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Gehirn und Training: Zusammenhänge von Sport und Psyche

Gehirntraining

Gehirn und Training: Zusammenhänge von Sport und Psyche

Schneller fahren – schneller denken? Training und Gehirn: die Zusammenhänge, die Effekte. Ein Überblick über den wissenschaftlichen Stand.
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„Gehirnjogging“ – so nennt man eine Art von Aufgaben, die die Denkleistung steigern sollen. Kreuzworträtsel, Sudoku et cetera. Doch ein anderer pragmatischer Ansatz basiert auf einem anderen Fakt: Das Training des Körpers wirkt nicht nur auf die Physis – sondern auch auf das Gehirn. Nachweislich.

Ausdauersport steigert nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit – viele Studien bestätigen etwa eine positive Korrelation zwischen dem körperlichen Fitnesszustand und dem Hirnvolumen. So gibt es mehrere Befunde, die suggerieren, dass eine halbe Stunde Ausdauersport die geistige Leistungsfähigkeit stärker fördern kann als jede Form des „Gehirnjoggings“.

Eine Frage des Volumens: Forscher des Universitätsklinikums Bergmannsheil verglichen die Gehirne von Athleten mit denen „normaler“ Menschen. Es zeigte sich, dass das Gehirn von guttrainierten Sportlern in bestimmten Bereichen, vor allem im sogenannten supplementären motorischen Areal, durchschnittlich deutlich mehr Hirnsubstanz aufweisen als jene von Nichtsportlern. Jenes Hirnareal ist unter anderem für das Erlernen neuer Bewegungsfolgen zuständig.

Zudem zeigte die Untersuchung, dass Leistungssportler aus Ausdauerdisziplinen im Durchschnitt über eine vergrößerte Hippocampus-Hirnregion verfügen. Diese ist die am stärksten veränderbare Struktur im Gehirn. Umgangssprachlich wird sie auch als das „Tor zum Gedächtnis“ bezeichnet, da ein Großteil aller Wahrnehmungen zunächst den Hippocampus „durchlaufen“, bevor sie langfristig gespeichert werden. In der Regel ist die Bildung von Nervenzellen nach der ersten Hälfte der Schwangerschaft abgeschlossen, doch im Hippocampus können nachweislich lebenslang neue Neuronen gebildet werden.

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Schnelle Effekte für das Gehirn

Eine weitere gute Nachricht: Das Gehirnwachstum beginnt schon nach wenigen Trainingswochen. Dies zeigte eine Studie kanadischer Forscher. Diese ließen ihre Probanden – unsportliche Erwachsene – zweimal wöchentlich je eine Intervalltrainings-Einheit durchführen.

Die Ergebnisse: Nach vier Monaten konnte bei den Probanden, neben der deutlich verbesserten Kondition, auch eine enorme Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit festgestellt werden. Der Wirkmechanismus dahinter: Das Training sorgt dafür, dass das Gehirn besser durchblutet – und damit auch vermehrt mit Sauerstoff versorgt – wird.

Infolge eines erhöhten Blutflusses werden neben dem Sauerstoff auch andere Stoffe, etwa Hormone, effektiver transportiert. Durch ein regelmäßiges Training über Jahre hinweg, kann es zu tiefgreifenden Veränderungen der Hirnstruktur kommen, wie etwa zu einer vermehrten Bildung neuer Synapsen oder zur Festigung bereits bestehender Hirnstrukturen.

Studie der Universität Greifswald

Ähnliche Schlüsse lassen auch die Studienergebnisse eines Forscherteams der Universität Greifswald zu. Im Rahmen ihrer Untersuchung führten die Wissenschaftler bei mehr als 2000 Probanden Messungen des Hirnvolumens durch – nachdem diese einen Fahrradergometer-Leistungstest zur Bestimmung der maximalen Sauerstoff-Aufnahme absolviert hatten. Der positive Zusammenhang zwischen der körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Hirnvolumen konnte auch hier bestätigt werden.

