Monat: August 2018

Fuga 300: RennRad fährt die 300 Kilometer an einem Tag

RennRad

Mein längster Tag beginnt auf einem Gipfel, umgeben von Schnee und Kälte. Wie ein weißer Teppich, versetzt mit Millionen kleiner Diamanten, spiegelt der Großglockner die Strahlen der Morgensonne wider. Die Pasterze, der längste Gletscher der Ostalpen, liegt uns auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe zu Füßen. Es ist Juni, die Sonnenwende steht bevor, und es ist kalt. Bitterkalt. Die sechs Grad über dem Gefrierpunkt fühlen sich im Wind auf 2369 Metern über dem Meer an wie ein Polarsturm. Ich trage dünne Radkleidung – und zittere. Das ist die Fuga 300.

Juni nahe des Großglockners. Sechs Grad Außentemperatur. In dünner Radkleidung wird gefroren.

Doch der Anblick des majestätischen Alpenkolosses von dem Besucherzentrum aus, das den Namen des legendären Habsbur-ger-Regenten trägt, entschädigt hundertfach für die Kälte und für die kurze Nacht zuvor. Dieser Ort war einst der Anfang hunderter hochalpiner Expeditionen – heute ist er der Ausgangspunkt unserer Reise. Einer Reise vom Gletscher bis ans Meer.

Fuga 300: Es geht Bergab

Der Großglockner ist der Startort einer Flucht von der Kälte in die Wärme. Da raus leitet sich der Namen ab: Fuga 300. Die deutsche Übersetzung des italienischen Wortes lautet: „Flucht“. 300 steht für die Zahl an Kilometern, die wir heute zurücklegen werden – auf dem Rennrad.

Hier werden wir starten, auf dem Großglockner. Wir werden erst aufhören zu fahren, wenn wir am Meer sind. In Grado an der Adria. Das Event begann bereits am Tag zuvor. Wir trafen uns alle in Villach, wo wir das Gepäck und die Fahrräder in den bereitgestellten Bussen und Anhängern verstauten. Von dort ging es nach Heiligenblut am Fuße des Großglockners. Nach dem gemeinsamen Essen und der Besprechung gingen alle früh zu Bett. Denn die Nacht wurde kurz, sehr kurz.

Drei Länder, 301 Kilometer, neun Stunden und acht Minuten Fahrzeit. Durchschnittsgeschwindigkeit: 33 km/h.

Abfahrt für die Fuga 300 um 6 Uhr morgens

Um 4.30 Uhr klingelt mein Wecker. Danach: Frühstück um fünf. Abfahrt um sechs. Um 6.15 Uhr schlängeln sich die Busse schon über die – noch für den öffentlichen Verkehr gesperrte – Hochalpenstraße. Die Anspannung ist spürbar. Die Nervosität ist groß – denn für die meisten wird dies der erste „Dreihunderter“ ihres Lebens. Aber auch die Vorfreude. Es ist eine positive Energie, die in den Bussen herrscht. Und auch noch beim Richten der Räder, beim Aufsteigen und dann, als es schließlich losgeht. Bergab.

Um genau sieben Uhr morgens rollen wir los. Der Tag beginnt mit einer langen, schnellen, kurvigen Abfahrt. Was kann es Schöneres geben? Okay, ein paar Grad mehr als die rund acht Grad Celsius, die im hochalpinen Bereich herrschen, könnten es schon sein.

Kein Risiko bei der Fuga 300

Wir bleiben in einer Gruppe, keiner riskiert zu viel. Alles rollt, alles ist im Flow. Die Kilometer verfliegen. Erst im Mölltal, nach rund 50 absolvierten Kilometern, kommt mein Körper auf Betriebstemperatur. Das enge Tal wirkt wie ein Kanal: Morgens kommt der starke Wind aus der für uns richtigen Richtung und schiebt uns artig bis nach Spittal an der Drau.

Als ich dort auf meinen Radcomputer schaue, kann ich kaum glauben, was dort steht. Die Zahl 100. 100 Kilometer haben wir bereits absolviert. Ein Drittel der Marathondistanz. Es verging wie im Flug. Noch spürt keiner von uns Müdigkeit. Die Stimmung steigt.

Rennrad

Lang, schmal und kurvig - die 300 Kilometer beginnen schön.

Rennrad

Wir fahren zunächst in einer Gruppe.

Rennrad

Dank Smartphone: Das Ziel immer vor Augen.

Profi-Gefühl beim 300-Kilometer-Rennen

Auch weil es eine sehr sichere Fahrt ist: Polizisten auf Motorrädern eskortieren unser kleines Fahrerfeld. Sie sorgen nicht nur für Sicherheit, sondern auch für eine fast freie Fahrt. Auch in den Städten rollen wir fast ungebremst mitten durch den samstäglichen Einkaufsverkehr – ein Gefühl wie in einem Profirennen. Etliche Passanten winken uns zu und applaudieren.

Das Tempo ist zügig, aber kontrolliert. Wir fahren in Zweierreihen, wechseln uns ab. Das Streckenprofil ist meist flach – oder geht gar leicht bergab. Die Guides kommunizieren per Funk miteinander und regulieren so das Tempo. Fahrzeuge der Organisation geleiten das Feld vorne und hinten und schirmen es ab: ein Materialwagen, ein Wagen des Mechanikers und ein Versorgungsmotorrad runden den Tross ab. Pilotiert wird das Motorrad von Emil Haller, dem Vater des österreichischen Katusha-Alpecin-Profis Marco Haller. Ein Handzeichen genügt, und er reicht einem aus voller Fahrt unterwegs neue Trinkflaschen oder Bananen. Hunger und Durst muss niemand leiden. Welch ein Luxus.

Auf den letzten Kilometern wird die Fahrt zu einem Rennen – jeder kämpft für sich.

Das Tor aus den Bergen

Dafür sorgen auch die Verpflegungsstopps. Das erste Mal halten wir in Villach, nach 135 Kilometern. Hier wartet ein riesiges Buffet auf uns. Eine Stunde wird pausiert, ehe es wieder losgeht in Richtung Grenzübergang Arnoldstein. Nach einem kurzen Schwenk durch Italien geht es bergauf, an einem der wenigen längeren Anstiege der Strecke: dem Predil-Pass.

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Fuga 300: Fahrt entwickelt sich zu einem Radrennen

Von Tarvis aus windet sich der hellgraue Asphalt hinauf zur Grenze nach Slowenien. Dann, auf den letzten Kilometern, passiert, was fast immer passiert, wenn Rennradfahrer zusammen bergauf fahren: Die Fahrt wird zu einem Radrennen. Das Peloton zersplittert, fast jeder fährt für sich – bis zum höchsten Punkt. Hier küren wir unseren King of the Mountain. Und hier kann sich jeder wieder erholen, denn Energieriegel und Getränke stehen schon bereit. Fast noch besser als die Pause ist der Blick auf meine digitale Kilometeranzeige und die dort gezeigte Zahl: 175.

Die Abfahrt ist schön und schnell. Doch unten wird es noch besser: Wir rollen durch das Tal der Soča. Der kleine, wilde Bergfluss schillert in Türkisblau, keine Häuser, keine Autos stören die Idylle. Das Feld wird auf der engen, kurvigen Straße in drei Gruppen geteilt. Später, entlang des „Isonzo“, geht es in einem hohen Tempo weiter bis nach Koberit, wo wir die 200-Kilometer-Marke durchbrechen. Wir sind im letzten Drittel unserer langen Reise.

Geschafft. 300 Kilometer. Aus den Bergen an den Sandstrand. Hoch die Räder!

