Satteltest: Elf günstige Sitzgelegenheiten

Im Test: Günstige Sattel

Satteltest: Elf günstige Sitzgelegenheiten

Beim Blick in die Regale der Händler reihen sich die Sattelmodelle aus dem tiefen dreistelligen Eurobereich aneinander. Wir haben uns auf die Suche nach Sätteln aus dem zweistelligen Bereich gemacht und können Ihnen eine ganze Menge präsentieren.
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1200 Euro für den Preziosa von Selle Italia! Sicher, dieses Sondermodell wird sich kaum einer der Käufer auf sein Rennrad basteln – dem Schmuckstück dürften stattdessen entspannte Tage in einer Glasvitrine bevorstehen.

Dennoch, die Preise für Sättel sind in den letzten Jahren explodiert, und es gibt inzwischen Sitzgelegenheiten, die, ohne sich „Sondermodell“ zu nennen, 250 Euro kosten und voll im Einsatz sind.

Müssen Sie aber 200 Euro und mehr ausgeben, um mit dem letzten Stand der Technik bequem und gesund auf einem Sattel zu sitzen? Wir wissen, dass das nicht so ist und stellen Sättel vor, die allesamt und zum Teil deutlich unter 100 Euro kosten und dennoch Ihren Ansprüchen genügen sollten. Klar muss natürlich sein, dass wir Ihnen keinen Vollcarbonsattel von AX Lightness mit einem Gewicht von rund 60 Gramm präsentieren können. Obwohl, ein Leichtgewicht haben wir dabei: Der I FLY C wiegt 145 Gramm und ist mit 69,90 Euro ein echtes Schnäppchen. In Verbindung mit der (einzigen) passenden hauseigenen Sattelstütze bietet das Duo per Schienentechnik eine große Breite an Einstellmöglichkeiten. Gemeinsam gehören die beiden laut Hersteller zum leichtesten System Sattel/Sattelstütze, das es auf dem Markt gibt.

Bei der Auswahl unserer Modelle hat die Zahl auf der Waage aber keine Rolle gespielt. Neben der 100 Euro-Grenze war für uns entscheidend, Ihnen Sättel zu präsentieren, die von ihrer Konzeption möglichst unterschiedlich sind.

Die Ergonomie im Radsport gewinnt immer mehr an Bedeutung. Und hier ist vor allem der Bereich Sattel ein ganz „empfindlicher“. Jedes Jahr liest man aufs Neue die Schreckensmeldung Radfahren mache impotent. Und tatsächlich gibt es einen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Erektionsproblemen und der Kilometerleistung auf dem Fahrrad.

Mangelnde Durchblutung kann zu Impotenz führen

Radsportler sind fast dreimal so häufig von Impotenz betroffen wie Nicht-Radsportler. Laut „Sattelguru“ Dr. Sommer von der Universität in Köln gehören Sie bereits zur Risikogruppe, wenn Sie 250 Kilometer pro Woche auf dem Rennrad verbringen. Das bedeutet aber auch, dass Sie im Jahr über 12.000 Kilometer strampeln müssen, um zur Gruppe der „Auserwählten“ zu gehören. Festzuhalten bleibt auch, dass es genügend Radsportler, auch mit mehr als 12.000 Kilometer Jahresleistung gibt, die keinerlei Probleme dieser Art auf dem Sattel haben.

Dennoch: das Problem, das beim Radfahren unter Umständen entsteht, ist die mangelnde Versorgung des Penis bzw. des Dammbereichs mit Blut bzw. Sauerstoff. Die Hauptarterien im Dammbereich werden bei der typischen gebückten Rennradposition häufig eingeklemmt, was eine ausreichende Durchblutung erschwert und auf Dauer zum genannten Dilemma führen kann.
Damit sind indirekt auch die häufig auftretenden Taubheitsgefühle im Penis angesprochen, unter denen viele Radsportler leiden. Die Nerven, die für die Information, wie z.B. Schmerz, zuständig sind, sind bei einem tauben Penis unterversorgt und können so keine Daten an das Gehirn liefern. Die Folge: Man spürt nichts mehr. Ein direkter Hinweis auf anstehende Erektionsprobleme ist das aber nicht. So oder so, die Anforderung an einen guten Sattel ist es, den Dammbereich zu entlasten, um den Blutfluss zu gewährleisten.

Auf die Richtige Breite kommt es an

Die Hersteller sind schon seit geraumer Zeit auf die Problematik aufmerksam geworden und gehen verschiedene Wege, um das Problem bzw. die Probleme zu lösen. Einig ist man sich darin, dass der Kontakt zwischen Sattel und Fahrer über die Sitzknochen, nicht über den schmerzunempfindlichen Dammbereich stattfinden sollte. Sie sollten Ihr Gesäß mit den Sitzknochen auf dem Sattel platzieren. Damit dies geschehen kann, ist unter anderem die richtige Breite eines Sattels entscheidend.

