Verletzung, Krankheit, Neuaufbau
Neuaufbau nach Sport-Pause durch Verletzung oder Krankheit

Neuaufbau

Neuaufbau nach Sport-Pause durch Verletzung oder Krankheit

Verletzung oder Krankheit: der Weg zurück nach einer Pause ist lang – Tipps Für den Neuaufbau vom zweimaligen Ötztaler-Sieger Stefan Kirchmair.
TEILE DIESEN ARTIKEL

Wochen und Monate der Vorbereitung, die Formkurve steigt an – und plötzlich geht nichts mehr. Ein erhöhter Ruhepuls, verminderte Leistungsfähigkeit oder allgemeine Müdigkeit kündigen oft schon vor dem ersten Halskratzen eine Erkältung an. Nach zwei Jahren der Covid-Pandemie scheinen sich gerade die herkömmlichen Infektionskrankheiten wieder auszubreiten. Hinzu kommt, dass viele Sportler unmittelbar durch eine Corona-Erkrankung oder deren Langzeitfolgen „aussetzen“ müssen.

Das Immunsystem kam durch Maßnahmen wie das Maskentragen, Abstandhalten und social-distancing in den vergangenen Monaten mit nur wenigen Krankheitserregern in Kontakt und ist somit jetzt, wenn die Regeln gelockert werden, anfälliger. Dieser Effekt war auch im Profi-Peloton zu beobachten – teilweise hatten die Teams bei den einwöchigen Frühjahrsrundfahrten Paris-Nizza oder Tirreno- Adriatico Probleme, die Startplätze zu füllen. Dazu kommt die Infektiosität der Omikronvariante.

Neuaufbau: Pausieren und Erholen

Wie bei allen Krankheits-Phasen gilt: Man sollte sich die nötige Zeit zur Erholung nehmen und erst dann wieder mit dem Training beginnen, wenn der Infekt vollständig auskuriert ist. Wer zu früh wieder einsteigt, riskiert ernsthafte Folgen für seine Gesundheit.

Ein tragisches Beispiel ist der Fall des Europameisters Sonny Colbrelli. Der Italiener bekam während Paris-Nizza eine Bronchitis. Nur 14 Tage später startete er bei der Katalonienrundfahrt. Im Ziel der ersten Etappe kollabierte er – und musste reanimiert werden. Er überlebte wohl nur durch die unmittelbare Anwesenheit von Ärzten, die ihn sofort behandelten und in ein Krankenhaus überstellten. Ihm musste ein Herzschrittmacher implantiert werden. Ob er seine sportliche Karriere fortsetzen kann, ist derzeit noch fraglich.

Vor allem bei Fieber, Entzündungen und Infekten geht man ein hohes Risiko ein, wenn man sich zu früh wieder körperlichen Belastungen aussetzt. Besonders bei Entzündungen im Körper, wie einer Bronchitis, Stirnhöhlen-Eiterung, viralen Infekten, nach Operationen und Eingriffen an Zähnen oder bei der Verschreibung starker Medikamente wie Antibiotika, Cortison et cetera ist vor allem eines entscheidend: Geduld. Und: das Hören auf den Rat der behandelnden Ärzte.

Durch hohe Herzfrequenz- und Blutdruckwerte können sich akute Entzündungen im ganzen Körper verteilen und an anderen Stellen festsetzen. Auch dadurch kann es zu den leider gerade bei Top-Athleten nicht seltenen Herzmuskelentzündungen kommen.

Auch mich selbst und fast alle meiner betreuten Sportler hat im Frühjahr irgendwann einmal ein Infekt „erwischt“. Meine Vorgehensweise: sofort die eigenen Ziele zurückschrauben und anstehende Events oder Wettkämpfe absagen. Somit nimmt man sich den Druck, doch an den Start gehen zu wollen. Danach sollte man sich von einem Arzt möglichst genau die Diagnose erklären lassen und direkt nachfragen, wie lange das Training pausiert werden sollte.

