Motor & Mensch: Ist das E-Rennrad eine Gefahr für den Sport?
E-Rennrad statt Muskelkraft: Problem oder Chance? Ein Kommentar
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Zeige mir dein Fahrrad und ich sage dir, wer du bist. So könnte man, unseriöserweise, zu psychologisieren versuchen. Dafür gäbe es einige Ansätze. Denn der deutsche Fahrradmarkt weist eindeutige Tendenzen auf: weg von der eigenen Leistung, hin zum Hilfsantrieb. Das zeigt jede eigene Trainingsfahrt in das bayerische Voralpenland, jedes lange Wochenende, jeder Urlaub in den Alpen. Im Süden Münchens und in den Bergen nimmt man – gefühlt – hauptsächlich noch zwei Arten von Fahrrädern wahr: das Rennrad und das E-Rennrad bzw. E-Bike.
Was bedeutet dies für den Radsport? Für die Rad-Infrastruktur? Für die Gesellschaft?
Fahrräder mit Elektromotor sind seit Jahren ein Trend. Sie sind der Umsatztreiber der Radindustrie und der -Händler. Sie waren auch das große Thema auf der „Eurobike“, der Leitmesse des Fahrradmarktes, auf der die Räder der kommenden Saison gezeigt wurden. Unter den dort präsentierten neuen Rennrädern hatten die meisten – mindestens – eines von zwei Merkmalen: A) breite Stollenreifen, als Zeichen der Zugehörigkeit zu dem neuen Sektor der feldwegtauglichen „Gravelbikes“. Oder B) einen Elektromotor.
E-Rennrad: Mehr als ein Trend?
Motoren und Rennräder – geht das zusammen? Meiner Meinung nach lautet die Antwort auf diese Frage: Jain. Selbstverständlich können E-Bikes generell sinnvoll sein – für spezielle Zielgruppen und spezielle Einsätze. In der Reha etwa, bei Lastenfahrrädern, für Kuriere und Lieferanten, für alte oder gebrechliche Menschen, für Einsteiger oder ältere Fahrer, die mit stärkeren Sportlern unterwegs sind und mithilfe des Motors Leistungsunterschiede bergauf ausgleichen können. Vermutlich werden auch immer mehr Berufspendler E-Rennrad-Käufer werden – mit dem Ziel möglichst schnell, aber nicht verschwitzt am Arbeitsplatz anzukommen.
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Auf der anderen Seite kann man darüber streiten, wozu dieses neue Rad-Segment gehört. Darüber, was ein solches Rad ist. Für mich lautet die Antwort: Es ist kein Rennrad. Sondern etwas anderes. Etwas Neues. Den neuen Elektro-Rennrädern sieht man ihr Innenleben fast nicht mehr an. Eines der meistverbauten Systeme, etwa im KTM Macina Mezzo oder im Focus Paralane², kommt von der jungen bayerischen Firma Fazua – zu hochdeutsch „fahr zu“ beziehungsweise „fahr schneller“ – und wird komplett als Set aus Akku und Motor im Unterrohr verbaut.
Somit muss man sehr genau hinschauen, um einen Unterschied zu einem „normalen“ Rennrad zu sehen. Der Fazua-Motor leistet bis zu 60 Newtonmeter beziehungsweise 400 Watt, die Dauernennleistung liegt bei 250 Watt. Das Systemgewicht: 3,5 Kilogramm. Damit kommen etwa das Macina Mezzo oder das Paralane² auf Gesamtgewichte von je rund 13 Kilogramm.
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Das Ziel der E-Bikes: Bewegung. Egal wie
Natürlich stellen sich dazu viele Fragen: Was, wenn solche Räder bei Radmarathons auftauchen? Wenn die Motoren noch kleiner und leiser werden? Wird es eigene Wertungsklassen geben? Was, wenn die Motoren getuned werden, so dass sie deutlich länger unterstützen als „nur“ bis zu 25 beziehungsweise 27,5 Stundenkilometern? Was, wenn man als Rennradfahrer in einen Unfall mit E-Bi-ke-Fahrern verwickelt ist? Wie soll man auf Radwegen oder in Fahrergruppen das Tempo von Menschen auf E-Bikes richtig einschätzen können? Letzteres ist fast unmöglich. Denn den Motor sieht man in der Regel nur aus der Nähe – und die Beschleunigung ist in vielen Fällen so enorm, dass man sie kaum antizipieren kann.
