Tagesform, Trainingstipps, Training
Tagesform am Wettkampftag: Einblicke in Vorbereitung und Training

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Tagesform am Wettkampftag: Einblicke in Vorbereitung und Training

Der Tag X, das Jahres-Highlight. Es gilt: seine Topform abzurufen, die maximal mögliche Leistung. Gut sein, wenn es darauf ankommt. Die Tagesform und die Vorbereitung: Einblicke, Tipps und Trainingspläne.
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Der Colle delle Finestre – 18,4 Kilometer und 1719 Höhenmeter bergauf, auf einem schmalen Schotterweg. Hinauf auf bis zu 2174 Meter über dem Meer. Auf dem Gipfel: Die Bergwertung – und noch 76 Kilometer und rund 1500 Höhenmeter zum Ziel. Dies ist die 19. Etappe des Giro d’Italia 2018 – dies ist der wohl schmerzhafteste Tag in der Karriere des Simon Yates. Der Brite trägt das Rosa Trikot des Führenden. Doch an diesem Tag verliert er alles. Er erlebt einen Einbruch. Er erlebt Schmerz.

Als 71. kommt er oben an. 39 Minuten nach dem Tages- und späteren Gesamtsieger Chris Froome. Vor der Etappe lag Yates auf Platz eins – nach diesem Tag auf Platz 18. „Ich bin total kaputt“, sagte er im Ziel, „ich hatte nichts mehr zuzusetzen.“

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Trainingstipps für die optimale Tagesform beim Saison-Highlight

Tapering und Tagesform

Yates erlebte einen „schwarzen Tag“. Einen Tag, wie ihn wohl fast jeder Athlet kennt und bereits erlebt hat. Das Stichwort dazu lautet: Tagesform. Dies ist ein Thema, das potenziell alle Radsportler betrifft – egal, auf welchem Niveau sie sich bewegen und wie ihre Saisonziele aussehen. Deshalb stellen sich viele dieselben Fragen: Wie vermeidet man eine schlechte Tagesform? Wie gestaltet man die letzten Tage vor einem Saisonhighlight – einem Rennen, einem Radmarathon, einer Tour?

Es gilt: In den letzten Wochen vor dem Event kann man nicht viel gewinnen – aber fast alles verlieren. Hinsichtlich der Saison-Periodisierung beginnt der finale Trainingsblock in der Regel vier Wochen vor einem Highlight. Der Fokus sollte dabei darauf liegen, die bereits antrainierte Form zu stabilisieren. Zehn Tage bis zwei Wochen vor dem Tag X beginnt dann die sogenannte Taperingphase. Dabei wird der Trainingsumfang deutlich reduziert, um die Energiespeicher möglichst voll aufzuladen.

Am besten sind lockere Einheiten, in denen man eventuell kurze Sprints fährt, um immer wieder die Muskulatur zu aktivieren.  Der Begriff der „Tagesform“ ist schwierig zu definieren. In ihn fließen viele Parameter ein. „Es gibt für schlechte Tage viele physiologische Gründe, die man gut erklären kann – und da werden viele Fehler gemacht“, sagt der Wiener Sportmediziner Robert Fritz, der unter anderem Top-Athleten wie den Bora-Hansgrohe-Profi Patrick Konrad oder den Ultra-Distanz-Radsportler Michael Strasser betreut.

Ernährung für die bestmögliche Tagesform

Zu diesen Faktoren zählt auch die Ernährung. Der offensichtlichste Fehler: eine Unterversorgung – etwa mit Kohlenhydraten, mit Flüssigkeit oder mit Mikro- beziehungsweise Mineralstoffen. Die körpereigenen Glykogenspeicher, in denen bis zu 600 Gramm Kohlenhydrate gespeichert werden, brauchen bis zu 72 Stunden, um wieder vollständig aufgefüllt zu sein.