Ein Beispiel: Ein Modell, das schmaler ist als der Abstand Ihrer beiden Sitzknochen, führt dazu, dass Sie zu tief in den Sattel einsinken und Sie so den Dammbereich belasten. Das tiefe Einsinken in den Sattel ist also gefährlich und ein superweicher Sattel wird zwar Ihre Sitzknochen äußerst erfreuen, Ihren Dammbereich aber in tiefen Schlaf versetzen. Specialized, SQ-lab und Terry bieten deswegen ihre Modelle in verschiedenen Breiten an. Geschulte Fachhändler werden Ihnen beim Bestimmen Ihrer Sitzknochenbreite gerne weiterhelfen. Der Vorgang ist unproblematisch, schnell erledigt, und hält eventuell „Neuigkeiten“ über Ihre Beckenstellung bereit.

Auf den Sitzknochen sitzen Sie richtig

Sie müssen sich ein bisschen Sitzfleisch antrainieren, darum werden Sie nicht herumkommen. Ganz auf Komfort sollten und müssen Sie aber nicht verzichten. Fast alle Hersteller setzen auf verschiedene Arten von Gel, um ein Durchsitzen bis auf die Sattelschale zu verhindern. Der Komfort entsteht aber nicht nur durch Polsterung. Selle San Marco mit dem SKN oder Selle Italia mit dem Gel Flow erreichen durch ein geteiltes Gestell einen hohen Dämpfungskomfort. Die Sitzhöcker können unabhängig voneinander bewegt werden und das stark flexende Gestell federt Straßenunebenheiten gekonnt ab. Allerdings ein gefährliches Spiel: Bei zu starkem Flex geben die Flanken des Sattels sehr nach, die Sitzknochen verlieren an Höhe und der Dammbereich wird wieder belastet.

Zurück zur Entlastung des Dammbereichs. Das Erhöhen der Sitzhöcker, wie beim Sattel von SQ-lab, ist eine gute Möglichkeit, um für freien Blutfluss im gesamten Intimbereich zu sorgen. In Deutschland können Sie sich bei über 450 speziell von SQ-lab geschulten Händlern vermessen lassen und so vielleicht den richtigen Sattel finden.

Eine andere Möglichkeit ist die einer Aussparung in der Sattelmitte, bei WTB zum Beispiel heißt diese Entlastung des Dammbereichs durchaus treffend „Love Channel“.

Andere Hersteller wie Terry, Selle Italia, Specialized oder Selle SMP verzichten sogar ganz auf Material in der Sattelmitte. Beim letztgenannten treffen wir dabei auf eine ganz extreme Variante. Der „Kanal“ in der Sattelmitte des „Selle“ von SMP ist handkantenbreit und auch fast so lang wie eine ganze Hand. Die Aussparung beginnt bereits an der gekrümmten Sattelnase, dem so genannten „Geierschnabel“ und lässt so viel Platz für den Genitalbereich, die Entlastung des Dammbereichs funktioniert perfekt. Der ergonomische Vorteil des Geierschnabels konnte sich uns im Fahrbetrieb nicht erschließen, allerdings ließ sich das Rad als Ganzes in Kurven sehr gut führen. Trotzdem, das vorgestellte Modell ist für unseren Geschmack für einen Rennradsattel ein bisschen zu bequem und optisch zu wuchtig.

Entlastungsfördernd verzichtet Velox komplett auf eine Sattelnase. Für unseren Geschmack nicht die beste Lösung. Die Bewegungsfreiheit auf dem Sattel wird zu stark eingeschränkt. Vor allem bei Tempoverschärfungen neigen viele Fahrer dazu, die gesamte Position auf dem Rad zu verändern. Das Becken rutscht übers Tretlager, und sogar so mancher Profi sitzt dann fast auf der Sattelspitze, um möglichst viel Kraft aufs Pedal zu bringen.

Zudem dient die Sattelnase, wie bereits angedeutet, unterstützend zur Steuerung des Rades. Der Druck, den Sie bei Kurvenfahrten mit den Oberschenkeln auf die Sattelnase ausüben, scheint zwar verhältnismäßig gering, aber wenn Sie es einmal ohne Hände am Lenker versuchen, werden Sie die Nase vermissen.

Die Sattelkonzepte sind also vielfältig und die Ideen, die dahinterstecken, verständlich und sinnvoll. Den besten Sattel konnten wir dennoch nicht herausfiltern. Die anatomischen Voraussetzungen jedes Menschen sind einfach zu unterschiedlich. Zudem fehlen die Vorteile, die der eine Sattel mitbringt, oftmals beim anderen – zumindest in der Preisklasse bis 100 Euro.

