Monat: Januar 2023

3RIDES: Strecken der Radmarathons – Kooperationen

3RIDES, Radmarathon, Strecke, Infos

3RIDES, Europas vielfältigstes Rad-Event (12.-14. Mai auf dem CHIO in Aachen), hat die landschaftlich ansprechenden und sportlich anspruchsvollen Routen seiner Radmarathons vorgestellt. Am 14. Mai haben die Teilnehmer*innen beim zweiten 3RIDES die Wahl zwischen drei vielseitigen Parcours, die auf neuartige Weise die radsportbegeisterten Regionen im Dreiländereck zusammenführen.

Die Teilnahme am Gran Fondo (200 Kilometer), Medio Fondo (170 Kilometer) und Mini Fondo (142 Kilometer) ist ab jetzt über die Website des 3RIDES buchbar. Für alle Fondo-Registrierungen bis zum Ablauf des 29. Januar reduziert sich der Teilnahmepreis um 5 Euro (40 Euro statt 45 Euro).

Hier können Sie sich für die Fondos anmelden.

Professionelle Koordination bei Dreiländertour

„Als traditionsreicher Veranstalter von Radrennen und auch radtouristischer Veranstaltungen bei uns in der Wallonie freuen wir uns besonders, dieses neue Angebot in unserer schönen Grenzregion auf die Beine zu stellen“, sagt Fernand Lambert, Präsident des Lütticher Radsportvereins „Royal Cyclist’s Pesant Club Liégeois“ (RCPCL), der auch für den Verband „Fédération Cycliste Wallonie Bruxelles“ (FCWB) in der Provinz Lüttich das Projekt verantwortet.

Fernand Lambert ist unter anderem für die lokale Organisation der Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich und Flèche Wallone sowie der zugehörigen radtouristischen Fahrten zuständig, die er in Kooperation mit Tour-de-France-Organisator „Amaury Sport Organisation“ (ASO) ausrichtet. „Allein in Belgien gibt es hohe Sicherheitsvoraussetzungen für solche Gran Fondos und der Koordinationsaufwand bei drei beteiligten Ländern ist groß“, sagt 3RIDES-Geschäftsführer Björn Müller, „daher sind wir besonders stolz, dass wir hier neue Wege beschreiten.“ Dafür ist eine enge Abstimmung mit den Verwaltungen auf kommunaler und provinzieller Ebene nötig.

Anspruchsvolle Routen durchs Dreiländereck

Fernand Lambert und seine Projektpartner in Deutschland und den Niederlanden haben drei Strecken konzipiert, die die vielseitigen Charakteristika im Dreiländereck hervorheben. „Es wird nicht so hart und bergig sein wie etwa bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, aber durchaus eine anspruchsvolle Route“, sagt Organisator Fernand Lambert.

Der touristische Aspekt stehe allerdings bei allen drei Routen im Vordergrund, nicht der Wettbewerb. In den Niederlanden ist Milan van Wersch für die Koordination verantwortlich und organisiert den Teil der radtouristischen Fahrten in Süd-Limburg und im belgischen Voeren.

3RIDES, Radmarathon, Strecke, Infos

 

 

Kids Race und Familienprogramm

„Unsere reizvolle, hügelige Landschaft im Süden der Niederlande in einer Route mit den belgischen Ardennen zu kombinieren, ist schon etwas Besonderes“, sagt er. Van Wersch hebt hervor, dass das 3RIDES nicht nur die Rennradfahrer*innen auf die Strecke lockt, sondern auch ganze Familien aufs Gelände. „Das finden wir sehr wichtig. Es ist ein Event, bei dem auch Kinder beispielsweise mit dem Kids Race ihren Spaß auf dem Rad haben werden und alle Angehörigen zusammen eine unterhaltsame Zeit auf dem Gelände verbringen“, sagt Van Wersch.

Gerade Spaß und Zugang für Kinder und Jugendliche zum Radsport hält der Chef des Limburger Radverbands für wichtig, um dem Sport neue Perspektiven zu erschließen.

