Radsport-Saison 2020, Rückblick, Bilanz, Fazit
Radsport-Saison 2020: Jahresbilanz, Rückblick, Beste Fahrer

2020: Die Bilanz

Radsport-Saison 2020: Jahresbilanz, Rückblick, Beste Fahrer

Die Radsport-Saison 2020 war eine besondere – nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Es war eine Saison der Ablösungen, der neuen Stars. Sieger und Verlierer. Eine Jahresbilanz.
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21, 22, 25, 25, 25 Jahre alt – waren die Sieger der Tour de France, des Flèche Wallonne, des Giro d’Italia, der Flandernrundfahrt, Mailand-Sanremo, Strade Bianche. Ihre Namen: Tadej Pogačar, Marc Hirschi, Tao Geoghegan Hart, Mathieu van der Poel, Wout van Aert. Drei der ersten vier der Gesamtwertung des Giro 2021 waren maximal 25 Jahre alt: Jai Hindley, 24, wurde Zweiter – João Almeida, 22, Vierter. Dieser Giro steht symbolisch für den großen Wandel – für die eine große Entwicklung – in dieser so besonderen Radsport-Saison 2020: den Generationswechsel an der Weltspitze.

Es sind nicht nur ein, zwei, drei Supertalente, die Top-Ergebnisse einfahren und die älteren etablierten Fahrer verdrängen. Nein, dies ist eine größere, breitere Entwicklung. Dieser „Machtwechsel“ ist der eine rote Faden dieser Saison.

Corona bestimmt die Radsport-Saison 2020

Der andere lautet: Corona. Die Pandemie bestimmte den Rennkalender. Sie zwang auch den Radsport zu Veränderungen und viel Flexibilität. In einer „normalen“ Saison wäre alles anders. Doch 2020 gab es Frühjahrsklassiker im Herbst, viele Termin-Überschneidungen, Rennabsagen – und 104 Radrennen in 100 Tagen.

Die Saison war zweigeteilt. Der erste Teil endete mit der um einen Tag verkürzten Rundfahrt Paris-Nizza, die der deutsche Bora-Hansgrohe-Profi Maximilian Schachmann sensationell gewann. Der zweite Teil begann, nach dem ersten Lockdown, am 1. August – mit Strade Bianche, dem Klassiker über die staubigen Naturstraßen der Toskana. Und dem Sieg eines Fahrers, der große Teile der Saison dominieren sollte: Wout van Aert. Der Belgier, der im September 26 Jahre alt wurde, fuhr vier Tage später auf Rang drei von Mailand-Turin. Drei Tage danach gewann er sein erstes „Monument“: Mailand-Sanremo. Bei der Tour de France arbeitete er als Helfer seines Kapitäns Primož Roglič extrem viel – und gewann dennoch „im Vorbeigehen“ zwei Etappen im Massensprint. Seine Platzierungen bei den vier Rennen nach der Tour: Zweiter der Zeitfahr-WM, Zweiter der Straßen-WM, Achter bei Gent-Wevelgem, Zweiter der Flandernrundfahrt. Was für eine Saison.

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Jumbo-Visma dominiert die Radsport-Saison 2020

Van Aert ist Teil eines der dominierenden Teams dieser Saison: Jumbo-Visma. Die Fahrer der niederländischen Equipe gewannen insgesamt 23 Saisonrennen – darunter vier Etappen und die Gesamtwertung der Vuelta.

Bei der Tour de France dominierten die Fahrer in den gelb-schwarzen Trikots. Der Slowene Primož Roglič sah bis zum vorletzten Tag wie der Sieger aus. Bis ihm sein damals 21-jähriger Landsmann Tadej Pogačar das Gelbe Trikot noch abnahm. Er sorgte damit für eine Sensation.

Trotz dieser „Niederlage“ war Primož Roglič der erfolgreichste Fahrer dieser besonderen Saison. Er fuhr extrem konstant, gewann die Tour de l’Ain, eine Tour-Etappe, Lüttich-Bastogne-Lüttich und die Vuelta. Mit seinen zwölf Saisonsiegen ließ er sogar die meisten Sprinter hinter sich. Die vier schnellsten Fahrer dieser Saison heißen: Arnaud Démare, 14 Siege, Pascal Ackermann, acht Siege, Sam Bennett, sieben Siege, und Caleb Ewan, ebenfalls sieben Siege.

Etablierte und Newcomer

Das – in der Zahl der Siege gemessen – erfolgreichste Team 2020 heißt, wie sollte es anders sein: Deceuninck – Quick Step. Wie in den Vorjahren zeigten die Fahrer aus der belgischen Equipe gerade bei Eintagesrennen oft dominante Leistungen. Jedoch nahm die Zahl der Siege bei den größten, den bedeutendsten Rennen klar ab.