Der finale Teil der Reise

Einige Hügel stellen sich uns in den Weg, doch hinten im Windschatten der Gruppe sind sie für die meisten kaum zu spüren. Mein Tacho zeigt fast beständig zwischen 33 und 38 Stundenkilometer an. Italien kommt immer näher – und damit unser nächstes Zwischenziel: die Ebene des Friaul. Nach 240 Kilometern erreichen wir Cividale del Friuli, das Tor hinaus aus den Bergen. Wir sind im finalen, im fast gänzlich flachen Teil unserer Reise.

Der Wind ist uns wieder gewogen, und wir fliegen gen Süden. Vorbei an typischen Sandsteinhäusern, entlang alter Mauern und durch Zypressen-Alleen. Die Ausläufer der Berge zur Linken, lassen wir die sternförmige Planstadt Palmanova rechts liegen und biegen südlich von Cervignano del Friuli auf die Straße ein, die uns an unser Ziel führen soll: Grado.

Ich kann es kaum glauben, doch uns trennen nur noch rund 20 Kilometer von unserem Sehnsuchtsort. Schon hier ist die Luft eine ganz andere als noch am Morgen: voller, würziger, salziger. Dann, hinter einer Hügelkuppe, sehen wir es: ein Glitzern. Die unendliche glatte Fläche des Mittelmeers. Die kleinen Wellen funkeln im Schein der Abendsonne. Die salzige Meeresluft füllt unsere Lungen. Vor weniger als neun Stunden noch standen wir in der Eiseskälte des Großglockners. Jetzt sind wir am Ziel. In einer anderen Welt.

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Wir rollen durch die engen Gassen Grados, über die Strand-Promenade, bis zum Sandstrand, bis es nicht mehr weitergeht. Automatisch, ohne darüber zu sprechen, machen alle dasselbe: absteigen, die Radschuhe ausziehen. Und ab ins Meer.

Fuga 300: Das Event

Die Fuga startet in Österreich, durchquert Slowenien und endet in Italien.

Die Fuga 300

Die „Fuga“, zu Deutsch Flucht, bietet mit ihrem flachen Profil und der guten Organisation einen idealen Rahmen, um 300 Kilometer an einem Tag zu schaffen. Und das in einer entspannten Atmosphäre und in einmaligen Landschaften. Leistungsunterschiede können innerhalb der Gruppe ausgeglichen werden: Für trainierte Fahrer sollte die Distanz somit – auch aufgrund der Pausen und des großen Feldes – kein Problem darstellen. Ambitioniertere Fahrer dürfen an der Spitze Tempoarbeit verrichten, weniger trainierte können vom Windschatten profitieren. Dank der begleitenden Busse ist es möglich, sich während der Pausen umzuziehen. Für kommendes Jahr wurde die Fuga bereits bestätigt.

Doch der Organisator, Ex-Profi Peter „Paco“ Wrolich, will das Feld auf maximal 150 Teilnehmer limitieren. Für Damen ist auch eine eigene „Fuga Rosa“ angedacht, die in Villach zum Fahrerfeld stoßen soll. „Wir möchten zeigen, dass es möglich ist, gemeinsam einen Tag zu fahren, ohne am Anfang und am Ende einen Strich ziehen zu müssen“, sagt Organisator Wrolich. Der Ex-Radprofi ist Ideengeber zu der „Flucht“. Natürlich fährt er auch selbst per Rad mit. 2018 waren 80 Fahrer dabei – darunter vier Damen. „Es ist ein neues Konzept, das drei Länder miteinander verbindet, weg vom Radmarathon, weg vom Radrennen.“ Zwar ist die Fuga kein Rennen, dennoch ist ihr Ziel ambitioniert: 300 Kilometer, oft bergab, mit einem Stundenmittel von 33 Kilometern. Durch Österreich, Slowenien und Italien. „Und das gemeinsam“, betont Wrolich, „daher gibt es auch weder Startnummern noch eine Zeitnahme.“

 

Für nächstes Jahr ist das Event bereits bestätigt.

Das Streckenprofil auf einen Blick.

Fahrrad-News: SRM und Look bringen Leistungsmesspedal in Zusammenarbeit heraus

Leistungsmesspedal

SRM entwickelte 1986 den ersten Leistungsmesser. Look erfand 1984 das Klickpedal. Das neue Leistungsmesspedal „Exakt“ haben nun beide Traditionsunternehmen gemeinsam erschaffen.

Äußerlich unterscheidet es sich kaum von einem normalen Look-Keo-Pedal. Das Gewicht eines Pedals liegt bei lediglich 155 Gramm. Die Technik der Kraftmessung versteckt sich im Inneren des Carbonkörpers. Dabei setzen Look und SRM auf eine neue Pedalachse, die alle Messinstrumente beherbergt.

Leistungsmesspedal kommuniziert via ANT+ und Bluetooth

Die Messpedale kommunizieren via ANT+ und Bluetooth mit fast jedem gängigen Radcomputer. Unter realen Bedingungen im Praxiseinsatz soll eine Akku-Ladung des Leistungsmesspedals für mindestens 80 Stunden reichen.

Die Balance-Funktion der beidseitigen „Dual“-Version misst die Kraftübertragung des rechten und des linken Beins separat. Der Preis: 1399 Euro. Die einseitige Messversion kostet 799 Euro.

Bezug: www.lookcycle.com

RennRad 9/2018: Alle Inhalte der aktuellen Ausgabe

RennRad 9/2018

RennRad 9/2018: Aluminium-Rennräder und Windkanal-Tests

Material und Erlebnisse: Wir testen preis-leistungsstarke und langlebige Rennräder aus Aluminium. Neue Verarbeitungsmethoden machen den Werkstoff für viele Fahrer wieder zur Carbon-Alternative. Im Winkanal haben wir 17 Helme auf ihre Aerodynamik-Werte getestet. Mit teils überraschenden Ergebnissen. Wir porträtieren Top-Radmarathonfahrer Michael Spögler. Er gibt Einblicke in sein Training. Außerdem: Die große Reportage vom Granfondo Stelvio. Und: 300 Kilometer – das Langstrecken-Spezial.

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Jedermann

Auftakt: Menschen, Szene, Geschichten
Kufsteinerland Radmarathon, Alaska Extrem, Velomobil-Weltrekord, Leitartikel: E-Rennräder

Reportage: Stilfser Joch und Mortirolo: Grenzerfahrung
Kein Anstieg fasziniert mehr. Unser Autor ist den Pass bei einem der härtesten Radmarathons gefahren

Portrait: Ungewöhnlicher Radmarathon-Sieger
Michael Spögler zählt zu den besten Bergfahrern der Szene. Trotz seiner Größe und seines Alters

Langstrecke: 300 Kilometer an einem Tag
Selbstversuch: Nonstop von den Alpen an die Adria. Plus Trainings- und Event-Tipps für die Langdistanz

RennRad 9/2018: Die Inhalte der aktuellen Ausgabe

RennRad 9/2018: Die Inhalte der aktuellen Ausgabe

Granfondo Stelvio: Die Reportage vom Radmarathon am legendären Stilfser Joch

Granfondo Stelvio: Die Reportage vom Radmarathon am legendären Stilfser Joch. Bergankunft am König der Pässe.

Michael Spögler: Ein junger, extrem erfolgreicher Radmarathon-Spezialist. Einblicke in sein Leben und in sein Training

Michael Spögler: Ein junger, extrem erfolgreicher Radmarathon-Spezialist. Einblicke in sein Leben und in sein Training

Fuga 300: Vom Gletscher an das Mittelmee. 300 Kilometer an einem Tag

Fuga 300: Vom Gletscher an das Mittelmeer. 300 Kilometer an einem Tag

Teststrecke

Auftakt: Räder, Produkte, Neuheiten
News und erste Testeindrücke: Basso Palta, Giant Propel Advanced, Biehler & mehr

Radtest: Preiswerte Rennräder aus Aluminium
Robust, haltbar und eine gute Preis-Leistung

Test im Windkanal: 13 Aero-Helme im Vergleich
Sie sollen einige Watt Leistung gegenüber Standard-Helmen sparen. Wie groß ist der Unterschied?