„Wenn ich das beachte, kann ich mir viele Einbrüche und schlechte Tage sparen“, sagt Robert Fritz. Der „Vorteil“: Einen Hungerast spürt man schnell. Dieser Grund für eine schlechte Leistung ist daher gut identifizierbar und recht einfach zu beheben. Weniger leicht zu erkennen, aber eng mit der „richtigen Ernährung“ verknüpft, sind fehlende Mikronährstoffe. „Es gibt Tage und Wochen, an denen ich eisenreicher esse und es geht mir besser. Und dann gibt es Tage, an denen ich weniger Eisen – etwa übers Fleisch – zu mir nehme, und dann kommt die Müdigkeit“, beschreibt Fritz ein häufiges Phänomen.

Wer tatsächlich an einem Eisenmangel leidet, erlebt jedoch nicht nur schlechte Tage, sondern lange Phasen der Müdigkeit und der eingeschränkten Leistungs- und Erholungsfähigkeit. Deutlich werden solche Mineralstoffmängel oft erst nach Ernährungsumstellungen. Jedoch besteht dabei in der Regel eine „Abbauphase“. Bis der Eisenspiegel zu einem Mangel wird oder der B-Vitaminen-Spiegel unter die kritische Schwelle sinkt, können bis zu zwei Jahre vergehen. Die Ursache für eine potenzielle Häufung „schlechter Tage“ zu finden, kann somit extrem schwierig sein.

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Mehr Trainingspläne und Tipps zu Tapering, HRV-Training und mehr finden Sie in der RennRad 7/2021

Ernährung und Energie

In solchen Fällen können Laborauswertungen Aufschluss geben – und die Betroffenen mit Ernährungs-Adaptionen oder dem Einsatz von Supplementen gegensteuern. Am häufigsten von Eisenmangel betroffen sind Frauen – und das unabhängig davon, ob sie Fleisch essen oder nicht. Die Tagesverfassung von Athletinnen unterliegt dabei zudem zyklusbedingt weiteren Schwankungen. So sprechen etwa viele Frauen auf zusätzliche Krafttrainingseinheiten in der ersten Zyklushälfte deutlich stärker an: „Das ist eine Erkenntnis, die noch zu wenig genutzt wird“, sagt Robert Fritz.

Einen umfassenden Übersichtsartikel zu den physiologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen und effektiven Besonderheiten hinsichtlich des Trainings finden Sie hier.

Im Gegensatz zu den bisher angeführten Faktoren ist ein weiterer Leistungsfaktor kaum zu beeinflussen: der individuelle Biorhythmus. „Es gibt die Morgen- und die Abendsportler, das kann man nicht ändern“, sagt Fritz.

Die Tagesform mit einer Pulsuhr messen

Ein anderer extrem wichtiger, aber oftmals unterschätzter Faktor, lautet: Regeneration. Ist diese nicht ausreichend gegeben, sind schlechte Tage quasi schon vorprogrammiert. Wer sich nicht auf sein Körpergefühl verlassen will, kann mit einer Pulsuhr, die die Herzfrequenz und die Herzfrequenzvariabilität misst, arbeiten. „Wenn ich sehe, dass unter normalen Rahmenbedingungen meine Herzfrequenz um zehn oder 15 Schläge höher ist als normal, dann weiß ich: Es stimmt etwas nicht.“

Schlaflosigkeit, Unruhe, beruflicher und privater Stress: Solche Stressfaktoren können große Auswirkungen auf die eigene Tagesverfassung haben. „Geht es mir zum Beispiel an den Wochenenden gut, bis zur Wochenmitte immer schlechter und dann zum Freitag hin wieder besser, kann das mit Stress in der Arbeit zu tun haben.“

Biorhythmus und Regeneration

Diese mentalen Faktoren werden oft übersehen, spielen aber eine wichtige Rolle. Auch bei Profi-Athleten: „Oft ist es der Kopf, der in einem Wettkampf diese eine Schwelle nicht überschreiten will.“ Wenn mentale Faktoren – etwa Übernervosität – der Top-Leistung im Weg stehen, rät Fritz zu einer Selbstanalyse und im Zweifel zum Besuch eines Sportpsychologen.