Natürlich ruft diese Entwicklung des Marktes unter vielen „richtigen“ Rennradfahrern Ablehnung hervor. Verständlicherweise. Denn ein Rennrad mit einem Motor negiert den Sinn dieser Radgattung. Ein Rennrad mit einem Motor erscheint wie eine Hantelstange, die sich selbst nach oben hievt. Oder wie ein Fußball, der per Chipsteuerung und eingebauter Drohne nach jedem Schuss ins Tor fliegt.
Dies ist ein Beitrag aus der RennRad 9/2018. Lust auf mehr? Jetzt im Shop das Heft bestellen!
Muss ein Rennradfahrer E-Bikes verdammen?
Ein Rennrad ist leicht, agil – sein Motor sitzt darauf, keucht, schwitzt und produziert dabei Watt und Wärme. Ein Rennrad ist ein Sportgerät. Eines, mit dem man an seine Grenzen gehen und sie verschieben kann. Eines, auf das man steigt, um zu trainieren, die Natur, die Geschwindigkeit und sich selbst zu erleben.
Doch muss man als richtiger Rennradfahrer E-Bikes deshalb verdammen? Nein. Denn diese Räder sprechen in der Regel eine völlig andere Zielgruppe an: Etwa Menschen, die noch nie zuvor auf einem Rennrad saßen. Aus meiner Sicht geht es letztlich vor allem um eines: Menschen auf Fahrräder zu bekommen. Und: Dazu, sich zu bewegen. Egal wie, egal auf was.
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Chancen & Risiken des E-Rennrad-Trends
Die Städte wachsen und wachsen – und damit die Stauzeiten, der psychische Stress, die Pendelwege, die Zeitverschwendung, die bewegungsmangelbedingten Krankheiten und die damit verbundenen Milliarden-Kosten. Auch das E-Bike kann hier eine Chance zur Entlastung sein: der Innenstädte, der Umwelt und der Psyche. Unter einer Voraussetzung: dem Vorhandensein einer Rad-Infrastruktur aus „echten“, gut ausgebauten und separierten Radwegen.
Da die Politik diese nicht freiwillig schafft, muss man sie dazu zwingen. So wie es etwa der „Volksentscheid Fahrrad“ in Berlin vorgemacht hat. Denn bei der bestehenden Infrastruktur wächst mit der Zahl der Radfahrer und E-Bikes auch das Risiko. In den ersten neun Monaten des Jahres 2017 stieg die Zahl der Unfälle, in die E-Bike-Fahrer verwickelt waren, um 28 Prozent.
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E-Rennrad: Älter fahren schneller, als sie es aus eigener Kraft könnten
Der Unfall-Forscher Siegfried Brockmann sagt dazu: „Viele Ältere fahren durch den Elektromotor schneller, als sie es aus eigener Kraft könnten.“ Was zu einem steigenden Sturzrisiko führt. Dieses Problem muss man in den Griff bekommen. Durch klare Regeln, durch Fahrtechnikschulungen, die etwa die Krankenkassen anbieten und fördern könnten – und vor allem: durch „richtige“ Radwege.
Von dem E-Bike-Trend profitiert die gesamte Radindustrie. Die Zahl der Fahrräder in Deutschland betrug 2017: 73.500.000. Allein in jenem Jahr kamen 720.000 Elektrofahrräder neu hinzu. Ein Wachstum von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Während der Absatz „normaler“ Fahrräder um neun Prozent gesunken ist. Durch die E-Bikes machte die Radbranche dennoch ein Umsatzplus von 3,2 Prozent auf 2,69 Milliarden Euro. Der durchschnittliche Verkaufspreis eines Fahrrades – inklusive E-Bikes: 698 Euro. Der durchschnittliche Verkaufspreis von E-Bikes allein: rund 2300 Euro.
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E-Rennrad: Ein Trend, über den man streiten kann
Man kann und darf über diesen Trend streiten. Man kann ihn ablehnen. Meiner Ansicht nach sollte man ihn aber zunächst einordnen und sich die Fragen beantworten: Sind motorisierte Fahrräder Sportgeräte? Sind sie eine Konkurrenz zum Rennrad – oder eher eine Ergänzung?
Haben sie einen positiven oder einen negativen Einfluss auf die Gesellschaft?