Neuheiten 2019: Räder, Teile, Zubehör
Ein Antriebskonzept ohne Kette, neue Top-Räder und E-Rennräder. Der Ausblick auf die neue Saison

Großer Vergleichstest: Allwetter-Trikots
Sie sind warm, winddicht und wasserabweisend: zehn Allwetter-Trikots und -Armlinge im Test

Aluminium-RennRäder im Test: Preis-Leistungsstark und renntauglich. Acht Räder bis 2300 Euro

Aluminium-Rennräder im Test: preis-leistungsstark und renntauglich. Acht Räder bis 2300 Euro

Aerodynaik-Test: 17 helme im Windkanal. Wieviele Watt lassen sich mit dem besten Helm einsparen?

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Wetterschutz und Atmungsaktivität: Allwetter-Trikots und Armlinge im Test

Wetterschutz und Atmungsaktivität: Allwetter-Trikots und Armlinge im Test

Neuheiten 2019: Ein Antrieb ohne Kette. E-Rennräder, neue Top-Räder

Neuheiten 2019: Ein Antrieb ohne Kette, E-Rennräder, neue Top-Räder

Training

Auftakt: Tipps und Rezepte
Studie: Schmerzmittel-Missbrauch im Radsport. Plus: Rezept: Essen wie die Tour-Profis

Wissen: Ein Bierbauch ist aerodynamisch
Neues aus der Wissenschaft: Mit einem Bierbauch kann man einige Watt einsparen. Das Experiment

Profitraining: Wattzahlen der Tour de France
Die Leistungswerte der Profis und was Hobbyfahrer daraus lernen können. Plus: Trainingsplan

Triathlon: Aerodynamik und Sitzposition
Expertentipps für mehr Aerodynamik auf dem Triathlonrad. Plus: ein Test von Zeitfahrhelmen

Trainingsplan: Ziel Radmarathon
Experten-Tipps eines Ötztaler-Sieger. Plus: Trainingsplan für Hobbysportler

300 Kilometer: Training für die Langstrecke. Dazu: ausgewählte Langstrecken-Events

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Training für die Berge. Was macht einen starken Fahrer aus? Die Watt-Werte der Tour de France in der Analyse

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Mehr Aerodynamik: Dem Wind weniger Angriffsfläche bieten. Analysen und Tipps für die Praxis

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Peloton

Impressionen: Tour der Leiden
Die Jagd nach dem Gelben Trikot: Eindrücke von der Tour de France 2018

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Die Tour war eine Demonstration der Stärke des Team Sky. Wattzahlen und Fakten

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Der Kampf ihres Lebens: Kristina Vogel
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Das Tannheimer Tal: Radmarathon- und Trainings-Region zwischen dem Allgäu und Tirol

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Diskussion: Radfahrer gegen Autofahrer

Radverkehr

Der Kabarettist Christian Springer ist Autofahrer, weil er nicht Radfahren kann und will. Er schreibt seine Alltagsbeobachtungen für die Münchner „Abendzeitung“ auf und kommt dabei zu dem Schluss, dass sich die meisten Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten, nur die Radfahrer nicht. Zitat: „Alle? Nein. Aber leider fast alle.“ Dieser Schluss wird durch die Beobachtung begründet, dass in der Straße vor seiner Wohnung die Radfahrer nicht die beiden „breiten Radwege“ nutzen, sondern „fahren, wo sie wollen“. Zudem fußt diese Aussage auf „zwei Fußtritten gegen Auto und Spiegel“, auf „wüsten Beschimpfungen“ und auf einer Zahl, die wohl einen Hauch von Objektivität vermitteln soll. Zitat: „In Bayern gibt es jedes Jahr über 14.000 verletzte Radfahrer im Verkehr. An fast zwei Dritteln der Unfälle sind aber die Radfahrer schuld. Das ist Irrsinn.“

Radfahrer

Die Diskussion zwischen Autofahrern und Radfahrern ebbt nicht ab.

Falsch interpretierte Zahlen, die Objektivität vermitteln sollen

Irrsinn ist, wie diese Zahl umgedeutet wird. Diese Verdrehung der Tatsachen macht Opfer zu Tätern und grenzt damit an Fake News. Denn zu den Unfällen, an denen Radfahrer „Schuld sind“, zählen all jene, an denen sonst niemand beteiligt ist: Also alle „Alleinunfälle“, jeder Sturz, jedes Wegrutschen auf einer glatten Fahrbahn. Aussagekraft dieser Zahl: null. Was dagegen aussagekräftig ist, sind die Zahlen für Deutschland zu Unfällen mit zwei Beteiligten. Diese kommen vom Statistischen Bundesamt, umfassen die Jahre 2013 bis 2016 und zeigen ein völlig anderes Bild als es der Briefschreiber vermitteln möchte: Bei Unfällen zwischen Radfahrern und PKW waren die Autofahrer zu 75 Prozent die Hauptverursacher. Bei jenen zwischen LKW und Radfahrern traf die Hauptschuld zu 80 Prozent die LKW-Fahrer.

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Opfer zu Tätern machen

Zwischen 2006 und 2015 starben in Deutschland 4148 Radfahrer, mehr als 750.000 wurden verletzt. Die Zahl der Verkehrsunfälle fällt seit 2010 – die der verletzten Radfahrer steigt. Auch der Anteil der Radfahrer unter den Verkehrstoten in Deutschland steigt. Alle 36 Minuten wird ein Radfahrer verletzt. 2017 wurden in München fünf Radfahrer bei Unfällen getötet. In drei dieser Fälle war der tote Winkel die Ursache: Die Radfahrer wurden einfach übersehen. Eine Sekunde Unachtsamkeit – und ein Leben endet. Das ist es, was Radfahrer im Straßenverkehr erleben: Angst. Bei jeder Fahrt.

Angst – wovor?

Aber nein, halt, der Briefschreiber, der Nur-Autofahrer, ist es, der schreibt: „Ich habe Angst vor Radfahrern.“ Wovor? Davor, dass ihm ein airbag- und karosserieloser „Kampfradler“ mit einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde gegen die Seitentür seines zwei Tonnen schweren Autos fährt? Aber die Diskussion um die rücksichtslosen „Radl Rambos“, „Rad-Rowdies“ oder „Kampfradler“ muss wohl sein. Sie füllt das mediale Sommerloch, die Zeit vor dem Bundesliga-Start. Natürlich kann und soll man sie führen. Nur kommt es auf das „Wie“ an. Denn natürlich gibt es radfahrende Idioten. Genauso wie es autofahrende oder joggende Idioten gibt. Nur wird hier eine ganze Menschengruppe ausgegrenzt, stigmatisiert und zu Tätern erklärt. Herr Springer möchte eine Nummernschildpflicht für Radfahrer. Das ist seine Lösung für die Probleme. Denn wenn Deutschland etwas braucht, dann mehr Bürokratie. Ironie Ende.

Nummernschilder für Radfahrer?

Das ist seine Lösung. Während die Städte im Verkehr ersticken. Während die Staus immer länger werden und Milliarden-Schäden verursachen. Während die Mieten immer unbezahlbarer werden und die Pendelwege immer länger – 60 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten nicht in der Gemeinde, in der sie leben. Der durchschnittliche Weg zum Arbeitsplatz stieg zwischen 2000 und 2015 von 14,6 auf fast 17 Kilometer. Während über CO2- und Feinstaub diskutiert wird. Während selbst der öffentliche Nahverkehr an seine Grenzen kommt und eine Einzelfahrt in München unsozial teure 2,90 Euro kostet. Während die Menschen sich immer weniger bewegen und immer dicker werden. Jedes Auto weniger auf den Straßen ist eine Entlastung – für die Stadt, für deren Haushalt, für die Lebensqualität, für die Umwelt.