Konkret: Je besser die Fitness, ergo der Trainingszustand, der Probanden war, desto größer war auch ihr Gesamthirnvolumen – und desto größer war der Anteil der grauen Substanz. In den Hirnen der sport-treibenden Menschen fanden sich zudem klar größere Hippocampus-Areale sowie Vergrößerungen weiterer Gehirnregionen.

Jene positiven Effekte wurden in allen Altersklassen gefunden: Sie konnten sowohl bei jungen als auch bei älteren Menschen nachgewiesen werden. Das Fazit der Forscher: Vieles deutet darauf hin, dass lebenslanges Sporttreiben den Abbau der Gehirnmasse im Alter verlangsamt, wodurch Menschen körperlich und geistig länger fit bleiben.

Gehirn-Strukturen

Gegensätzlich konnte dazu in einer Untersuchung des Forschungszentrums Jülich bestätigt werden, dass ein regelmäßiger Alkoholkonsum zu einem klaren Abbau der grauen Substanz und weiterer Hirnareale führt. Ebenso fatale Auswirkungen scheint ein langjähriger Zigarettenkonsum zu haben, während hingegen das regelmäßige Training – genauso wie das Pflegen von sozialen Kontakten – das Hirnwachstum begünstigt. In jedem Alter.

Brigitte Röder, Neuropsychologin an der Universität Hamburg, fasst es zusammen: „Das Gehirn ist ein Teil des Körpers und profitiert von Sport genauso wie der Rest des Körpers.“

Fakt ist: Wer regelmäßig trainiert, verringert das Risiko für kognitive Einbußen um ein Vielfaches. Allerdings nehmen diese positiven Effekte beziehungsweise Adaptionen wieder ab, wenn man mit dem Sport aufhört. Einige Studien suggerieren, dass bereits drei kürzere Sporteinheiten pro Woche ausreichen können, um ein Wachstum der Gehirnmasse zu begünstigen.

Brigitte Röders Forschungsteam unterteilte für eine ihrer Untersuchungen die Probanden in zwei Gruppen: Eine davon absolvierte ein Ausdauertraining, die andere führte ein Stretching-Programm durch. Während dieses keine statistisch relevanten Effekte zeigte, kam es – bei den Probanden der anderen Gruppe – infolge des Ausdauertrainings zu einem Anstieg der maximalen Sauerstoffaufnahme. Und: Diese korrelierte positiv mit einer verbesserten Gedächtnisleistung.

Forschung der Universität Ulm

Eine Forschungsgruppe der Universität Ulm teilte 80 Personen in zwei Gruppen ein. Die einen sollten vier Monate lang dreimal pro Woche ein Lauftraining absolvieren. Die anderen trieben keinen Sport. Vor, während und nach den vier Monaten testeten die Wissenschaftler die Konzentrationsfähigkeit, das räumliche Vorstellungsvermögen und das Gedächtnis aller Teilnehmer.

Und fanden dabei signifikante Effekte: Durch das Lauftraining verbesserten sich die räumliche Vorstellungskraft und die Konzentrationsfähigkeit der Probanden messbar. Die Forscher gehen noch einen Schritt weiter und vermuten, neben den bestehenden positiven Effekten, zudem eine dauerhafte Beeinflussung des Hormonhaushalts durch das regelmäßige Training.

Denn: Die körperliche Aktivität verlangsamt den Abbau des Botenstoffs Dopamin. Dieses Hormon wirkt unter anderem als körpereigener „Stimmungsaufheller“, der für wichtige kognitive Prozesse im präfrontalen Kortex benötigt wird. Sinkt der Dopaminspiegel, beeinträchtigt dies die geistige Leistungsfähigkeit – wie etwa das Konzentrations- und das Aufmerksamkeitsvermögen. Gerade bei Menschen, die genetisch bedingt sehr schnell Dopamin abbauen, hilft Sport, den Hormonhaushalt zu normalisieren, beziehungsweise ihn aufrechtzuerhalten.