Julian Alaphilippes Sieg beim Pfeil von Brabant war der einzige größere „Klassiker-Sieg“ für das Team. Jedoch sicherte sich der Franzose ein anderes extrem wichtiges – wohl das wichtigste überhaupt – Eintagesrennen: das um den Weltmeistertitel. Das extrem schwere Rennen von Imola war symptomatisch für die Saison. Es lief ab wie viele wichtige Rennen: Alaphilippe attackierte bergauf, initiierte eine Gruppe, attackierte noch einmal – und kam, diesmal, durch. Auf den Plätzen: die versammelte Weltklasse dieser Saison. Wout van Aert, Marc Hirschi, Michał Kwiatkowski, Jakob Fuglsang, Primož Roglič.

Radsport-Saison 2020, Bilanz, Jahresbilanz

 

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Durchwachsene Saison für Deceuninck – Quick Step

Dennoch war es wohl eine „durchwachsene“ Saison für Deceuninck – Quick Step. Denn: Beide Topstars des Teams verletzten sich schwer. Alaphilippe kollidierte während der Flandernrundfahrt – in der ersten Gruppe fahrend – mit einem Motorrad und brach sich das Handgelenk. Und Remco Evenepoel stürzte während der Lombardei-Rundfahrt von einer Brücke – und brach sich das Becken.

Bis dahin war es seine Saison: Der damals 20-Jährige war bei vier Rundfahrten angetreten – und gewann alle vier. Die Zahl seiner Saisonsiege bis dahin: neun. Doch aus der Equipe fuhren sich noch weitere junge Fahrer ins Rampenlicht. Vor alllem einer: João Almeida. Der 22-jährige Portugiese trug 15 Tage lang das Rosa Trikot des Giro d’Italia. Auch der einzige Deutsche im Team Quick Step zeigte eine starke Entwicklung: Jannik Steimle, 24, gewann die Slowakei-Rundfahrt und erreichte bei seiner ersten Grand Tour, der Vuelta, einen dritten Etappenrang.

Zu den großen Gewinnern der Saison gehört auch das deutsche Team Sunweb. Auch wenn sie den Giro d’Italia noch am vorletzten Tag „verloren“. Mit Jai Hindley als Zweiter und Wilco Kelderman als Dritter kamen gleich zwei Sunweb-Profis auf das Podest der Gesamtwertung. Allein der junge Australier Hindley holte vier Saisonsiege – einen beim Giro sowie zwei Etappen und die Gesamtwertung der Herald Sun Tour in seiner Heimat.

Bei Sunweb entwickelte sich ein weiterer junger Fahrer zu einem Weltklasse-Athleten, zu einem jener Profis, die es bei den großen Eintagesrennen zu schlagen gilt: Marc Hirschi. Der 22-jährige Schweizer gewann sowohl eine Etappe der Tour de France als auch den Flèche Wallonne. Sein dänischer Teamkollege Sören Kragh Andersen steuerte gleich zwei souverän herausgefahrene Tour-Etappensiege zu der erfolgreichen Sunweb-Saisonbilanz von 16 Siegen bei.

Top-Talente der Radsport-Saison 2020

Das britische Team Ineos Grenadiers gehörte bis zum Start des Giro d’Italia zu den „Verlierern“ der Saison: Nach sieben Tour-de-France-Gesamtsiegen in den vergangenen acht Jahren kam der beste Ineos-Fahrer in dieser Saison nur auf den 13. Rang. Der viermalige Sieger Chris Froome war nach seinem schweren Sturz im Vorjahr noch nicht in Form. Geraint Thomas, der Tour-Sieger von 2018, wurde nicht nominiert.

Die Briten setzten auf einen alleinigen Kapitän: den Vorjahressieger Egan Bernal. Doch der Kolumbianer kämpfte mit Rückenproblemen – und beendete die Rundfahrt vorzeitig. Das eigentliche Saisonziel – die Tour – lief für das britische Team demnach katastrophal, auch wenn Michał Kwiatkowski und Richard Carapaz bei einer Bergetappe einen Doppelsieg herausfuhren.

Ineos Grenadiers rettet seine Radsport-Saison beim Giro

Doch dann kam der Giro d’Italia – und damit eine weitere Sensation. Ein weiterer Aufstieg dieser Saison. Jener des Tao Geoghegan Hart. Der 25-jährige Brite gewann zwei Etappen – und holte sich am letzten Renntag bei dem abschließenden Zeitfahren noch das Rosa Trikot. Es war der zweite Giro-Sieg für Ineos nach dem Erfolg von Chris Froome im Jahr 2018.

Als herausragend zeigte sich auch der aktuelle Zeitfahr-Weltmeister Filippo Ganna: Der erst 24-Jährige gewann alle drei Zeitfahren und eine schwere Bergetappe als Solist. Da auch der Ecuadorianer Jhonatan Narváez in Cesenatico eine Etappe gewann, kam das Team Ineos auf extrem beeindruckende sieben Giro-Tagessiege.

Auch die letzte Grand Tour des Jahres verlief erfolgreich für die britische Equipe: Richard Carapaz wurde – mit nur 24 Sekunden Rückstand auf Primož Roglič – Gesamtzweiter der Vuelta.

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Deutsche Profis

Zu den großen Saison-Gewinnern zählen auch die Verantwortlichen des UAE Teams Emirates. Die Bilanz: 33 Siege – darunter der Gesamtsieg bei der Tour de France. Allein Tadej Pogačar gewann acht Rennen. Eine starke Saison 2020 zeigte auch das US-amerikanische Team EF Pro Cycling – auch wenn nicht alle Ziele erreicht wurden.

