Peloton, Wissenschaft, Wissen ist Macht, Neues aus der Forschung
Peloton, Windschatten und Fahrtechnik: Studien und Tipps

Im Peloton

Peloton, Windschatten und Fahrtechnik: Studien und Tipps

Von Windschatten, Watt, Fahrtechnik, Taktik und Geschwindigkeit: Das Bewegen in einem Fahrerfeld – Effizienz, Daten, studien, Tipps.
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Ausdauer, Kraft, Watt pro Kilogramm – sind die eine Seite des Erfolgs auf dem Rennrad. Das Taktieren, das Kraftsparen, das Bewegen im Fahrerfeld, das Vorne-Sein-Wenn-Es-Darauf-Ankommt ist eine andere. Man kann der stärkste Fahrer eines Feldes sein, doch wenn man sich nicht sicher in einem engen, hektischen Fahrerfeld bewegt – und somit Kraft verschwendet und die entscheidenden Gruppen „verpasst“ – wird man niemals erfolgreich sein. Eine potenzielle Strategie, um sich dabei zu verbessern, lautet: von den Besten lernen.

Elia Viviani ist einer der erfolgreichsten noch aktiven Sprinter der Welt. Anfang August 2019 gewann er den Prudential Ride London: In den finalen zehn Sekunden des Rennens leistete er durchschnittlich 1020 Watt – und somit 30 Watt mehr als sein Top-Konkurrent Sam Bennett, der zweiter wurde. Und das, obwohl der Italiener rund zwei Kilogramm leichter ist als der Ire. Bei Sprintern wird die Tatsache, dass es extrem wichtig ist, im Finale eines Rennens noch möglichst „frisch“ zu sein, besonders deutlich.

Gut im Peloton fahren

Mitentscheidend dafür, wie viel Kraft und Energie ein Fahrer während eines Rennens „verbraucht“, ist die Fähigkeit, „gut“ in einem Fahrerfeld, dem Peloton, zu fahren – und damit massiv Energie für den Zeitpunkt zu sparen, an dem sie gebraucht wird. Ein Faktor dafür kann die Streckenkenntnis sein: Wo sind Gefahrenstellen, wo schlecht einsehbare oder abknickende Kurven, wo steile Abfahrten oder schwierige Ortsdurchfahrten? Um sich diese markanten Punkte gut einprägen zu können, ist es im Peloton gängige Praxis, sich kleine Zettel mit Hinweisen zur Strecke sowie Berg- und Sprintwertungen auf den Lenkervorbau zu kleben. Wenn es die Zeit zulässt, wird die Strecke zusätzlich vor dem Event abgefahren.

Eine gute Streckenkenntnis, verbunden mit Hilfsmitteln wie GPS-Computern hilft den Fahrern dabei, Gefahrenstellen frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das Sturzrisiko kann demzufolge minimiert werden – und das Team hat in entscheidenden Phasen alle Fahrer zur Verfügung, um an der nächsten Schlüsselstelle taktisch aktiv zu werden.

Rennen lesen

Das vorausschauende Fahren: Erfahrene Profis und Amateure können Rennen „lesen“. Diese Fähigkeit besteht darin, auch von einer nicht idealen Position aus Bewegungen im Feld erkennen und die eigene Fahrweise dementsprechend anpassen zu können. Typischerweise werden an der Spitze des Feldes oftmals kleine Schlenker gefahren, um einen anderen Fahrer die Führungsarbeit übernehmen zu lassen. Diese Schlenker werden von führungsunwilligen Fahrern kopiert und führen einige Reihen weiter hinten zu spurgroßen Wellen, die das Feld zum Stocken bringen und das Sturzrisiko erheblich erhöhen. Um solche Situationen zu vermeiden, ist es oftmals ratsam, dem Gewimmel aus dem Weg zu gehen, wenngleich der Kraftaufwand hierbei etwas höher sein mag.

Vorausschauendes Fahren beschreibt neben dieser sehr auf Erfahrung fußenden Fähigkeit auch die simple Aufmerksamkeit auf das Renngeschehen in seiner Gänze. Es ist wichtig, nicht nur auf das Hinterrad seines Vordermanns zu schauen, sondern im Idealfall auch den Straßenverlauf vor dem Feld mitsamt der vorausfahrenden Fahrer im Blick zu behalten. Rennentscheidende Situationen wie Windkanten oder Attacken eines direkten Konkurrenten sowie etwaige Stürze können so rechtzeitig erkannt und entsprechende Antworten gegeben werden.

