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Männer und Frauen: Unterschiede bei Training, Kraft, Ausdauer

Männer & Frauen

Männer und Frauen: Unterschiede bei Training, Kraft, Ausdauer

Muskelmasse, Hormone, Kraft & Ausdauer: Wie entscheidend sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Studien & Trainings-Tipps.
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An der steilsten Stelle des Kurses tritt sie an, nach wenigen Hundert Metern ist niemand mehr an ihrem Hinterrad. Annemiek van Vleuten dreht sich kurz um – und startet ihr eigenes Rennen. Die Niederländerin kommt durch, nach einem 100-Kilometer-Solo – und wird Straßen-Weltmeisterin 2019. Annemiek van Vleuten ist eine Ausnahmeerscheinung im Frauen-Radsport. Insbesondere an Anstiegen ist sie – in den Saisons 2019 und 2020 – eine Klasse für sich. Könnte ein Phänomen wie sie nicht auch in der Männer-Konkurrenz mitfahren? Diese Frage stellt sich häufiger bei den besten Sportlerinnen ihrer Disziplin. Nur selten ist sie zu beantworten: Frauen spielen gegen andere Frauen Fußball, fahren gegen andere Frauen Ski und natürlich auch gegen andere Frauen Rad. Auch wenn Annemiek van Vleuten bereits häufiger das Männer-Team von Mitchelton-Scott in deren Trainingslager begleitete.

Sollten Frauen anders trainieren als Männer? Welches sind die konkreten Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Wie erklären sich diese Leistungsunterschiede? Und wie können die Erkenntnisse darum in den Trainingsalltag integriert werden?

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Männer und Frauen: Die physiologischen Unterschiede

Körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind bereits bei der Geburt erkennbar. Jungen sind um durchschnittlich 1,4 Prozent größer und 3,8 Prozent schwerer als Mädchen. Dennoch sind Mädchen im Durchschnitt etwa zwei Wochen weiter als Jungen, was die Knochenentwicklung betrifft. Dieser Vorsprung erhöht sich in der Kindheit und erreicht zum Zeitpunkt der Pubertät etwa zwei Jahre – entsprechend früher setzt diese Phase bei Mädchen ein.

Dieser unterschiedliche Zeitpunkt ist von entscheidender Bedeutung für den menschlichen Geschlechtsdimorphismus. Jungen wachsen insgesamt durchschnittlich zwei Jahre länger und nehmen in der Adoleszenzphase auch weiter an Muskel- und Knochenmasse zu. Das sorgt dafür, dass Frauen einen um 25 Prozent leichteren Knochenaufbau besitzen – das weibliche Skelett ist graziler, Frauen sind daher im Durchschnitt kleiner und leichter als Männer, mit einem schmaleren Schulterumfang. Zudem besitzen Frauen, statistisch gesehen, um rund zehn Prozent kürzere Extremitäten und eine verhältnismäßig größere Rumpflänge. Diese Unterschiede sorgen für eine Verlagerung des Körperschwerpunkts nach unten. Dies wirkt sich – im statistischen „Normalfall“ – negativ auf die Lauf- und Sprungleistung aus.

Frauen verfügen zudem über weniger und kleinere Muskelfasern als Männer. Die mittlere Gesamtkörperkraft einer Frau beträgt rund 60 Prozent jener eines durchschnittlichen Mannes – zu diesem Ergebnis kamen Zatsiorsky & Kraemer in ihrer Studie durch den Vergleich breiter Gruppen ähnlich trainierter Sportler und untrainierter Personen. Der prozentuale Anteil der Muskeln am Gesamtkörpergewicht beträgt bei Männern durchschnittlich 42 Prozent – bei Frauen 32 bis 36 Prozent.

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Welche physiologischen Unterschiede gibt es...

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...zwischen Männern und Frauen?

Differenzen hinsichtlich der Ausdauerfähigkeit

Nach der Pubertät treten auch Differenzen hinsichtlich der Ausdauerfähigkeit zutage: Eine Studie von Wilmore und Brown verglich 2008 Langstreckenläuferinnen mit gleichaltrigen männlichen Läufern.