Entwicklung des Leistungssports durch Junioren-Tour 2024

Mit diesen Radmarathons und der erfolgreichen Kooperation über die Landesgrenzen hinaus startet auch eine Zusammenarbeit, die ebenfalls auf Nachwuchs- und Leistungssport zielt. „Ab dem kommenden Jahr wollen wir hier im Dreiländereck eine Junioren-Rundfahrt etablieren, die alle drei Nationen zusammenführt“, sagt Fernand Lambert.

Ab 2024 sollen dann an zwei Tagen die Junioren auf Strecken durch alle drei Länder um eine Gesamtwertung kämpfen. „Für uns ist das ein ganz wichtiges Ziel, weil wir den Radsport entwickeln möchten und gerade auch die Verständigung über die Grenzen mit dem Sport vorantreiben können“, sagt Björn Müller.

Drei Tage Event im Mai

Das 3RIDES-Event läuft vom 12. bis 14. Mai auf dem CHIO-Gelände in Aachen und bietet neben einer großen Fahrrad- und Erlebnis-Ausstellung auch einen Programmschwerpunkt zu E-Sports. Interessierte informieren sich über neue Räder und Alltagsmobilität.

Musik und Kunst gehören ebenso ins dreitägige Programm wie Rennradmarathons, bei denen die Teilnehmer*innen das landschaftlich und sportlich reizvolle Umland des Unesco-Weltkulturerbes Aachener Dom erschließen.

Premiere in Deutschland: Qualirennen zur Gravel-WM kommt nach Aachen


Die drei Strecken beim 3RIDES-Radmarathon

Mini Fondo, 140 Kilometer, 2.000 Höhenmeter

Nach dem Start geht es durch den Würselener Wald in Richtung Stolberg. Hier wird die landschaftlich reizvolle Strecke hügeliger. Über die Jägerhausstraße geht es hoch in den Nationalpark Nordeifel, zum giftigen Anstieg nach Rollesbroich. Wunderschöne Streckenabschnitte mit welligem Profil und rasanten Abfahrten führen über Hammer, Rohren und Kalterherberg zur belgischen Grenze.

Im Hohen Venn lockt der höchste Anstieg Belgiens, der Mont Rigi (ca. 700 Meter ü.n.N.). Hier startet eine 13 Kilometer lange Abfahrt nach Eupen, dem Regierungssitz der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Vorbei an der Weserbachtalsperre schlängelt sich die Strecke durch Ostbelgien. Nach dem Grenzübergang bei Hergenrath führt die Strecke auf deutscher Seite vorbei am architektonisch herausragenden Uniklinikum Aachen und zurück zum 3RIDES-Gelände (CHIO).

Hier können Sie sich für die Fondos anmelden.

3RIDES, Mini Fondo, Strecke

Die Strecke des Mini Fondo

Medio Fondo, 170 Kilometer, 2.400 Höhenmeter

Wer das Dreiländereck mit dem Rennrad erkunden möchte, ist beim Medio Fondo richtig. Wie beim Mini Fondo führt die Strecke zuerst durch den Würselener Wald in Richtung Stolberg, dem Tor zur Nordeifel. Es folgt der Anstieg in den Nationalpark und die giftige Steigung nach Rollesbroich. Mit Traumblick geht es weiter Richtung Rursee.

3RIDES, Radmarathon, Strecke, Infos

Blick über den Rursee

Es folgt das wellige Profil über Hammer, Rohren und Kalterherberg bis zur belgischen Grenze. Über Belgiens höchsten Anstieg, Mont Rigi, geht es in die Abfahrt nach Eupen. Durch das malerische Ostbelgien und dann in Sippenaeken führt die Strecke zur niederländischen Grenze. In Zuid-Limburg schlängelt sich die Strecke auf kleinen Wegen und Straßen durch die vom Amstel Gold Race bekannte Landschaft. Es geht nach Vijlen, in die höchste Ortschaft der Niederlande, nach Bocholtz und Simpelveld. Ab Kerkrade führt die Route wieder auf deutschem Boden in Richtung Ziel.

3RIDES, Medio Fondo, Strecke

Die Strecke des Medio Fondo

Gran Fondo, 200 Kilometer, 3.200 Höhenmeter

Bergfahrer und Kletterspezialisten können sich beim Gran Fondo austoben, denn das Dreiländereck rund um Aachen ist mit den Ausläufern der Ardennen und der Nordeifel ein optimaler Ausgangspunkt für traumhaft schöne Mittelgebirgsstrecken. Die Anfangsphase gestaltet sich wie bei den beiden anderen Strecken.

