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Nummernschilder für Fahrräder – Lösung oder Verschiebung der Probleme?

Kommentar: Braucht es Nummernschilder für Fahrräder?

Nummernschilder für Fahrräder – Lösung oder Verschiebung der Probleme?

Wer Nummernschilder für Fahrräder fordert, macht die Dinge nur schlimmer und hat nicht die Lösung der eigentlichen Probleme im Blick: Eine Infrastruktur, die es für alle sicherer macht, sich in den Städten zu bewegen.
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„Radl-Rambos“

Aktuell wird sie in vielen Medien gefordert: die Kennzeichnungspflicht für Fahrräder. Denn die „Radl-Rambos“ nehmen überhand, heißt es. Der Tenor: Radfahrer sind rücksichtslos und gefährden andere. Das ist zum Teil richtig. Doch das Problem wäre lösbar.

Alle Jahre wieder tauchen dieselben Themen in den Medien auf. Ein für Radfahrer besonders relevantes Thema wird aktuell mit besonderem Nachdruck aufgegriffen. Die Sau, die aktuell durchs mediale Dorf getrieben wird, trägt den Namen: Nummernschilder für Fahrräder. Ein besonders anschauliches Beispiel der dieser Forderung zugrunde liegenden Argumentation ist im „Berliner Kurier“ zu bewundern. Dort kommentiert eine Redakteurin unter der Überschrift „Die Kennzeichnungs-Pflicht für Radfahrer muss kommen, sonst wird es böse enden“.

Radfahren-in-der-Stadt

Autofahrer gegen Radfahrer: Man sollte die Gruppen nicht gegeneinander ausspielen.

Fahrräder vs. Autos – Radfahrer vs. Autofahrer

Der Kommentar fußt zu weiten Teilen auf einer negativen Erfahrung der Journalistin und wird wie folgt eingeleitet: „Für viele Radfahrer scheint der Verkehr ein rechtsfreier Raum zu sein. Oder besser gesagt: Sie selbst nehmen sich jedes Recht, fahren kreuz und quer, wie sie wollen. Denn im Zweifel sind die bösen Autofahrer schuld. Und am Ende wird geschimpft, gepöbelt, ausgespuckt.“

Um dies zu belegen, führt die Schreiberin ein Beispiel aus eigener Erfahrung an: Ein ohne Licht fahrender Radfahrer, den sie von ihrem Auto aus auf sein Fehlverhalten hinwies, zeigte sich uneinsichtig und beschimpfte sie aufs Übelste. Das ist schlimm. Aus Einzelfällen auf die Gesamtheit zu schließen, ist schlimmer. Um die Unzulässigkeiten dessen zu verstehen, muss man nicht Mathematik studiert haben.

Kommentar: Radfahrer – gefährlich oder gefährdet?

Radwege-Benutzung-

Mehr Radwege, die klar vom Autoverkehr getrennt sind.

Statistik: Unfälle mit Radfahrern

Und mit verwunderlichen Statistiken geht es weiter. Zitat: „Es sind ja mitnichten nur Autofahrer, die für Unfälle mit Radfahrern verantwortlich sind. Fast genauso häufig tragen laut Polizeistatistik die Radler die Schuld.“ Diese „Polizeistatistik“ ist sicher interessant anzuschauen. Interessanter wäre es gewesen, sich darüber zu informieren, wie sie zu Stande kommt. Denn: Zu den Unfällen, an denen Radfahrer „Schuld sind“, zählen all jene, an denen sonst niemand beteiligt ist: Also alle „Alleinunfälle“, jeder Sturz, jedes Wegrutschen. Aussagekraft dieser Zahl: null.

Was dagegen aussagekräftig ist, sind die Zahlen für Deutschland zu Unfällen mit zwei Beteiligten. Diese kommen vom Statistischen Bundesamt, umfassen die Jahre 2013 bis 2016 und zeigen ein völlig anderes Bild: Bei Unfällen zwischen Radfahrern und PKW waren die Autofahrer zu 75 Prozent die Hauptverursacher. Bei jenen zwischen LKW und Radfahrern traf die Hauptschuld zu 80 Prozent die LKW-Fahrer.

Kommentar: Warum die Politik beim Umgang mit Radfahrern versagt

E-Rennrad statt Muskelkraft: Problem oder Chance?

Streitpunkt: Nebeneinander Radfahren

Der nächste Punkt des Kommentars widmet sich „Zweirad-Freaks, die es lustig finden, nicht hinter- sondern nebeneinander zu fahren“. Denn diese „würden vielleicht ihr Hirn in die Gänge setzen, wenn sie wüssten, dass sie nicht anonym unterwegs sind.“ Nun könnte man einwenden, dass man Menschen, die gerne und viel Radfahren auch anders als mit dem sehr negativ konnotierten Wort „Freaks“ bezeichnen könnte. Vor allem aber sollte einem Journalisten bewusst sein, dass zu pauschalisieren grundsätzlich weder schlau noch professionell ist – und dass es Radfahrern in bestimmten Situationen sehr wohl erlaubt ist nebeneinander zu fahren. Dann wenn sie in einem „geschlossenen Verband“ unterwegs sind, was häufig auf größere Gruppen Rennradfahrer zutrifft.

