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Trittfrequenz: Tipps für effizientes Training im Winter

Frequenz

Trittfrequenz: Tipps für effizientes Training im Winter

Schneller fahren bei gleicher Leistung – mit der optimalen Trittfrequenz? Von Kraft, Muskelfasern & Winter-Trainings-Tipps.
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Ich fahre im Winter mit einer starren Nabe“, war einst eine unter Lizenz-Rennfahrern gängige Aussage. Ihre Bedeutung: Man „vereinfacht“ sein Winter-Trainings-Rennrad – keine Schaltung, kein Freilauf, nur ein Ritzel. Somit muss man, wie bei einem Bahn-Rad, auch auf der Straße immer mittreten, kann nie „rollen lassen“, auch in den steilsten Abfahrten nicht und muss eine extreme Varianz seiner Trittfrequenzen leisten. Diese Trainingsform ist inzwischen etwas aus der Mode geraten, doch ihre Hintergründe sind noch immer aktuell – und hier vor allem die Fragen: Wie wichtig ist die Trittfrequenz? Welche ist die „Richtige“ beziehungsweise „Optimale“? Welche Leistungspotenziale sind durch Frequenz-änderungen abrufbar? Und wie trainiert man das Ganze?

Das wohl bereits klassische Gegenpol-Beispiel in Sachen Trittfrequenz lautet: Jan Ullrich vs. Lance Armstrong. Der eine fuhr kraftvoll, mit 75 bis 80 Kurbelumdrehungen pro Minute – der andere war ein Vertreter eines anderen Extrems: sehr hohe Frequenzen zwischen 100 und 110, selbst berghoch. Beide waren extrem schnell – wenn es dafür auch nicht nur physiologische, sondern auch pharmakologische Gründe gab, wie man heute weiß.

Mehr Watt

Welcher Fahrertyp „tritt“ wie? Es braucht nur einfache Schul-Physik, um zu verdeutlichen: Fahrer, die mit weniger Umdrehungen pro Minute unterwegs sind, leisten dabei „mehr“. Mehr Watt – als solche, die höhere Frequenzen treten. Eine Konsequenz solch niedriger Frequenzen ist: Die „kräftigeren“ Typ-2-Muskelfasern müssen verstärkt „arbeiten“. Fast immer geht eine solche kraftorientierte Fahrweise deshalb mit einem eher athletischen Körperbau einher – oder einfacher gesagt: Solche Fahrer haben in der Regel mehr Muskelmasse, da die „stärker eingesetzten“ Typ-2-Fasern auch besser hypertrophieren beziehungsweise „wachsen“.

Einfach nachvollziehbar ist dieses Prinzip, indem man den direkten Vergleich ausprobiert: Zum Beispiel indem man in einem vorermüdeten Zustand am Ende einer Ausfahrt einen steilen Anstieg zweimal nacheinander hinauffährt – einmal mit der Trittfrequenz zwischen 40 und 50 Umdrehungen pro Minute und einmal mit einer zwischen 80 und 100. Der Unterschied ist – in der Muskulatur – mehr als deutlich spürbar.

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Ist eine niedrige Trittfrequenz ein Nachteil?

Ist eine niedrige Trittfrequenz somit ein Nachteil? Ja und Nein. Für die meisten ambitionierten Radsportler ergibt es Sinn, sich eine eher höhere Frequenz anzueignen, da die Anspannungs-Entspannungsphasen der Muskulatur dabei deutlich kürzer sind – und sie somit besser durchblutet werden kann.

Niedrige Frequenzen bedeuten umgekehrt längere Kontraktionsphasen und somit eine geringere Blutzirkulation. Zudem ermüden Typ-2- schneller beziehungsweise früher als Typ-1-Muskelfasern. Somit wäre auch hier eine niedrige Trittfrequenz – mit einer hohen Muskelkraftleistung pro Pedaltritt – eher kontraproduktiv. Auf der anderen Seite hat auch eine hohe Frequenz „Nachteile“: Aufgrund des höheren internen Energieverbrauchs benötigt der Organismus deutlich mehr Sauerstoff und somit Energie. Dies belegen unter anderem die Studien von Kautz und Neptune 2002 sowie von Ettema und Lorås 2009.

Die effizienteste Trittfrequenz

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass bei niedrigen Frequenzen „unnötig“ viele Typ-2-Fasern aktiviert werden – und somit Energie verschwendet wird. Doch dies trifft nur bedingt zu. Denn: Es kommt letztlich auf die Leistung an, die im Wettkampf erbracht werden muss. Wenn es leistungsentscheidend ist, lange unter einer entsprechend hohen Schwelle fahren zu können, eignen sich niedrige Trittfrequenzen eher. Denn: Trainiert man diese Frequenzen lange genug, erhöht sich die Resilienz beziehungsweise die Ermüdungswiderstandsfähigkeit.

