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Die Angst vor dem Karriereende: Warum Sportler straucheln

Der beste Sportler ist am Ende nur ein Mensch

Die Angst vor dem Karriereende: Warum Sportler straucheln

Pantani, Vandenbroucke, Ullrich: Weshalb straucheln einige Sportler nach dem Karriereende? Gibt es einen Zusammenhang zwischen extremen Leistungen und Suchtverhalten? Ein Trainer über die Werte, die der Leistungssport vermittelt, seine eigenen Erfahrungen und welche Vorteile Sportler für Arbeitgeber bieten können.
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Das Ende ist ein neuer Anfang

Bei manchen kommt es schleichend. Bei anderen urplötzlich. Für die einen ist es eine Befreiung. Für andere gleicht der bloße Gedanke daran einem Albtraum: Das Karriereende ereilt jeden Sportler. Das Loslassen vom Sport, der Jahrzehnte den Alltag bestimmt hat, gelingt auf unterschiedliche Weise. Einigen Sportlern misslingt er. Sie geraten ins Straucheln. Depressionen, Burnout, Alkohol- und Drogenprobleme: Einige Ex-Leistungssportler sehen sich damit konfrontiert. Sie kämpfen, leiden und scheitern daran – oft unsichtbar für die Öffentlichkeit. Erst das Scheitern zerrt sie zurück ins Scheinwerferlicht und bringt sie wieder auf die Titelseiten. Der aktuelle Fall Jan Ullrich steht sinnbildlich dafür. Wie kann man diesen Schattenseiten des Leistungssport entgegenwirken? Das war die Ausgangsfrage für dieses Interview.

Die Trainer-Perspektive

Dr. Jörg Stäcker stellte sich den Fragen zum Thema Karriereende von Sportlern und erklärt den Zusammenhang zwischen Leistungssport und Suchtverhalten. Stäcker ist aktuell hauptamtlich als Teamleiter Lauf beim Bayerischen Leichtathletikverband tätig. Er kann auf eine langjährige Erfahrung als Trainer von Läufern, Triathleten und Schwimmern zurückblicken. Parallel zu seiner eigenen Sportkarriere studierte Stäcker am Institut für Geophysik der Universität Hamburg, mit Diplom und Promotion. Derzeit lebt er in Fürth.

„Es sind nicht selten die im positiven Sinne ‚verrückten‘ Charaktere, die an die absolute Spitze kommen.“

Herr Stäcker, Sie arbeiten seit 25 Jahren als Trainer und haben viele Athleten erlebt: Sind es die extremen Charaktere, die im Sport Erfolg haben oder sind es Charaktere, die im Sport extrem werden?

Es sind nicht selten die flippigen, im positiven Sinne extremen, ja fast schon „verrückten“ Charaktere, die an die absolute Spitze kommen. Sie kommen schon so in den Sport hinein, finden endlich ein Feld wo sie anerkannt und verehrt werden – und schließlich Erfolge haben. Im Endeffekt verwirklichen sie sich dort. Je höher das Level, desto weniger setzen sich die „Braven“ durch.

„Endet die Laufbahn, steht man im schlimmsten Fall ‚alleine‘ da.“

Fehlende soziale Bindungen

Mentaltrainer Steffen Kirchner sagte in einem Interview: „Viele Spitzensportler bilden eine Art Inselbegabung heraus, hinter der sich oft eine Inkompetenz in der Lebensführung verberge.“ Inwieweit deckt sich dies mit Ihren eigenen Erfahrungen?

Der absolute Spitzensport erwartet den Fokus auf das Training und den Wettkampf. Dazu kommen die immensen Trainingsumfänge. Die Sportler leben in ihrer Welt. Es bleibt deshalb für Sozialkontakte außerhalb der Sportlerszene wenig Zeit. Endet die Laufbahn, fallen diese sozialen Bindungen häufig weg und der ehemalige Weltklasseathlet steht im schlimmsten Falle „alleine“ da. Ausnahme ist, wenn nebenher noch eine Ausbildung oder ein Studium absolviert wird, aber das ist zeitlich kaum in Ausdauersportarten möglich, wenn man in die Weltklasse will.

Erst Askese, dann Rock’n’Roll

Leistungssport setzt gerade in Ausdauersportarten eine asketische Lebensweise voraus. Lädt diese Lebensweise nicht genau dazu ein, irgendwann über die Strenge zu schlagen und alles nachzuholen, was man während der Karriere vermeintlich verpasst hat?

Nicht unbedingt, häufig bleibt die enthaltsame Lebensweise ein Lebensmotto, welche in normaler Form dann auch gesundheitlich nicht unbedingt die schlechteste Variante ist. Eine Gewichtszunahme von zum Beispiel vier bis fünf Kilogramm am Ende der Karriere ist dann ganz normal. Natürlich gibt es auch Auswüchse. Das ist aber nicht die Regel.

