Alpen, Reportage, Tour
Alpen-Tour mit dem Rennrad: Fünf Tage, drei Länder und elf Pässe

Bergwelt

Alpen-Tour mit dem Rennrad: Fünf Tage, drei Länder und elf Pässe

Eine Tour, fünf Tage, drei Länder – Deutschland, Österreich, Italien – und elf Pässe. Diese Tour durch die Alpen war eine besondere. Eine Tour, bei der wenig klappte. Eine Tour des Schmerzes – und eine der neuen positiven Erfahrungen.
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Es geht leicht bergauf. Durchgehend. Bei 35, 36, 37 Grad Celsius. Die Sonne brennt auf uns herab. Wir haben erst 30 Kilometer hinter uns – und ich leide. Von Beginn an. Der Rücken. Der Schmerz strahlt aus bis in die Waden. Wir rollen durch kleine Orte, hier, nördlich von Trient. Erst durch Mezzocorona, dann durch Mezzolombardo. Dann, im Tal der Noce, finden wir einen schattigen schmalen Radweg, der östlich des Flusses entlangführt. Immer geradeaus, immer leicht bergan.

Das Wegchen wird immer steiler. Irgendwann hören wir Stimmen hinter uns. Zwei Italiener – Typ Ex-Lizenz-Rennfahrer Ende 50 und sein Sohn, Anfang 20, Typ aktiver Rennfahrer – rollen hinter uns. Nach ein paar Kilometern fahren sie an uns vorbei und winken uns an ihre Hinterräder. Wo wir hinwollen, fragen sie. Wo wir herkommen. Wie schwer unsere Rucksäcke sind. Als sie die Antworten – in einer Mischung aus Englisch, ein paar italienischen Wörtern, Gesten und Handzeichen – hören beziehungsweise sehen, zeigt ihre Reaktion vor allem eines: Empathie. Und: Respekt und ein leichtes Unverständnis darüber, an einem solchen Tag mit einem solchen Zusatzgewicht noch über zwei Pässe fahren zu wollen. Und wohl auch: Mitleid.

Alpen: Berge und neue Freunde

Der ältere von beiden gibt dem jüngeren die Anweisungen: schneller, langsamer, rechts, links. Uns zuliebe ändern die beiden ihre geplante Strecke – und begleiten uns bis zum Fuß des Tonale-Passes. Rund 45 Kilometer weit. Welch eine Geste. Mit 33, 34, 35 km/h fahren wir in einer Einerreihe durch das leicht ansteigende Tal. Inzwischen auf einer leider breiten, völlig schattenlosen und recht viel befahrenen Straße. Einer Straße, die man nur hinter sich bringen will.

Immer wieder überholen wir kleine Gruppen anderer Rennradfahrer. Unser älterer Begleiter klärt sie im Vorbeifahren darüber auf, was die verrückten Deutschen in seinem Windschatten heute noch vorhaben. Die Reaktionen der Einheimischen reichen von Lachen bis zu Kopfschütteln.

Zwei weitere Fahrer schließen sich unserer Gruppe an. Die Haare sind grau, die Räder etwas älter, die Beine dunkelbraun und ausgezehrt. Beide wirken, als hätten sie in den vergangenen Jahrzehnten hunderttausende Rad-Kilometer und etliche Rennen oder Radmarathons absolviert – und fahren auch so.

Irgendwann, an einem Kreisverkehr, drehen unsere beiden Helfer – Retter schon fast – um. Vater und Sohn. Sie wünschen uns viel Glück und verabschieden sich, da sie unsere Strecke des nächsten Tages kennen, mit den Worten: „Bis morgen. Wir sehen uns am Stelvio.“ Eine solch tiefe Dankbarkeit wie zu diesen beiden eigentlich fremden Menschen habe ich schon lange nicht mehr gespürt. Wie empathisch muss man sein, um seine ganze Planung über den Haufen zu werfen und Stunden seiner Zeit zu investieren, nur um zwei Fremden, mit denen man sich kaum unterhalten kann, zu helfen? Würde dies einem in Deutschland auch passieren? Diese Hilfe – in Form des Windschattengebens – hat uns enorm viel Zeit und Kraft gespart. Kraft, die wir noch brauchen werden.