Die mittlere maximale Sauerstoffaufnahme – die VO2max – war bei den Läuferinnen mit 59,1 Millimol pro Kilogramm pro Minute bezogen auf das Gewicht um 15,9 Prozent niedriger als bei den Männern. Der Körperfettanteil ist bei Frauen durchschnittlich um fünf bis sechs Prozent höher als bei Männern.

Betrachtet man nur die fettfreie Körpermasse, sinkt die VO2max-Differenz auf 8,6 Prozent. Der höhere Körperfettanteil hat demnach einen großen Einfluss auf die VO2max. Frauen decken zudem durchschnittlich einen höheren Anteil des Energiebedarfs über den Fettstoffwechsel – was für die Ausdauerleistung vorteilhaft sein und sich auf die optimale Trainingssteuerung auswirken kann.

Der Faktor Testosteron

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Leistungsfähigkeit ist das Herz-Kreislauf-System. Das Gewicht und die Größe des Herzens sind bei Frauen durchschnittlich geringer als bei Männern – absolut und relativ gesehen. Dies führt bei Ausdauerbelastungen zu einer höheren Herzfrequenzsteigerung – was im Ausdauersport ein Nachteil sein kann. Hinzu kommt, dass Männer aufgrund einer höheren Schweißbildung oft eine gesteigerte Wärmetoleranz aufweisen, Frauen haben im Gegenzug – alles rein statistisch gesehen – oftmals stärkere koordinative Fähigkeiten.

Blickt man auf die Spitzenleistungen in verschiedenen Sportarten, so lassen sich die Unterschiede auf Basis dieser geschlechterspezifischen Differenzen anschaulich erklären: Bei Ausdauersportarten beträgt der Leistungsunterschied durchschnittlich rund zehn Prozent – in Schwimm-Disziplinen teilweise weniger – bei Schnellkraftsportarten mehr: 15 bis 20 Prozent. Der Hormonspiegel variiert von Mensch zu Mensch stark, dennoch verfügen Männer meist über deutlich höhere Level eines Hormons, das einen Teil der Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern erklären kann: Testosteron.

Männer produzieren durchschnittlich mindestens zehnmal so viel davon wie Frauen. Dies hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit: Das Hormon regt die Bildung roter Blutkörperchen an, die den Sauerstoff zu den Muskeln transportieren. Testosteron kann zudem die Muskelmasse und die Hämoglobinwerte erhöhen sowie die Regeneration verbessern – ein klarer Vorteil für Athleten.

Der Menstruationszyklus

Frauen besitzen durchschnittlich zehn bis zwölf Prozent weniger Hämoglobin pro Kilogramm Körpergewicht als Männer. Im Rahmen einer Studie von Cureton & Bishop wurde männlichen Radsportlern rund ein Liter Blut entnommen, um ihr Hämoglobin-Level an das der an der Studie teilnehmenden Radfahrerinnen anzugleichen. Vor der Entnahme und drei Tage später wurde je die VO2max der Studienteilnehmer gemessen. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Tests vor der Blutentnahme lag der VO2max-Wert der Männer nun im Durchschnitt um sieben Prozent niedriger. Ein durchschnittlich höheres Hämoglobin-Niveau, zu welchem das Testosteron maßgeblich beitragen kann, führt nach den Erkenntnissen aus der Studie zu einem höheren VO2max-Wert und damit zu einem Vorteil.

Die medizinische Forschung orientierte sich über Jahrhunderte am männlichen Körper. Und das nicht nur aufseiten der Forscher und Ärzte, sondern auch in Bezug auf Probanden und Untersuchungsobjekte. Der weibliche Zyklus – und sein Einfluss auf die Leistungsfähigkeit – ist daher lange Zeit recht wenig erforscht worden. Dabei verändert sich der Hormonhaushalt im Verlauf der Periode enorm, was große Auswirkungen haben kann.

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Welche besondere Ausrichtung des Trainings bietet sich bei Frauen an?