Die Frage nach der optimalen Frequenz geht weit über die reine Physik hinaus. Würde man nach der mechanischen Effizienz gehen, wär die Antwort eine einfache: Physikalisch gesehen befindet sich der Bereich der höchsten Effizienz zwischen 50 und 80 Kurbelumdrehungen pro Minute.

Brennan et al. stellten in ihrer Studie aus 2019 fest, dass bei einer konstanten Leistung von 2,5 Watt pro Kilogramm Körpergewicht und einer Trittfrequenz von 60 – verglichen mit Frequenzen von 40 bis 100 – der metabolische Aufwand am geringsten ist. Relativ gesehen fällt der Sauerstoffverbrauch hier am geringsten aus.

Zum selben Schluss kamen Graham et al. 2018 bei Untersuchungen mit Radsportlerinnen: In ihrer Untersuchung resultierten höhere Umdrehungszahlen in Zeitfahren in höheren Energieverbräuchen – verglichen mit niedrigen Trittfrequenzen. Bei Rennrad-Einsteigern beziehungsweise wenig trainierten Fahrern, die hohe Kadenzen fahren, wird zudem vermutet, dass durch die höhere Gehirnaktivität mehr Kohlenhydrate verbraucht werden – und somit ein weiterer energetischer Nachteil entsteht.

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„Bei niedrigen Trittfrequenzen werden verstärkt Typ-2-Muskelfasern eingesetzt – diese hypertrophieren eher und ermüden deutlich schneller.“

Langstrecken-Fahrer

Bei Radprofis und gut trainierten Amateuren relativiert sich dieser vermeintliche Nachteil der energetischen Effizienz. Nämlich dann, wenn man die Ökonomisierung miteinbezieht – die jahre- und jahrzehntelange motorische Gewöhnung an diese hohen Frequenzen und die hohen getretenen Leistungen.

So suggerieren mehrere Studien, etwa von Lucia und Ferrer sowie Foss und Hallen, 2004: Je höher die erbrachte Dauerleistung, desto effektiver ist eine eher hohe Trittfrequenz. Diese hohen Frequenzen zu leisten, ist jedoch nur unter einer Voraussetzung dauerhaft möglich. Diese Voraussetzung lautet: eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme, VO2max. Diese definiert, wie viele Milliliter Sauerstoff pro Minute und Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden können.

Bedeutet eine hohe Trittfrequenz einen VO2max-Wert?

Weltklasse-Radprofis wie Chris Froome, Egan Bernal oder Primož Roglič erreichen hier Extrem-Werte – das ist ein Grund dafür, dass sie solch hohe Frequenzen fahren, selbst bergauf. Aus demselben Grund können, und müssen, Langstreckenfahrer und Langdistanz-Triathleten, die mit niedrigen Trittfrequenzen fahren, in der Regel nicht solche absolut hohen VO2max-Werte aufweisen, um Weltklasse-Leistungen zu erzielen.

Trainingstipps zur Maximierung der eigenen VO2max finden Sie hier. In der Regel gilt: Fahrer, die stets niedrige Frequenzen fahren, entwickeln keine derart hohen VO2max-Werte wie Fahrer, die hohe Trittfrequenzen leisten. Dies stellten unter anderem Kristoffersen et al. in ihrer Studie aus 2014 fest. Ein Fazit: Die individuell optimale Trittfrequenz ist leistungsabhängig.

Kadenz-Training

Fährt man vornehmlich lange Strecken in Leistungsbereichen von unter 200 Watt – beziehungsweise deutlich unterhalb seiner Schwelle – so kann man sich die energetischen Effizienz-Vorteile niedriger Frequenzen von 65 bis 85 Umdrehungen pro Minute zu Nutze machen. Für Langstreckenfahrer und Langdistanz-Triathleten ergibt dies Sinn.

Dies belegt unter anderem eine große Meta-Analyse von Hansen und Ronnestad aus 2017. Sie stellten darin fest: Für Einzel-Langdistanz-Fahrer ist eine niedrige Kadenz vorteilhaft – auch weil sie sich so eine niedrigere VLamax antrainieren können. Eine Zahl, die über die Laktatbildungsrate Aufschluss gibt. Mehr zur VLamax finden Sie hier.