Isar-„Rad“-Weg

Das Radfahren ist die Zukunft des Stadtverkehrs. Es ist eine der Lösungen – nicht das Problem. Das Problem ist, dass die deutschen Städte Autostädte sind. Dass es keine ausreichende Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger gibt. Dass „Radwege“ oft keine Wege sind, sondern zugeparkte schmale Streifen. Eine „Haupt-Rad-Verkehrsader“ durch München, die einst selbsternannte „Radl-Hauptstadt“, ist der Isarradweg. Schon der Name führt in die Irre. Denn dies ist kein Radweg, sondern ein teilweise keine zwei Meter breiter Pfad, auf dem zu großen Teilen Fußgänger, Jogger und Hunde unterwegs sind. Gerade im Sommer gilt für diesen „Radweg“, was auch für sehr viele andere in der Stadt gilt: Zum Pendeln ist er gänzlich ungeeignet. Die Radfahrer stauen sich, bei Gegenverkehr ist jegliches Überholen unmöglich – und dazwischen sind noch Fußgänger und Tiere unterwegs. Diese Situation muss Unfälle provozieren. Und sie steht exemplarisch für die in vielen anderen Städten.

Radfahrer

Die Verkehrssituation in Deutschland muss Unfälle provozieren.

Autostädte

Wie eine Infrastruktur aussehen muss, die ein sicheres Radfahren ermöglicht, sieht man in unseren Nachbarländern, in Kopenhagen oder Amsterdam zum Beispiel. In Deutschland wurde die Verlautbarung medial bejubelt, dass man 25 Millionen Euro in „Radschnellwege“ investieren wolle. Was laut Schätzungen des ADFC für ganze 15 bis 20 Kilometer Radwege ausreicht. Zum Vergleich: Allein die Stadt Paris will in fünf Jahren 500 Millionen, London in zehn Jahren eine Milliarde Euro in den Radverkehr investieren. In Kopenhagen kam im Jahr 2012 ein einziger Radfahrer ums Leben. Und das in einer Stadt, in der die Einwohner jeden Tag rund 1,3 Millionen Kilometer mit dem Rad zurücklegen. In Kopenhagen und vielen anderen Städten konnte ein Safety-in-Numbers-Effekt festgestellt werden: Steigt die Zahl der Radfahrer in einer Region, verringert sich deren Unfallrisiko signifikant. In der Hauptstadt Dänemarks ist das Unfall-Risiko für Radfahrer in 15 Jahren um mehr als 70 Prozent zurückgegangen.

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Radfahren bereichert

Warum ist das so? Weil die Menschen es so wollten und wollen. Auch Fahrrad- waren einst Autostädte. Nicht mehr die Menschen, die Fußgänger, Radfahrer, Kinder mussten sich an den motorisierten Verkehr anpassen. Sondern dieser wurde an die Bedürfnisse der Menschen angepasst. Das Ergebnis: weniger Tote und Verletzte, weniger Umweltverschmutzung, gesündere Menschen, eine sauberere Luft, eine hohe Lebensqualität und Zufriedenheit. So zeigten etwa dänische Forscher in einer Studie mit 30.000 Teilnehmern, dass Nicht-Radfahrer – auch nach dem Ausschluss von Störvariablen – eine um fast 40 Prozent höhere Sterblichkeit aufwiesen als Rad-Pendler. Radfahren verlängert – und bereichert – das Leben.

Radfahrer haben keine Knautschzone

Was in München und in Deutschland fehlt, ist eine Rad-Infrastruktur, die ein sicheres Radfahren ermöglicht. Wenn die Politik nicht handelt, dann müssen es die Menschen tun. Wie es etwa der „Volksentscheid Fahrrad“ in Berlin vorgemacht hat. Es gilt aufzuwachen, etwas zu tun und aufeinander zuzugehen. Radfahrer und Fußgänger haben keine Knautschzonen, keine Airbags, keinen Schutz. Ihr einziger Schutz ist Übersicht, Vorsicht – und die gegenseitige Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer. Diese ist in Deutschland ohnehin eher gering ausgeprägt. Eine pauschalisierende mediale Kampagne gegen Radfahrer kann dazu beitragen, sie noch weiter zu zerstören. Sie zerstört Verständnis und Empathie, statt sie zu fördern.

Mit besten Grüßen,
David Binnig
Radfahrer, Autofahrer, Chefredakteur des Magazins RennRad

„Die Zauberformel für die Zukunft.“

Markus-Storck-Bicycles

RennRad: Herr Storck, lassen Sie uns dieses Interview mit einer Kontroverse beginnen: „Scheibenbremsen vs. Felgenbremsen am Rennrad“. Werden die Scheibenbremsen die Felgenbremsen langfristig komplett ablösen?

Markus Storck: Ich glaube, wir müssen das Thema unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachten. Wenn man aus Storck-Sicht zum Beispiel das Modell Durnario, also ein Komfort-Rennrad, nimmt: Dort sind Scheibenbremsen sinnvoll. Die Disc ermöglicht es uns, noch breitere Reifen zu verbauen. Im Hinblick auf die aerodynamisch optimierten Räder haben wir in der Entwicklung festgestellt, dass die Scheibenbremsen-Rennräder in der Aerodynamik nicht schlechter sind. Insofern ergibt auch hier die Scheibenbremse Sinn. Bei Leichtbau und All-in-One-Rennrädern will der Kunde, so denke ich, auch weiterhin zwischen Disc und Felgenbremse wählen können. Wenn du ein halbes Kilogramm Mehrgewicht auf einer zehn Prozent Steigung überwinden musst, dann sind das fünf Watt mehr Leistung, die man bergauf treten muss. Diese fünf Watt in der Aerodynamik einzusparen, wird immer schwerer. Auf der anderen Seite ist man bei Nässe froh darum, Scheibenbremsen am Rennrad zu haben. Es vermittelt einfach Fahrsicherheit.

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„Ich glaube an ein Nebeneinander von Scheiben- und Felgenbremsen.“

Also wird es auch in Zukunft sowohl Rennräder mit Scheiben- und Felgenbremsen geben?

Ich glaube an ein Nebeneinander von Scheiben- und Felgenbremsen. Ich glaube nicht, dass die Scheibenbremse die Felgenbremse komplett ersetzen wird. Dafür können wir die Räder mit Scheibenbremsen noch nicht so leicht bauen. Schlussendlich aber muss der Endverbraucher entscheiden, auf welches Bremsmodell er setzt.

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Storck setzt ab sofort auf ein neues Vertriebskonzept.

In welchem Verkaufsverhältnis stehen denn aktuell Felgen- zu Scheibenbremsen-Rennrädern bei Storck?

Wir haben aktuell bei den Verkaufszahlen ein Verhältnis von 90:10 zugunsten der Felgenbremsen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen die extreme Lieferverzögerung bei Shimano mit der Dura-Ace-Disc, die extreme Verspätung bei der Sram-Red-Disc und die zögerlichen Entscheidungen der UCI. Das hat alles dazu geführt, dass der Endkonsument verunsichert war. Ich rechne erstmals 2019 damit, dass Rennräder mit Scheibenbremsen in ordentlichen Stückzahlen verkauft werden.

 „Immer mehr Kunden wollen ihre Rennräder online kaufen“

Sie sprechen den Verkauf an: Storck hat jüngst eine Änderung seines Vertriebsmodells vermeldet – hin zu online. Was hat es damit auf sich?