Belastungssteuerung am Zyklus ausrichten

Für Wettbewerbe, Training und die Leistungsfähigkeit im Allgemeinen kann es für viele sehr hilfreich sein, die Belastungssteuerung am Zyklus auszurichten. Der Modell-Zyklus ist 28 Tage lang und in drei Phasen unterteilt: Die Follikelphase dauert von Tag eins nach der Regelblutung bis etwa Tag 14. Anschließend folgen die Ovulations- und die Lutealphase. Von Tag 1 bis Tag 14 ist der Östrogenspiegel gering und somit dem Mann „ähnlicher“. Währenddessen kann der Muskel vermehrt Energie aus Kohlenhydraten nutzen, was für hohe Intensitäten im Training optimal ist.

Zudem ist in dieser Zeit ein Zuwachs an Muskelmasse besonders effizient möglich. Diese Phase empfiehlt sich für intensive Einheiten, aerob sowie anaerob, und Krafttraining. Dementsprechend sollten in dieser Phase auch mehr Kohlenhydrate zugeführt werden. Am Ende des Zyklus, etwa von Tag 20 bis Tag 28, sind die Östrogen- und Progesteronspiegel am höchsten. In dieser Phase sollten die Intensitäten eher reduziert werden.

Leistung & Training

Es steht dem Muskel dann oftmals weniger Energie aus Kohlenhydraten zur Verfügung und das Nervensystem ist ohnehin ermüdet, sodass hochintensive Trainingseinheiten kaum umgesetzt werden können. Die Auswirkungen der Periode auf die Leistung sind individuell verschieden, daher ist auch dieser Zeitplan nicht allgemeingültig, kann aber als eine Richtlinie dienen.

Die Leistungsfähigkeit vieler Frauen ist durch den Menstruationszyklus zum Teil eingeschränkt. Bei der Trainingssteuerung gilt zu berücksichtigen, dass das Leistungstief oftmals unmittelbar vor der Menstruation und das -optimum nach der Periode erreicht werden. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bleiben auch nach einem gezielten Ausdauertraining bestehen, doch sind die Anpassungen hinsichtlich des Trainings laut Villiger et al. identisch.

Mithilfe dieses Wissens lässt sich die Intensität des Trainings auf die körperliche Verfassung abstimmen. Bei einem zu intensiven Training kann es auch sein, dass eine Amenorrhö, ein Ausfall der Periode, hervorgerufen wird. Dies ist bei rund 20 Prozent der Frauen mit einem Laufvolumen von 30 Kilometern pro Woche der Fall. Bei 90 Kilometern pro Woche sind es, nach der Studie, bereits rund 40 Prozent, bei denen eine Amenorrhö eintritt. Der Grund dafür ist die Verringerung des Fettanteils. Die weiblichen subkutanen Fettdepots gewährleisten ein Synthesepolster für Östrogene, die für den physiologischen Ablauf der Sexualfunktionen bedeutend sind. Sinkt der Körperfettanteil unter zwölf Prozent, so kann die Periode ausfallen.

Muskelanteil am Körpergewicht

Durchschnittlich ist der Muskelanteil am Körpergewicht bei Männern um rund zehn Prozent höher als bei Frauen, ein gleicher Trainingsstand vorausgesetzt. Dies hat Auswirkungen auf die Leistung: Die Beschaffenheit der Muskelfasern und die höhere Körperkraft bei Männern erklären die Leistungsunterschiede bei kraftbetonten Fahrsituationen wie zum Beispiel Sprints, Sprint-Disziplinen auf der Bahn und kurzen, steilen Anstiegen.

Aber: Die Trainierbarkeit der Kraftfähigkeit ist unabhängig vom Geschlecht. Athletinnen ist die gleiche relative Steigerung möglich wie Athleten, obwohl die Muskelmasse durchschnittlich geringer ist. Der Muskelaufbau ist ein komplexer Wachstumsprozess. Ausgelöst wird er durch einen entsprechenden Trainingsreiz. Zudem müssen die Voraussetzungen für das Muskelwachstum und eine erfolgreiche Regeneration vorhanden sein. Dazu braucht es ausreichend Nährstoffe, insbesondere Proteine und Kohlenhydrate. Körpereigene Substanzen wie Testosteron und andere Wachstumshormone dienen in diesem Prozess als Signale oder Botenstoffe. Ihre Konzentration im Blut ist nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern steigt auch durch die körperliche Anstrengung während der Belastung.

