Aero-Laufräder, Test, Kaufberatung
Aero-Laufräder im Test: Windkanal- und Praxistest

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Aero-Laufräder im Test: Windkanal- und Praxistest

Schneller: Höhere Felgen, weniger Luftwiderstand? Wir haben sechs Aero-Laufräder zwischen 1199 und 5430 Euro im Windkanal und auf der Straße getestet. Mit teils überraschenden Ergebnissen.
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Der Col du Tourmalet kurz vor dem Gipfel – 2000 Meter über dem Meer. Die 14. Etappe der Tour de France 2019: Der Vorjahressieger Geraint Thomas fährt neben dem Träger des Gelben Trikots, Julian Alaphilippe. In ihren Rennrädern drehen sich keine flachen Superleicht-, sondern Aero-Laufräder – mit Felgenhöhen zwischen 55 und 65 Millimetern. Im Pinarello Dogma von Geraint Thomas: die markanten Lightweight-Meilenstein-Laufräder aus Deutschland mit ihren breiten Carbonspeichen. Sein Team Ineos ist bekannt dafür, jeden kleinen Vorteil zu suchen – wissenschaftlich eruiert. Aber: Aero-Laufräder bei schweren höhenmeterreichen Pyrenäenetappen? Ergibt dies Sinn? Diese und weitere Fragen sollen mit diesem Test beantwortet werden.

Das Vorderrad allein macht 80 Prozent des gesamten Luftwiderstands jedes Laufradpaares aus – das Hinterrad nur 20 Prozent, da es sich im Windschatten des Sitzrohres dreht. Deshalb nahmen wir die Aerodynamik-Messungen nur an den Vorderrädern vor. Dies entspricht dem gängigen Test-Prozedere. Die aerodynamischen Fähigkeiten der Felgenbremsen-Test-Laufräder untersuchten wir im GST-Windkanal in Immenstaad am Bodensee.

Die Messungen führten wir je zweimal, mit 35 und 45 Kilometern pro Stunde durch. Die Aero-Laufräder wurden mit der Test-Geschwindigkeit über eine Walze angetrieben, was die Praxisverhältnisse widerspiegelt. Als Standard-Bereifung setzten wir einen Continental-GP-5000-Pneu ein. Wir führten alle Messungen mit einem einzigen Reifen durch, da die Serienstreuung der Reifen die Ergebnisse um bis zu ein Watt beeinflussen kann. Die Messtoleranz des Windkanals beträgt +/- 0,2 Watt. Damit auch Seitenwindverhältnisse beurteilt werden können, dreht sich der komplette Versuchsaufbau von plus nach minus 20 Grad – für jeden Winkel erhalten wir einen Messwert.

Diese Aero-Laufräder haben wir getestet

Marke Modell Preis Prädikat
DT Swiss PR 1400 DICUT 21 OXIC 999 Euro Referenz
DT Swiss ARC 1100 DicutTestbrief 2390 Euro Aero-Tipp
Swiss Side Hadron Ultimate 625 1924 Euro  
Leeze CC 58 Road EVO WASOTestbrief 1249 Euro Race-Tipp
Lightweight Fernweg C63 5430 Euro  
Berner Bikes Leichtsinn – Carbon Aero 1255 Euro  
Engage 62 C CarbonTestbrief 1199 Euro Preis-Leistung

Die ausführlichen Testberichte der Aero-Laufräder lesen Sie in der RennRad 7/2020. Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

Aero-Laufräder im Test: Labor und Praxis

Die Auswertungs-Software von GST berechnet abschließend die „gewichtete Leistung“ in Abhängigkeit der Anströmwinkel. Das heißt: Jeder einzelne Winkel mit der dazugehörigen Leistung wird in dem Maße prozentual gewichtet, wie er draußen auf der Straße vorkommt.

So kommt der Null-Grad-Winkel, die Frontal-Anströmung, im Praxiseinsatz am häufigsten vor und wird somit bei der Berechnung auch höher gewichtet als etwa der 20-Grad-Winkel. Für die sechs Aero-Vorderräder ergeben sich in unserem Versuchsaufbau gewichtete Leistungen von 12,2 bis 13,8 Watt bei 45 km/h – und 6,1 bis 7,3 Watt bei 35 km/h. Das schnellste Vorderrad spart demnach, bei 45 km/h, gegenüber dem langsamsten 1,6 Watt Leistung. Diese geringen Abstände haben zur Folge, dass alle sechs Testkandidaten in der prestigeträchtigen Aerodynamik-Wertung mit „gut“ oder „sehr gut“ bewertet wurden.

Um wie viel schneller sind die Aero-Laufräder?

Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass die Aerodynamik der aktuellen Hochprofil-Laufräder recht ausgereift ist. Eine Kernfrage lautet: Um wie viel schneller sind die Aero-Laufräder mit ihren Felgenhöhen von 55 bis 63 Millimetern im Vergleich zu den flachen Modellen?

