Vincenzo Nibali, Karriereende, Portrait
Vincenzo Nibali: Giro-, Tour- und Vuelta-Sieger im Portrait

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Vincenzo Nibali: Giro-, Tour- und Vuelta-Sieger im Portrait

Giro, Tour, Vuelta: Vincenzo Nibali ist einer von nur sieben Profis, die alle drei Grand Tours mindestens einmal gewannen. Nun erklärte er seinen Rücktritt zum Saisonende. Ein Portrait.
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In Messina begann es – und es endete dort. In der Stadt im Nordosten Siziliens wuchs er auf. Von hier zog er mit 15 Jahren weg, um auf dem Festland Radprofi zu werden. Mitten in der Saison verkündete er hier – während des Giro d’Italia, jener Rundfahrt, die er zweimal gewann – das Ende seiner Karriere.

Er hat in seiner Karriere 15 Grand-Tour-Etappen und mehrere Klassiker gewonnen. Nach seinem Sieg bei der Sizilien-Rundfahrt im vergangenen Oktober brach er in den Armen seiner Mannschaftskameraden zusammen und weinte wie ein Kind. So viel bedeutete ihm dieser Sieg – so viel bedeutete ihm seine Heimat.

Vincenzo Nibali: Der Oldschool-Athlet

Vincenzo Nibali gilt als einer, der sich selten öffnet, der sich seine Freunde und Interviewpartner genau auswählt. Und er gilt als: ein „Oldschool-Athlet“, als Traditionalist, als Instinktfahrer. Oft hat er die Tyrannei der Daten beklagt, die Art und Weise, wie inzwischen viele versuchen, Radrennen, Leistung und Ergebnisse nur durch Wattzahlen und Leistungskurven zu definieren.

Dieser analytische Ansatz, den einst das einstige Team Sky früh einsetzte, nahm dem Radsport aus der Sicht Nibalis: Reiz, Spannung, Action, das Menschliche. Entsprechend liest sich auch seine Biografie. Ihr Titel: Di furore e lealtà – Von Leidenschaft und Loyalität. Das Buch erschien nach seinem großen Sieg bei der Tour de France 2014. Nibali beschreibt darin, wie er als Kind sein erstes Rad bekam, damit er Ruhe gab und beschäftigt war. Wie er Runden mit seinem Vater im Hinterland von Messina drehte. Und: Wie der Vater das erste Rennrad des Sohnes mit einer Eisensäge zerlegte, weil er dessen Schulnoten als deutlich zu schlecht einstufte.

Grand Tours und Sizilien

Ein paar Wochen später schweißte er die beiden Hälften wieder zusammen. Vincenzo Nibali hat in den 18 Jahren seiner Karriere als Radprofi viel gewonnen. Und: Er erlebte viele Tiefen. So wurde das olympische Straßenrennen der Spiele von Rio de Janeiro 2016 zu einem Drama: Nibali fuhr in der Spitzengruppe, attackierte am letzten Anstieg, war mit zwei anderen Fahrern an der Spitze, wirkte wie der neue Olympiasieger – und stürzte dann in einer Kurve der Abfahrt. Statt Olympiagold zu gewinnen, brach er sich das Schlüsselbein.

Sechs Jahre später wird diese große Karriere nun zu Ende gehen. Am fünften Tage, nach jener Etappe, die in seiner Heimatstadt endete, sprach er die Worte: „Das wird mein letzter Giro sein. Am Saisonende höre ich wohl mit dem Profiradsport auf. Ich habe viel erreicht in meiner Karriere. Ich habe viel in den Radsport investiert und vielleicht ist jetzt der Moment gekommen, in dem ich der Familie und den Freunden ein bisschen etwas zurückgeben kann, das sie und ich für die zwei Räder geopfert haben.“

Tour de France, Giro d’Italia, Vuelta a España

Der 37-Jährige hat in seiner erfolgreichen Laufbahn das erreicht, was außer ihm nur sechs weiteren Rennfahrern gelang: das Grand-Tour-Triple aus Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta a España. Außer ihm gewannen nur Felice Gimondi, Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault, Chris Froome und Alberto Contador alle drei großen Landesrundfahrten.

Als Nibali seine Profikarriere begann, diktierte der Amerikaner Lance Armstrong die Tour. Ihm folgten erst der Spanier Alberto Contador, dann Chris Froome. Als der Brite 2014 nach einem Sturz die Tour beenden musste, war der Weg frei für Nibali. Zuvor hatte er bereits die Vuelta, 2010, und den Giro, 2013, gewonnen, dessen rosa Leadertrikot er 2016 ein zweites Mal bis Mailand trug. Zudem gewann er zweimal die Lombardei-Rundfahrt, 2015 und 2017, einmal Mailand-Sanremo, 2018 – und etliche andere Rennen.

Abfahrten und Taktik

Was Nibali auszeichnet, war zum einen die Fähigkeit, seine gute Form über mehrere Wochen in einer Saison zu konservieren. Zum anderen verfügt er über einen extrem guten Renninstinkt beziehungsweise gute Rennintelligenz. Er attackierte in seiner Karriere oft genau zum richtigen Zeitpunkt – und agierte häufig taktisch sehr klug.

Und: Nibali ist nicht nur bergauf stark – sondern auch bergab. Immer wieder setzte er seine Konkurrenten während Abfahrten unter Druck. Immer wieder baute er dort einen Vorsprung aus. „Vincenzo baut eher langsam seine Form auf. Er kann dieses Level dann aber auch länger halten. Das hat sich mit zunehmendem Alter noch verstärkt“, sagt sein langjähriger Trainer Paolo Slongo.

Um als Radsportler erfolgreich zu sein, verließ Nibali bereits mit 15 Jahren seine Heimat Sizilien und zog in die Toskana. Von dort aus war es einfacher, zu den verschiedenen Rennen zu kommen. Er lernte schnell: Er wurde in die Junioren-Nationalmannschaft aufgenommen – und holte 2002 mit 17 Jahren seine erste internationale Medaille. Er wurde WM-Dritter im Zeitfahren der Junioren bei den Rad-Weltmeisterschaften in Zolder in Belgien. Zwei Jahre später, bei der WM in Verona, gewann er Zeitfahr-Bronze in der Klasse der U23 und wurde Fünfter im Straßenrennen. 2005 wurde er Profi im Team Fassa Bortolo. Nur ein Jahr später wechselte er zur italienischen Liquigas-Equipe.

Dieser Mannschaft blieb er sechs Jahre lang treu, dann unterschrieb er beim kasachischen Team Astana, dem er vier Jahre lang angehörte. Im blauen Trikot der kasachischen Mannschaft gewann er zweimal den Giro und einmal die Tour.

Vincenzo Nibali: Vorbild und Legende

Die weiteren Stationen seiner Laufbahn lauten: Bahrain Merida, Trek-Segafredo und wieder Astana. Sein letzter großer Sieg gelang ihm 2021. Zu Hause. Bei seiner Heim-Rundfahrt, dem Giro di Sicilia. In den Vorjahren häuften sich Stürze, die er selten selbst verschuldete. Nibali bemängelte den mangelnden Respekt und die teils fehlende Fahrtechnik der jüngeren Rennfahrer-Generation.

Nach dieser Saison wird er kein Teil dieses Pelotons mehr sein. Er wird mehr Zeit für seine Familie haben, für seine Frau Rachele und seine Tochter Emma. Doch für seine italienischen Fans wird er immer noch da sein – als Vorbild, als Legende, als aggressiver Fahrer, als „der Hai von Messina“.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 8/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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