Psychische Erkrankungen, Leitartikel
Psychische Erkrankungen durch wenig Bewegung: Erklärung und Lösungsideen

Leitartikel zu psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft: Psyche

Psychische Erkrankungen durch wenig Bewegung: Erklärung und Lösungsideen

Wenig Bewegung, mehr Stress, mehr Steuern, mehr Sorgen, mehr körperliche und psychische Erkrankungen – das scheint die aktuelle Entwicklung zu sein. Der Versuch einer Annäherung und Lösungsideen.
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Deutschland ist, wie etwa auch die USA, ein Land der „Zivilisationskrankheiten“. Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Gelenk- und degenerative Probleme. Eine Hauptursache: Immer mehr Menschen bewegen sich immer weniger. Diese „Epidemie“ ist sowohl ein persönliches als auch ein gesellschaftliches Problem. Die direkten und die Folgekosten dieser Erkrankungen sind enorm. In Deutschland und den anderen westlichen Industriestaaten wächst nicht nur der Anteil von Übergewichtigen – hierzulande sind aktuell 50 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer betroffen – massiv, sondern auch der von Menschen mit psychischen Problemen.  Acht Millionen Deutsche leiden darunter: Während psychische Erkrankungen vor 20 Jahren noch nahezu bedeutungslos waren, sind sie heute die zweithäufigste Ursache für Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeit.

2017 waren sie für 107 Millionen nicht geleistete Arbeitstage verantwortlich. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl der psychisch bedingten Fehltage mehr als verdoppelt. Die dadurch entstandenen Produktionsausfälle werden auf rund 12,2 Milliarden Euro geschätzt – das entspricht 0,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens. 43 Prozent derjenigen, die wegen Erwerbsunfähigkeit vorzeitig in Rente gingen, taten dies wegen psychischer Erkrankungen. Heute sind mentale Probleme weniger stigmatisiert als früher.

Psychische Erkrankungen: Unsicherheitsfaktoren nehmen zu

Doch auch die Quantität und die Qualität der Unsicherheitsfaktoren nehmen immer weiter zu – etwa bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, beim Blick auf das Nettoeinkommen oder auf jene Zahl, die im Rentenbescheid steht.

Pendler erleiden deutlich häufiger psychische Erkrankungen als Menschen mit kurzen Arbeitswegen. Das zeigte unter anderem eine Studie der TKK: So waren die psychisch bedingten Fehlzeiten von Pendlern 2017 bei Männern um elf Prozent und bei Frauen um 15 Prozent höher als bei Nichtpendlern. Der durchschnittliche Weg zur Arbeit hat sich hierzulande seit 1999 von 14,6 auf rund 17 Kilometer erhöht – während die Fahrrad-Infrastruktur noch immer völlig unterentwickelt ist.

Dabei würde sich hier jeder investierte Euro lohnen, wie bereits in einem früheren Leitartikel ausführlich dargelegt wurde. Die Renditen sind enorm – in Form von Lebensqualität, Zufriedenheit, Umweltschutz, Gesundheit, gesparten Kosten. Doch die Politik nimmt diese Thematik ebenso wenig ernst wie jene der Zivilisationskrankheiten.

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Natur, Sport, Geld

Sonst würde man sich Fragen stellen wie: Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung – und was kann man ihr entgegensetzen? Mögliche Ideen dazu, die, da sie viel zu einfach sind, in Deutschland wohl undenkbar sind: Natur, Sport, Geld. Drei Stichworte, drei Ansätze.

Die Formel dahinter lautet: Der Mensch braucht Bewegung. Physisch wie psychisch. Ein denkbar einfacher Ansatz: Zeit in der Natur – als Medizin, vom Arzt verordnet. Wer kommt auf so etwas? Die Schotten zum Beispiel. Ärzte auf den Shetlandinseln können ihren Patienten Zeit in der Natur verordnen.