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Windschatten und Höhenmeter

Wir durchqueren das Örtchen Vermiglio. Die Straße wird steiler. Ein letzter Begleiter gibt uns das Tempo vor. Bis wir an einem Brunnen anhalten müssen, um unsere leeren Trinkflaschen zu füllen. Er hält mit an. Und macht ein Selfie mit uns. Unglaublich. Eine solche Herzlichkeit und Freundlichkeit. Es fühlt sich so ungewöhnlich an, dass ich kurz überwältigt bin. Er fährt weiter. Wir machen eine Pause. Auch im Schatten liegen die Temperaturen bei rund 32, 33 Grad. Irgendwann, nach rund 15 Minuten, stehen wir auf und rollen wieder in die grelle Sonne. Bergauf. Wobei dieser Pass ein gar milder ist: 15 Kilometer, rund 920 Höhenmeter. Dieser Anstieg ist der wohl „einfachste“ der gesamten Region.

Doch er ist nur der Auftakt. Der Scharfrichter des Tages steht uns unmittelbar nach der Abfahrt des Tonale-Passes bevor. Es ist ein Berg, an den wir beide gemischte Erinnerungen haben. Die positiven: Natur, Ruhe, wunderschöne Ausblicke. Die negativen: Hunger, Schmerzen, fehlende Energiereserven. Einmal waren wir bislang hier, einmal haben wir ihn bezwungen – den Passo Gavia. Bei unserer ersten Mehrtages-Tour durch die Alpen. Vor sieben Jahren.

Tour durch die Alpen als Tradition

Es war der Beginn einer Tradition: Zwei Freunde, Michael und ich, ehemalige Vereins- und Rad-Teamkollegen, brechen in jedem Sommer mit denselben Zielen auf. Diese lauten: so viele Pässe wie möglich fahren. Mit so wenig motorisiertem Verkehr wie möglich. Mit Ruhe, Natur, Herausforderungen.

Damals, als wir uns zum ersten Mal am Gavia versuchten, war es während einer Monsteretappe. Mit vier Pässen. Heute sind es nur zwei. Doch heute ist auch ein Tag der eingeschränkten Gesundheit – zumindest bei mir – und einer der Hitze.

Wir fahren den Gavia von seiner „einfacheren“, kürzeren Seite, von Ponte di Legno aus hinauf. Dort machen wir unsere letzte Pause des Tages. Auf einer Bank an einem Campingplatz, im Schatten eines Baumes. Inzwischen haben wir unseren Südtiroler Fotografen getroffen, der uns heute und morgen begleiten wird. Ergo haben wir das große Glück, unsere schweren Rucksäcke in seinem Auto ablegen zu können. Wir essen ausgiebig. Brötchen und Landjägerwurst, Salami und Äpfel. Abfahrt. Uns stehen bevor: 18 Kilometer – und rund 1400 Höhenmeter. Die ersten zwei, drei Kilometer sind recht flach, danach wird es steiler.

Außer uns sind nur wenige Rennradfahrer unterwegs. Auch der PKW- und Motorrad-Verkehr hält sich zum Glück in engen Grenzen. Wie eine Pass-Verkehrshölle aussieht, sollten wir – leider – am nächsten Tag erleben.

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Wir fahren den Gavia von seiner „einfacheren“, kürzeren Seite, von Ponte di Legno aus hinauf

Hitze und Ausblicke

Je höher wir fahren, desto schöner wird es: das schmale Sträßchen vor und hinter uns. Die schneebedeckten Bergspitzen. Das Grau und Weiß und Grün. Und dann das Schwarzbraun des Wassers des Lago Nero, der irgendwann links unter uns liegt. Für mich steht fest: Der Gavia ist einer der schönsten Pässe überhaupt. Schöner, ruhiger, natürlicher als viele andere – auch als die „Königin der Alpenstraßen“, das Stilfser Joch. Dieses steht am nächsten Tag auf unserem Programm. Dort erleben wir einen Extrem-Kontrast zu heute. Irgendwann sind wir oben – auf 2618 Metern über dem Meer. Zwei Gebäude, ein paar Liegestühle, ein paar Rad-, ein paar Motorradfahrer, ein kleiner See – das ist alles.