Wie bei unserem letzten Laufradtest in der RennRad 6/2020, in dem wir Allround-Modelle untersuchten, kam auch diesmal ein Referenz- beziehungsweise Vergleichs-Laufradsatz zum Einsatz: die DT Swiss PR 1400 Dicut 21 OXiC mit 21 Millimetern Felgenhöhe.

Diese Räder sind auch deshalb interessant, da sie bei unseren zusätzlichen Bremstests mit ihren beschichteten OXiC-Alufelgen sehr gute Ergebnisse ablieferten. Bei einer Vollbremsung aus 25 km/h, nur vorne gebremst, ergab sich ein Bremsweg von lediglich 2,77 Metern bei trockenen Verhältnissen. Mit einer nassen Felge stieg dieser Wert auf, in Relation gesehen, sehr gute 3,98 Meter. An diesen Werten müssen sich die Carbon-Aero-Laufräder messen.

Seitenwind

Ein weiterer wichtiger Faktor für Aero-Laufräder ist die Seitenwindempfindlichkeit. Diese nimmt in der Regel mit steigenden Felgenhöhen zu. Wir konnten sie im GST-Windkanal messen. Dieser gehörte ursprünglich zu den Dornier-Flugzeugwerken – und wurde für Fahrzeuge, Flugobjekte und Tragflügel konzipiert.

Es können somit nicht nur Auf- und Abtrieb gemessen werden, sondern auch das Dreh- oder Lenkmoment bei seitlichen Wind-Anströmungen. Die Auswertung wies uns zudem noch einen „Lenkmoment-Beiwert“ aus, einen Wert ohne Maßeinheit. Das ist ein Äquivalent-Wert zum Dreh- oder Lenkmoment, das in Newtonmeter gemessen wird. Der Lenkmoment-Beiwert verhält sich direkt proportional zum wirklichen Lenkmoment.

Aero-Laufräder wurden vor allem zu einem Zweck entwickelt: den Luftwiderstand zu verringern. Beim Festlegen des Felgenquerschnitts auch eine möglichst geringe Seitenwindempfindlichkeit zu berücksichtigen, erfordert daher einen Kompromiss. Bei starkem Seitenwind geschehen zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen trifft der Wind seitlich auf den Fahrer und sein Rennrad – und verschiebt diese, je nach seinem Winkel und der Windgeschwindigkeit, um bis zu mehrere Zentimeter seitlich.

Zum anderen beeinflusst er das Vorderrad, indem er ein Lenkmoment erzeugt. Dies nimmt der Fahrer in der Regel als ein „Flattern“ des Lenkers beziehungsweise des Vorderrades wahr. Die normale Reaktion auf diese Seitenwindeffekte: Man „lenkt dagegen“ und verlagert seinen Körperschwerpunkt etwas in jene Richtung, aus der der Wind weht. Dies ist eine Situation, wie sie wohl jeder Rennradfahrer schon mehrfach erlebt hat. Man kann dabei Zeit und Schwung verlieren, Schrecksekunden erleben oder gar stürzen. Deshalb legten wir einen Test-Schwerpunkt auf die Seitenwindempfindlichkeit der Laufräder.

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DT Swiss und Leeze: Aero-Sieger beim Aero-Laufräder-Test

Zurück zur Aerodynamik: Die Aero-Sieger dieses Tests kommen von DT Swiss und Leeze. Die gewichtete Leistung beträgt, bei 45 km/h, bei beiden 12,2 Watt. Direkt dahinter platzieren sich die Modelle von Engage mit 12,4 Watt und Swiss Side mit 12,6 Watt. Da die Mess-Toleranz +/- 0,2 Watt beträgt, kann man hier demnach von gleich vier Top-Werten ausgehen.

Mit einem geringen Abstand folgen die Berner „Leichtsinn“ mit 13,6 und die Lightweight „Fernweg C63“ mit 13,8 Watt. Die Aero-Unterschiede zwischen den Testmodellen fallen demnach gering aus. Für die Ergebnis-Tabelle haben wir diese Messwerte zudem in Zeitgewinne umgerechnet: Wir geben die benötigte Zeit für 100 flache Kilometer an, das Hinterrad wurde mit seinem Anteil von 20 Prozent am Gesamt-Luftwiderstand der Laufräder mit eingerechnet.

Weiterhin informieren wir über die neue höhere Geschwindigkeit und den Zeitgewinn, die sich aus dem Leistungsgewinn gegenüber den flachen Referenz-Laufrädern ergeben. Die Seitensteifigkeit beschreibt, wie belastbar Laufräder bei seitlichen Krafteinwirkungen sind. Je mehr Kraft notwendig ist, um eine Verwindung hervorzurufen, desto besser. Denn genau solche Kräfte treten zum Beispiel bei Maximalsprints auf der Straße auf.

