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Talente im Radsport: Der lange Weg zum Radprofi

Talente im Radsport: Der lange Weg

Talente im Radsport: Der lange Weg zum Radprofi

Der Weg zum Radprofi ist lang, hart und voller Entbehrungen. Die wenigsten Talente erreichen ihr Ziel. Eine Bilanz.
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Spätestens seit der Deutschland-Tour sind sie dort angekommen, wo sie hinwollten: in der Spitze. Die deutschen Radprofis des Jahrgangs 1994. Auffallend viele Fahrer, die in diesem Jahr geboren sind, haben sich in dieser Saison an die Spitze des internationalen Radsports gefahren.

Und zwar in fast allen Bereichen des Rennsports: im Sprint, bei Eintagesrennen und bei Rundfahrten.

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Deutsche Radsport-Talente: Nils Politt, Maximilian Schachmann, Pascal Ackermann

Nils Politt ist groß und kräftig – er könnte sich zum Top-Eintagesfahrer entwickeln. Der Kölner aus dem Schweizer Rennstall Katusha-Alpecin überzeugte im Frühjahr mit starken Auftritten bei den Klassikern. Er gewann die Schlussetappe der Deutschland-Tour, feierte damit seinen ersten großen Profisieg und belegte Platz zwei des Gesamtklassements.

Maximilian Schachmann aus Berlin (Quick-Step Floors) trumpfte in diesem Jahr als Etappensieger des Giro d’Italia, der Deutschland-Tour und der Katalonien-Rundfahrt auf. Er trug das Leadertrikot der Deutschland-Tour und gewann die Bronzemedaille der European Games in Glasgow im Einzelzeitfahren.

Pascal Ackermann streifte sich im Juni das deutsche Meistertrikot über und feierte mehr als ein halbes Dutzend Siege, darunter bei der Tour de Romandie und beim Critérium du Dauphiné. Der Pfälzer aus dem deutschen Rennstall Bora-hansgrohe gilt schon heute als legitimer Nachfolger von Marcel Kittel oder André Greipel.

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Deutschlands Talente der U23 bei den Straßenweltmeisterschaften

„Wir haben eine Generation von Fahrern Mitte zwanzig, die uns als Verband auf eine gute Zukunft hoffen lassen“, freute sich BDR-Präsident Rudolf Scharping und nannte auch Lennard Kämna, der dem Jahrgang 1996 angehört und 2017 bei der WM als Zweiter des Straßenrennens der U23 für die einzige deutsche Medaille sorgte. Kämna, Schachmann und Ackermann bildeten neben Marco Mathis das starke U23-Team bei den Straßenweltmeisterschaften in Katar vor zwei Jahren.

Während sich die beiden Erstgenannten über Silber im Zeitfahren (Schachmann) und im Straßenrennen (Ackermann) freuen durften, gelang Mathis der ganz große Triumph: Er wurde völlig überraschend Weltmeister im Einzelzeitfahren der U23. Der Lohn: Noch in Katar konnte er seinen ersten Profivertrag bei dem Team Katusha-Alpecin unterzeichnen.

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Weiterentwicklung durch Teamwechsel

In den ersten Monaten seiner Profilaufbahn durfte er noch Erfahrungen sammeln, doch dann setzte man den tempoharten jungen Rennfahrer oft als „Arbeiter“ ein. Die eigenen Erfolge blieben aus – zum Saisonende erhielt der Württemberger keinen neuen Vertrag mehr.

Doch arbeitslos wurde Mathis nicht: Beim französischen Rennstall Cofidis unterzeichnete der 24-Jährige einen Zwei-Jahres-Vertrag. „Ich habe mich entschieden, das Team zu wechseln, weil ich überzeugt bin, neue Schritte gehen zu müssen. Nun habe ich in den kommenden zwei Jahren die Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln. Ich bin bereit, sowohl bei den Sprintvorbereitungen als auch im Zeitfahren mein Bestes zu geben.“

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Sein Weg ist noch nicht zu Ende. Die meisten anderen jungen Fahrer kommen gar nicht erst so weit. Längst nicht alle talentierten Fahrer seines Jahrgangs haben den Weg ins Peloton der WorldTour gefunden. Jan Brockhoff beispielsweise: Auch der Hildesheimer ist im Jahr 1994 geboren. Nach Aussagen des Bundestrainers Ralf Grabsch ist er genauso talentiert wie etwa Max Schachmann.