Auch in immer mehr Bundesstaaten der USA können Ärzte Zeit in Naturparks verschreiben. In Japan ist die Zeit im Wald, das Spazieren, Erleben, Abschalten, das „Shinrin Yoku“, als therapeutisches Konzept bekannt. Diese „Waldbäder“ werden etwa gegen Depressionen eingesetzt. Ein nachgewiesener Effekt: Bereits nach zehn Minuten im Wald kann das Stresslevel deutlich sinken. Weitere vielfach belegte Wirkungen: Stimmungs- und Schlaf-Verbesserungen, eine sinkende Herzfrequenz, ein niedrigerer Blutdruck.

Positive Effekte von Naturerfahrungen auf die Psyche

Studien, die die positiven Effekte von Naturerfahrungen auf die Psyche belegen, gibt es etliche. Eine der großen Langzeitstudien stammt von Forschern der Universität Aarhus in Dänemark. Sie erfassten die Daten von einer Million Menschen im Zeitraum von 1985 bis 2013. Nach dem Ausschluss von Störvariablen stellten sie fest, dass Kinder, die in von Natur umgebenen Umfeldern aufwuchsen, eine um 55 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit hatten, später mentale Probleme zu entwickeln. Je mehr Zeit die Kinder in der Natur verbrachten, desto stabiler war ihre mentale Gesundheit im Erwachsenenalter. Die Leiterin der 2019 im PNAS-Journal erschienenen Studie, Kristine Engemann, bilanzierte: „Grünflächen scheinen ähnlich starke Effekte auf die psychische Gesundheit zu haben wie der sozioökonomische Status.“

Mehr Zeit in der Natur und ausreichend Bewegung – es wäre solch eine einfache Lösung mit solch positiven Effekten. Nur passiert in dieser Gesellschaft das exakte Gegenteil: Zum einen findet eine Verstädterung statt, zum anderen eine Verschulung und Institutionalisierung der Kindheit und Jugend. Die freie Zeit nimmt ab, die bewegungslose Zeit nimmt massiv zu. So ging die Zeit des unbeaufsichtigten Spielens, des Bewegens innerhalb weniger als einer Generation um mehr als 50 Prozent zurück.*

*Die weiteren Zahlen und Studien dazu finden Sie im Leitartikel der RennRad 6/2019.

Bewegungstherapie gegen psychische Erkrankungen

Ein verwandter und ebenso einfacher wie effizienter Weg lautet: mehr Bewegung. Auch die positiven und präventiven Effekte von Sport auf die Psyche – und auf die körperlichen Zivilisationskrankheiten – sind klar belegt. So analysierten Joseffson et al. die Ergebnisse von 15 Meta-Analysen zu den Effekten von Training auf depressive Menschen. Ergebnis: Die positiven Effekte des Sporttreibens waren signifikant stärker als die der anderen Behandlungsmethoden.

In mehreren Studien zeigten sich Trainingsprogramme als genauso effizient beim Abbau von Depressionen wie Medikamente. Bei einer randomisierten Studie, bei der die Wirkung des Antidepressivums Zoloft mit der von Training verglichen wurde, gab es keinen statistischen Unterschied: Nach vier Monaten war das Training genauso effizient wie das Medikament.

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Radfahren kann Sorgen, Ängstlichkeit und Stress reduzieren

Gerade auch das Radfahren kann Sorgen, Ängstlichkeit und Stress reduzieren. Das wurde in vielen Studien gezeigt. Beim Radfahren werden Glückshormone ausgeschüttet: Endorphine, Serotonin, Dopamin. Zudem kann es, bereits in geringen Dosen von 20 bis 30 Minuten täglich, die Schlafqualität von Menschen mit Schlafproblemen signifikant verbessern.