Der Gipfel des Gavia ist – anders als jener des Stelvio – auch in den Sommermonaten, in der italienischen Ferienzeit, kein Rummelplatz. Selbst hier oben ist es noch warm. 24, 25 Grad. Wir sind für jede einzelne kühle Windböe dankbar. Abfahrt.

An deren Ende, rund 26 Kilometer weiter, liegt unser Tagesziel: Bormio. Eine Stadt der Natur und des Sports, eingerahmt von Bergen. Auch die Abfahrt ist eher wenig erholsam. Die Straße ist schmal und kaum einsehbar, die Kurven sind eng. Hier ist nichts mit „laufenlassen“. Hier muss jede Kurve angebremst werden. Denn hinter jeder Biegung kann ein Auto stehen oder entgegenkommen. Wenn auch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als an vielen anderen Pässen. Einmal wird es eng: Als Michael vor einer Kurve einen langsamen Trekkingradfahrer links überholt – und ihm ein Motorradfahrer auf seiner Straßenseite entgegenkommt. Was hätte der Motorradfahrer gemacht, wenn ihm auf dem schmalen Sträßchen kein Mensch auf einem Rennrad, sondern einer in einem SUV entgegengekommen wäre? Gebetet vermutlich. Und bereut.

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Für mich ist der Gavia einer der schönsten Pässe überhaupt. Schöner, ruhiger, natürlicher als die meisten anderen.

Tour durch die Alpen: Königsetappe und Höhenmeter

Wir rollen durch Bormio, suchen und finden unser Hotel – und sehen beim Eintreten bereits den „Stelvioman“. Das steht auf dem T-Shirt, das er trägt. Daniele ist der Bikemanager des Rad-Hotels Funivia. Wöchentlich bietet er den Gästen mehrere Pässe-Touren an. Auf dem Stilfser Joch war er weit mehr als dreihundertmal. Wir duschen, essen eine Kleinigkeit – und treffen Daniele wieder in einem Raum neben der Lobby, vor einer Leinwand, auf der das Finale von Mailand-Sanremo gezeigt wird. Der Frühjahrsklassiker im Sommer.

Alles ist möglich, alles ist anders, in diesem besonderen Jahr 2020, dem Jahr des Virus. Auch in Bormio bleiben aufgrund der Corona-Pandemie viele radfahrende Gäste aus. Vor allem: Australier. Sie zählen zur wichtigsten Gästegruppe des Hotels, erzählt uns Daniele. Sie fliegen um die ganze Welt, sitzen 23 Stunden lang in einem Flugzeug, um die Pass-Legenden Stelvio und Gavia einmal selbst auf dem Rennrad zu bezwingen.

Der Cappuccino ist exzellent. Das Abendessen fällt lang und ausgiebig aus. Eigentlich hatten wir zwei Tage in Bormio bleiben wollen. Eigentlich hatten wir für morgen die „Königsetappe“ geplant: 170 Kilometer, 5400 Höhenmeter – über den Gavia, den Mortirolo, den Stelvio und den Reschenpass. Leider ist dies in meiner Verfassung völlig unmöglich. Wir verkürzen sowohl unsere Strecken als auch die gesamte Tour – auf fünf statt sechs Tage. Was extrem schade ist, da wir beide in einer guten Form waren.