Doch Brockhoff fährt nicht für das erfolgreichste Profiteam der Welt, Quick-Step Floors, sondern für das kleine Leopard Development Team aus Luxemburg. Dort ist er in der dritten Saison. Er konnte in dieser Zeit aber nur einen Sieg, 2016 bei Rund um Düren, verbuchen.

Talente Jan Dieteren und Jakob Steigmiller

Ebenfalls bei Leopard unter Vertrag stand der kaum ein Jahr ältere Jan Dieteren, den eine Krebserkrankung um seine Chancen im Radsport brachte. Glücklicherweise ist der Bensheimer inzwischen geheilt. Das ist wichtiger als jeder Sieg. Neue sportliche Herausforderungen suchte er in dieser Saison beim LKT Team Brandenburg.

Ein Riesentalent war auch Jakob Steigmiller aus Biberach an der Riß. 2008 wurde er Vizeweltmeister im Einzelzeitfahren der Junioren, 2011 Zweiter im Gesamtklassement der Thüringen-Rundfahrt. Doch nach der Saison 2012 beendete Steigmiller seine Karriere. Die Nachwuchsteams, in denen er ausgebildet wurde – in Württemberg und Thüringen – existieren längst nicht mehr.

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Talente im Radsport brauchen Wettkampfhärte

Ebenso wenig wie das einst wichtigste Nachwuchsrennen Deutschlands: die Thüringenrundfahrt. Die Zahl der Etappen- und Straßenrennen sinkt immer weiter. Doch junge Talente brauchen die Rennen, sie brauchen die Wettkampfhärte, um sich zu entwickeln.

Um mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können. Mit den traditionellen Radsportnationen Belgien, Italien oder den Niederlanden. Und mit den aufstrebenden Nationen, die sich immer mehr zu Radsportländern entwickeln, in denen die Zahl der Rennen und Teams wächst, in denen viel Geld in den Sport investiert wird: Großbritannien zum Beispiel, Norwegen oder Dänemark.

Auch Michel Koch aus Wuppertal fehlt im Profipeloton. Der exzellente Zeitfahrer stand zwei Jahre lang beim italienischen Top-Team Cannondale unter Vertrag. Doch in der ersten Liga des Radsports kam er nie an. Er ging zwei Schritte zurück – und wechselte in das kleine deutsche Team Rad-Net Rose. An seine Erfolge der U23-Zeit konnte er nie wieder anknüpfen.

Die Zahl der Rennen in Deutschland sinkt immer weiter. Ein Nachteil für deutsche Talente.

Starker Nachwuchs aus dem Jahrgang 1994

Neben Top-Fahrern wie Pascal Ackermann, Nils Politt oder Max Schachmann gehören auch Phil Bauhaus (Sunweb) und Nico Denz (AG2R) zu den starken deutschen Rennfahrern des Jahrgangs 1994.

Denz hat sich bei seinem französischen Arbeitgeber AG2R voll etabliert und seinen Platz im Team gefunden. Er ist ein überaus wertvoller Helfer und hat sich selbst vor allem auch auf schwerem Terrain in den letzten Jahren gut entwickelt. Sein neunter Platz – trotz eines Sturzes im Finale – bei den Europameisterschaften in Glasgow spricht für sich.

Während der zehnten Etappe des Giro d’Italia konnte er sich im Finale zusammen mit Matej Mohoric, dem späteren Gesamtsieger der Deutschland Tour, absetzen und belegte Platz zwei. Sein bisher bestes Resultat in der WorldTour.

Phil Baushaus und Marcel Sieberg mit Wechsel zu Bahrain-Merida

Phil Bauhaus feierte im Vorjahr mit dem Etappensieg beim Critérium du Dauphiné den größten Erfolg seiner Laufbahn. Beim Giro 2017 überzeugte er ebenfalls mit Top-Resultaten, wenn ihm auch ein Tageserfolg verwehrt blieb. Beim deutschen Team Sunweb hat er es dennoch nicht geschafft, sich einen festen Platz als Leader bei den Sprintankünften zu sichern, was mit den Ausschlag dafür gab, 2019 das Team zu wechseln.