Wie bekommt man nun Menschen, die zur Bewegungslosigkeit sozialisiert wurden, dazu, sich mehr zu bewegen? Durch Bildung beziehungsweise Aufklärung. Oder durch Geld. Zum Beispiel: Wer nachweislich mit dem Rad zur Arbeit, Schule, Uni etc. pendelt, bekommt eine stark erhöhte Pendlerpauschale und einen signifikanten Rabatt auf seine Krankenkassenbeiträge. Ebenso wer nachweislich in einem Verein, Studio oder für sich trainiert und bei den Routine-Untersuchungen des Hausarztes gut abschneidet. Ich rede nicht von zwei, drei Prozent, sondern von bis zu 50, 60 Prozent Rabatt.

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Mehr Bewegung von Kindesalter an

Der zweite Weg setzt schon früher an: in der Kindheit und Jugend. Da immer mehr Eltern sport- und bewegungsfern sind, können und müssen die öffentlichen Sozialisationsinstanzen hier gegensteuern mit: mehr Zeit für Spiele, Bewegung, Sport, Natur – von der Kita bis zum Abitur. Und mit kommunal geförderten Kooperationen zwischen Kitas, Schulen und Vereinen.

Ergo: Man sollte das Gegenteil dessen tun, was man aktuell macht. Denn die politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre fördern und manifestieren die zunehmende Bewegungslosigkeit. Die Zahl der Schulsportstunden sinkt. Die Bewegungskompetenz von Kindern nimmt massiv ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese jungen Menschen zukünftig mentale wie körperliche Krankheiten entwickeln, steigt.*

Geben & Nehmen

Wir leben in einer Zeit, in der der Staat immer ungenierter Menschen erziehen, in eine Richtung, natürlich „die richtige“, lenken will. Die moderne Geschichte ist davon geprägt, dass sich die Menschen Freiheit erkämpft haben. Die Gegenwart ist davon geprägt, diese nach und nach abzubauen. Freiwillig.

Die Freiheit nimmt in vielen Bereichen ab. Zeitlich – Stichwort Verschulung der Kindheit und Jugend. Und vor allem finanziell – Stichworte dauerhafte Nullzinsen, Rentenquote, Rekordabgabenquote. Dank dieser arbeitet der durchschnittliche Arbeitnehmerhaushalt bis zum 15. Juli nur für den Staat. Aktuell sind gleich mehrere neue Steuern im Gespräch – und das im Land mit der zweithöchsten Abgabenquote Europas. Im Jahr 2004 betrug die Steuerquote 20,6 Prozent: 443 Milliarden Euro gingen an den Staat. 2020 wird die Steuerquote bei 23,8 Prozent liegen, die Steuereinnahmen bei 818 Milliarden. Fast ein Viertel des im Lande produzierten Wohlstandes fließt an den Staat. Und es ist ihm zu wenig.

Steuern sind nicht zweckgebunden

Dennoch werden die angekündigten neuen Steuern bejubelt – da man ihnen das Label „ökologisch“ verpasst hat. Randnotizen: Steuern sind nicht zweckgebunden. Deutschlands Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß ist ebenso hoch wie dessen Zunahme im Jahr 2018: rund zwei Prozent. Eine effiziente Lösung muss global sein, nicht national. Oder wie es die Wirtschaftswoche formuliert: „Nur ein globaler CO2-Preis hilft.“

Ein Argument pro neue Steuern hierzulande lautet: Es gehe um eine Vorbildfunktion für andere Länder. Allerdings ist die Wirkung auf Länder, in denen man rechnen kann, wohl eher abschreckend. Was die Reaktionen auf die desaströse Bilanz der auch einst als vorbildlich propagierten Energiewende – die laut des damaligen Umweltministers Jürgen Trittin einen Haushalt pro Monat so viel koste „wie eine Kugel Eis“ – zeigen. Sie bescherte den Deutschen mit die höchsten Strompreise Europas, ohne den CO2-Ausstoß nennenswert zu senken.