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In einer Studie der Universität Ulm zeigte sich: Durch regelmäßiges Ausdauertraining verbesserten sich die räumliche Vorstellungskraft und die Konzentrationsfähigkeit der Probanden deutlich

Physis und Psyche

Durch welche Effekte genau diese trainingsbedingten „Umbauprozesse“ innerhalb des Gehirns hervorgerufen werden, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Rein entwicklungsbiologisch gesehen, seien diese logisch zu erklären, sagt Stefan Schneider, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln: „Schon beim Aufwachsen ist Bewegung ein fundamentales Prinzip für die Entwicklung des Gehirns.“

Daher ergibt es natürlich Sinn, dass Bewegung und Training auch im Erwachsenenalter positive Auswirkungen haben. Ergo gilt: Sport trägt nicht nur zu einer besseren Leistungsfähigkeit bei, sondern hilft auch dabei, geistig länger „fit“ zu bleiben.

Sport und seine Effekte auf das Gehirn

Doch Sport „hält“ nicht nur „jung“. Er hat noch weitere Effekte auf das Gehirn – so deuten viele Studienergebnisse darauf hin, dass ein dauerhaftes Ausdauertraining neurodegenerativen Erkrankungen vorbeugen kann. Mit steigendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, an neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Demenz zu erkranken. Gekennzeichnet sind diese Krankheiten durch den unaufhaltsam fortschreitenden Niedergang von Nervenzellverbänden.

Die derzeitige Studienlage bestätigt, dass Bewegung den Verlauf der Krankheiten mildern kann – und insbesondere präventive Effekte zeigt. Die Krankheit Parkinson ist eine der häufigsten degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Meist tritt sie im fortgeschrittenen Lebensalter auf, was jedoch nicht heißt, dass nicht auch jüngere Menschen betroffen sein können. Die Symptome der Parkinsonerkrankung zeigen sich häufig in Bewegungsverarmung, Muskelsteifigkeit und Zittern. Neben diesen typischen Anzeichen gibt es darüber hinaus eine Reihe von weiteren Symptomen, wie etwa Riech-, Blasen-, und Verdauungsstörungen sowie Blutdruckveränderungen.

Eine Ursache der Krankheit ist ein Mangel an dem Überträgerstoff Dopamin im Gehirn. Mit dem Fortschreiten der Krankheit verstärkt sich dieser Effekt, was zur Folge hat, dass die körperliche und die psychische Beweglichkeit immer weiter eingeschränkt werden. Bestimmte Medikamente können den Dopaminmangel bis zu einem gewissen Grad aufhalten, ihn aber nicht ganz stoppen. Neben verschiedenen physikalischen Therapiemöglichkeiten und einer gesunden Ernährung mit einer möglichst optimalen Mikronährstoffversorgung gibt es noch ein weiteres Gegen- beziehungsweise Präventionsmittel: Sport. So wurde in mehreren Untersuchungen festgestellt, dass die regelmäßige Bewegung – besonders das Radfahren – klar positive signifikante Effekte auf den Krankheitsverlauf haben kann.

Sport und Prävention

So untersuchten niederländische Wissenschaftler 130 Parkinson-Patienten im Alter zwischen 30 und 75 Jahren. Eine Gruppe der Erkrankten absolvierte über sechs Monate hinweg dreimal wöchentlich ein Radtraining auf einem Indoorbike. Eine zweite Gruppe führte stattdessen ein Stretching-Programm durch.

Ergebnis: Nach dem Ende des Untersuchungszeitraums wurden bei den trainierenden Probanden durchschnittlich signifikant weniger Symptome der Krankheit festgestellt. „Diese Effekte sind in etwa mit denen von Medikamenten gleichzusetzen“, sagte Professor Bas Bloem, der Leiter der Studie. Diese Ergebnisse bestätigen jene einer früheren wissenschaftlichen Arbeit, bei der Parkinson-Patienten dreimal wöchentlich je 40 Minuten lang mit hoher Trittfrequenz auf einem Hometrainer trainierten.