Das Training ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einem Muskelzuwachs kommt. Wer Muskeln aufbauen möchte, sollte zudem auf eine ausreichende Energieversorgung achten und hochwertige Proteine zu sich nehmen – unabhängig vom Geschlecht. Empfohlen werden bis zu 1,7 Gramm Protein pro Tag und Kilogramm Körpergewicht. Unter anderem innerhalb der ersten  Stunde nach der Belastung. Hochwertige Proteine sind etwa in vielen Getreide- und Vollkornprodukten, in Hülsenfrüchten wie etwa Erbsen sowie in Ei- und Milchprodukten enthalten.

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Wissenschaftliche Hintergründe und Studien zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen

Männer und Frauen: Die Ernährung

Männer decken, statistisch gesehen, einen höheren Anteil ihres Energiebedarfs aus den körpereigenen Kohlenhydratreserven als Frauen. Männer und Frauen verstoffwechseln zwar bei einem Ausdauertraining knapp unterhalb der individuellen anaeroben Schwelle einen gleich hohen relativen Anteil von Kohlenhydraten zur Energiegewinnung.

Unterschiede zeigen sich allerdings bei den Quellen der Kohlenhydrate: Während Männer zu einem Großteil auf Muskelglykogen zurückgreifen, wird bei Frauen – durchschnittlich – stärker im Blut befindliche Glukose verstoffwechselt. Frauen scheinen demnach die Kohlenhydrate schlechter in den Zellen speichern zu können als Männer. Dies trifft allerdings nur dann zu, wenn die Menge der Kohlenhydrate auf das absolute Körpergewicht berechnet wird.

James et al. von der University of Western Australia betrachteten in ihrer Studie die Menge Kohlenhydrate pro „fettfreier“ Körpermasse. In diesem Fall gab es zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede mehr. Das bedeutet, dass viele Frauen eine höhere relative Menge an Kohlenhydraten zuführen müssen, gemessen am Körpergewicht. Frauen können im Gegenzug stärker auf ihren Fettstoffwechsel als Hauptquelle des Energiebedarfs zurückgreifen. Dies ist jedoch nicht nur auf die geschlechtsspezifischen Hormon-Aktivitäten zurückzuführen, sondern lässt sich natürlich auch trainieren.

Analog zu dem Kohlenhydratspeicher weisen Frauen allerdings eine günstigere Ausgangssituation auf. Bei besonders langen Ausdauerbelastungen könnten sie davon potenziell besonders profitieren. Die Ultra-Triathletin Astrid Benöhr bewies dies Ende der 90er-Jahre, als sie die Männer-Weltrekorde über die fünffache und zehnfache Ironman-Distanz brach. Fiona Kolbinger siegte im vergangenen Jahr bei dem Transcontinental Race von Bulgarien bis nach Brest in Frankreich, einem Ultra-Radrennen ohne Unterstützung. Es war eines der ersten Ultra-Events ihres Lebens. Sie kam nach 4000 Kilometern als Erste von 263 Fahrern und Fahrerinnen ins Ziel.

Unterschiedliche Trainingssteuerung bei Männern und Frauen

Männer und Frauen unterscheiden sich statistisch gesehen hinsichtlich der Physiologie und der Hormonproduktion. Dies hat einen Einfluss auf die Trainingssteuerung und auf die Leistung. Frauen besitzen günstigere Voraussetzungen in Bezug auf den Fettstoffwechsel, Männer haben unter anderem Vorteile in den Bereichen der Maximalkraft und des Sauerstofftransportes.

Entscheidend ist, dass trotz dieser unterschiedlichen Ausgangssituation die physiologischen Eigenschaften gut trainierbar bleiben. Männer und Frauen können relativ gesehen gleichermaßen ihre VO2max, ihren Fettstoffwechsel und ihre Schnellkraft trainieren. Somit können alle Athletinnen und Athleten im gemeinsamen Training voneinander profitieren und die eigenen „Schwächen“ reduzieren.

Dieser Artikel erschien in RennRad 10/2020. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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