Nummernschild-Fahrrad

Radfahren muss sicherer werden – in der Stadt und auf dem Land.

Fußgänger vs. Radfahrer

„Bin ich zu böse?“, fragt die Schreiberin – und antwortet mit: „Heult doch. Gegenwind ist mein Ansporn, weiter zu argumentieren!“ Sonderlich viele belegbare Argumente sind nicht zu erkennen. Eines lautet: Fußgänger wären besser vor Radfahrern geschützt, wenn an deren Rädern Nummernschilder angebracht wären.

Da fragt man sich: Warum? Wenn ein radfahrender Vollidiot, von denen es leider genug gibt, mit 35 km/h über einen Bürgersteig rast und ein Fußgänger deshalb stürzt, würde dieser das Nummernschild noch erkennen? Was ist bei Dunkelheit? Müsste man dann auch eine Beleuchtung für die Schilder vorschreiben? Wie viele Beamte müssten neu eingestellt werden, um dieses neu geschaffene Bürokratiemonster zu implementieren und zu überwachen? Wie viele Anzeigen müssten die Gerichte verhandeln, bei denen Aussage gegen Aussage steht?

Kommentar: Wo die Verkehrspolitik versagt hat

Mehr Radwege – Platz für Fahrräder

Und auf der Metaebene gedacht: Was, wenn Radfahrer gar nicht auf Fußwegen beziehungsweise Radwegen, die für Fußgänger freigegeben sind, fahren müssten? Was wenn es richtige – also ausreichend breite – Radwege gäbe? Getrennte Fahrspuren für Radfahrer? Radschnellwege? Was wenn die Politik einen kleinen, aber ausreichenden Teil der Rekordsteuereinnahmen in die Rad-Infrastruktur stecken würde? Was wenn sie einfach so handeln würde, wie es in anderen Ländern, etwa den Niederlanden, längst Alltag ist?

Nummernschild-Fahrrad

Der Safety-in-Numbers-Effekt: Mehr Radfahrer bedeutet mehr Sicherheit.

Der Safety-in-Numbers-Effekt

Dort, wo in die Rad-Infrastruktur investiert wurde, hat man festgestellt: Steigt die Zahl der Radfahrer in einer Region, verringert sich deren Unfallrisiko signifikant. In Kopenhagen ist das Unfall-Risiko für Radfahrer in 15 Jahren um mehr als 70 Prozent zurückgegangen. So kann man den Straßenverkehr sicherer machen. Nicht durch ein neues Bürokratiemonster, das natürlich für Viele perfekt ins Paragraphen-Dschungelland Deutschland passen würde.

Kosten für Verkehrsstaus

Nach einer Studie des Unternehmens Inrix kosten allein die innerstädtischen Verkehrstaus die deutsche Volkswirtschaft 80 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommen die enormen Kosten für die Umweltverschmutzung, den Flächenfraß und den Bewegungsmangel. Und unter diesen Voraussetzungen soll das Fahrrad als Verkehrsmittel unattraktiver gemacht werden?

Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Sinus fühlen sich 85 Prozent der Radfahrer unsicher, wenn sie ohne eigene Markierung mit Autos und Lkw gemeinsam auf einer Fahrspur unterwegs sind. Deshalb weichen viele Radfahrer aus. Und deshalb verzichten viele potenzielle Radfahrer auf das Fahren in der Stadt.

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Lösungen statt Probleme

Natürlich gibt es „Radl-Rambos“, „Kampfradler“ oder zu Deutsch: Idioten auf Fahrrädern. Wie überall, wie in allen gesellschaftlichen Gruppen. Und natürlich gehören diese Menschen bestraft. Mehr Fahrradstreifen und an Kreuzungen postierte Polizisten könnten hier Mittel sein.

Ausbau der Rad- und Fußwege

Für Radfahrer sind die Konsequenzen missachteter Verkehrsregeln andere als für Autofahrer – denn sie haben keine zwei Tonnen Stahl um sich herum. Der mediale Tenor, dieses Anheizen der Konflikte – „Böse Radfahrer“ gegen „gute Fußgänger“ gegen „Autofahrer“ – macht die Sache schlimmer und hat nicht die Lösung der Probleme im Blick: eine Infrastruktur zur Verfügung stellen, die es für alle sicherer macht, sich in Städten zu bewegen.

Die gut für die Umwelt, die Luft, die kommunalen Finanzen ist. All dies trifft auf eine einfache und bezahlbare Maßnahme zu: den Ausbau der Rad- und im Zuge dessen auch der Fußwege-Infrastruktur.

Meinung: Kein Zusammenhalt unter Radfahrern

Fahrräder in Metropolen

Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen, ist der falsche Weg. Genauso wie es der falsche Weg ist, das Radfahren unattraktiver zu machen. Laut Umweltbundesamt könnten bis zu 30 Prozent aller PKW-Fahrten in Ballungszentren auf das Fahrrad verlagert werden. Dies wäre ein Teil der Lösung der massiven Stau- und Umweltprobleme.

Dazu kommen natürlich auch die physischen und psychischen Vorteile des Radfahrens. Man muss die Städte für alle sicherer machen. Der Weg dorthin ist in anderen Ländern zu sehen. Er wäre einfach und bezahlbar. Man müsste ihn nur beschreiten wollen.

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