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Höhentraining: Effekte, Risiken, Hintergründe

Mehr Sauerstoff

Höhentraining: Effekte, Risiken, Hintergründe

Ein Höhentraining kann die eigene Leistungsfähigkeit verbessern. Es hat allerdings auch Risiken. Einblicke in die Anpassungsmechanismen, Vor- und Nachteile sowie Trainingseffekte des Höhentrainings.
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Sie leben fernab von Städten, Dörfern, anderen Menschen – 2100 Meter über dem Meer. An einem Ort, den ein 50-Kilometer-Anstieg vom Rest der Welt, vom Alltag, von der „Zivilisation“ trennt. Und das wochenlang. Der Name des Ortes lautet: das Hotel Parador. Seine Umgebung: ein Hochplateau unterhalb des Pico del Teide, des höchsten Bergs der kanarischen Insel Teneriffa – und des gesamten spanischen Staatsgebiets. Sein Gipfel erhebt sich 7500 Meter über den Meeresboden.

Trainingslager

Damit ist der Teide der dritthöchste Inselvulkan der Erde. Und er ist in fast jedem Winter Heimat beziehungsweise der Standort für viele der besten Radprofis der Welt. Vor allem die Fahrer des Teams Sky, heute Ineos Grenadiers, machten diese Region als Trainingslager-Destination bekannt. Die größte Besonderheit dort ist weder das Wetter noch die Ruhe, sondern: die Höhe. Und damit: die dünne Luft. Höhentrainingslager gehören, gerade im Ausdauerbereich, bei Profisportlern schon seit Jahrzehnten dazu.

Hochgebirgsbedingungen bereits vorher in einem Höhentrainingslager erlebt zu haben, kann helfen, Leistungseinbußen bei einem Saisonhöhepunkt – sei es die Tour de France oder der Ötztaler Radmarathon – zu vermindern. Zudem kann ein Höhentrainingslager zeitlich befristet zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit unter Normalbedingungen führen. Doch: Auf dem Weg dorthin, zum Leistungszuwachs, gibt es Risiken. Welche Parameter verändern sich mit zunehmender Höhe, wie passt sich der Körper daran an – und wie wirkt sich diese Anpassung auf die Leistung des Sportlers aus?

Auf Seehöhe beträgt der Sauerstoffanteil der Luft rund 21 Prozent. Dieser Wert bleibt grundsätzlich konstant – in der Höhe nimmt der Luftdruck jedoch ab und reduziert damit den absoluten Sauerstoffgehalt in der Luft, sodass auf rund 2000 Metern über dem Meer nur noch rund 17 Prozent Sauerstoff verfügbar sind. Da kalte Luft weniger Feuchtigkeit speichert als wärmere und zusätzlich auch der Wasserdampfdruck abfällt, ist die Atemluft in der Höhe sehr trocken. Um den Wasserhaushalt im Training ausgeglichen zu halten, ist es daher umso wichtiger, ausreichend zu trinken.

Mit der Höhe vermindern sich die Dichte und der Druck der Luft. Während die geringere Luftdichte für die Leistung eher von Vorteil ist, da dadurch der Luftwiderstand geringer wird, ist folgender Faktor deutlich gewichtiger: der niedrigere Luftdruck. Denn mit diesem sinkt der Sauerstoffpartialdruck. Dieser berechnet sich, indem der Luftdruck mit dem Volumenanteil des Sauerstoffs multipliziert wird. Auf Meereshöhe beträgt der Luftdruck 1013,25 Hektopascal. Auf 2000 Metern über dem Meer sind es mit 783,8 Hektopascal nur noch 77,4 Prozent des Ausgangswertes – auf 3000 Metern, mit 689,4 Hektopascal, sogar nur 68,0 Prozent.

Höhentraining, Höhenmeter, Berge

Ein Höhentrainingslager sollte drei bis fünf Wochen vor dem Saisonhöhepunkt abgeschlossen sein.

„Dünnere“ Luft und Anpassungen

Der Körper kann durch die Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks in der Luft bei einem Atemzug weniger Sauerstoff aufnehmen –und versucht, diesen Sauerstoffmangel zu kompensieren: Die Atemfrequenz und -tiefe erhöhen sich. Das Atemminutenvolumen nimmt zu. Zudem steigt die Aktivierung des Sympathikusnervs –und mit ihr die Herzfrequenz und die Menge des Blutes, das pro Minute durch den Körper transportiert wird. Da dieser Ausgleich des Sauerstoffanteils im Blut nicht dauerhaft aufrechterhalten werden kann, beginnt der Körper nach etwa zwei bis fünf Tagen, sich auf andere Weise anzupassen: durch eine verbesserte Kapillarisierung und die Steigerung der Blutproduktion.