Effekt

Der Effekt: eine durchschnittliche Reduktion der Symptome um rund 35 Prozent. Durch eine Verbesserung der allgemeinen Fitness können zudem Lungen- und Herzkreislauferkrankungen verringert werden, was eine potenziell längere Lebensdauer der Patienten erwarten lässt. Das sogenannte Freezing – das „Einfrieren“, ergo Nicht-mehr-bewegen-Können des Körpers – ein weiteres Symptom der Krankheit, könnte ebenfalls durch regelmäßige Rad-Trainings gemildert werden.

Neurowissenschaftler aus Düsseldorf, Konstanz und Dänemark fanden heraus, dass Freezing-Betroffene ein Störsignal im Gehirn aufweisen, das durch das Pedalieren beim Radfahren nachweislich unterdrückt wird. Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher spezielle Elektronen, die den Studienteilnehmern während einer Hirnstimulation implantiert wurden. So konnten sie aufzeigen, dass Radfahren im Vergleich zum Gehen eine starke Unterdrückung dieser Störsignale bewirkt – und die Bewegung die Signale quasi „wieder in den richtigen Takt“ bringt.

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Freezing-Betroffene weisen ein Störsignal im Gehirn auf, das durch Radfahren nachweislich unterdrückt wird

Radfahren im Mittelpunkt

Für die zukünftige Therapie von Patienten mit Freezing-Syndromen könnten diese Studienergebnisse neue zentrale Ansatzpunkte darstellen, wobei das Radfahren dabei im Mittelpunkt stehen könnte. Neben Parkinson und Alzheimer – Krankheiten, die stark altersabhängig sind und, statistisch gesehen, mit dem Alter zunehmen – zählt auch die amyotrophe Lateralsklerose, ALS, zu den neurodegenerativen Krankheiten.

Allerdings tritt sie oft bereits im jüngeren Alter auf. ALS ist eine der häufigsten motoneuronalen Erkrankungen unter Erwachsenen. Die Symptome dieser Krankheit äußern sich in Form einer kontinuierlich fortschreitenden Lähmung, wobei die kognitiven Fähigkeiten typischerweise unbeeinträchtigt bleiben. ALS kann Erwachsene in jedem Alter treffen. Die meisten Patienten versterben drei bis fünf Jahre nach Symptombeginn. Patienten im Frühstadium weisen bereits eine reduzierte maximale Ausdauerleistungsfähigkeit, jedoch keine signifikanten Defizite der kardiovaskulären Funktionen auf.

Verbesserung der funktionellen Kapazität

Studienergebnisse zeigen nun, dass ein strukturiertes Trainingsprogramm bei 14 ALS-Patienten zu Verbesserungen der funktionellen Kapazität führte. Patienten im späteren Erkrankungsstadium, die zum Teil bereits Mobilitätshilfen benötigten, verbesserten ihre Ausdauerleistungsfähigkeit durch ein 30-minütiges Laufbandtraining, das sie über acht Wochen hinweg jeweils dreimal wöchentlich durchführten. Insgesamt deuten mehrere Studien und Übersichtsarbeiten darauf hin, dass ein dauerhaftes moderates Ausdauertraining die körperliche Leistungsfähigkeit von ALS-Patienten verbessern und den Krankheitsverlauf verzögern kann. Jedoch besteht der dringende Bedarf an klinisch durchgeführten Trainingsstudien, die mechanistische Ansätze für den Nutzen verschiedener Trainingsformen und -intensitäten liefern.

Es zeigte sich: Körperliche Aktivität und Sport sind nicht nur für bereits erkrankte Personen wirksam, sondern helfen vor allem gesunden Menschen dabei, die Risiken einer Erkrankung zu senken. Sport ist kostengünstig, nebenwirkungsfrei und bringt während der gesamten Lebensspanne zahlreiche positive und gesundheitsfördernde Effekte mit sich. Lebenslanges Sporttreiben und Aktiv-Sein sind aus wissenschaftlicher Sicht optimal für die Prävention.

Die Effekte des Sports betreffen Menschen jeden Alters. Sie lauten, unter anderem: ein gesünderer Geist, ein gesünderer Körper, Prävention, Leistungsfähigkeit, das vermehrte Ausschütten von Glückshormonen – und Spaß.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2021Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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