ist lockerer. Alle sind lockerer. Deshalb kenne ich jetzt Guy. Er wuchs in Frankreich auf, lebt nun aber schon lange in Eilat – und kennt hier jeden Menschen und jeden Meter der Straße. Während wir so dahinrollen und uns unterhalten zeigt er auf einen Fahrer schräg vor uns und sagt: „Wenn du dich vorne orientieren willst, dann achte auf ihn. Das ist der Fahrer, den man schlagen muss. Er hat im Vorjahr gewonnen und wird auch diesmal weit vorne sein.“

Keine 40 Kilometer nach dem Start attackiert genau dieser Fahrer mit zwei anderen – und welcher Volldepp ohne Form attackiert mit? Genau. Instinkt schlägt Hirn. Wieder einmal. Zum Glück harmoniert die Gruppe nicht ganz so gut und hinten wird Vollgas gefahren.

Gebirge & Ebene

Die sichtbare Strecke: reicht bis zum Horizont. Das Sichtfeld: Ocker und beige überall. Einmal, schon bald hinter der Stadtgrenze von Eilat, sehe ich Grün. Eine Art „Wald“  erstreckt sich neben der Straße. Es ist eine Pflanzung aus Hunderten oder eher tausenden Dattelpalmen. Ihr Wasserbedarf im Sommer: rund 900 Liter pro Tag und Palme. Irgendwann tauchen erst rechts, dann links am Ende des Blickfelds ruppige braune Gebirgszüge auf. Einer davon ist unser nächstes „Etappenziel“. Jeder in diesem Fahrerfeld weiß: Bis dahin ist alles Vorgeplänkel.

Das Rennen beginnt erst an dieser ersten, steilsten und längsten Steigung des Tages. Wir passieren ein braunes Schild, das gen „Mizpe Ramon“ weist. Dies sind zwei Worte, die gute – und auch etwas schmerzhafte – Erinnerungen in mir wecken. Sie stehen für den Namen eines Ortes am höchsten Punkt des Machtesch Ramon, einem Erosionskrater mitten in der Wüste. Die Steigungsprozente: zehn, elf, zwölf, 13, 14.

Noch ist es flach. Und dennoch ist das Tempo gering. Der Grund: Gegenwind – kein gewohnter west- beziehungsweise mitteleuropäischer, sondern Wüsten-Gegenwind. Warm und teils sandig und vor allem stark. Sehr stark. Nach etwas mehr als 55 Kilometern sehe ich, wie das Führungsfahrzeug vor uns zum ersten Mal seit kurz nach dem Start abbiegt, nach links. In Richtung Berge. Dies ist das Signal: Es geht los. Ich rolle vor der 90-Grad-Kurve außen an 20 Fahrern vorbei – und fahre in den Top Ten in die ersten Meter des Anstiegs.

Aus drei und vier werden schnell acht, neun, zehn Prozent Steigung. Ein Fahrer attackiert, noch einer. Nach dem ersten Steilstück folgt eine Linkskurve. Ich fahre innen und habe plötzlich ein paar Meter Abstand auf die anderen. Attacke. Dass noch zwei Fahrer vor mir sind, macht es psychisch einfacher. Es dauert, gefühlt, Ewigkeiten – doch oben, an der Kuppe des Anstiegs habe ich sie eingeholt. Einen Vorteil hat meine „Taktik“ zumindest: Ich nehme den Anstieg kaum wahr. Ich habe keine Ahnung, ob er lang oder kurz, steil oder flach ist. Meine Welt dreht sich hier nur um die beiden vor mir und die Aufgabe „einholen“. Wir sind zu dritt vorne. Abfahrt.

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Hügel nach Hügel

Es folgen: zwei Mini-Hügel, ein paar Richtungswechsel, Abwechslung, Führungsarbeit – und die Gewissheit, dass es noch extrem weit bis ins Ziel ist und meine „Form“ auf keinen Fall ausreicht, um dieses Tempo bis zum Ende zu halten. Das Höhenprofil der zweiten Streckenhälfte hatte recht flach ausgesehen. Doch es kommt – natürlich – alles anders.

Irgendwann werden wir eingeholt – von einer kleinen Gruppe. In der auch der Top-Favorit und einige seiner Teamkollegen fahren. Der Effekt: Das Tempo fällt und fällt. Niemand will mehr im Wind fahren. Die nächste kleine Gruppe schließt auf. Dann noch eine. Ich habe meine Kraft also umsonst verpulvert. Irgendwann fahren wir wie ein kleines Peloton in Zweierreihen. Ich fahre vorne im Wind, gehe raus, lasse mich nach zurückfallen – und erlebe: ein Desaster.

Genau in jenem Moment, in dem ich ganz hinten bin, wird vorne in einer leichten „Zieher-Steigung“ attackiert. Die Gruppe platzt sofort komplett auseinander. Ich gehe aus dem Sattel und sprinte nach vorne. Ich schließe eine Lücke, allein im Gegenwind, dann noch eine, dann noch eine. Und dann kommt er: der Schmerz. Er ist stechend. Ich erlebe, was ich schon lange nicht mehr erlebt habe: einen Krampf.