Vetriebsmodelle sind bereits seit einigen Jahren im Wandel. Ich habe mir daher vor einiger Zeit Gedanken gemacht: „Welche Modelle existieren in der Radbranche und welches Konzept wäre für unsere Firma perfekt. Als Sohn eines Einzelhändlers bin ich mit dem „Vertriebsmodell 1.0“ groß geworden: Dabei kommt das Produkt vom Hersteller über Distributoren an den Händler und von dort an den Endverbraucher. Wir müssen aber wahrnehmen, dass immer mehr Kunden ihre Rennräder und Mountainbikes online kaufen möchten.

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Markus Storck sagt: „Immer mehr Kunden wollen ihre Rennräder online kaufen.“

Welche Gründe hat diese Entwicklung?

Der Grund ist offensichtlich. Räder werden mit Gleichteilen gebaut. Der Kunde fragt sich: „Wie bekomme ich möglichst günstig ein Rennrad mit Ultegra-Ausstattung?“ Aus diesem Grund ist in den letzten Jahren besonders eine Marke in Deutschland schnell gewachsen. Die anderen Hersteller sind dadurch immer mehr ins Hintertreffen geraten. Ich finde das bedauerlich, weil viel mehr Dinge zum Radkauf dazugehören: „Look & Feel“, Probefahren, Service, Socializing sind Teil unserer Radsport-Kultur.

Potenzielle Rennradkäufer schauen aber wohl zu allererst auf den Preis.

Ich kann den Kunden in diesem Punkt auch verstehen. Er möchte für ein begrenztes, ihm zur Verfügung stehendes Budget, die optimale Ausstattung haben. Wenn wir das weiterdenken, handelt es sich bei dem Modell ‚Ein Hersteller vertreibt seine Produkte an den Endkunden – im Regelfall online‘ um das Vertriebskonzept 2.0. Es existieren aber bereits auch andere Modelle. Ich nennen sie jetzt Vertriebskonzepte 3.0. Mit diesen Modellen möchten manch andere Hersteller den klassischen Versender-Marken entgegensteuern.

Wie sieht dieses Vertriebsmodell 3.0 aus?

Ein Hersteller bietet seine Modelle online an, die er im Regelfall über den Fachhändler kaufen kann. Dieses Konzept geht immer noch nicht auf, denn dem Kunden geht es nicht darum, dass er die Produkte online sieht. Entscheidend ist vielmehr der Punkt, dass der Kunde ein Rad zum Bestpreis kaufen möchte. Aus diesem Grund haben wir bei Storck das Vertriebskonzept 4.0 entwickelt.

„Das beste Fahrrad nutzt dir nichts, wenn du nicht gut darauf sitzt.“

Markus-Storck-Bikes

Fachhandelsmarke oder Versender? Storck bezeichnet sich nach eigenen Angaben als „Hybridmodell“.

Bei vielen Herstellern ist es nicht einfach, sich im Produktsortiment zu orientieren. Wird das Thema auch angegangen?

Zunächst haben wir in den vergangenen Jahren unsere Produktpalette verfeinert. Die Räder mussten viel selbsterklärender werden. Wir haben dabei zunächst die Archetypen von Rennrädern identifiziert, also die Räder, die besonders aerodynamisch oder komfortabel sind oder einen guten Kompromiss aus Sportlichkeit und Komfort bieten sollen. Dazu gibt es bei uns alle Modelle in drei unterschiedlichen Preisstufen: Comp (Einstieg), Pro (Mittelklasse), Platinum (High-End). Wir setzen aber eben auch auf das Konzept der Manufaktur. Das heißt: Das beste Fahrrad nutzt dir nichts, wenn du nicht gut darauf sitzt. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern das Vertriebskonzept 4.0 entwickelt.

„Versender haben keinen Service vor Ort, kein ‚Look & Feel‘ und bieten kein Bikefitting.“

Wie bedeutet das neue Vertriebskonzept nun für die potenziellen Käufer?

Nach dem Umbau unserer Produktpalette folgte der Umbau beziehungsweise der Aufbau unseres Store-Konzepts. Wir hatten in der Vergangenheit 170 Händler in Deutschland. Zukünftig werden wir nun deutlich weniger Verkaufsstellen haben, dafür aber das Store-and-Studio-Konzept. Dort erlebt der Kunde unsere Markenwelt viel intensiver. Er bekommt die Beratung, den Service und das „Look & Feel“. Das ist für uns Vertrieb 4.0: Der Endkonsument schaut sich online die Produkte an und kann dann entscheiden, ob er das Rad am Store abholen möchte oder ob das Rad zu ihm nach Hause geschickt werden soll. Im Falle der Abholung im Store bekommt der Kunde noch ein Bikefitting im Shop gratis dazu. Das sind Dinge, die eine Marke, die einen reinen Online-Versandhandel betreibt, nicht bieten kann. Versender haben keinen Service vor Ort, kein „Look & Feel“ und kein Bikefitting. Wir sind dadurch deutlich näher am Kunden dran als sie.

Wird dieses Modell funktionieren oder ist es für den Kunden zu kompliziert?

Fahrradfahren ist Socializing, also zusammenkommen, um Rad zu fahren. Wenn alles nur noch online stattfinden würde, wäre das ziemlich trostlos. Ich hätte keine gemeinsamen Treffs und Ausfahrten bei einem Store. Ich glaube, dass unser Konzept 4.0 die Zauberformel für die Zukunft sein wird. Die ersten Prognosen geben uns Recht. Der Umsatz in unseren Stores ist im ersten Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 65 Prozent gestiegen. Wir werden das Konzept jetzt erstmal im deutschsprachigen Raum ausrollen und dann auch international.

„Ich glaube, dass unser Konzept die Zauberformel für die Zukunft sein wird.“

Gibt es zum Online-Kauf nicht bereits eine Gegenbewegung? Vor allem in größeren Städten gibt es wieder mehr spezialisierte Shops oder Treffpunkte, bei denen eben auch das Soziale, also die Ausfahrt, im Vordergrund steht?

Ja, dieses Treffs gibt es. Aber aus Umfragen wissen wir auch, dass mehr als die Hälfte der Menschen, die angeben, in nächster Zeit ein Fahrrad zu kaufen, diesen Kauf online tätigen werden. Diesen Fakt können wir nicht wegdiskutieren. Der Fachhandel steckt in einer Krise. Viele versuchen die Kunden mit großen Rabatten zu locken. Sie müssen es tun, weil sie sonst ihre Räder nicht verkaufen können.

Markus-Storck-Interview

Markus Storck: „Wir wollen die Kunden ins Markenerlebnis eintauchen lassen und damit langfristig zur Marke hinbringen.“

Damit leidet aus Herstellersicht die Preisstabilität.

Richtig. Für den Kunden leidet aber ebenfalls die Preissicherheit unter dieser Entwicklung. Dazu kommt, dass einige amerikanische Marken alle zwölf Monate neue Produkte auf den Markt bringen, sodass ein neues Fahrrad nach sechs Monaten dreißig bis vierzig Prozent weniger wert sein kann. Dies heizt den Preiskampf noch einmal zusätzlich an.

Was kann man aus Herstellersicht dagegen tun?

Wir haben bei Storck Modelle wie das Aernario, das es in dieser Form bereits seit sieben Jahren gibt. Der Endverbraucher hat dadurch eine gewisse Preisstabilität. Wir bieten dem Kunden dank unseres neuen Vetriebskonzepts außerdem ein innovatives Produkt, eine hohe Qualität, eine seriöse Beratung im Store und schenken ihm noch ein Bikefitting dazu. Das neue Rennrad-Modell Aernario.2 in der Comp-Version bieten wir zum Beispiel mit einem 960-Gramm-Carbonrahmen, Carbonlenker, kompletter Ultegra-Ausstattung und DT-Swiss-Laufradsatz für 2499 Euro an.