In der kommenden Saison startet Bauhaus für das Team Bahrain-Merida. Genau wie der ebenfalls in Bocholt beheimatete Marcel Sieberg, der jahrelang Anfahrer von André Greipel war.

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Max Kanter, großes Sprinttalent

Als großes Sprinttalent gilt auch der einzige Deutsche, der 2018 den Sprung in die WorldTour geschafft hat: Max Kanter wurde zweimal Deutscher Meister der U23. Und von den Machern des Teams Sunweb mit einem Vertrag ab 2019 belohnt.

Eine große Karriere prophezeite man auch dem Hannoveraner Leo Appelt, der 2015 gleich zweimal Weltmeister wurde: Im August gewann er in Astana den Junioren-Weltmeister-Titel in der Einerverfolgung, wenige Wochen später errang er bei den Straßen-Weltmeisterschaften in Richmond den Titel des Junioren-Weltmeisters im Zeitfahren.

Im amerikanischen BMC Development Team verbrachte er seine ersten beiden Jahre in der Männerklasse U23. Doch in diesem Jahr kehrte er nach Deutschland zurück und startete für das LKT Team Brandenburg. Dort traf er auf den Erfolgstrainer Heiko Salzwedel, der sich um seine sportliche Weiterentwicklung kümmert.

„Wir mussten bei null anfangen“, sagte Salzwedel während der Saison. „Er hat Talent. Ich glaube an ihn, aber man musste ihm erst eine Antenne für den Leistungssport bauen. Vor uns liegt noch viel Arbeit.“

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Heiko Salzwedel: Werdegang als Trainer

Salzwedel selbst kehrte nach vielen Trainerstationen, etwa in Australien und Großbritannien, wieder zu seinen Wurzeln zurück und heuerte in Brandenburg als Trainer an. Beim LKT-Team steht noch ein weiterer ehemaliger deutscher Junioren-Weltmeister unter Vertrag: Jonas Bokeloh.

Der Niedersachse wurde 2014 in Ponferrada Straßenweltmeister der Junioren, konnte aber in den vergangenen drei Jahren nicht an diesen Erfolg anknüpfen. Die laufende Saison ist seine vielleicht letzte große Chance, sich doch noch zu eta­blieren. „Seine Straßenrennen waren in diesem Jahr, ehrlich gesagt, eine Katastrophe, weil er viel gestürzt ist und Chancen einbüßte. Es fehlt ihm an Stabilität. Aber ich sehe noch viel Luft nach oben.“

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Silvio Herklotz: Größtes deutsches Talent der vergangenen Jahre

Als größtes deutsches Talent der vergangenen Jahre aber gilt der Berliner Silvio Herklotz: Mit neun Jahren bereits im Rennsattel, gewann er mit 13 die Internationale Kids Tour von Berlin, war dreimal deutscher Querfeldeinmeister in der Jugend- und Juniorenklasse. 2011 machte er

als Gesamtsieger der Internationalen Drei-Etappen-Fahrt in Frankfurt auf sich aufmerksam, wo sein Name in den Siegerlisten neben so bekannten Profis wie Didi Thurau, Wilco Kelderman, Bob Jungels oder Michele Bartoli steht. 2013, mit gerade einmal 19 Jahren, wurde er Deutscher U23-Meister auf der Straße und am Berg und gewann die Tour Alsace.

Nicht wenige sahen in ihm bereits einen potenziellen Tour-de-France-Sieger. Endlich, so schien es, gab es einen deutschen Fahrer, der stark am Berg und im Zeitfahren ist – und der damit das Potenzial hat, bei den großen Rundfahrten um den Sieg zu kämpfen. Vor ihm lag eine hoffnungsvolle Profikarriere, als er 2016 vom Team Stölting zum Rennstall Bora-Hansgrohe wechselte. Doch dort hat er seinen Platz nicht gefunden.