„Sportler mit ihrem erfolgsorientierten und motivierten Handeln sind gern gesehene Arbeitnehmer.“

Keine Kompromisse

Sport oder Beruf: Leistungssport erlaubt keine Kompromisse. Man muss sich entscheiden. Manche Athleten setzen daher alles auf eine Karte. Wenn das Karriereende naht, stehen sie vor dem Nichts. Mit welchen Maßnahmen sollte man dem aus Trainersicht entgegenwirken?

In den USA hat man die Chance über Vollzeitstipendium Studium und Hochleistungssport zu verbinden. In Deutschland gibt es die Möglichkeit über die verschiedenen Formen der Polizei, Landespolizei, Bundeswehr, Grenzpolizei „Sportler in Uniform“ zu werden und so für die Zeit nach dem Sport eine Festanstellung zu erhalten. In Ansbach gibt es eine Hochschule exklusiv für Spitzensportler mit ausgesuchten Präsenzphasen. Ein normales Studium mit einer Spitzensportkarriere mit internationalem Anspruch zu kombinieren ist durchaus machbar, erfordert aber einen Sportler mit einem extrem guten Zeitmanagement. Es ist immer ratsam, mit offenen Augen und Ohren Kontakte aus dem Sportlerleben zu nutzen, um einen beruflichen Quereinstieg vorzubereiten. Denn Sportler mit ihrem erfolgsorientierten und motivierten Handeln sind gern gesehene Arbeitnehmer.

„Suchtverhalten beginnt nicht erst mit dem Karriereende.“

Die Werte des Leistungssports

Aus Trainersicht: Welche individuellen Fähigkeiten braucht es, damit ein Leben nach der Sport-Karriere gelingt?

Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass der Leistungssport was unbeschreiblich Schönes ist und sein kann. Er hält so viele schöne Momente in Training und Wettkampf für Athleten, Trainer und Zuschauer bereit, dass er seine absolute Berechtigung hat. Leistungssport vermittelt Werte und besitzt eine Vorbildfunktion. Die zurzeit in der Presse publizierten Schicksale sind nur die absoluten Ausnahmen, die Negativbeispiele. In der Regel ist der Übergang ins normale Leben nach dem Sport kein Problem. Denn die Tugenden wie Strebsamkeit, Disziplin, Eigenmotivation, Zielorientierung und Belastbarkeit helfen auch im neuen Lebensabschnitt. Sie spielen auf das derzeit gegenwärtige Schicksal von Jan Ullrich an. Suchtverhalten beginnt nicht erst mit dem Karriereende.

Leistungssport und Suchtverhalten

Welche Arten von Suchtverhalten haben Sie im Laufe Ihrer langen Trainer-Karriere bei aktiven Athleten erlebt? Spricht man mit den Athleten darüber oder ist es ein Tabu-Thema?

Zunächst ist Sport natürlich schon eine Form von Sucht, denn sie schafft Erfolgserlebnisse, Anerkennung und bringt Spaß. Die Adrenalin-Ausschüttung nach einem guten Training oder Wettkampf ist enorm. Davon möchte man natürlich immer gerne etwas mehr haben. Nicht selten treten im Falle von Verletzung oder in der Saisonpause erste Anzeichen von Entzugserscheinungen auf. Aber nur diese bedingungslose Hingabe an den Sport sichert den großen Erfolg. Es gibt sicherlich ungesündere Formen von Sucht. Das sich wenige, ehemalige Spitzensportler dann fataler Weise nach Karriereende anderen Süchten zuwenden, ist die extreme Kehrseite.

„Viel hilft viel“ sowie die Gier nach Erfolg und Adrenalinausschüttung führen zu Hyperumfängen.

Probleme im realen Leben

Wo sehen Sie hierfür den Hauptgrund?

Der Tagesablauf ist plötzlich ein anderer. Beruflich und privat stehen Veränderungen an, ehemalige Bezugspersonen fallen weg und neue sind nicht immer leicht zu finden. Denn Trainer, Trainingskameraden und Betreuer werden mit Eintritt ins Leistungssportlerleben quasi „zugeteilt“. Im späteren realen Leben muss man sich diese Sozialkontakte erst aufbauen. Während der Phase des Hochleistungssports kann das Training selber natürlich im schlimmsten Falle auch zu einer kaum noch steuerbaren Sucht werden. Die Leidenschaft für die Sache weicht einem „Viel hilft viel“. Die Gier nach Erfolg und Adrenalinausschüttung führt zu Hyperumfängen, die selbst aus trainingsmethodischer Sicht nicht mehr sinnvoll erscheinen. Dasselbe gilt für extremes Essverhalten. Magersucht bis zur Bulimie können auftreten. Wobei hier nicht das „dünn sein“ als Schönheitsideal im Vordergrund steht, sondern das optimale Kraft-Last-Verhältnis. //

Vielen Dank für das Gespräch. Mehr Informationen zum Interviewpartner finden Sie auch unter www.blv-sport.de/laufteam.

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