Endofibrose, Symptome, Beschreibung, Hintergründe, Krankheit
Endofibrose – Stenose der Arterien: Hintergrund, Symptome, Behandlung

Radfahrerkrankheit

Endofibrose – Stenose der Arterien: Hintergrund, Symptome, Behandlung

Nicht wenige Radsportler leiden darunter – viele ohne es zu wissen. Denn die Symptome dieser mysteriösen „Radfahrer-Krankheit“ sind uneindeutig. Die Wichtigsten davon: Schmerzen und fehlende Leistung. Die wenigsten Ärzte kennen das Phänomen: die Endofibrose beziehungsweise Stenose von Arterien. Einblicke.
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Sie war die Wunderfahrerin. Sie kam, sah, siegte – bei drei Weltmeisterschaften in drei Disziplinen im selben Jahr: auf dem Rennrad, dem Cyclocrosser und dem Mountainbike. Sie gewann alles, in allen drei Disziplinen, mit 22 Jahren. Der Name dieser Übersportlerin: Pauline Ferrand-Prevot. Die Experten waren sich einig: Die junge Französin würde den Frauen-Radsport über viele Jahre hinweg dominieren. Heute, fünf Jahre später, weiß man: Es kam ganz anders. Ferrand-Prevot gewann über Jahre hinweg kein bedeutendes Rennen mehr. Statt besser zu werden, fielen ihre Ergebnisse massiv ab. Bis 2018 – bis sie die Ursachen ihrer Probleme fand. Und sich operieren ließ. Seit Dezember 2018 kennt sie endlich die Antwort: Endofibrose. Diese krankhafte Veränderung der Arterien ist kaum bekannt, kaum erforscht. Unter Insidern gilt sie als „Radfahrer-Krankheit“. Über die Ursachen herrscht keinerlei Einigkeit. Als wahrscheinlichste gelten: eine genetische Disposition – und durch die Sitzposition auf dem Rennrad bedingte Veränderungen in den Arterien.

Ferrand-Prevot ging es wie wohl vielen anderen Athleten: Sie litt jahrelang an den Symptomen – ohne die Ursachen ihrer Probleme zu kennen. Ohne etwas ändern zu können. Erst als die Schmerzen immer größer wurden, und auch abseits des Rades, im Alltag, auftauchten, kamen ihre Ärzte – nach Monaten der Untersuchungen und Vermutungen – auf die Ursache: eine Endofibrose. Sie ging zu einem Spezialisten, ließ sich untersuchen und bekam die Diagnose.

Endofibrose: Gefahr für Radsportler aller Altersgruppen

Die Krankheit betrifft Radsportler aller Altersgruppen – statistisch gesehen jedoch am häufigsten: sehr ambitioniert trainierende Männer unter 40 Jahren. Sie ist vor allem bei Radsportlern und Triathleten nachgewiesen. Und hängt wohl spezifisch mit der Sitzposition auf dem Rad zusammen. Der Sitzwinkel, die Beugung zwischen Oberkörper und Beinen – und damit dem Herz, das die Beinmuskeln mit Blut versorgt – sorgt wegen der Dauerbelastung dafür, dass die so belasteten Arterien degenerieren. Betroffen ist in den meisten Fällen die äußere und innere Beckenarterie – diese beiden Arterien gehen direkt von der Aorta ab und führen durch das Becken nach unten. Sie sind die „Hauptversorgungskanäle“ aller Beinmuskeln. In den meisten Fällen bildet sich in ihnen Narbengewebe, das den Blutfluss behindert. Manchmal wachsen sie in die Länge. Und knicken später ab.

Die Folge: Die Blutversorgung der Beinmuskeln ist eingeschränkt. Je länger beziehungsweise „geknickter“ die Arterien sind, desto weniger Blut und damit Sauerstoff erreicht die Muskeln. Deren Sauerstoffbedarf ist, gerade bei intensiven Belastungen, sehr hoch. Weniger Sauerstoff, weniger Leistung. Mehr Schmerz. Die Probleme treten in manchen Fällen plötzlich auf, meist jedoch erst nach und nach. Es ist ein schleichender Prozess. Ein Prozess im eigenen Körper, der Athleten zur Verzweiflung bringen kann. Der dazu führt, dass man an sich zweifelt.