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Deutschlands Energiepolitik: World’s dumbest energy policy

Die NZZ fasst die Bilanz des Sonderwegs wie folgt zusammen: „Das ungeschminkte Fazit lautet, dass die deutsche Energiewende dem Weltklima nicht hilft, unvernünftig teuer ist und einen Sektor immer mehr von der Markt- in die Planwirtschaft zieht.“ Das renommierte Wall Street Journal konstatiert zur deutschen Energiepolitik schlicht: „World‘s dumbest energy policy.“

Man könnte sich an Vorlutherische Zeiten erinnert fühlen, an den Ablasshandel nach dem Prinzip: Zahle und fühle dich danach besser. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“

Der Philosoph Peter Sloterdijk findet eine weitere Geschichts-Analogie: „Dies ist ein politisches Dressurergebnis, das jeden Finanzminister des Absolutismus vor Neid hätte erblassen lassen.“ Um eine weltweite, eine pragmatische, eine effiziente Lösung, um neue Technologien, die CO2-Speicherung, die massive Aufforstung scheint es nicht zu gehen. Wenn man CO2- und Lenkungssteuern will, um die Umwelt zu schützen, warum redet dann niemand davon, parallel dazu die enormen Belastungen der Menschen, primär der Mittelschicht, zu senken? Die Einkommensteuer etwa? Die kalte Progression abzuschaffen? Das Steuersystem zu vereinfachen? Steuergeldverschwendung strafbar zu machen? Endlich einen Rentenfonds zu gründen? Die Renten zu erhöhen?

Politik nimmt den Menschen die Aufstiegschancen durch Leistung

Zum Vergleich: Der Anteil der pensionierten Beamten, die 2015 weniger als 1000 Euro pro Monat zur Verfügung hatten: 1,2 Prozent. Der Anteil unter den Rentnern: 82 Prozent der Frauen, 42 Prozent der Männer. Laut Hans-Böckler-Stiftung kosten die Beamtenpensionen Bund, Länder und Kommunen, also die Steuerzahler, bis 2050 980 Milliarden Euro. Pro Pensionär rund 861.500 Euro. Warum wird diese „soziale Ungerechtigkeit“ nicht thematisiert? Durch die finanzielle Repression in Kombination mit Null- oder zukünftig wohl Minuszinsen nimmt die Politik den Menschen die Aufstiegschancen durch Leistung**.

Und damit das Versprechen des Kapitalismus. Geld verliert seine Funktion als stabiles Wertaufbewahrungsmittel. Die Politik betreibt „das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“, wie die ‚Welt‘ konstatiert. Die Aufstiegschancen, die Freiheit des Einzelnen und die soziale Mobilität nehmen ab. Angesichts einer Abgabenquote von rund 54 Prozent des Bruttoeinkommens, explodierender globaler Schuldenberge von aktuell weit über 230 Billionen US-Dollar, einer dauerhaft zu „rettenden“ Währung, explodierender Immobilien- und Mietpreisen, eines
Rentensystems, dessen Rentenquote schon heute 20 Prozent unterhalb des EU-Durchschnitts liegt und gemäß aller seriösen Berechnungen für einen großen Teil der jüngeren arbeitenden Bevölkerung in die Altersarmut führt, ist es wohl für Viele rational, Zukunftssorgen zu haben.

Gewinne privatisieren, Verluste vergesellschaften

Zudem gilt weiterhin das zur „Banken- und Eurorettung“ eingeführte politische Prinzip: Gewinne privatisieren, Verluste vergesellschaften – also von den Steuerzahlern bezahlen lassen. Was steckt wohl hinter zunächst gut klingenden Worten wie „Bankenunion“? Primär: faule Kredite von rund 790 Milliarden Euro. Allein in den italienischen Bankbilanzen stehen faule Kredite in Höhe von über 390 Milliarden Euro.