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Finale Chance für Silvio Herklotz

Silvio Herklotz hat, körperlich, die besten Voraussetzungen: Mit seiner Körpergröße von 1,90 Metern und nur 68 Kilogramm Körpergewicht – und mit seinen Stärken am Berg und im Zeitfahren  – ist er der ideale Rundfahrer. 2016 bestritt er die Vuelta. 2017 zeigte er gute Ansätze bei der Tour de Romandie und der Dauphiné. Doch die Siege und Top-Platzierungen blieben aus. Sein Vertrag bei Bora-Hansgrohe wurde nicht verlängert.

Im spanischen Pro-Continental-Team BH-Burgos bekam der Berliner, der im Mai seinen 24. Geburtstag feierte, seine zweite Chance. Die Vergangenheit hat er abgehakt. „Wenn es reibungslos funktioniert, ist alles gut. Leider lief es bei mir in den letzten zwei Jahren nicht immer optimal,“ sagt er.

„Aber da muss man durch, und ich lasse mich nicht verrückt machen.“ Dass er einmal als größtes deutsches Talent galt, will er nicht hören. „Talent hin oder her. Am Ende muss man hart arbeiten, um sich durchzusetzen. Jeder, der im Peloton mitfährt, hat Talent. Sonst wäre er nicht dabei.“

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Talente im Radsport: Warum schaffen es manche nicht?

Die entscheidende Frage lautet: Warum schaffen es manche, sich im Profipeloton zu etablieren und andere nicht? Die Gründe sind vielfältig. Fleiß, Trainingseifer und Talent, die Muskelfaserzusammensetzung, die Sauerstoffaufnahme – dies ist das eine.

Doch das Mentale, die Psyche, die Motivation ist das andere. Dafür bezahlt zu werden, schnell Rennrad zu fahren, ist der wohl härteste Job der Welt. „Ich werde dafür bezahlt, anderen weh zu tun“, beschrieb etwa Jens Voigt einmal sein Aufgabengebiet.

Radsport: Schmerz gehört zum Beruf

Der Schmerz gehört zum Beruf. So wie die Kälte, die Hitze, ein strenges Ernährungsregime, das ständige Reisen, das ständige Arbeiten im Wind, auch dann, wenn die TV-Kameras noch gar nicht übertragen. Das ist der Alltag fast aller Radprofis.

Die glänzende, vergängliche Welt der großen Sieger, der wenigen Topstars – sie ist nur ein winziger Teil dieses Berufes. Einer, den auch 99 Prozent all jener Talente, die es bis nach oben, bis in die erste Liga des Radsports schaffen, nie erreichen.

So wie Ruben Zepuntke. Der Düsseldorfer galt als großes Talent. 2015, mit 21 Jahren, unterschrieb er einen Vertrag beim WorldTour-Team Cannondale. Ein Jahr zuvor hatte er eine Etappe der Tour of Alberta gewonnen. Nach zwei Jahren wurde sein Vertrag nicht verlängert. Er wechselte zunächst in ein Continental-Team. Im September 2017 beendete er seine Karriere – im Alter von nur 24 Jahren.

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Gesundheitliche Probleme bei Talent Silvio Herklotz

Für Silvio Herklotz begann auch die Saison 2018 nicht gut: Gesundheitliche Probleme warfen ihn immer wieder zurück. Eine Virusinfektion bremste ihn im Frühjahr aus. Als er gerade wieder ein gutes Leistungsniveau erreicht hatte, zwang ihn ein Magen-Darm-Infekt zur Aufgabe der Katalonien-Rundfahrt.

Dennoch träumte er von einem Start bei der Vuelta im August. Doch dann wurde er erneut krank – langfristig: Das Pfeiffersche Drüsenfieber zwang ihn dazu, seine Saison vorzeitig zu beenden. Seit dem Frühjahr hat er keine Rennen mehr bestritten. Herklotz, so raunen Insider, wurde als ganz junger Fahrer „verbrannt“: zu viele Einsätze, zu harte Rennen, zu viel Ergebnisdruck, zu wenig Regeneration. Vielleicht ist dem so.

Vielleicht streikt sein Körper. Oder er hat einfach nur Pech. Doch ein Schritt zurück kann langfristig auch ein Sprung nach vorne sein. Mit seinen 24 Jahren ist es für Herklotz noch nicht zu spät. Doch mit jedem Jahr, mit jedem Monat, werden die Chancen, sich in der Top-Liga zu etablieren, geringer.

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