Auch Übungen zur meditativen Entspannung und bestimmte Atemtechniken können Sportler dabei unterstützen, am entscheidenden Tag X leistungsfähiger zu sein. Zum Beispiel ist das Atemtraining eine effektive Maßnahme, um die Sauerstoffaufnahme zu verbessern sowie Ruhe und Entspannung zu finden. Die Kortisol- und Adrenalinausschüttung in der Taperingphase sowie die Gehirnwellenaktivität können so gesenkt werden.

Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung ist so individuell wie das Training selbst. Der eine braucht große Kilometerumfänge, der andere schwört auf Intensitäten. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass in der Taperingphase sowohl der Gesamttrainingsumfang als auch die Intensität reduziert werden. Der Körper bekommt die Zeit, letzte entscheidende physiologische Anpassungsprozesse vorzunehmen. Während der Taperingphase sollten sich alle Systeme regenerieren – und die Energiespeicher aufgefüllt werden.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 7/2021. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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Wie erreiche ich die bestmögliche Tagesform?


Die Herzfrequenz-Variabilität

Die Tagesform messen, nachvollziehen – und das Training daran anpassen: Ist dies einfach möglich? Und wenn ja: wie? Ein großer Unterschied zwischen Profi- und Top-Amateur- auf der einen und Hobby-Athleten auf der anderen Seite ist die Ausprägung der Fähigkeit, die Signale des eigenen Körpers zu spüren und zu verstehen.

Eine weitere potenzielle Möglichkeit heißt: HRV – die Herzfrequenz-Variabilität. Eine sehr interessante und aussagekräftige Studie dazu stammt von einer spanischen Forschungsgruppe der Miguel-Hernández-Universität in Elche. Die Wissenschaftler verglichen darin die Wirksamkeiten eines HRV-gesteuerten und eines „traditionellen“ vorgeplanten Trainingsprogramms.

Probanden und Studiendesign

Die Probanden: 17 guttrainierte Radsportler. Das Studiendesign: Nach einer vierwöchigen standardisierten Baseline-Periode führten die in zwei Gruppen eingeteilten Sportler je unterschiedliche achtwöchige Trainingsprogramme durch – je ein vorgegebenes und eines, dessen Inhalte individuell an die Ergebnisse der täglichen HRV-Messung angepasst wurden.

Die Ergebnisse: Die HRV-trainierende Gruppe absolvierte deutlich weniger Trainingszeit in den „mittelintensiven“ Intensitätsbereichen und etwas mehr, aber in keinem signifikanten Ausmaß, in der niedrigintensiven Zone. Im Umfang der „intensiven“ – der Zone Drei nach der Einteilung des US-amerikanischen Sportwissenschaftlers Stephen Seiler – zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Somit trainierte die HVR-Gruppe etwas „polarisierter“ als die andere. Ihr Trainingsumfang im „Sweet-Spot-Intensitätsbereich“ war signifikant geringer als bei den Athleten der Kontrollgruppe.

Trainings-Polarisierung für bessere Tagesform

Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit verbesserten sich beide Gruppen – jedoch zeigten die nach der HRV-Methode trainierenden Sportler durchschnittlich größere Zuwächse in ihrer Maximalleistung, ihrer Leistung an der Functional Threshold und in einem simulierten 40-minütigen Zeitfahrtest.