Ein weiteres Argument für niedrige Trittfrequenzen liefern Aasvold, Etterna & Skovereng in ihrer Studie aus 2019: Sie fanden heraus, dass sich mit einer zunehmenden Kurbel-Umdrehungszahl die Belastung von einer hüftgelenkdominanten zu einer kniedominanten verlagert. Was für Ultra-Ausdauer-Athleten, die sehr lange im Sattel sitzen oder nach dem Rad-Split noch einen Marathon bewältigen müssen, ein klarer Nachteil ist. Wobei hier noch zu erwähnen ist, dass Elite-Fahrer verglichen mit Hobbyfahrern bei höheren Frequenzen eine größere Hüftgelenk-Leistung aufweisen – was wiederum für Ökonomisierungs-Effekte durch das jahrelange Training spricht.

Die ideale Trittfrequenz erhöht sich demnach mit der zu erbringenden Leistung. Ist man ein ambitionierter Rennfahrer, empfehlen sich somit tendenziell höhere Kadenzen von 90 oder mehr Umdrehungen pro Minute. Ist man Einsteiger oder Langstrecken-Athlet können dagegen niedrigere Frequenzen, etwa zwischen 70 und 85 Umdrehungen, von Vorteil sein.

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Die ideale Trittfrequenz erhöht sich mit der zu erbringenden Leistung

Die Wohlfühl-Kadenz

In vielen Fällen macht man als Rennradsportler bereits „automatisch“ Vieles richtig – beziehungsweise anders ausgedrückt: Man bewegt sich, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, bereits unbewusst in einem individuell „richtigen“ Trittfrequenz-Bereich.

So zeigten etwa mehrere Untersuchungen, dass ein großer Teil der Radsportler mit der eigenen „Freely Chosen Cadence“ – der eigenen Wohlfühl-Trittfrequenz – meist relativ nah am eigenen Optimum liegt. Für alle Radsportler, unabhängig von der Trainingserfahrung und dem Leistungsniveau gilt: Im Trainingsprozess regelmäßig einen möglichst breiten Trittfrequenz-Bereich abzudecken, hat viele Vorteile. Dadurch kommt es etwa zur Bildung neuer Synapsen im Gehirn, einer verstärkten Aktivierung von Motoneuronen und einer Vergrößerung der nutzbaren Kadenz-Bandbreite.

Ergo gilt: Abwechslung hilft – bei der Streckenwahl, dem Tempo, und der Trittfrequenz.

Dieser Artikel erschien in RennRad-Ausgabe 1-2/2021. Hier gibt es eine Übersicht zu allen Inhalten.

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Ausführliche Trainingspläne zu Trittfrequenz und Leistung gibt es in RennRad-Ausgabe 1-2/2021


Kraft x Weg

Der physikalische Unterschied zwischen hohen und niedrigen Trittfrequenzen – beziehungsweise Kurbelumdrehungszahlen:

  • Arbeit W = Kraft F x Weg s 
  • Leistung P = Arbeit W / Zeit t 
  • P = F x s/t 

Die Zeit wird pro Minute angegeben. Vereinfacht gesprochen ist F dabei die Kraft der Muskulatur des Fahrers – und der Weg s ist die Strecke, die das Pedal zurücklegt. Also bedeuten hohe Frequenzen physikalisch gesehen schlicht (s/t): mehr Weg pro Zeit.

Beispiel: Eine vereinfachte Darstellung einer 200-Watt-Leistung

  1. A) 200 Watt = F x 70 Umdrehungen / Minute
  2. B) 200 Watt = F x 100 Umdrehungen / Minute

Fazit: Es wird ersichtlich, dass die notwendige Kraft F pro Pedalumdrehung bei 70 Umdrehungen deutlich höher sein muss, um 200 Watt zu leisten, als bei 100 Umdrehungen – denn beides wird jeweils auf den Faktor Zeit, hier eine Minute, gerechnet.


Trainingseinheiten

  • Sweet Spot: Dieser liegt zwischen 83 und 97 Prozent der Functional Threshold Power. Ein Beispiel: 3 × 10-Minuten-Intervalle bei 90 bis 95 Prozent der FTP. Pausenlänge: je 5 Minuten im KB. Danach die Intervalle steigern auf 15, dann 20 Minuten.
  • VO2-Max-Intervalle: 3 – 6 x 5 Minuten mit 110 bis 120 Prozent der FTP. Pausenlänge: je 5 Minuten im KB (Kompensationsbereich)
  • 30/15-Tabata-Intervalle: 30 Sekunden All-Out im Wechsel mit, je nach dem Leistungsstand, 30, 25, 20 oder 15 Sekunden Erholung – 13 Wiederholungen.
  • HIIT-Intervalle: 4 – 7 x 15 Sekunden All-Out-Sprints. Pausenlänge: Je nach dem eigenen Leistungsstand zwischen 2 und 5 Minuten im KB.
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