In den griechischen Bankbilanzen sind 43,5 Prozent aller Kredite notleidend. Der deutsche Haftungsanteil für die Rettungsmaßnahmen im Zuge der Eurokrise wurde bereits 2012 auf rund 310 Milliarden Euro taxiert. Die aktuelle Höhe der deutschen Target2-Salden: rund 900 Milliarden Euro.

Auf der einen Seite dominiert nur ein Thema: Klima. Auf der anderen wird parallel eine Politik lanciert, die Nichtkonsum massiv bestraft: die ewigen Nullzinsen. Was Politik und Notenbanken tun, ist: Sie animieren, oder vielmehr zwingen, die Menschen zum Geldausgeben, zum Schuldenmachen. Ihre Botschaft ist: Gebt Geld aus, konsumiert – oder werdet täglich ärmer! Der Sparer wird bestraft, der Verschwender belohnt.

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Nullzinsen führen zu Erhöhung der Ungleichheit

Weil die Staaten sonst ihre Schulden nicht mehr bedienen könnten. Weil die Euro-Zone sonst zerbrechen würde. Durch die niedrigen oder gar Minuszinsen entschuldet sich der Staat – auf Kosten der Bürger. Die „gesparten“ Zinskosten des deutschen Staates durch die Niedrigzinsen seit 2008: 368 Milliarden Euro. Die Zinsverluste der deutschen Privathaushalte von 2010 bis 2018 nach Berechnungen der DZ Bank: 533,5 Milliarden Euro.

Die Nullzinsen führen zudem zu einer Erhöhung der Ungleichheit – zu einer massiven Umverteilung hin zur Oberschicht und den Superreichen. Denn es sind Aktien, Immobilien, Sachwerte, die extrem an Wert gewinnen. Das verwaltete Vermögen von Private-Debt-Fonds, hinter denen vor allem US-Pensionsfonds und die Family Offices der Superreichen stehen, hat sich seit der Finanzkrise auf 769 Milliarden US-Dollar fast verdreifacht.

Der Historiker David Engels nennt die EU eine „oligarchische Technokratie“. Wie weit es mit der EU-Demokratie ist, haben die Personalien nach den Europawahlen gezeigt. Es gab Spitzenkandidaten, die offenbar nie für Spitzenämter vorgesehen waren. Stattdessen wurde in Hinterzimmern geklüngelt – und einer hat klar gewonnen: Emmanuel Macron. Das Leistungsprinzip wird in der Politik immer mehr ad absurdum geführt.

Umverteilung & Zukunft

Eine Politikerin, die auf ihrem Posten zuvor völlig überfordert war und offenbar in undurchsichtige Vertragsvergaben an Beraterfirmen involviert ist – in einer davon arbeitet zufälligerweise ihr Sohn – wurde befördert. Frau von der Leyens Ministerium meldete 2016 Berater-Verträge im Umfang von 2,9 Millionen Euro. Laut Prüfbericht des Bundesrechnungshofes gab man aber 150 Millionen für Berater aus. Dazu kommen noch solche Kleinigkeiten wie die Nicht-Einsatzfähigkeit vieler Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber.

Unter VDL arbeiteten alle vier großen Consultingfirmen im Verteidigungsministerium parallel an verschiedenen Projekten. Generell waren alle Beraterfirmen, die an den Steuerhinterziehungsmodellen Luxemburg Leaks, Panama Leaks und CumEx beteiligt waren, auch als Berater öffentlicher Stellen im Einsatz. Der Großkapital-Bock wird zum Gärtner gemacht. Dauerhaft.

In Brüssel arbeiten rund 25.000 Lobbyisten. Jeder zweite Google-Lobbyist war zuvor für die EU tätig. Ein weiteres Parade-Beispiel für die „Lobbykratie“ – und die völlige Ignoranz gegenüber der Mittelschicht – ist die geplante Finanztransaktionssteuer.