Zwar wird schon zu Beginn des Höhentrainings bei vielen Sportlern ein Anstieg des Erythrozyten- und Hämoglobinanteils festgestellt – dieser ist allerdings auf ein vermindertes Plasmavolumen zurückzuführen. Ein tatsächlicher Anstieg der Erythrozytenanzahl ist erst nach etwa ein bis zwei Wochen nachzuweisen. Entscheidend für diese Anpassungen ist unter anderem: die Dauer des Aufenthalts in der Höhenlage. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Hämoglobinmasse in einer Höhe von rund 2000 Metern über dem Meer um rund ein Prozent pro 100 Stunden Aufenthalt ansteigt. Durch die erhöhte Hämoglobinmasse verbessert sich die maximale Sauerstoffaufnahme, VO2max, die als Indikator für die Ausdauerleistungsfähigkeit gilt. Zu einer Leistungsverbesserung tragen potenziell auch die gesteigerte Kapillarisierung der Muskulatur und Veränderungen des Muskelstoffwechsels bei.

Die leistungssteigernden Effekte von Höhentrainingslagern wurden bereits in zahlreichen Studien gezeigt. Im Fokus einer Untersuchung von Forschern der Universität des Australian Institute of Sport in Canberra: Das Schwimmen während und nach einem dreiwöchigen Trainingslager auf 2300 Metern Höhe. Eine Woche nach der Rückkehr aus dem Trainingslager wurde bei den Elite-Schwimmern ein durchschnittlicher Anstieg der Hämoglobinmasse um 4,4 Prozent festgestellt. Nach rund fünf Wochen sank die Hämoglobinmasse wieder auf den Ausgangswert. Die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Athleten war am vierten Tag des Trainingslagers mit einer Veränderung von minus 3,1 Prozent deutlich vermindert. Danach verbesserte sie sich bis zur dritten Woche nach dem Aufenthalt kontinuierlich auf bis zu plus 2,8 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert. Bis zur fünften Woche blieb sie auf einem höheren Niveau.

Das Prinzip „Live High – Train High“

Ergo gilt: Wer in der Höhe trainieren will, sollte dies extrem planvoll und zielgerichtet tun. Das Zeitfenster der potenziell erhöhten Leistungsfähigkeit ist kurz. Demnach sollte ein solches Trainingslager im Zeitraum von rund drei bis fünf Wochen vor dem Saisonhöhepunkt abgeschlossen sein. In dieser Studie wurde die „Live High – Train High“-Methode angewandt, die aber nur eine Variante des Höhentrainings darstellt. Miłosz Czuba und seine Kollegen von der „Jerzy Kurkuczka Acadamy of Physical Education“ in Katowice, Polen, verglichen für ihre Studie die Höhentrainingsmethoden „Live High – Train Low“ und „Live Low – Train High“ miteinander.

Das Höhentraining wurde in einem Höhenzelt mit einer reduzierten Sauerstoffzufuhr simuliert. Der Sauerstoffanteil der Luft wurde auf 16,3 Prozent gesenkt, was einer Höhe von rund 2300 Metern über dem Meer entspricht. Die Probanden, 30 hochtrainierte Mountainbike-Athleten, wurden in drei Gruppen eingeteilt: Je zehn Fahrer wurden einer der beiden Methoden und weitere zehn der Kontrollgruppe zugeteilt. Alle Sportler absolvierten über vier Wochen hinweg das gleiche Trainingspensum. Vor und nach der Maßnahme wurden Bluttests durchgeführt. Zudem mussten die Fahrer ein simuliertes 30 Kilometer langes Zeitfahren sowie einen Rampentest absolvieren, um ihre VO2max zu bestimmen.

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Die optimale Höhe für ein Höhentrainingslager liegt zwischen 1500 und 2500 Metern

Verbesserungen der Vo2max und der Leistungsfähigkeit

Die Ergebnisse: Bei beiden Trainingsgruppen wurden Verbesserungen der VO2max und der Leistungsfähigkeit festgestellt – von 3,5 beziehungsweise 6,7 Prozent für Live-Low-Train-High- und 4,4 beziehungsweise 5,9 Prozent für die Live-High-Train-Low-Gruppe. Für beide Gruppen wurden im Vergleich zu den Kontrollprobanden deutliche Verbesserungen der aeroben Kapazität festgestellt – doch nur die Athleten der LH-TL-Gruppe wiesen einen erhöhten Hämoglobinwert auf. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass beide Konzepte zu einer Leistungssteigerung führen können, aber wohl unterschiedliche Anpassungsmechanismen stattfinden.

Ein Höhentrainingslager ist meist mit einem recht großen Aufwand verbunden – sowohl zeitlich, das Training sollte im besten Fall mehr als zwei Wochen dauern, als auch finanziell. Die Übernachtungsmöglichkeiten in großer Höhe sind begrenzt und teils recht hochpreisig. Zudem muss während eines Höhentrainingslager „anders“ trainiert werden: vorsichtiger und in der Regel mit geringeren Intensitäten.

Trainingsffekte und Risiken

Der Ablauf: Extrem wichtig ist es, zum Beginn des Aufenthalts in der Höhe eine Akklimatisierungsphase einzuhalten – auf rund 1800 Metern Höhe sollte diese zwei bis vier Tage umfassen. Die Trainingsdauer sollte in dieser Phase, ebenso wie die Intensität, sehr gering sein. Gerade während dieser Zeit sind Probleme wie leichte Kopfschmerzen, Müdigkeit und trockene Schleimhäute nicht selten. Diese sollten jedoch schnell abflauen. Tun sie das nicht, sollte dies ein Alarmzeichen sein. Generell gilt: Je höher man lebt beziehungsweise trainiert, desto größer sind die Belastungen für den Körper. Und desto größer ist das Risiko für potenzielle Probleme.