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Leistungsabfall

Denn das Hauptsymptom der Krankheit lautet: fehlende Leistung. Im intensiven Leistungsbereich nimmt der „Druck auf dem Pedal“ nach und nach ab. In vielen Fällen gehen die Sportler sowie auch die meisten Ärzte zunächst vom berüchtigten Übertrainingssyndrom als Ursache aus. Denn auch dieses drückt sich vor allem durch eine verminderte Leistungsfähigkeit im anaeroben Bereich aus.

Diese Überlastung des Körpers kann man durch eine Trainingspause in den Griff bekommen. Die Endofibrose nicht. Leidet man an dieser Arterien-Degeneration, steigt nach einer wochenlangen Pause wieder auf sein Rad und nähert sich dem roten Intensitätsbereich oberhalb der anaeroben Schwelle, so treten die Symptome – vor allem die Schmerzen – sofort wieder auf. Es existiert, bei einem fortgeschrittenen Status, keine konservative Therapie. Die einzige Hoffnung: eine Operation. Eine große und gefährliche Operation. Das Risiko dabei ist hoch. Der Südafrikaner Ryan Cox, damals Radprofi im Team Barloworld, starb 2007 im Alter von 28 Jahren, wenige Wochen nachdem eine solche Operation an ihm durchgeführt wurde.

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Für Radsportler bedeutet diese Krankheit: weniger Sauerstoff, weniger Leistung. Mehr Schmerz.

Radprofi-Krankheit Endofibrose

Unter Radprofis ist das Auftreten vergleichsweise häufig – auch wenn dieses nicht in einer offiziellen Studie dokumentiert wurde. Angesichts der extrem ungenügenden Studienlage muss man sich in der Regel mit Fallbeispielen behelfen.

So kennt allein der Autor dieses Artikels drei weitere talentierte, etwa gleich alte, deutsche Athleten, die ihre Radsport-Karrieren schon früh beenden mussten. Einer der Sportler, ein im Nachwuchsbereich sehr erfolgreicher Fahrer, ließ sich mehrfach operieren. Vergeblich. Die Symptome tauchten nach einer kurzen, mehrwöchigen Phase, kaum verändert wieder auf.

Die anderen Athleten sahen von einem operativen Eingriff ab. Zu den zahlreichen Radprofis, die von solchen Arterienproblemen betroffen waren, zählen etwa: Fabio Aru, Stuart O’Grady, Bert Grabsch, Ian MacGregor, Derek Bouchard-Hall, Charles Dionne, Stuart Gillespie, Hayden Godfrey, Mari Holden, Bobby Lea, Tony Gallopin, Theo Bos, Martin Elmiger, Marianne Vos, oder Holger Loew, der für Deutschland den Junioren-Weltmeister-Titel geholt hatte. Der Schweizer Patrick Müller aus dem Team Vital Concept-B&B Hotels, der im April 2019 die Limburg Classic gewonnen hatte, trat noch im selben Sommer – wegen anhaltenden Schmerzen im linken Bein – zurück. Ein Jahr nach einer Operation an seiner Iliac-Arterie. Im Alter von 23 Jahren. Thomas Peter, der Sportdirektor von Swiss Cycling, kommentierte diesen erzwungenen Rücktritt mit den Worten: „Mit Patrick verlieren wir eines unserer größten Talente.“

Joe Dombrowskis arterielle Endofibrose

Joe Dombrowski ist heute 29 Jahre alt und Profi im Team UAE. 2019 wurde er Dritter der Tour of Utah und Zwölfter des Giro d’Italia. Dabei stand er bereits 2013 vor dem Karriereende. Im Juli 2013 spürte er zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte. An einem Anstieg. Sein linkes Bein verkrampfte. Es schmerzte. Er ging zu Ärzten. Keiner wusste Rat. Die Symptome wurden schlimmer. Die Muskeln an seinem linken Bein wurden immer schwächer. Sein Oberschenkelumfang nahm um 3,5 Zentimeter ab.