Über das Hohe Venn geht es in den wallonischen Teil der Provinz Lüttich. Hier wartet ein Scharfrichter, die Côte de la Ferme Libert, die auch schon beim Radklassiker Liege-Bastogne-Liege überfahren wurde. Vorbei an der Autorennstrecke von Spa-Francorchamps geht es über kleine Wege bergauf und bergab durch Hockai, Solwaster und vorbei am Stausee La Gileppe bei Jalhay. Kurz vor Eupen geht es durch wunderschöne Ortschaften in Richtung Henry-Chapelle und Hombourg, ehe es bei Sippenaeken auf den niederländischen Teil der Strecke geht. In Zuid-Limburg schlängelt sich die Strecke auf kleinen Wegen und Straßen durch die Landschaft. Es in die höchstgelegene Ortschaft der Niederlande, Vijlen, und dann nach Bocholtz und Simpelveld. Ab Kerkrade geht es wieder auf deutschem Boden in Richtung Ziel.

3RIDES, Gran Fondo, Strecke

Die Strecke des Gran Fondo

Remco Evenepoel: Weltmeister und Grand-Tour-Sieger im Portrait

Remco Evenepoel, Radsport, Portrait, Weltmeister, Vuelta-Sieger

Kurz hinter der Ziellinie bricht es aus ihm heraus: Remco Evenepoel weint. Er verbirgt sein Gesicht in den Händen. Er ist am Ziel. In seiner vierten Saison als Radprofi – mit 22 Jahren. Dies war die letzte Etappe seiner zweiten Grand Tour. Dies ist: sein erster Gesamtsieg bei einer der großen Landesrundfahrten. Der Belgier ist der mit Abstand stärkste Fahrer dieser Vuelta, dieser ungewöhnlichen Rundfahrt. Sie ist geprägt von Ausfällen, Stürzen – und von einem Generationenwechsel. Der 22-jährige Evenepoel gewinnt vor Enric Mas, 27, und Juan Ayuso. Der Spanier ist zum Ende der Spanien-Rundfahrt noch 19 Jahre alt. Auch er steht für die neue, extrem starke und früh erfolgreiche Generation.

Die Generation um Remco Evenepoel, Tadej Pogačar, Egan Bernal, Ethan Hayter, Biniam Girmay, Juan Ayuso und viele andere. Bei der Vuelta zeigte Evenepoel nach seinen Siegen bei kleineren Rundfahrten und Klassikern wie Lüttich-Bastogne-Lüttich, dass er auch bei den Grand Tours die Besten schlagen kann.

Eintagesrennen und Rundfahrten

Remco Evenepoel ist eines der größten Talente des Radsports: Schon in der U19-Klasse bekam er von den Belgiern den Spitznamen „Kannibale von Schepdaal“ in Anlehnung an den wohl größten Radsportler aller Zeiten, Eddy Merckx, verpasst. Dabei begann seine Radsportkarriere spät. Zuvor war er belgischer Jugend-Fußball-Nationalspieler. Er spielte unter anderem für die Top-Klubs RSC Anderlecht und PSV Eindhoven.

2017 wechselte er zum Radsport – und war sofort extrem erfolgreich. Die Bilanz: 34 Siege in 44 Rennen in eineinhalb Jahren bei den Junioren. 2018 gewann er bei den Europameisterschaften in Tschechien – neben dem Zeitfahren – das U19-Straßenrennen mit einem Vorsprung von 9:44 Minuten auf den Zweitplatzierten. Diesen Doppelsieg wiederholte er bei der WM in Innsbruck.

Evenepoel zählt zu den wenigen Rennfahrern, die die U23-Klasse überspringen und direkt in die WorldTour wechseln – und direkt erfolgreich sind. Seit 2019 steht er beim Team Quick-Step unter Vertrag. Im ersten Profijahr, mit 19 Jahren, gewann er die Belgien-Rundfahrt, das EM-Zeitfahren und die Clásica San Sebastián.