Auch die ersten Tage nach einem solchen Trainingslager können nicht effektiv für wirksame Trainingseinheiten genutzt werden. Eine, teils medial beworbene, potenzielle Alternative ist: ein mietbares Hypoxie-Zelt. In einem solchen kann durch eine Sauerstoffreduktion mittels eines Generators Höhenluft simuliert werden. Dies ist jedoch meist recht kostenaufwendig und die für Anpassungen notwendige Zeit im Höhenzelt zu erreichen ist nicht immer möglich. Zu den weiteren „Risiken“ eines Höhentrainingslagers zählt die Erkenntnis aus zahlreichen Studien, die da lautet: Es ist nicht für jeden. Viele Untersuchungen zeigen extrem heterogene Leistungseffekte und -entwicklungen nach Höhentrainingsmaßnahmen. Dies wird meist darauf zurückgeführt, dass es auch in Sachen Höhenadaptionen des Körpers sogenannte „Non-Responder“ gibt – Menschen, deren Körper sich gar nicht oder nur in sehr geringem Maß an die Höhenluft anpasst.

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Übertraining

Zudem steigt in der Höhe auch das Risiko, in den Übertrainingszustand zu geraten. Denn: Das Einhalten der individuell richtigen Intensitäten ist elementar. Wer etwa seine Intervalle auf Seehöhe mit Herzfrequenzen zwischen 160 und 170 Schlägen absolviert, könnte 2000 Meter über dem Meer feststellen, dass für dieselbe Leistung 15, 20 oder gar 25 Herzschläge mehr notwendig sind. Sowohl das Monitoring der Blutwerte als auch genau auf den eigenen Leistungsstand angepasste Trainingsinhalte sowie eine darauf abgestimmte Ernährung sind demnach gerade in einem solchen Umfeld extrem sinnvoll. Dies sind: Bedingungen, wie sie Profi-Athleten haben.

Wer als Amateur- beziehungsweise Hobbyathlet mit dem Gedanken spielt, ein Höhentrainingslager zu absolvieren, sollte sich im Vorfeld über die Kosten und den Aufwand im Klaren sein. Und beachten, dass die Leistungssteigerung nicht bei jedem eintritt – und, selbst wenn sie das tut, nur für einen begrenzten Zeitraum anhält. Ob eine solche Maßnahme sinnvoll ist, hängt zudem von den eigenen Ambitionen, den Anforderungen des Saisonziels und der verfügbaren Zeit ab.

Ein potenzieller Einstieg in das Höhentraining kann die Life-High-Train-Low-Methode sein: In der Höhe übernachten, im Tal trainieren. Mögliche Reiseziele dafür: Livigno, auf etwa 1800 Metern Höhe. Oder: der Teide auf Teneriffa, auf rund 2200 Metern. Gängig für solche Trainingslager sind Höhen zwischen 1800 und 2800 Metern. Geht man noch höher hinauf, steigt das Risiko für eine stark verschlechterte Regeneration und Schlafstörungen stark an. Die gängige optimale Dauer: drei bis vier Wochen. Dies kann das Gesamthämoglobin um bis zu acht Prozent steigern. Eine solche Steigerung kann zu einer Erhöhung der VO2max um bis zu vier Prozent führen. Für das Höhentraining gilt dasselbe Prinzip wie für vieles – jenes, das bereits die Geschichte des Ikarus verdeutlichte: Wer hoch hinauswill, kann viel gewinnen – oder sich verbrennen und abstürzen.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 9/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Tipps für ein erfolgreiches Höhentrainingslager


Tipps fürs Höhentrainingslager

  • Trainingsexperten empfehlen für ein gezieltes Höhentrainingslager etwa 250 Stunden Gesamtaufenthalt in der Höhe. Je nach der Trainingsmethode sollten Sie mindestens zehn Tage bis zwei Wochen dafür einplanen.
  • Es wird eine Höhe von 1500 bis 2500 Metern empfohlen. Darunter ist der Höheneffekt zu gering, darüber ist dieser meist zu belastend, um qualitativ hochwertige Trainingseinheiten durchführen und Effekte erzielen zu können.
  • An den ersten Tagen sollten Sie auf die Regeneration viel Wert legen und das Training nur langsam aufbauen. Der Körper braucht eine gewisse Zeit für die Anpassung und ist zu Beginn sehr großem Stress ausgesetzt.
  • Das Höhentrainingslager sollte in der Regel etwa drei bis fünf Wochen vor dem geplanten Saisonhöhepunkt abgeschlossen sein.
  • Informieren Sie sich über die verschiedenen Trainingskonzepte und passen Sie die Methode an Ihr Ziel an. Mehr: www.radsport-rennrad.de
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