Erst nach einem Jahr fand man heraus, was sein Problem ist: eine Blutflusslimitierung. Eine arterielle Endofibrose. Joe Dombrowski ließ sich operieren – und kehrte in den Profi-Radsport zurück. Danach, 2015, feierte er den bis dato größten Erfolg seiner Karriere: Er gewann die Tour of Utah.

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Die Studienlage zur Endofibrose ist dünn

Kaum Studien zur Endofibrose

Bei zahlreichen Radprofis „funktionierte“ der Eingriff: Sie konnten nach den Operationen ihre Karrieren fortsetzen. Warum sich die Endofibrose bei manchen Sportlern nach der OP wieder entwickelt und bei anderen nicht, ist ein weiteres bislang ungelöstes Rätsel.

Einige Forscher vermuten hier einen Zusammenhang mit der Ausprägung der körpereigenen Wachstumshormone. Es existieren kaum Studien zu dem Thema – und die wenigen arbeiten nur mit sehr wenigen Fällen. Ergo ist die Aussagekraft dieser Untersuchungen sehr gering. Weiterhin gibt es nur sehr wenige spezialisierte Ärzte.

Auch die Diagnose ist aufwendig: Man muss sich Kontrastmittel spritzen lassen und anschließend in einem Magnetresonanz-tomatographen eine rennradtypische Körperhaltung nachahmen.

Pauline Ferrand-Prevot ließ sich im Januar 2019 von einem Spezialisten in Lyon operieren. Sie hat die aufwendige mehrstündige Operation gut überstanden. Danach dauert es in der Regel mehrere Monate, bis man wieder Wettkämpfe bestreiten kann. Mindestens sechs Wochen lang darf man gar keinen Sport machen.

Acht Wochen nach der Operation nahm sie ihr spezifisches Training wieder auf. Drei Monate später fuhr sie ihr erstes Comeback-Radrennen. Drei Monate danach wurde sie Weltmeisterin im Cross-Country im Mountainbike-Marathon.

Doch: Ein Jahr nach der Operation spürte sie: Etwas stimmt nicht. Der alte, bekannte, unnatürliche Schmerz ist wieder da. Die Endofibrose war zurück. Pauline Ferrand-Prevot ließ sich erneut an der gleichen Stelle operieren. Wieder begann sie bei Null, wieder kämpfte sie sich zurück. Ende August gewann sie ihr erstes Rennen nach diesem zweiten Comeback.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2020Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.


Endofibrose: Symptome und Behandlung

Erkennen

Die Krankheit Endofibrose wurde erstmals 1986 von Chevalier bei Radfahrern beschrieben – aber auch von anderen Ausdauersportlern werden Fälle gemeldet:  Triathleten, Läufern, Skilangläufern oder Ruderern etwa. Die äußere Iliakal-Arterie ist die am häufigsten betroffene Stelle.

Die Hauptbetroffenen: Männliche Radsportler unter 40 Jahren. Die Symptome variieren: Die meisten Betroffenen sprechen von Schmerzen, einer Art Muskelkrampf und Taubheit. Dieses Gefühl tritt in der Regel nur in einem Bein auf. Aufgrund dieser vielfältigen Symptomatik und dem mangelhaften Wissens- und Forschungsstand dauert es in den meisten Fällen sehr lange, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.

Eine Studie wies auf eine 12- bis 41-monatige Verzögerung zwischen dem Auftreten der Symptome und der richtigen Diagnose hin. Die betroffenen Radsportler hatten demnach zuvor zwischen 30.000 und 500.000 Trainings-Kilometer absolviert. Der älteste Patient war 61 Jahre alt.