Die Saison 2020 verlief noch erfolgreicher. Er gewann jede Rundfahrt, bei der er an den Start ging, sowohl vor als auch nach der coronabedingten Wettkampfpause: die Vuelta San Juan in Argentinien, die Algarve-Rundfahrt, die Burgos-Rundfahrt und die Polen-Rundfahrt.

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Zäsur

Mit 20 Jahren ging er als einer der Top-Favoriten in sein erstes großes Klassiker-Rennen – die Lombardei-Rundfahrt. Dieses Rennen wird zur Zäsur in seiner Karriere. Evenepoel will in einer Abfahrt den Kontakt zur Spitze wiederherstellen. Er verschätzt sich in einer Kurve, prallt gegen eine Brückenmauer und fällt eine Böschung hinab. Die Diagnose: eine gebrochene Hüfte – eine monatelange Pause folgte.

2021 bestreitet er seine erste Grand Tour. Er liegt beim Giro d’Italia in der ersten Rennhälfte auf dem zweiten Platz. Während der Etappe nach Montalcino über die weißen Schotterstraßen der Toskana verliert er erstmals Zeit. In der dritten Woche bricht er am Passo Giau ein: Er erreicht das Ziel in Cortina d’Ampezzo 24 Minuten nach dem Etappen- und späteren Gesamtsieger Egan Bernal. Am folgenden Tag stürzt er in einer Abfahrt schwer und muss das Rennen aufgeben.

Attacken und Ausreißer

Diese Erfahrung war der Beginn eines weiteren Lernprozesses. Die großen Siege blieben 2021 zunächst aus. Er stellt sein Training um, verbessert seine Technik, baut mehr Krafttraining ein. Und wird stärker. Bei der Vuelta 2022 soll er am Start 64 Kilogramm gewogen haben. Beim Giro im Vorjahr waren es nur 60 – bei einer Körpergröße von 1,71 Metern.

Er dominiert weiterhin kleinere Rundfahrten: Er gewinnt die Algarve- und die Norwegen-Rundfahrt. Und: Er gewinnt zwei Eintagesrennen in seiner typischen dominanten Fahrweise – als Solist. Bei Lüttich-Bastogne-Lüttich attackiert er 14,5 Kilometer vor dem Ziel – und niemand kann ihm folgen. Auch bei der Clásica San Sebastián schlägt er an den Anstiegen ein so hohes Tempo an, dass auch die restliche Welt-Elite nicht folgen kann. In San Sebastián hat er am Ende zwei Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten Pavel Sivakov. Nach 44,5 Kilometern ist er allein an der Spitze.

In die Vuelta startet er als Mitfavorit. Den Auftakt dominieren der dreifache Sieger Primož Roglič und sein niederländisches Team Jumbo-Visma. Sie gewinnen überlegen das Mannschaftszeitfahren in Utrecht – Roglič selbst holt sich das Rote Trikot mit einem folgenden Etappensieg.

Verdienter Vuelta-Sieg

Doch die sechste Etappe bringt die Wende: Evenepoel attackiert im Finale, wird Etappenzweiter – und übernimmt die Führung im Gesamtklassement. „Das war das beste Rennen, das ich je gefahren bin“, sagt er im Ziel. Mit einem deutlichen Sieg im Einzelzeitfahren festigt er seine Position. In der zweiten Rennhälfte muss er das Trikot des Gesamtführenden gegen die Angriffe von Primož Roglič, Enric Mas, Juan Ayuso und Carlos Rodríguez verteidigen.

Die Tagessiege werden meist aus Fluchtgruppen heraus entschieden: Dreimal gewinnt allein Richard Carapaz. Vor den schweren Schlussetappen liegt Evenepoel rund 1:30 Minuten vor Roglič und zwei Minuten vor Mas. Der Slowene attackiert im Finale der 16. Etappe. Kurz darauf hat Evenepoel einen Defekt. Die letzten drei Kilometer sind die chaotischsten und spannendsten dieser Rundfahrt. Roglič kämpft um jede Sekunde. Doch: Wenige Meter vor der Ziellinie stürzt er. Zur nächsten Etappe tritt er nicht mehr an. Die Gesamtwertung ist entschieden. Evenepoel ist unantastbar. Nach seinem Sieg bei der 18. Etappe konstatiert er: „Es ist unglaublich. Ich weiß gerade nicht, was im Moment durch meinen Körper und meinen Kopf geht. Es ist schon ein unglaubliches Jahr, und ich freue mich, der erste Fahrer zu sein, der für Patrick Lefevere eine Grand Tour gewinnt.“ Evenepoel gewinnt diese Vuelta verdient. Er war über drei Wochen der stärkste Fahrer.