Vor mir zieht die erste – zum Glück nur sehr kleine – Gruppe immer weiter weg. Hinter mir kommt die zweite Gruppe näher. Ich bin in genau jener Situation, die ich unbedingt vermeiden wollte: allein, im Wind.40 Kilometer vom Ziel entfernt. Es geht bergab. Einen Kilometer weit, kurvenlos, kerzengerade. Und dasselbe genau spiegelverkehrt wieder bergauf. Hoch, runter, hoch, runter. Nie steil – aber immer eklig. Am vierten Hügel fällt auch unsere kleine Gruppe auseinander. Es ist diese spezifische Kombination aus niedrigen Steigungsgraden und hohen Windgeschwindigkeiten, die uns alle zermürbt. Plus: die Sonne. Ich bin aus dem deutschen Winter Minusgrade gewohnt. Seit ich aus dem Flugzeug stieg, liegen die Temperaturen meist rund 30 oder mehr Grad höher.

Strand & Entspannung

Wir sind nur noch zu dritt. Noch 20 Kilometer. 20, die sich anfühlen wie 60. Immerhin: Ich habe mich auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Die wackelige Balance zwischen Schmerztoleranz und Willenskraft ist gefunden – und „hält“ schon überraschend lange. Ich versuche mich mental abzulenken: Mit dem, was mir heute noch bevorsteht. Dann, wenn der Programmpunkt „Radmarathon“ abgehakt ist. Es geht ans Meer. Dorthin, wo man Delphine von Nahmen sehen kann. Und: Es geht in verschiedene warme „Entspannungspools“. Einer davon enthält soviel Salz wie das Wasser des nahen Toten Meeres. So steht es zumindest im Programm dieser Reise.

Ergo gilt: Man kann nicht darin untergehen. Ich sehe mich vor meinem geistigen Auge schon auf dem Rücken treiben, eine Bierflasche in der einen und ein Buch in der anderen Hand. Die nächsten Gedanken: An gestern. Den Tag nach meiner Ankunft in Israel. An Sonne, einen völlig wolkenfreien Himmel, Strand, Meer, Baden, den Besuch im „Underwater Observatory Park“, einer Art Unterwasseraussichtsplattform. Wir verbringen drei Stunden dort, und sehen: Rochen, Haie, Meeresschildkröten und aberdutzende Fischarten, die frei in dem einst künstlich gebauten Riff, das die Observationsstation umgibt, leben. Der nächste Gedanke – einer, der sich kaum wieder verdrängen lässt: Abendessen. Ein riesiger Tisch, der voll steht mit Dutzenden Platten und Schüsseln. Ganze gegrillte Fische, Steakstreifen, Ofenkartoffeln, Hummus, Oliven, Salate, rote und grüne Würzpasten, Pitabrote – und noch viel mehr.

Essen ist hier ein langfristiges soziales Projekt. Es ist, was und wie es sein soll. Und: unfassbar gut. Tomate sind ungleich Tomaten. Jede Olive, jedes Gemüse, jede Frucht schmeckt hier ganz anders als Zuhause. Sie kommt von hier, direkt aus der Sonne. Zurück zum Hier und Jetzt. Zu Schmerz und Hoffnung. „10 Kilometer bis zum Ziel“ steht auf einem kleinen gelben Schild am Straßenrand. Der Wind wird etwas schwächer.

Wir sind morgens, kurz vor sieben Uhr gestartet – und in den Sonnenaufgang gefahren. Der Himmel wurde rot-orange. Und dann hell und heller. Die Luft ist heiß und extrem trocken. Dennoch ist eine meiner beiden kleinen Trinkflaschen noch voll. Nicht gut. Noch immer ist es nicht einmal Mittag. Der nächste langgezogene fast schon „flache“ Anstieg, die nächste Abfahrt. Ich blicke in die Gesichter meiner beiden Begleiter und sehe: Leere. Sie sind am Ende. Gott sei Dank. Uns geht es allen gleich. Rechts am Straßenrand: das Zwei-Kilometer-Schild. Vor uns: beginnt die Straße, wieder einmal, anzusteigen. Diesmal länger. Nach 600, 700 Metern fährt jeder für sich. Man ist allein mit sich – und der Wüste.

Die Stadt Eilat am Roten Meer

Land & Region

Eilat ist ein Ort mit 50.000 Einwohnern. Es liegt an der Südspitze Israels im Süden der Wüste Negev. Die am Golf von Akaba gelegene Stadt ist der einzige Zugang Israels zum Roten Meer. Die Länge des israelischen Küstenabschnitts beträgt knapp zwölf Kilometer. Vom Hafen sind bei guter Sicht die Küsten von Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien zu sehen. Von Eilat aus kommt man in zwei Stunden Fahrt bis in die wohl größte Sehenswürdigkeit Jordaniens: Petra.  2018 startete in Israel der Giro d’Italia. Eines der drei Etappenziele: Eilat. Den Sprint Royale gewann damals Elia Viviani. Die Hotel-, Supermarkt- und Restaurant-Kosten liegen teils sehr deutlich über jenen in Deutschland. Tipp: Wer mit dem eigenen Rad unterwegs ist, sollte sowohl bei der An- als auch bei der Abreise deutlich mehr Zeit einplanen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind in Israel ohnehin verstärkt. Radkoffer werden in der Regel sehr genau untersucht.

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Tour Eilat

Der Gran Fondo Eilat ist ein 139 Kilometer langer Rundkurs um die Stadt Eilat und in die Wüste Negev. Er wird ab 2023 zur offiziellen UCI-Radmarathon-Serie gehören. Somit kann man sich hier für die Gran-Fondo-WM qualifizieren. Am Freitag gibt es bereits einen Prolog rund vier Kilometer langen Prolog. Der Radmarathon findet am Samstag statt. Alle Informationen zum Radmarathon finden Sie auf der Homepage des Veranstalters.

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