So blieb der Team-Kapitän Rigoberto Urán bei der Tour de France etwas hinter den Erwartungen: Der Kolumbianer wurde Achter. Doch einer der Überraschungsfahrer dieser Saison holte noch einen Etappensieg: Uráns Landsmann Daniel Martínez. Der 24-Jährige gewann zudem das Critérium du Dauphiné. Auch ein weiterer Klassement-Fahrer aus dem Team EF feierte 2020 seinen Durchbruch: Hugh Carthy. Der 26-jährige Brite gewann die Bergetappe am Alto de l’Angliru und wurde Gesamtdritter der Vuelta.

Verlierer

Zu den „Verlierern“ dieser Saison zählt dagegen etwa das spanische Movistar-Team. Die Bilanz: nur zwei Siege. Bei der Tour de France und der Vuelta kam Enric Mas je auf den fünften Platz. Der Co-Kapitän, der inzwischen 40-jährige Alejandro Valverde, wurde Zwölfter der Tour, Zehnter der Vuelta, Achter der WM – doch er gewann kein Rennen. Ganz hinten in der Team-Punktewertung der Saison finden sich auch die Equipes Israel Start-Up Nation, NTT und Cofidis. Das deutsche Team Bora-Hansgrohe erlebte während dieser Saison viele Höhen und Tiefen.

Gerade auch während des großen Saisonziels, der Tour de France: Der Vorjahresvierte und Kapitän, Emanuel Buchmann, ging angeschlagen in das Rennen, fand nie seine Form – und musste seine Gesamtwertungs-Ambitionen früh aufgeben.

Peter Sagans Serie reißt

Auch die „grüne Serie“ des Peter Sagan riss: Der Slowake verpasste den Gewinn seines achten Grünen Trikots. Er musste sich in dieser Wertung seinem früheren Bora-Teamkollegen Sam Bennett geschlagen geben. Doch ein Fahrer „rettete“ die Tour-Bilanz für das deutsche Team: Lennard Kämna gewann die 16. Etappe als Solist. Eine großartige Leistung zeigte auch der Österreicher Felix Großschartner, der ohne viel Team-Unterstützung bei der Vuelta auf Gesamtrang neun fuhr.

Konstant erfolgreich fuhr auch Pascal Ackermann: Der Sprinter gewann unter anderem zwei Vuelta-Etappen. 2021 wird er zum ersten Mal bei der Tour de France an den Start zu gehen – und sich damit einen Kindheitstraum erfüllen.

Eine gute zweite Saisonhälfte fuhr auch der deutsche Lotto-Soudal-Profi John Degenkolb: Er gewann eine Etappe der Luxemburg-Rundfahrt, wurde Neunter der Flandernrundfahrt, Sechster bei Gent-Wevelgem und Vierter bei De Panne. Sein Lieblingsrennen, Paris-Roubaix, wurde zunächst in den Herbst verlegt – und dann wegen steigender Corona-Infektionszahlen abgesagt. So wie zahlreiche andere Rennen, etwa das Amstel Gold Race, die Cyclassics Hamburg, die Tour de Romandie, die Tour de Suisse und die Deutschland Tour.

Die Radsport-Saison 2020 war eine ganz besondere, eine spektakuläre. Ob die nächste Saison eine „normalere“ wird, ist aktuell noch völlig offen.


Top-Fahrerinnen der Radsport-Saison 2020

Auch im Renn-Kalender der Frauen gab es viele Rennausfälle – doch etliche der großen Rennen konnten ausgetragen werden. Anders als bei den Männern blieb ein großer Generationswechsel aus.

Die 2020 dominierenden Fahrerinnen waren dieselben wie in den Vorjahren. Allen voran: die Niederländerinnen. Annemiek van Vleuten dominierte die Saison im Frühjahr und auch nach dem Re-Start: Im Februar gewann sie Omloop Het Nieuwsblad, im August Strade Bianche und die EM. Beim Giro Rosa führte sie nach sechs Etappen deutlich – und stürzte dann schwer. Mit einem gebrochenen Handgelenk schied sie aus und gewann dennoch kurz darauf Silber im WM-Rennen.

Radsport-Saison, Jahresbilanz, Frauen

In der Radsport-Saison der Frauen blieb der Generationswechsel aus

Dort dominierte Anna van der Breggen: Sie gewann den Titel im Straßenrennen und im Einzelzeitfahren und „erbte“ den Gesamtsieg beim Giro Rosa von ihrer Landsfrau. An der Spitze des UCI-Rankings standen am Ende der Saison ebenfalls erfahrene Athletinnen: Lizzie Deignan und Elisa Longo Borghini.

Doch auch junge Fahrerinnen streben an die Weltspitze. Allen voran: die 22-jährige Deutsche Liane Lippert. Die erfahrene Lisa Brennauer gewann den Saisonabschluss in Spanien, die Madrid Challenge, und konnte – ebenso wie Lippert – eine Reihe von Top-Ten-Ergebnissen einfahren.


Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2021Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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