„In den USA sehen alle Stores einer Kette zu fast 100 Prozent gleich aus. Bei uns ist das anders.“

Stichwort „Store-und-Studiokonzept“: Wie viele solcher Verkaufsstellen wird es geben und wie werden diese aussehen?

In den USA sehen alle Stores einer Kette zu fast 100 Prozent gleich aus. Bei uns ist das anders. Der Münchner Store schaut anders aus als der in Düsseldorf oder Idstein. Bald wird noch einer in Wertheim entstehen. Trotzdem haben sie alle eines gemeinsam: den generischen Code, die Corporate Identity von Storck und das Service-Angebot.

Wo soll man Storck denn nun angesichts der neuen Vertriebsstruktur einordnen? Storck fällt dann weder ins klassische Versender- noch ins Fachhandelsmuster.

Wir sehen uns als Hybrid-Modell und bieten jetzt das Beste aus zwei Welten: Socializing, Service, attraktiver Preis und Preisstabilität. Wir glauben, dass wir durch das neue Konzept viele Neukunden gewinnen können. Wir zielen gar nicht darauf, dass wir von dem ein oder anderen Versender die Kunden abziehen. Wir zielen auf viele neue zufriedene Kunden von anderen Marken. Die Idee unseres Konzepts ist es, den Kunden über einen attraktiven Preis zur Marke und zu einer engeren Markenbindung zu bewegen. Wer einmal ein Storck-Rad kauft, soll das auch in Zukunft tun.

Für das neue Modelljahr wurden die Preise von einigen Modellen um 30 Prozent nach unten korrigiert. Nimmt dadurch nicht der Ruf als Premiummarke Schaden?

Wir bleiben nach wie vor eine Premiummarke. Dafür stehen unsere Pro- und Platinum-Modelle. Diesem Konzept bleiben wir treu. Andersherum müsste man fragen, ob der Kunde nicht ein Problem hat, der bei einem Versender ein Rad für 7000 Euro kauft, wenn die Marke aber nicht das entsprechende Image mitbringt. Unsere Philosophie ist: Wir wollen die Kunden ins Markenerlebnis eintauchen lassen und damit langfristig zur Marke hinbringen. Das tun wir mit unseren attraktiven Preisen der Comp-Modelle.

„Ich bin ein echter Verfechter der Elektromobilität.“

Wie viele andere Hersteller auch hat Storck vor kurzem ein Rennrad mit Elektromotor vorgestellt. Inwiefern passt dieses Modell zur Premium- und Sport-Marke Storck?

Ich entwickle seit fast 20 Jahren Elektroräder und bin ein echter Verfechter der Elektromobilität. Aktuell arbeiten wir an sieben verschiedenen E-Bikes. Alle sieben Modelle sind aus Kohlefaser mit einem vollintegrierten Akku ausgestattet und besitzen einen jeweils auf ihre Einsatzzwecke zugeschnittenen Antrieb. Das Thema E-Rennrad halte ich für eine extrem spannende Sache. Es gibt Ehepartner, bei denen eine Person schwächer ist. Diese Menschen können wieder gemeinsam Radfahren. Außerdem gibt es bei unserem Modell e:nario auch die Möglichkeit, das Rad als Gravelbike einzusetzen.

Welche neuen Produkte wird Storck mittelfristig noch auf den Markt bringen?

Wir haben Lenker-Vorbau-Einheiten vorgestellt. Bald wird es auch kostengünstigere Einheiten für die Comp-Modelle geben. Wir haben Shallow-Reach und Shallow-Drop entsprechend umgesetzt. Es wird mehr Komfort im Rahmen geben. Sicherlich wird auch ein neues Aero-Rennrad kommen. Dazu testen wir aktuell unsere neuen Power-Arms mit einem Wattmesssystem. Ich kann schon jetzt verraten: Es wird sich dann um die leichteste Kurbel mit einem Messsystem am Markt handeln. //

Biehler bringt neue Fahrrad-Hose „Ruckzuck“ auf den Markt

Biehler

Der deutsche Bekleidungshersteller Biehler setzt bei seiner neuen Radhose „Ruckzuck“ gleich auf eine ganze Reihe neuer Technologien.

Zum Einsatz kommt etwa ein Schoeller-Material, das ein hohes Maß an Atmungsaktivität, Feuchtigkeitstransport und ein optimales Klimamanagement gewährleisten soll. Die Außenseite soll zudem abriebfest und langlebig sein.

Biehler setzt auf hohes Maß an Komfort

Weiterhin setzt man auf die sogenannte „Coldblack“-Technologie, dank derer sich das Material auch bei starker Sonneneinstrahlung nicht aufheizen und zudem vor UV-Strahlung schützen soll. Das Sitzpolster wurde extra für lange Ausfahrten und Mehrtagestouren entwickelt. Es soll für ein hohes Maß an Komfort sorgen.

Alle Inhalte der RennRad-Ausgabe 9/2018 gibt es hier!

Der komplette Innenbein-Bereich wurde ohne vertikale Nähte konstruiert, um so mögliche Reibungspunkte zu verhindern. Erhältlich ist die neue Neo-Classic-Ruckzuck-Bibshort im Biehler-Onlineshop für ambitionierte 250 Euro.

Bezug: www.biehler-cycling.com

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Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Die 17. Tour of Qinghai Lake, Asiens Top-Etappenrennen ist beendet. Bei dem von der International Cycling Union (UCI) als 2.-HC-klassifizierten Rennen wurde das deutsche Renn-Team Bike Aid als stärkstes von 22 Teams ausgezeichnet.

Starkes Team Bike Aid

Gesamtsieger des 13 Etappen langen Rennens wurde der kolumbianische Profi Hernan Aguirre vom Team Manzana Postobon. Der 22-Jährige bestätigte seine Erfolge, nachdem er die vierte und auch die sechste Etappe in den Bergen für sich entschied und mit einem Gesamtvorsprung von einer Minute und fünf Sekunden nach sieben weiteren flachen Etappen gewann. Sein kolumbianischer Team-Kollege Hernando Bohórquez beendete das Rennen als Gesamtzweiter, der Kroate Radoslav Rogina vom Team Adria Mobil als Dritter. Das Rennen war mit mehr als einer Million US-Dollar dotiert. Das deutsche Team Bike Aid wurde als stärkste Mannschaft ausgezeichnet. Lucas Carstensen verpasste einen Etappensieg nur knapp, Meron Abraham schaffte es bei einer Etappe auf das Podium. Insgesamt gelangen dem Team acht Top-Ten-Platzierungen.

Die 3.671 Kilometer lange Tour of Qinghai startete am 22. Juli von Ledu, einer historischen Stadt 95 Kilometer östlich von Xining und endete am 4. August in Lanzhou, der Hauptstadt der Gansu Provinz. Die Gansu-Provinz ist durch das natürliche und historische Erbe wie beispielsweise die Region des Gelben Flusses, dem Qinghai-Tibet-Plateau, die Qilian-Berge und den Hexi-Korridor weltbekannt.