Die Autoren gehen davon aus, dass diese Leistungsverbesserungen auf die klarere Trainings-Polarisierung zurückzuführen sind: Auf eine Fokussierung auf die niedrig-intensiven Erholungsphasen sowie auf die erhöhten Intensitäten mittels der absolvierten High-Intensity-Intervall-Einheiten. Das HRV-Training erwies sich somit als effizienter als der „normale“ beziehungsweise „traditionelle“ Ansatz. Jedoch gilt auch hier zu relativieren: Angesichts der geringen Stichprobengröße sollte man die Aussagekraft der Studien-Ergebnisse nicht überbewerten.


Tagesform am Wettkampftag: Die Taperingwoche

Am Montag sollte man sich von den Trainingsfahrten des Wochenendes erholen. Am Dienstag kann dann nochmals eine kurze Einheit mit Intervallen im Spitzenbereich gefahren werden, um die Leistungsfähigkeit ein weiteres Mal zu aktivieren. Am Mittwoch gilt es, die Spannung weiter aufrechtzuerhalten. Je nachdem, wie frisch man sich fühlt, kann dies etwa mit einer intensiveren Einheit von maximal zwei Stunden Dauer in Form eines Fahrtspiels geschehen. Anschließend folgt am Donnerstag noch eine lockere Grundlageneinheit, um den Rhythmus der Belastung beizubehalten. Der Freitag ist der klassische Ruhetag. Am Samstag fährt man die finale sogenannte Vorbelastung, um die Muskulatur auf die Strapazen des Renntages vorzubereiten.

Auch hier kann man sich wieder im Sweet-Spot- oder Schwellenbereich bewegen, beispielsweise mit dreimal drei Minuten in der Sweet-Spot-Intensität während einer 75 Minuten langen Ausfahrt. Alternativ kann man auch „nur“ drei bis sechs klar kürzere EB-Intervalle in seine Fahrt einbauen. Kraftintensive All-Out-Sprints sollten eher vermieden werden. Die „richtige“ Rennvorbereitung ist höchst individuell. Von daher gilt es, das Ganze während einer Trainingsphase vorab zu testen.

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Beispiel-Trainingsplan: Eine Rennwoche

Montag Ruhetag, eventuell Dehnen & Stabilisation
Dienstag 1,5 Stunden GA1, darin 3 Serien Sprints 8 x 6 Sekunden
Mittwoch 2 Stunden GA1, darin 5 x 3 Minuten EB
Donnerstag 2 Stunden GA1, darin 2 x 3 x 3 Minuten EB
Freitag Ruhetag, eventuell Dehnen & Stabilisation
Samstag Anreise 1-1,5 Stunden KB/GA1 mit 3-5 x 10-20 Sekunden Sprints oder 1-2 x EB Vorbelastung
Sonntag Wettkampf, Rennen, Radmarathon

Das HRV-Training: Vorgehen und Anleitung

Die Herzfrequenzvariabilität ist eine relativ neue Größe in der Trainingsforschung. Das Herz schlägt nie ganz gleichmäßig: Eine Herzfrequenz von 60 Schlägen pro Minuten bedeutet nicht, dass das Herz alle 1000 Millisekunden einmal schlägt. Diese Werte beziehungsweise diese Veränderungen nennt und bezeichnet die Herfrequenzvariabilität, HRV, in Millisekunden. Und dieser HRV-Wert lässt sich zur Trainingssteuerung nutzen. Die Tipps:

  • Die HRV regelmäßig bestimmen: morgens nach dem Aufstehen am besten über eine EKG-basierte Methode, die auch im alltäglichen Gebrauch recht genau ist. Für eine zu 100 Prozent exakte Bestimmung sind jedoch Labormesswerte vonnöten
  • In der Regel gilt für den Alltag: Je höher die HRV ist, desto erholter, fitter und gesünder ist die Person
  • Bei niedrigen Werten wird ein Ruhetag empfohlen
  • Eine große Studie zeigte, dass die HRV-basierte Trainingssteuerung eine größere Leistungssteigerung bei 30 Langstreckenläufern erzielte als bei einer anderen Gruppe, die nur nach einem Trainingsplan trainierte
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