Die Sättel im Einzelnen

Hersteller Modell Gewicht Breite Länge Preis
Bontrager Race Lite Lux 297 g ca. 140 mm ca. 275 mm 44,99 Euro
Wie der Name schon sagt: Eher ein Rennsattel, der nicht in erster Linie nach anatomischen Gesichtspunkten gefertigt ist. Der „Cut“ im Heck sorgt für einen leichten Flex und verschafft so ein wenig Komfort.
Ritchey WCS Streem 200 g ca. 128 mm ca. 277 mm 79,90 Euro
Der schmalste Sattel im Testfeld ist, abgesehen vom „Sondermodell“ von SDG, auch der leichteste. Wenig komfortabel dürfte der WCS – auch optisch – vor allem die sitzfleischgerüsteten „Profis“ unter den Lesern ansprechen. Rennsattel!
SDG I Fly C 145 g ca. 130 mm ca. 265 mm 69,90 Euro
Beeindruckend ist das Schienensystem, mit dem die Verbindung zwischen Sattel und Stütze hergestellt wird. Laut Hersteller das leichteste System weltweit. Auf ergonomische Belange wurde zumindest nicht in erster Linie geachtet.
Selle Italia Gel Flow 233 g ca. 138 mm 275 mm 99 Euro
Trotz seines geringen Gewichts und aggressiven optischen Auftretens ist der Gel Flow dank des Einsatzes von Elastomer-Mikrodämpfern und den geteilten Sitzstreben eine sehr komfortable „Sitzgelegenheit“.
Selle San Marco SKN 264 g ca. 144 mm ca. 277 mm 38,00 Euro
Die sehr stark flexenden „Flügel“ sorgen für hohen Komfort und passen sich angenehm den Tretbewegungen an. Dank des „Cut“ im Heck erfährt der Dammbereich Entlastung, allerdings sinken sehr schwere und „sitzknochenbreite“ Fahrer auch leicht ein.
Selle SMP Strike TRK 389 g ca. 170 mm ca. 278 mm 29,95 Euro
Lang, breit, weich – aber auch günstig und gut. Die hohen Sitzflächen und die großzügige Aussparung in der Sattelmitte liefern dem Intimbereich alle Freiheiten. Der klobige Look des TRK schreckt aber bestimmt einige Käufer ab. Freizeitsattel!
Specialized Alias 130 266 g ca. 132 mm ca. 276 mm 80 Euro
Body Geometry made by Specialized. Gel Pads verschaffen den Sitzknochen eine angenehme Auflagefläche. BG-Ausschnitt und V-Groove sorgen für freien Blutfluss bei gleichzeitig sportlichem Auftritt. Achtung: Sattelbreite wählbar!
SQ-Lab 612 278 g ca. 135 mm ca. 271 mm 74,90 Euro
Das Stufensattelkonzept, mit einer so genannte Niveauerhöhung im Heck und einer abgesenkten Sattelnase, reduziert den Druck im Damm- und Schambeinbereich.
Elastomere sorgen direkt unter den Sitzknochen für Komfort. Sattelbreite wählbar.
Terry Fly RS Gel 297 g ca. 147 mm ca. 270 mm 74,95 Euro
Das so genannte Air Cell Gel setzt Terry an der Sattelnase und im Bereich der Sitzknochen ein. Die Gelpads sind dabei mit Luftkammern versehen, die für eine bessere Druckverteilung sorgen sollen. Achtung: Sattelbreite wählbar!
Duopower Velox 263 g ca. 135 mm ca. 168 mm 54,95 Euro
Man fühlt sich fast ein bisschen zu befreit auf dem Velox. Das Fahren ohne Sattelnase ist sehr gewöhnungsbedürftig. Ergonomisch sitzt man aber durchaus. Die Sitzhöcker sind erhöht und der Dammbereich wird entlastet.
WTB Shadow V Team Red 245 g ca. 130 mm ca. 270 mm 95,99 Euro
Der „Love Channel“ ist die WTB-Lösung zur Entlastung des Dammbereichs. Gel-Poster auf der Oberseite und Elastomere in der Sattelunterseite reduzieren Straßenunebenheiten auf ein angenehmes Maß.
Xtreme Pro Gel RS-4 264 g ca. 130 mm ca. 268 mm 46 Euro
Die so genannte „Ergohole“ schafft Luft für den Dammbereich, und für Belüftung sorgen die Durchstiche in die Lederoberfläche. Polster-unterfütterte Geleinlagen sorgen für eine gute Druckverteilung bzw. Komfort.
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