Remco Evenepoel, Weltmeister

Remco Evenepoel ist Weltmeister 2022

Remco Evenepoel wird Weltmeister

Nach dieser Leistung ging er als einer der Top-Favoriten in das WM-Rennen von Wollongong, Australien. Die Streckendaten: 266 Kilometer, 4200 Höhenmeter. Der Dominator: Remco Evenepoel. 35 Kilometer vor dem Ziel attackiert er – und nur der Kasache Alexey Lutsenko kann ihm folgen. Zehn Kilometer später fährt Evenepoel bei der vorletzten Überquerung des steilen Mount Pleasant so schnell, dass Lutsenko abreißen lassen muss.

Der Belgier erreicht am Ende das Ziel mit 2:21 Minuten Vorsprung. Als neuer Weltmeister. Als legitimer Erbe seines Landsmanns Eddie Merckx, des „Kannibalen“. Mikel Landas Prophezeiung aus dem Jahr 2020 könnte sich erfüllen. Sie lautete: „Wir müssen jetzt noch so viel wie möglich gewinnen, bevor Evenepoel zu erfahren wird. Denn in zwei bis drei Jahren wird es unmöglich sein, ihn zu besiegen. Es ist echt beeindruckend. Er kann auf jedem Terrain gewinnen.“

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Pendeln mit dem Fahrrad: Trainingsideen für Ganzjahres-Commuting

Pendeln, Commuting, Training, Wissenschaft, Hintergründe

16 Kilometer, zweimal pro Tag, fast ohne Höhenmeter, durch die Stadt und entlang des Flusses – ich kenne jeden Meter, jede Kurve, jeden Baum, jedes Schlagloch dieser Strecke. Morgens hin, abends zurück. Dies ist mein Arbeitsweg – und meine Trainingsstrecke. Dies sind der Auftakt und der Ausklang jedes Arbeitstages. An jedem einzelnen Arbeitstag des Jahres.

Ich bin ein Ganzjahres-Radpendler. Und das nicht nur, weil das Radfahren mein Hobby ist, sondern auch weil ich ein Pragmatiker bin. Das Radpendeln ist für mich alternativlos, denn: Mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitten zu fahren, würde Stau, Stress, Kosten und längere Fahrzeiten bedeuten. Mein Arbeitsweg beinhaltet keine einzige Ampel und fast nur Rad- und Feldwege.

Je wärmer es ist, desto voller sind die Radwege. Im Winter und bei Regen bin ich außerhalb der Stadtgrenze fast immer allein auf dem Schotterweg entlang der Isar. Fast jeden Tag habe ich während dieses knapp zehn Kilometer langen Teilstücks dieselbe Assoziation, dieselben Gedanken im Kopf: Kanada. Neuseeland. Intakte Natur. Ich sehe: Laubbäume, Kiesbänke, glasklares Wasser, Grün, Braun, Grau. Ich sehe nicht: Asphalt, Häuser, Autos. Ich höre: das Knirschen der Reifen auf Schotter, den Wind in den Blättern der Bäume, das Plätschern der Isar – und sonst nichts.