Die Durchschnittshöhe von über 3.000 Metern beschert dem Rennen nicht zu Unrecht Titel wie: “das höchste Profi-Radrennen der Welt” oder auch “das Rennen nah dem Himmel”. Ohne Zweifel verlangt das Radrennen höchste Performance der Profi-Athleten, gleichzeitig bietet es auch eine unverwechselbare Erfahrung wie zum Beispiel die sechste Etappe, die 4.120 Meter über der Meeresebene endet. UCI-Präsident David Lappartient sagte, das diesjährige Rennen sei “ein wahrer Performance-Beweis der Radprofis.“

Grenzerfahrung

Dies bestätigten auch die 154 Rennrad-Profis aus 17 Ländern und Regionen. „Es war definitiv eine Riesen-Herausforderung”, sagte der irische Rennprofi Conn McDunphy vom Holdsworth Pro Racing Team. “Als die Etappe über 3.000 Meter ging, musste ich regelrecht alles geben”. Der niederländische Radprofi Sven van Luijk schloss sich seinen Mitstreitern an und bestätigte, dass dieses Rennen auf einer solchen Höhe eine enorme physische Herausforderung für europäische Radprofis darstellt. “Die krassen Höhen führten bei mir öfter zu Atemprobleme, da mein Körper nicht akklimatisiert war. Für uns war es schlicht unmöglich, dieses Rennen auf einer Höhe von 4.000 Metern zu gewinnen”.

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Tour of Qinghai Lake

Dennoch haben beide, Conn McDunphy und Sven van Luijk die 10. Etappe mit 124 Kilometern in der Tengger Wüste genossen. “Ich war noch nie in einer Wüste, es war eine großartige Erfahrung, obwohl ich manchmal dachte, dass ich hier zerschmelzen würde”, sagte Conn. Gegründet im Jahr 2002, gilt die Tour of Qinghai Lake als viertgrößtes Profi-Straßen-Radrennen der Welt, gleich nach der Tour de France, dem Giro d’Italia und der Vuelta a Espana. Die Sportabteilung der Regierung in Qinghai, die Organisatoren des Events, plant, in Zukunft das Event weiter auszubauen und auch für internationale Profi-Rennfahrern weiter attraktiv zu machen.

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Der Leiter der Sportabteilung, Gazang Cairang unterstreicht: “Neben all unseren Bemühungen wollen wir insbesondere auch die Bürger der beteiligten Regionen und auch Touristen stärker in das Event einbinden”. Er betont, dass die aus dem Rennen resultierenden Möglichkeiten den Regionen, der Bevölkerung und den lokalen Sportvereinen und Institutionen zu Gute kommen würden.

Mehr Informationen über die 17. Tour of Qinghai Lake gibt es auf der offiziellen Website: www.tdql.cn

Strasser: Meister auf der Ultra-Strecke

Christoph Strasser erreicht das Ziel

Der Steirer Christoph Strasser krönt sich bei der Race Around Austria Challenge in St. Georgen im Attergau zum ersten Österreichischen Meister im Ultradsport! Mit einer Zeit von 15 Stunden und 54 Minuten unterbot er mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35,3 Stundenkilometern den bisherigen Streckenrekord um mehr als eineinhalb Stunden.

Am 15. August um 17 Uhr  fiel in St. Georgen im Attergau  der Startschuss zur „Race Around Austria CHALLENGE“, den ersten Österreichischen Meisterschaften im Ultraradsport. Im Uhrzeigersinn mussten die 50 Starter eine Distanz von 560 Kilometern mit 6.500 Höhenmetern rund um Oberösterreich absolvieren – im Modus eines Einzelzeitfahrens.

280 Watt über 16 Stunden

„Schon beim Start herrschte Gänsehautstimmung! Dieses Rennen ist und bleibt der weltweite Zuschauermagnet für uns Ultraradfahrer. Alleine im Mühlviertel standen mitten in der Nacht in den kleinen Dörfern hunderte Zuschauer an der Strecke. Meine Taktik ging voll auf: Ich wollte gleich mit Vollgas losfahren und das Tempo so lange wie möglich halten. Ich habe erwartet, zur Rennhälfte etwas einzugehen. Dann lief es nach zwei Dritteln noch immer wie geschmiert – der erwartete Einbruch kam nicht. Es war ein perfektes Rennen für mich, ich konnte im Durchschnitt 280 Watt und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 35 Kilometern pro Stunde durchtreten“, sagte Christoph Strasser im Ziel, wo er als erster Ultraradfahrer das Meistertrikot überstreifen durfte. Strasser gewann vor Manuel Dickbauer (17:35 Stunden) und Andreas Paster (18:09 Stunden). Bei den Damen holte sich die große Favoritin Barbara Mayer, die 2018 bei den Zeitfahr-Staatsmeisterschaften überraschend Zweite wurde, mit einer Fahrzeit von 18:36 Stunden das Meistertrikot.

Christoph Strasser am Start

Christoph Strasser am Start (Copyright: Manuel Hausdorfer/limeART)

Verfolgungsrennen rund um Oberösterreich

Neben seinem Teamchef Michael Kogler wurde Strasser von zwei weiteren Kollegen betreut. „Er war irrsinnig stark und zusätzlich motivierte ihn, dass er nach und nach Einzelfahrer vor ihm einholte“, sagte Kogler. Und Strasser selbst sah noch einen weiteren motivierenden Aspekt: „Ich wartete ständig, dass mich die Teamstaffeln einholen. Doch nur ein Zweierteam kam einmal vorbei. Wenige Kilometer später konnte ich das Duo wieder passieren. Es war ein richtiges Verfolgungsrennen mit dem besseren Ende für mich.“

Noch zwei Projekte in diesem Jahr

„Die Challenge heute war mit 16 Stunden extrem kurz für mich. Ein noch kürzeres Rennen bestreite ich in einem Monat beim King of the Lake, dem größten Einzelzeitfahren in Österreich. Da geht es aber nur eine Stunde rund um den Attersee. Und danach fliege ich im Oktober noch einmal in die USA, wo ich die 24-Stunden-Einzelzeitfahr-Weltmeisterschaft bestreite, bei der ich 2016 schon Gold gewann“, sagt der Kraubather, dem das neue Meistertrikot zusätzliche Motivation bringt: „Das Meistertrikot war heute die Draufgabe. Die größte sportliche Wertigkeit hatte es, dass ich 16 Stunden lang die volle Leistung bringen konnte – darauf bin ich stolz. Ebenso, dass sich mit deutlichem Vorsprung ein neuer Streckenrekord ausgegangen ist!“

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Die Angst vor dem Karriereende: Warum Sportler straucheln

Joerg-Staecker-trainer

Das Ende ist ein neuer Anfang

Bei manchen kommt es schleichend. Bei anderen urplötzlich. Für die einen ist es eine Befreiung. Für andere gleicht der bloße Gedanke daran einem Albtraum: Das Karriereende ereilt jeden Sportler. Das Loslassen vom Sport, der Jahrzehnte den Alltag bestimmt hat, gelingt auf unterschiedliche Weise. Einigen Sportlern misslingt er. Sie geraten ins Straucheln. Depressionen, Burnout, Alkohol- und Drogenprobleme: Einige Ex-Leistungssportler sehen sich damit konfrontiert. Sie kämpfen, leiden und scheitern daran – oft unsichtbar für die Öffentlichkeit. Erst das Scheitern zerrt sie zurück ins Scheinwerferlicht und bringt sie wieder auf die Titelseiten. Der aktuelle Fall Jan Ullrich steht sinnbildlich dafür. Wie kann man diesen Schattenseiten des Leistungssport entgegenwirken? Das war die Ausgangsfrage für dieses Interview.

Die Trainer-Perspektive

Dr. Jörg Stäcker stellte sich den Fragen zum Thema Karriereende von Sportlern und erklärt den Zusammenhang zwischen Leistungssport und Suchtverhalten. Stäcker ist aktuell hauptamtlich als Teamleiter Lauf beim Bayerischen Leichtathletikverband tätig. Er kann auf eine langjährige Erfahrung als Trainer von Läufern, Triathleten und Schwimmern zurückblicken. Parallel zu seiner eigenen Sportkarriere studierte Stäcker am Institut für Geophysik der Universität Hamburg, mit Diplom und Promotion. Derzeit lebt er in Fürth.