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Auf dem Rennrad ist der Fahrer zu rund 75 Prozent für den Windwiderstand verantwortlich – das Material „nur“ zu rund 25 Prozent. in einer gruppe „spart“ selbst der an der ersten position fahrende zwischen einem und drei Prozent Leistung ein

Fahren im Peloton: Taktik und Training

Die richtige Position im Feld halten: Die eine „richtige“ Position gibt es nicht. Das ist das, was den Radsport so spannend macht. Während eines Rennens kann man immer verschiedene taktische Vorgehensweisen der einzelnen Mannschaften beobachten.

Zwei Dinge beeinflussen eine richtige Position jedoch immer und grundlegend: das Sturzrisiko und der Faktor Windschatten. Ersteres lässt sich recht einfach reduzieren. Je weiter vorne man im Feld fährt, desto geringer ist die Zahl an vorausfahrenden Fahrern, die bei einem Sturz das ganze Feld zu Boden reißen könnten. Durch die größere Übersicht ist das Sturzrisiko geringer.

Faktor Windschatten

Jedoch greift hier der Punkt zwei: der Faktor Windschatten. Er ist speziell auf Flachetappen der „Scharfrichter“ über Sieg und Niederlage. Einflussfaktoren auf Windschatten-Effekte: Dies sind unter anderem das Profil der Strecke, der Wind und die Geschwindigkeit. So muss ein 75 Kilogramm schwerer Fahrer auf einer flachen Strecke und bei Windstille rund 420 Watt treten, um eine Geschwindigkeit von 45 km/h aufrechtzuerhalten. Der gleiche Fahrer, der an dessen Hinterrad klebt, also an der zweiten Position fährt, benötigt für dieselbe Geschwindigkeit nur rund 260 Watt. Würde er einen Abstand von einer Radlänge zu seinem Vordermann lassen, müsste er rund 70 Prozent von dessen Leistung abrufen: 294 Watt.

Im Schutz des Feldes muss ein Fahrer dagegen bei Idealbedingungen laut neuerer wissenschaftlicher Studien nur rund fünf bis zehn Prozent der Leistung aufbringen, die der Fahrer an der Spitze leistet. Diese modellhafte Rechnung veranschaulicht den großen Einfluss des Windschattenfahrens auf das Rennen. Nach diesen Berechnungen wäre eine Position weit hinten im Feld am effizientesten.

Ziehharmonikaeffekt

Doch hier steigt zum einen das Sturzrisiko – und zum anderen leiden die Fahrer an hinteren Positionen zusätzlich unter dem Nachteil des sogenannten „Ziehharmonikaeffekts“, denn gerade vor Kurven staut sich das Feld oftmals und zieht sich danach extrem in die Länge. Während die Fahrer an der Spitze in normaler bis hoher Geschwindigkeit um die Kurven fahren können, werden jene im hinteren Drittel an Engstellen teilweise bis zum Stillstand aufgehalten. Die daraus resultierende Geschwindigkeitsdifferenz muss mittels eines längeren Antritts und somit mit einem großen Kraft- und Energieaufwand ausgeglichen werden.

Das Positionsfahren in Perfektion kann man regelmäßig vor Sprintankünften erleben. Die Mannschaften suchen und finden sich bei Tempo 55, 60 an der Spitze des Feldes und bereiten ihrem Sprinter ein perfektes Lead-Out. Da die Teams hier geschlossen agieren, können weitere aerodynamische Vorteile ausgespielt werden. Die ideale Positionsfolge der einzelnen Fahrer schafft eine Reduzierung der nötigen Leistung um rund fünf Prozent pro Fahrer. Fahren in kleineren Gruppen: Ausreißer sind für viele Fans die wahren Helden des Radsports. Denn das Fahren in Fluchtgruppen – oder gar als Solist – steht für „David gegen Goliath“. Einer oder wenige gegen viele. Denn wer vor dem Feld fährt, kann sich nicht mehr im Windschatten „verstecken“.

Kraftaufwand für Ausreißer

Der Kraftaufwand ist für Ausreißer demnach enorm erhöht. Dies trifft natürlich auch auf die Fahrweise bei Radmarathons zu, die häufig – gerade bei bergigen Strecken – von langen Solo- oder Gruppenfahrten geprägt ist. Beim Thema „Kraftaufwand“ ist dabei unter anderem die Position der Fahrer entscheidend. In solchen Rennsituationen ist häufig zu beobachten, dass die Ausreißer extrem dicht hintereinander und alle in der Unterlenker-Position fahren.

Für die Fahrer im Windschatten spart eine solche aerodynamische Position rund ein Viertel an aufzubringender Leistung. Durch den tieferen Griff und die daraus resultierende gedrungenere Position verkleinert sich die Windangriffsfläche des Fahrers massiv.