Die wichtigsten Symptome der Endofibrose

  • Typische Gefühle in den Beinen sind: Muskelkrämpfe, Schwäche, Parästhesie und Taubheit sowie eine Schwellung des Oberschenkels
  • Der Schmerz ähnelt dem des „typischen“ Belastungs- beziehungsweise Laktat-Schmerzes, ist jedoch intensiver und stechender
  • Die muskuläre Erholung in Phasen der geringeren Belastung – etwa der Erholung während eines Intervall-Trainings – ist extrem eingeschränkt
  • Im Ruhezustand oder bei submaximalen Belastungen treten die Symptome in der Regel nicht, oder kaum, auf
  • Je höher die Intensität der sportlichen Belastung ist, desto ausgeprägter werden die Symptome

Ursachen

Bei der Endofibrose der Beckenarterie kommt es zu degenerativen Veränderungen. Diese verringern in der Regel den Durchmesser der Arterien – und vermindern somit den Blutfluss. Es kann somit zu einer Verengung, einer Stenose, der Arterie kommen. In den meisten Fällen ist die äußere Beckenarterie betroffen.

Als Ursache dieser Veränderungen ist, neben einer genetischen Disposition, vor allem die spezifische Sitzposition auf dem Rennrad in der Diskussion. Diese Haltung bringt eine Hyperflexion der Hüfte mit sich. Dabei kann die äußere Beckenarterie, über Jahre hinweg, gedehnt werden. Die Belastung der Arterie kann zu einer Vernarbung oder einem Längenwachstum führen – beides vermindert den Blutfluss innerhalb der Arterie.

Auch hypertrophierte Muskeln, etwa der Hüftbeuger, können die Beckenarterie komprimieren. Generell existieren zu den Ursachen kaum valide Studien. Sie sind in der Wissenschaft umstritten.

Behandeln

Die konservative Behandlung umfasst vor allem Positionsveränderungen auf dem Rad, die die Hüftbeugung vermindern sollen – und bei Freizeitsportlern: das Vermeiden maximaler Belastungen. Für die Diagnose können verschiedene bildgebende Verfahren, wie etwa das MRT, zum Einsatz kommen. Zudem werden Blutfluss-Untersuchungen durchgeführt.

Eine der gängigsten Operationsmethoden ist die „Endofibrosektomie mittels einer Patch-Angioplastie“: Dabei wird die betroffene Arterie der Länge nach aufgeschnitten. Das fibrotische Gewebe wird entfernt und die Arterie mittels eines „Pflasters“ aus körpereigenem Material verschlossen. Ist es nicht möglich, ein „Patch“ aus einer Vene des Patienten zu gewinnen, so wird ein Kunstmaterial verwendet – etwa das Polyestergewebe „Dacron“, das sonst vor allem bei Boots-Segeln zur Verwendung kommt.

In seltenen Fällen werden alternativ ganze Stücke aus der Arterie „herausgeschnitten“. Die Effekte der Patch-Operationen: Nach einer Studie des Saint Joseph’s Hospital, Chicago, lag die Erfolgsquote bei 99 Prozent. Fast alle der untersuchten Athleten konnten nach der Operation ihren Sport wieder aufnehmen. Aktuell finden zudem Studien zum Einsatz weiterer minimalinvasiver Operationstechniken statt.

Nur sehr wenige Krankenhäuser und Gefäßchirurgen sind auf diese Operationen spezialisiert. So etwa Kliniken in Lyon, Eindhoven, Bristol, Grenoble – und das Vivantes Klinikum Berlin Friedrichshain.

Arterien-Degeneration: Der Operations-Ablauf

  • In einem typischen Operations-Ablauf entfernt der Chirurg das betroffene Gewebe, eine Degeneration der Arterienwand.
  • Zunächst wird dafür ein Längsschnitt entlang der Beckenarterie durchgeführt und das Gewebe entfernt.
  • Die Arterie wird anschließend wieder zusammengefügt und der Durchmesser der Arterie wiederhergestellt.
  • Dies geschieht mithilfe eines biologischen „Pflasters“, das meist aus einer Oberschenkelvene stammt.
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