Michael hatte bereits vor der Tour angekündigt, in der „Peak-Form“ für den Rest des Lebens zu sein und etliche „KOMs“, die Strava-Bestzeiten an Anstiegen, im Altmühl- und Taubertal geholt zu haben. Was mich natürlich dazu veranlasste, deutlich mehr zu trainieren als in den Vorjahren. Alles umsonst, alles vergeblich.Der nächste Tag. Der nächste Anstieg, der schon am Ortsausgang von Bormio beginnt: das Stilfser Joch. In den Vorjahren sind wir jeweils von der anderen, der schwierigeren Seite, jener von Prad aus, gestartet. Doch auch von dieser Seite aus ist der Stelvio eine Herausforderung – gerade mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken und bei Temperaturen von bereits morgens annähernd 30 Grad. Wobei wir heute nicht ganz bis oben fahren, sondern nur bis zu einer Abzweigung. Einer Abzweigung, die uns in die Schweiz führt, zumindest für ein kurzes Stück. Jener Abzweigung zum Umbrail-Pass. Die Daten des Anstiegs: 17 Kilometer, 1300 Höhenmeter.

Stau bergauf

Schon auf den ersten Kilometern werden die Schmerzen im unteren Rücken und den Oberschenkeln immer stärker. Ich komme mir unglaublich langsam vor. In Relation zu den vielen anderen Rennradfahrern um mich herum komme ich dennoch irgendwie vorwärts. Ein-, zwei-, dreimal stehe ich – trotz meines langsamen Tempos bergauf – im Stau. Autos und Wohnmobile kommen in Kurven nicht aneinander vorbei. Alles steht. Immerhin sind dies seltene Augenblicke der Ruhe während dieser Auffahrt. Sonst umgibt mich ein beständiger Motorenlärm.

Dies ist meine siebte Auffahrt auf das Stilfser Joch, beziehungsweise den Umbrail-Pass – doch noch nie habe ich hier einen auch nur annähernd so dichten, lauten, stinkenden motorisierten Verkehr erlebt. Als ich endlich die Abzweigung in Richtung Schweiz erreiche, ist es wie eine Erlösung. Weniger Verkehr, mehr Ruhe. Wir setzen uns ins Gras. 2503 Meter über dem Meer. Am höchsten Punkt der höchsten Passstraße der Schweiz.

Die Abfahrt ist, nachdem wir einige extrem langsame Autos überholt haben, wunderschön. Ruhig, kurvig, schnell. Wir rollen durch das Münstertal und Müstair – und wieder über die italienische Grenze.

Reschenpass

Über Laatsch und Mals erreichen wir einen Weg, den wir bereits von früheren Alpentouren kennen und schätzen: den Radweg hinauf zum Reschenpass. Auf der großen Reschenstraße wäre Radfahren wohl ein gefährlicher Alptraum. Hier ist es ideal. Der Radweg ist schmal, gut asphaltiert, und führt westlich des Reschensees direkt am Ufer entlang.

Einzig die Tatsache, dass ich den Anstieg hier in früheren Jahren kaum wahrgenommen habe – und jetzt gefühlt kaum vorwärtskomme, beeinträchtigt meine Freude darüber, wieder hier sein zu dürfen. Auch hier erleben wir Neues. Auch dieser Radweg war bislang, wenn wir hier waren, noch nie so voll. Wanderer, Radfahrer – die meisten mit einem Motor und einem Akku am Rad – Skirollerfahrer, Spaziergänger. Einige Male wünschen wir uns eine Klingel, oder besser eine sehr laute Tröte am Rad zu haben.

Die Alpen in fünf Tagen: Station Timmelsjoch

Unser Tagesziel ist nahe: Nauders. Das Dorf liegt 1394 Meter über dem Meer, oben auf einem kleinen Hochplateau am Reschenpass. Auch in diesem Hotel, dem Central, haben wir bereits übernachtet. Allerdings kamen wir noch nie so früh an. Früh genug, um die Nachmittags-Sportler-Jause genießen zu können: Wiener Würstchen, Brötchen, Joghurt mit Früchten, Kuchen. Geschätzt nehme ich heute mehr Kalorien auf, als ich verbraucht habe. Mit Genuss. Aus einem alkoholfreien Bier werden zwei mit. Abends versuche ich, wie immer während dieser Tour, gegen die Schmerzen anzudehnen. Vergeblich. Die Probleme werden von Tag zu Tag etwas schlimmer.