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Windwiderstand

Klar ist: Auf dem Rennrad ist der Fahrer zu rund 75 Prozent für den Windwiderstand verantwortlich – das Material „nur“ zu rund 25 Prozent. Selbst für den Führenden einer solchen Gruppe „spart“ diese Fahrweise zwischen einem und drei Prozent Leistung, da sich der Luftdruck zwischen den Fahrern reduziert und so bremsende Verwirbelungen am Rücken oder am Hinterrad vermindert werden.

Die Einflüsse, die die Aerodynamik hinter dem Fahrer hat, wird durch Untersuchungen der Beziehung zwischen Fahrern und ihnen folgenden Autos noch klarer. Eine Spitzengruppe befindet sich meist in der Nähe einer ihr folgenden Wagenkolonne. Die nachfahrenden Autos haben bei einem Abstand von zehn Metern einen positiven Einfluss von 0,2 Prozent auf die nötige Leistungsabgabe der Sportler. Nähert sich ein Wagen auf bis zu zwei Meter an, so steigt der aerodynamische Vorteil auf bis zu zehn Prozent.

All diese Faktoren gelten für die Fahrer im Feld zwar auch, doch ist hier der Vorteil nicht in dem Maße gegeben. Die Vorteile, die die Autos bieten, greifen im Feld in der Regel nicht, da der Abstand zwischen dem Führenden und dem ersten Auto meist zu groß ist und die Luftverhältnisse auch durch die anderen Fahrer entscheidend beeinflusst werden.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 10/2021. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Trainingstipps zum Fahren im Peloton

  • Verbessern der Fahrtechnik: Um sich umringt von anderen Fahrern sicher zu fühlen, ist ein gutes Bikehandling unerlässlich. Einfache Übungen und Fahrweisen helfen hierbei, ein gutes Verhältnis zu seinem Rad aufzubauen. Eine Möglichkeit sind Geschicklichkeitsübungen wie Slalomfahren, das Aufheben einer Flasche bei langsamer Fahrt oder der Versuch, eine Strecke so langsam wie möglich zurückzulegen. Eine weitere Möglichkeit sind Trainingsreize im Bereich des Cyclocross- oder Bahnradsports. Beim Cyclocross sind die Balance und die Technik wichtige Faktoren, um die Hindernisse oder die teils schlammigen oder technischen Passagen so schnell wie möglich zu überwinden. Im Bahnradsport wird noch enger gefahren und die starre Nabe bedarf einer extrem vorausschauenden Fahrweise, da Brems- und Beschleunigungswege entsprechend deutlich länger sind.
  • Gruppentraining: Ein Peloton bedingt die Anwesenheit anderer Radsportler – ebenso wie das Training in einer Gruppe. Im Rahmen der StVZO kann man eine Trainingsgruppe als Simulationsraum für Rennen nutzen. Die Inhalte: das korrekte enge Fahren am Hinterrad, Ablösungen und anschließendes Wiedereinscheren und eine höhere Grundgeschwindigkeit. Ein effizienter Spezialfall des Gruppentrainings ist die Rennsimulation beziehungsweise das Fahrtspiel. Ein Trainingsbeispiel: 2,5 Stunden mit einer Stunde Fartlek auf einem Rundkurs – pro Runde eine Wertung, etwa an einem Schild oder einer Markierung. Die Trainingsbereiche reichen demnach von GA1- bis zum SB.
  • Intervalltraining: Ein Rennen besteht immer aus Phasen mit über- und unterschwelliger Belastung. Je nach dem Typ des anstehenden Rennens beziehungsweise Radmarathons – bergig oder flach – sollte das Training rennsimulative Wechsel zwischen Be- und Entlastungen enthalten. Über die Zeit verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der Belastung. Wichtig: Man sollte genug Zeit zum Ein- und Ausfahren vor und nach den Intervallen einplanen. Ein Beispiel: Zwei Stunden GA1 mit 4-5 x 5 Minuten im EB, mit je 5 Minuten Pause.

Wind und Watt: Das Peloton und Strategien

Der Windwiderstand bestimmt bei einer Geschwindigkeit von 54 Kilometern pro Stunde zu etwa 90 Prozent den zu überwindenden Gesamtwiderstand.

Professor Bert Blocken und sein Forscherteam von der Universität Eindhoven veröffentlichten Untersuchungsergebnisse zum Windwiderstand an unterschiedlichen Positionen im Peloton. Für die im „Journal of Wind Engineering and Industrial Aerodynamics“ veröffentlichte Studie „Aerodynamic drag in cycling pelotons“ nutzten die Wissenschaftler zwei unterschiedliche Messmethoden.