RennRad 6/2022, Banner

Hier können Sie die RennRad 6/2022 als Printmagazin oder E-Paper bestellen

Wiedereinstieg und Neuaufbau

Auch wenn die Empfehlung vielleicht ernüchternd klingen mag, sollte man sich daran halten und beobachten, wie sich der Körper erholt. Erst nach dem Abklingen von Fieber und dem Ende der Medikamentengabe – und wenn man sich gesund und bereit fühlt – sollte man wieder mit dem Sport beginnen. Und zwar: kurz und sanft, ohne höhere Intensitäten.

Das strukturierte Training mit Intervallen sollte erst nach einigen Tagen des lockeren Trainings wieder aufgenommen werden, um keinen Rückfall oder gar Langzeitfolgen zu riskieren.

Überforderung vermeiden

Für den Wiedereinstieg gilt es, sich bei den ersten Einheiten nicht zu überfordern. Ohne neue Trainingsreize verliert man während der Pause zuerst die Leistungsfähigkeit in den Spitzenbereichen. Die hochintensiven Belastungen fallen daher zunächst deutlich schwerer. Die Laktattoleranz ist vermindert, wodurch sich gleiche Belastungen anstrengender anfühlen. Das Grundlagenausdauerniveau bleibt dagegen relativ lange erhalten.

Dabei gilt: Je länger ein Sportler bereits trainiert und je höher das Ausgangsniveau war, desto langsamer baut der Körper ab. Kürzere Pausen von unter vier Wochen Dauer zeigen meist nur geringe negative Effekte auf die Leistungsfähigkeit.

Die schnellste Veränderung kann in der Kapazität der Muskelglykogenspeicher und im Blutvolumen beobachtet werden, die sich schon nach etwa fünf Tagen reduzieren. In der Folge kann der Muskel weniger Energie speichern und es wird weniger Sauerstoff zum Muskel transportiert. Um die Sauerstoffversorgung sicherzustellen, muss das Herz schneller schlagen. Die Herzfrequenz ist daher bei den ersten Ausfahrten im Vergleich zum Ausgangsniveau deutlich erhöht. Erst nach rund zehn bis 14 Tagen vollständiger Pause nimmt auch die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität – die VO2max – ab. Wer länger als vier Wochen nicht trainieren kann, muss mit rund zehn Prozent Leistungseinbußen an der individuellen aerob-anaeroben Laktatschwelle rechnen.

Kraft und Effizienz der Muskulatur

Auch die Muskulatur verliert dann deutlich an Kraft und Effizienz. Die gute Nachricht: Der Körper „erinnert“ sich, sobald man wieder mit geregeltem Training beginnen kann an die einstige Leistungsfähigkeit. Dieses als Memory-Effekt bezeichnete Phänomen ist einer der Gründe dafür, dass erfahrene Profis nach längeren Verletzungspausen häufig auf einem sehr hohen Niveau wiedereinsteigen und bald erneut konkurrenzfähig sind.

Auch bei Hobby- und Amateursportlern ziehen kürzere Pausen in der Regel keine ernsthaften Leistungseinbußen nach sich. Wer zuvor über mindestens drei Monate regelmäßig trainiert hat, kann das Ausgangsniveau nach zwei bis vier Wochen Training wiedererlangen.

Bei einer längeren Pause von acht Wochen Dauer können dann jedoch bis zu 20 Wochen nötig sein, um das alte Niveau wieder zu erreichen. Die Grundfitness sowie das individuelle „Trainingsalter“ spielen hierbei die entscheidenden Rollen. Sportler, die seit Jahren einen hohen Trainingsumfang absolvieren, erreichen deutlich schneller wieder ihr Ausgangsniveau als Rennrad-Einsteiger.

Diesen Artikel lesen Sie in der RennRad 6/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Stefan Kirchmair ist zweimaliger Sieger des Ötztaler Radmarathons und Radtrainer mit A-Lizenz. Er trainiert etliche Amateur- und Hobbytahleten. Mehr zu ihm und seinem Team finden Sie auch unter: www.kirchmair-cycling.com

Schlagworte
envelope facebook social link instagram