„Es sind nicht selten die im positiven Sinne ‚verrückten‘ Charaktere, die an die absolute Spitze kommen.“

Herr Stäcker, Sie arbeiten seit 25 Jahren als Trainer und haben viele Athleten erlebt: Sind es die extremen Charaktere, die im Sport Erfolg haben oder sind es Charaktere, die im Sport extrem werden?

Es sind nicht selten die flippigen, im positiven Sinne extremen, ja fast schon „verrückten“ Charaktere, die an die absolute Spitze kommen. Sie kommen schon so in den Sport hinein, finden endlich ein Feld wo sie anerkannt und verehrt werden – und schließlich Erfolge haben. Im Endeffekt verwirklichen sie sich dort. Je höher das Level, desto weniger setzen sich die „Braven“ durch.

„Endet die Laufbahn, steht man im schlimmsten Fall ‚alleine‘ da.“

Fehlende soziale Bindungen

Mentaltrainer Steffen Kirchner sagte in einem Interview: „Viele Spitzensportler bilden eine Art Inselbegabung heraus, hinter der sich oft eine Inkompetenz in der Lebensführung verberge.“ Inwieweit deckt sich dies mit Ihren eigenen Erfahrungen?

Der absolute Spitzensport erwartet den Fokus auf das Training und den Wettkampf. Dazu kommen die immensen Trainingsumfänge. Die Sportler leben in ihrer Welt. Es bleibt deshalb für Sozialkontakte außerhalb der Sportlerszene wenig Zeit. Endet die Laufbahn, fallen diese sozialen Bindungen häufig weg und der ehemalige Weltklasseathlet steht im schlimmsten Falle „alleine“ da. Ausnahme ist, wenn nebenher noch eine Ausbildung oder ein Studium absolviert wird, aber das ist zeitlich kaum in Ausdauersportarten möglich, wenn man in die Weltklasse will.

Erst Askese, dann Rock’n’Roll

Leistungssport setzt gerade in Ausdauersportarten eine asketische Lebensweise voraus. Lädt diese Lebensweise nicht genau dazu ein, irgendwann über die Strenge zu schlagen und alles nachzuholen, was man während der Karriere vermeintlich verpasst hat?

Nicht unbedingt, häufig bleibt die enthaltsame Lebensweise ein Lebensmotto, welche in normaler Form dann auch gesundheitlich nicht unbedingt die schlechteste Variante ist. Eine Gewichtszunahme von zum Beispiel vier bis fünf Kilogramm am Ende der Karriere ist dann ganz normal. Natürlich gibt es auch Auswüchse. Das ist aber nicht die Regel.

„Sportler mit ihrem erfolgsorientierten und motivierten Handeln sind gern gesehene Arbeitnehmer.“

Keine Kompromisse

Sport oder Beruf: Leistungssport erlaubt keine Kompromisse. Man muss sich entscheiden. Manche Athleten setzen daher alles auf eine Karte. Wenn das Karriereende naht, stehen sie vor dem Nichts. Mit welchen Maßnahmen sollte man dem aus Trainersicht entgegenwirken?

In den USA hat man die Chance über Vollzeitstipendium Studium und Hochleistungssport zu verbinden. In Deutschland gibt es die Möglichkeit über die verschiedenen Formen der Polizei, Landespolizei, Bundeswehr, Grenzpolizei „Sportler in Uniform“ zu werden und so für die Zeit nach dem Sport eine Festanstellung zu erhalten. In Ansbach gibt es eine Hochschule exklusiv für Spitzensportler mit ausgesuchten Präsenzphasen. Ein normales Studium mit einer Spitzensportkarriere mit internationalem Anspruch zu kombinieren ist durchaus machbar, erfordert aber einen Sportler mit einem extrem guten Zeitmanagement. Es ist immer ratsam, mit offenen Augen und Ohren Kontakte aus dem Sportlerleben zu nutzen, um einen beruflichen Quereinstieg vorzubereiten. Denn Sportler mit ihrem erfolgsorientierten und motivierten Handeln sind gern gesehene Arbeitnehmer.

„Suchtverhalten beginnt nicht erst mit dem Karriereende.“

Die Werte des Leistungssports

Aus Trainersicht: Welche individuellen Fähigkeiten braucht es, damit ein Leben nach der Sport-Karriere gelingt?

Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass der Leistungssport was unbeschreiblich Schönes ist und sein kann. Er hält so viele schöne Momente in Training und Wettkampf für Athleten, Trainer und Zuschauer bereit, dass er seine absolute Berechtigung hat. Leistungssport vermittelt Werte und besitzt eine Vorbildfunktion. Die zurzeit in der Presse publizierten Schicksale sind nur die absoluten Ausnahmen, die Negativbeispiele. In der Regel ist der Übergang ins normale Leben nach dem Sport kein Problem. Denn die Tugenden wie Strebsamkeit, Disziplin, Eigenmotivation, Zielorientierung und Belastbarkeit helfen auch im neuen Lebensabschnitt. Sie spielen auf das derzeit gegenwärtige Schicksal von Jan Ullrich an. Suchtverhalten beginnt nicht erst mit dem Karriereende.

Leistungssport und Suchtverhalten

Welche Arten von Suchtverhalten haben Sie im Laufe Ihrer langen Trainer-Karriere bei aktiven Athleten erlebt? Spricht man mit den Athleten darüber oder ist es ein Tabu-Thema?

Zunächst ist Sport natürlich schon eine Form von Sucht, denn sie schafft Erfolgserlebnisse, Anerkennung und bringt Spaß. Die Adrenalin-Ausschüttung nach einem guten Training oder Wettkampf ist enorm. Davon möchte man natürlich immer gerne etwas mehr haben. Nicht selten treten im Falle von Verletzung oder in der Saisonpause erste Anzeichen von Entzugserscheinungen auf. Aber nur diese bedingungslose Hingabe an den Sport sichert den großen Erfolg. Es gibt sicherlich ungesündere Formen von Sucht. Das sich wenige, ehemalige Spitzensportler dann fataler Weise nach Karriereende anderen Süchten zuwenden, ist die extreme Kehrseite.

„Viel hilft viel“ sowie die Gier nach Erfolg und Adrenalinausschüttung führen zu Hyperumfängen.

Probleme im realen Leben

Wo sehen Sie hierfür den Hauptgrund?

Der Tagesablauf ist plötzlich ein anderer. Beruflich und privat stehen Veränderungen an, ehemalige Bezugspersonen fallen weg und neue sind nicht immer leicht zu finden. Denn Trainer, Trainingskameraden und Betreuer werden mit Eintritt ins Leistungssportlerleben quasi „zugeteilt“. Im späteren realen Leben muss man sich diese Sozialkontakte erst aufbauen. Während der Phase des Hochleistungssports kann das Training selber natürlich im schlimmsten Falle auch zu einer kaum noch steuerbaren Sucht werden. Die Leidenschaft für die Sache weicht einem „Viel hilft viel“. Die Gier nach Erfolg und Adrenalinausschüttung führt zu Hyperumfängen, die selbst aus trainingsmethodischer Sicht nicht mehr sinnvoll erscheinen. Dasselbe gilt für extremes Essverhalten. Magersucht bis zur Bulimie können auftreten. Wobei hier nicht das „dünn sein“ als Schönheitsideal im Vordergrund steht, sondern das optimale Kraft-Last-Verhältnis. //

Vielen Dank für das Gespräch. Mehr Informationen zum Interviewpartner finden Sie auch unter www.blv-sport.de/laufteam.