Gute Werte liegen über 30 Newton pro Millimeter. Das heißt: Bei einer Kraft von 30 Newton, was rund drei Kilogramm entspricht, gibt die Felge seitlich um einen Millimeter nach. Es gilt: Je größer dieser Wert, desto besser. Die sechs Test-Laufräder liefern hier Werte zwischen 23 und 37 Newton pro Millimeter. Auf der Straße machen sich hohe Seitensteifigkeiten positiv bemerkbar: im Sprint und im Wiegetritt – zudem „läuft“ das Vorderrad keinen Spurrillen hinterher und das Einlenken in Kurven geschieht präziser und direkter. Bei den Hinterrädern prüften wir die Seitensteifigkeit auf beiden Seiten, da rechts wegen der Kassette die Speichen steiler stehen. Die mit Abstand besten Steifigkeits-Werte bieten die Lightweight Fernweg, es folgen die DT Swiss- und die Swiss-Side-Modelle.

Beschleunigung und Bremsweg

Bei dem Test-Parameter „Beschleunigung“ geben wir die Rotationsenergie in Joule an, die benötigt wird, um einen Laufradsatz von null auf 30 km/h zu beschleunigen. Je weniger Joule nötig sind, desto besser ist die Beschleunigung. Die Messwerte lagen sehr eng beieinander: zwischen 36 und 38 Joule.

Auch bei unseren Bremsweg-Tests gilt: Je geringer die Werte, desto besser. Denn: Kurze Bremswege können Leben retten. Die Hersteller liefern die Carbon-Laufräder mit den geeigneten Bremsbelägen aus. Diese sind etwas weicher als die Beläge für Aluminium-Felgen. Vielfach fanden wir Beläge von SwissStop im Lieferumfang.

Leeze entwickelte inzwischen eigene Modelle. Bei den Vollbremsungen aus 25 km/h auf null, notierten wir – nur mit der vorderen Bremse gestoppt – bei trockenen Verhältnissen Bremswege von rund 3,50 Metern. Die beschichteten Alufelgen des DT-Swiss-Referenz-Laufrades wiesen einen hervorragenden Wert von 2,77 Metern auf. Dieser ist besser als jener „normaler“ Aluminium-Felgen.

Keramiklager, Aero-Laufräder

DT Swiss und Swiss Side rüsten ihre Laufräder mit SINC-Keramiklagern aus. Bei Leeze gibt es Ceramic-Speed-Lager gegen einen Aufpreis von 399 Euro.

Bremsverhalten

Für die „Nass-Bremsungen“ besprühten wir vorher das Vorderrad mit Wasser. Es ergaben sich für die sechs Aero-Laufräder Bremswege zwischen 4,72 und 6,71 Metern. Der Sieger in dieser Kategorie: der Lightweight-Laufradsatz. Allgemein gilt: Mit einer guten Felgenbremse kann das Hinterrad bei jeder Geschwindigkeit zum Blockieren gebracht werden. Die Toleranz dieser Messungen geben wir mit +/- zehn Zentimeter an.

Etwas aus dem Rahmen fielen die Bremswege der Berner-Laufräder: Mit den beiliegenden „No-Name-Belägen“ ergaben sich Bremswege von 4,11, trocken, und 6,71 Metern, nass. Mit den Leeze-Belägen verkürzten sich die Bremswege auf 3,32 beziehungsweise 5,87 Meter, was den Bestwert für die Trocken-Messungen darstellt.

DT Swiss und Swiss Side schickten Laufräder mit Keramiklagern, mit Stahllagern sind sie um bis zu 500 Euro günstiger. Leeze bietet Ceramic-Speed-Lager zu einem Aufpreis von 399 Euro an. Durch eine geringere Lagerreibung können damit, je nach dem Fahrergewicht und der Geschwindigkeit, rund zwei bis vier Watt gespart werden. Die Lebensdauer wächst gegenüber Standardlagern um das Drei- bis Fünffache.

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Aero-Laufräder im Test: Fazit

Bei den Windkanal-Messungen liegen die Laufräder von DT Swiss, Leeze, Swiss Side und Engage vorn. Beim Seitenwindverhalten sind die Lightweight-Modelle die Nummer eins. Beim Gewicht punktet besonders Leeze – mit nur 1471 Gramm inklusive Felgenband.

Lightweight schafft den Kompromiss aus Leichtbau und Seitensteifigkeit am besten: Die Fernweg-Laufräder sind zwar teuer, aber auch leicht und extrem seitensteif. Nach diesen Testergebnissen kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Warum ergeben hochwertige Aero-Laufräder, wie etwa die Lightweight-Modelle, auch im Gebirge Sinn – beziehungsweise bringen Vorteile? Wegen vielen Faktoren: Leichtgewicht, Aerodynamik, Steifigkeit, eine hohe Lenkpräzision, ein gutes Bremsverhalten – und eine geringe Empfindlichkeit bei Seitenwind.

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