Dabei war unser erster Tag auf dem Rad auch der längste. Donnerstagsabends sind wir nach der Arbeit mit dem Auto nach Garmisch-Partenkirchen gefahren. Von dort ging es am nächsten Morgen los. Immer gen Süden. Erst auf dem Radweg gen Mittenwald, dann durch Telfs und Silz bis zum Fuß des ersten Berges unserer Tour. Eines Anstieges, den wir bereits kannten. Eines Anstieges, der keinen „großen Namen“ hat, doch vor dem wir großen Respekt haben: den Haiminger Berg, beziehungsweise den Silzer Sattel. Seine Daten: zehn Kilometer, 1000 Höhenmeter. Die beeindruckende Durchschnittssteigung lässt sich somit einfach ausrechnen. Die Straße beginnt steil – und wird bis oben hin kaum flacher.

Der Bora-Hansgrohe-Profi Emanuel Buchmann stellte an diesem Anstieg einen, wenn auch „nur“ vorübergehenden und inoffiziellen Everesting-Weltrekord auf: Er absolvierte 8848 Höhenmeter in 7:28 Stunden. Wir mühen uns schon mit dieser einen Auffahrt ab. Bei 33, 34 Grad. Ohne Schatten. Oben machen wir eine kurze Pause.

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Pause

Abfahrt ins Ötztal

Und rollen dann bergab, durch Ochsengarten und auf der Kühtai-Straße hinab ins Ötztal. In diesem bleiben wir rund 40 Kilometer lang, bis wir am Talende die größte Herausforderung des Tages erreichen: das Timmelsjoch. Auch wenn der legendäre Anstieg von dieser Seite aus deutlich einfacher ist als von der anderen. Von hier, von Sölden aus, trennen uns rund 22 Kilometer und 1300 Höhenmeter von dem höchsten Punkt der Passstraße.

Schon nach wenigen Kilometern passiert, was uns sonst so gut wie nie passiert: Wir werden eingeholt. Von zwei Fahrern, die sogar noch, wie wir, Gepäck dabei haben. Einer von beiden zieht davon. Nach einem kurzen Grundfragenaustausch mit seinem Begleiter – wo kommt ihr her, wo fahrt ihr hin, wie viele Tage seid ihr unterwegs – stellt sich heraus, dass hier ein Brüderpaar unterwegs ist, dessen Nachname mir bekannt vorkommt: Simon und Patrick Nuber. „Der da vorne“, sagt Patrick und zeigt auf den Fahrer im weißen Trikot vor uns, „ist der amtierende Deutsche Bergmeister“.

Alpen: Abseits des Alltags

Wir fahren zusammen bis zum Ende der Abfahrt. Die beiden übernachten in St. Leonhard. Wir fahren weiter. Erst bergab bis Meran. Dann, auf einem schönen Radweg, noch einmal bergauf. Bis ins Vinschgau. Die letzten Kilometer des Tages sind dann flach.

Es wird spät, bis wir nach rund 200 Kilometern und 3000 Höhenmetern unser Ziel erreichen: Naturns. Der zweite Tag wird für mich zum Tag des Schmerzes. Schon am ersten Berg des Tages, der Auffahrt von Meran nach Hafling mit seinen rund 1100 Höhenmetern, läuft es furchtbar. Der Tritt ist unrund, die Muskulatur fühlt sich entzündet an. Auf dem Hochplateau bis Mölten beziehungsweise Jenesien falle ich bei jeder Welle aus Michaels Windschatten. Unten in Bozen beschließe ich, die Etappe abzubrechen. Ich fahre den direkten Weg ins Hotel. Michael fährt die geplante Strecke – mit weit über 3000 Höhenmetern.