Jeder muss privat vorsorgen

Die Idee dahinter war ursprünglich, den Hochfrequenzhandel zu verteuern und somit kriselnde Banken und Unternehmen vor Angriffen von Spekulanten zu schützen. Doch die Steuer, die 2021 nach dem Willen von Olaf Scholz und seiner Kollegen nun kommen soll, trifft die völlig Falschen: nicht die „Heuschrecken“, die Großspekulanten, sondern Kleinanleger und Sparer. Somit wird auch noch die letzte Möglichkeit, für sein Alter zu sparen, durch den Staat torpediert.

Nachdem die Politik durch das Aushöhlen des Rentensystems dafür gesorgt hat, dass jeder privat vorsorgen muss und jeder, der sein Geld auf dem Konto liegen hat, täglich ärmer wird – während eine Firma wie Apple, laut der EU-Kommission im Jahr 2014, in der EU Steuersätze von 0,005 Prozent „zahlt“. Google zahlte laut FAZ 2010 einen Steuersatz von drei Prozent. Eine nationale Digitalsteuer lehnt der SPD-Politiker Scholz ab.

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Funktionierendes Rentensystem gegen psychische Erkrankungen?

Wohlstand und Gewissheiten, wie etwa ein funktionierendes Rentensystem, geben Sicherheit. Und damit Resilienz, mentale Widerstandskraft, gegenüber Stressoren des Alltags. Schwinden diese Sicherheiten, nehmen psychische Probleme zu. Laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung gehen zwei Drittel der Deutschen davon aus, dass es künftigen Generationen schlechter gehen wird. Nur ein Viertel findet, dass der Staat den Lebensstandard im Alter gut gewährleistet. Das Problem des bezahlbaren Wohnraums sehen nur 15 Prozent als gut gelöst.

Schon heute erleidet hierzulande jeder Vierte im Laufe seines Lebens psychische Erkrankungen. Nach einer Studie der TKK könnten Depressionen in naher Zukunft zu den am weitesten verbreiteten Krankheiten des Landes zählen. Es gäbe Antworten, Lösungen für diese Probleme. Man müsste sie nur sehen – und angehen.

„Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“ Henry Ford

** Der Median des geldwerten Vermögens eines Erwachsenen in Deutschland beträgt 47.000 US-Dollar. Das eines Griechen: 55.000 Dollar. Das eines Niederländers: 94.000 Dollar. Eines Franzosen: 120.000 Dollar. Eines Italieners: 125.000 Dollar. Eines Belgiers: 168.000 Dollar. Eines Schweizers: 229.000 Dollar. Das deutsche Rentenniveau liegt bei 47,9 Prozent und wird stark sinken. Das Rentenniveau in, zum Beispiel, den Niederlanden, Kroatien, Portugal, Italien, Österreich: über 90 Prozent. Das in Ungarn, Bulgarien, Slowakei, Zypern, Spanien, Dänemark: über 80 Prozent. Die Immobilien-Besitzquote ist hierzulande die niedrigste der EU. Was politisch offenbar so gewollt ist – denn die Kauf-Nebenkosten gehören zu den höchsten weltweit. Sie betragen durchschnittlich 13 Prozent des Immobilienpreises. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl der Ersterwerber von Immobilien fast halbiert. Ganz vorne ist Deutschland dagegen bei der Größe des Niedriglohnsektors: Der Niedriglohnanteil ist von 1996 bis 2015 von 14 auf 22 Prozent gestiegen. 7,5 Millionen Menschen arbeiten als „Mini-Jobber“. Rund 3,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland haben pro Monat zuletzt weniger als 2000 Euro brutto verdient. In Ostdeutschland liegt mehr als jeder vierte in Vollzeit arbeitende Mensch unterhalb dieser Grenze. Und was ist wohl der aktuelle Mindestverdienst, den man haben muss, um nach 45 Beitragsjahren eine Rente zu erhalten, die über der Grundsicherung liegt? 1917 Euro im Monat. Ein Hohn.


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