Zunächst wurde der Windwiderstand mithilfe einer Computersimulation, der sogenannten Computational- Fluid-Dynamics-Methode für alle Positionen in einem aus 121 Fahrern bestehenden Peloton bestimmt. Zusätzlich zu der aufwendigen CFD-Analyse wurden Windkanaltests mit Miniaturmodellen von Radfahrern durchgeführt. Die Form und die Größe des Pelotons waren dieselben wie im ersten Versuchsaufbau.

Ergebnisse der Versuchsmodelle

Beide Versuchsmodelle kamen zu nahezu denselben Ergebnissen: Die Fahrer in den äußeren Reihen müssen im Wind noch gegen etwa 60 bis 80 Prozent des Windwiderstands ankämpfen. Die Fahrer in der Mitte des Pelotons profitieren erheblich stärker vom Windschatten ihrer Kollegen. Der Fahrer in der Mitte der dritten Reihe muss lediglich 35 Prozent des Luftwiderstandes überwinden, dem ein isolierter Fahrer bei gleicher Geschwindigkeit ausgesetzt ist. Je weiter hinten die Fahrer im Feld positioniert sind, desto weniger Wind bekommen sie ab. In den hintersten Reihen sinkt der Windwiderstand sogar auf nur noch etwa fünf bis zehn Prozent des Ausgangswertes.

Nach den Studienergebnissen schlussfolgert Blocken, dass ein Fahrer in den hinteren Reihen bei 54 Stundenkilometern nur etwa dieselbe Kraft aufbringen muss wie ein Einzelfahrer bei ungefähr 14 bis 20 Stundenkilometern. Demnach wäre es auch Amateuren möglich, eine flache Tour-de-France-Etappe im Feld zu bestreiten. Allerdings gilt das nur in der Theorie für ein in der Ebene gleichmäßig fahrendes Feld. Die Studienergebnisse beziehen sich zum anderen nur auf die konstante Fahrt des Pelotons in der Ebene mit frontalem Wind.

Die Windrichtung bestimmt allerdings maßgeblich den Windschatten und die Form des Pelotons. Kommt der Wind seitlich von vorne, dann reihen sich die Fahrer in der sogenannten Windstaffel auf, bei der sie schräg versetzt voneinander fahren. Bei Seitenwind ist zudem häufig eine Doppelreihung zu beobachten, bei der die Fahrer auf der vom Wind abgewandten Seite den geringeren Windwiderstand zu überwinden haben. Steigt die Straße an, dann nimmt der Anteil des Luftwiderstandes am Gesamtwiderstand ab. Einerseits, weil mit abnehmender Geschwindigkeit der Windwiderstand geringer wird, andererseits, weil mit zunehmender Steigung der Steigungswiderstand rapide zunimmt. Schon bei einem Anstieg mit einer Steigung von etwa drei Prozent ist für einen 70 Kilogramm schweren Fahrer, der mit 450 Watt Leistung den Berg hochfährt, der Steigungswiderstand gleich dem zu überwindenden Windwiderstand.

Gerade das Verhältnis zwischen der Leistung und dem eigenen Körpergewicht unterscheidet Radprofis von Amateuren und Freizeitathleten. Im Anstieg zählen Watt pro Kilogramm. Profis können mindestens fünf Watt pro Kilogramm Systemgewicht, also der Summe von Fahrer, Rad und Bekleidung, leisten. Amateur-Rennfahrer bleiben meist unter dieser Fünf-Watt-Schwelle. Hobby-Radsportler schaffen meist maximal drei bis vier Watt pro Kilogramm.

Der Weg durch die Mitte

Um energiesparend durch das Feld nach vorne zu gelangen, ist der Weg durch die Mitte in der Regel die beste Variante. Dabei benötigt der Fahrer Fahrsicherheit, das richtige Augenmaß und auch etwas Mut, um Lücken zu erkennen.

Seitlich am Peloton nach vorne zu fahren, erfordert meist einen erheblichen Kraftaufwand. Auch hierbei sollte man den Windschatten anderer Fahrer nutzen, die sich ebenfalls in der Vorwärtsbewegung befinden. Für das effiziente Bewegen im Feld und das Halten der Position braucht es oft jahrelange Rennerfahrung. Wer diese nicht besitzt, könnte kaum in einem Profi-Peloton mithalten, – auch wenn die Leistung in windgeschützter Position in Flach-Passagen oft ausreichen würde. In der Mitte des Feldes spart man am meisten Energie.

Das Peloton: Rot steht für einen hohen, grün für einen niedrigen Windwiderstand. Idealposition: zentral und weit hinten. Um die Übersicht nicht zu verlieren, sollten jedoch die Positionen 20 bis 50 des Pelotons als „Idealplatz“, als angestrebter Richtwert gelten.

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