Auch am nächsten Tag „kürzen wir ab“. Wir lassen die ersten beiden eingeplanten Berge des Tages, den Mendelpass und das Brezer Joch, weg und fahren stattdessen „nur“ über den Tonale und den Gavia. Dies ist der Tag, an dem uns die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der beiden italienischen Rennradfahrer überwältigt.

Auch unser letzter Tag wird kürzer als geplant. Die Strecke führt uns über rund 140 Kilometer zurück nach Garmisch-Partenkirchen – und über nur zwei Anstiege: die Piller Höhe und den Buchener Sattel. Beide Berge kennen wir bereits. Dennoch wird dies heute eine neue Erfahrung. Eine des Schweißes und des nahen Hitzeschocks. Denn beide Anstiege sind steil – und auf beiden staut sich, wenn man streckenweise nur rund neun km/h fährt – die Hitze enorm. Gefühlt liegt die Temperatur bei mehr als 40 Grad. Es ist einer der heißesten Tage des Jahres, der letzte Tag unserer Tour. Einer Tour der Pässe, der Natur, der Verbundenheit, der Freundschaft – und der neuen Erfahrungen: positive wie negative. Der Erfahrungen, die man in der „Normalität“, im Alltag, wohl niemals machen würde.

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Alpen-Tour: Die Ernährung

Kohlenhydrate, Fett, Proteine: Worauf kommt es an? Trainierte Sportler können, je nach ihrer Muskelmasse, bis zu 600 Gramm Glykogen speichern. Pro Stunde können nur etwa 60 bis 90 Gramm Kohlenhydrate zugeführt und verarbeitet werden, während bis zu 200 Gramm pro Stunde verbraucht werden können.

Für intensive Belastungen im anaeroben Bereich werden Kohlenhydrate dringend benötigt. Doch durch zu viele Kohlenhydrate können die Verdauungsorgane überlastet werden. Was im Magen ist, wird nach und nach in den Dünndarm weitergeleitet. Von dort aus gelangen die meisten Nährstoffe mit dem Blut in den Kreislauf. Es können sich hier aber mehr Kohlenhydrate befinden, als aufgenommen werden. Dann werden diese in den Dickdarm weitergegeben und zur Ausscheidung verarbeitet.

Ein Gelpäckchen liefert je etwa 100 bis 150 Kilokalorien, und damit bis zu 30 Gramm Kohlenhydrate. Schnell verfügbare Kohlenhydrate sollten kontinuierlich in kleinen Portionen aufgenommen werden. Denn das durch den Zucker ausgeschüttete Insulin führt die Energie vom Blut in die Muskelzellen. Dadurch sinkt der Zuckerspiegel im Blut ab. Dies führt zu einem Leistungsabfall, wenn nicht rechtzeitig weitere Kohlenhydrate über die Darmzellen ins Blut gelangen.

Die Rolle des Fettstoffwechsels

Für lange Ausdauerleistungen spielt jedoch auch der Fettstoffwechsel eine extrem wichtige Rolle. Ein trainierter Fettstoffwechsel kann verstärkt auf Fettsäuren zugreifen. Fett sollte demnach nicht verteufelt werden, denn während der Belastung werden auch die Blutfette zur Energiegewinnung herangezogen. Joghurt, Milch oder Soja-Produkte bieten sich an.

Müsli sollte aber am Vorabend mit Wasser oder Sojamilch angesetzt werden, denn dann ist es leichter zu verdauen. In Quark oder Bananen findet sich Kalium, das die Glykogenspeicherung im Muskel unterstützt.

Zur Regeneration, vor allem zu Reparaturprozessen in den Muskeln, werden Proteine benötigt. Zwischen 1,3 und 2,1 Gramm hochwertiges Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht sollten Ausdauersportler täglich zu sich nehmen. Für Sportgetränke gilt eine Konzentration von Kohlenhydraten im Wasser von vier bis acht Prozent als ideal. Mit jedem getrunkenen Liter sollten zudem 300 bis 700 Milligramm Elektrolyte zugeführt werden.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 8/2021Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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