Gewicht und Leistung

Perspektivwechsel: weg von eigenen Erlebnissen, hin zum Stand der Wissenschaft. Das Rad-Pendeln kann ähnlich effektiv sein wie intensives Fitnesstraining – und effizient beim Abnehmen helfen. Dies suggeriert das Ergebnis einer Studie der Universität Kopenhagen. Die Probanden: 130 zuvor nicht sportlich aktive junge und übergewichtige Männer und Frauen, die in vier Gruppen aufgeteilt wurden. Die Probanden der ersten Gruppe fuhren während sechs Monaten täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit: 14 Kilometer mit einer geringen Intensität. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe trainierten jeden Abend 35 Minuten lang im Fitnessstudio – mit recht niedrigen Intensitäten von bis zu 50 Prozent der Maximal-Leistung. Die der dritten Gruppe trainierten fünfmal pro Woche 55 Minuten lang mit 70 Prozent der Maximalleistung im Fitnessstudio. Die der vierten, der Kontrollgruppe, trainierten nicht. Vor und nach dem Studienzeitraum wurden die Körperzusammensetzungen der Probanden mit der Dual-Röntgen-Absorptiometrie vermessen.

Die Ergebnisse: Die Intensiv-Trainierer hatten am meisten Körperfett abgebaut – im Durchschnitt 4,5 Kilogramm. Doch die Radpendler wiesen ähnliche Abbauraten auf: durchschnittlich 4,2 Kilogramm. Jene Probanden, die mit moderaten Intensitäten im Fitnessstudio trainierten, bauten dagegen nur durchschnittlich 1,8 Kilogramm Körperfett ab.

Pendeln, Commuting, Training, Wissenschaft, Hintergründe

Radpendler bauen laut einer Studie ähnlich viel Fett ab wie Intensiv-Trainierer

Pendeln führt zu geringerer Sterblichkeit

In einer sehr großen britischen Studie aus dem Jahr 2017 wurden 263.450 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 52,6 Jahren über viele Jahre hinweg beobachtet.

Ein Ergebnis: Das regelmäßige Rad-Pendeln zur Arbeit und zurück war verbunden mit einer signifikant geringeren Sterblichkeit sowie geringeren Risiken für Herzkreislauferkrankungen und Krebs. Forscher des King’s College London verglichen für ihre Langzeitstudie mehr als 2400 eineiige Zwillinge und stellten fest: Jene, die das Bewegungs-Äquivalent von nur drei 45-minütigen Radfahrten pro Woche absolvierten, waren „biologisch“ neun Jahre jünger als andere Probanden beziehungsweise Zwillinge, die sich weniger bewegten. Störvariablen wie etwa das Rauchen oder ein erhöhter Body-Mass-Index wurden dabei herausgerechnet. Der Stand der Wissenschaft lautet: Wer regelmäßig Sport treibt, hat ein deutlich geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, alle Arten von Krebs, Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Nach Daten der British Heart Foundation senkt das Radfahren – konkret bereits schon rund 30 Kilometer pro Woche – das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als die Hälfte.

Hochtrainierte Radsportler standen im Fokus einer Studie von Westgarth-Taylor und Harley. Diese absolvierten zunächst drei Leistungs- beziehungsweis Power-Output-Tests sowie zwei simulierte 40-Kilometer-Zeitfahren. Danach ersetzten sie über einen Zeitraum von sechs Wochen je 15 Prozent – oder in absoluten Zahlen 66 ihrer 300 Wochen-Kilometer – durch kürzere High-Intensity-Intervall-Trainingseinheiten. Konkret: zwölf HIIT-Sessions aus je sechs bis neun Fünf-Minuten-Intervallen, die je von einer einminütigen aktiven Pause unterbrochen waren.

Die Ergebnisse: Die Probanden erhöhten ihren Power-Output um durchschnittlich 20 auf nun 424 Watt und verbesserten ihre Zeitfahr-Leistungen von Durchschnittsgeschwindigkeiten von zuvor 42,0 auf nun 43,0 km/h. Die Trainingseffekte des High-Intensity-Intervall-Trainings sind sehr ähnlich zu denen des Grundlagenausdauer-Trainings. So werden etwa durch erhöhte Laktatlevel nicht, wie früher angenommen, die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, zerstört – sondern sie werden auch durch das HIIT neu gebildet. Ein Star der Ultracycling-Szene, der sechsmalige Sieger des Race Across America Christoph Strasser, setzt etwa auf längere All-out-Intervalle, die mit viermal vier Minuten beginnen und im Laufe der Saison auf viermal 16 Minuten – mit 16 Minuten aktiver Pause – gesteigert werden. Die Intensität: bis 100 Prozent. Im Leistungssport finden auch die sehr kurzen und extrem intensiven Tabata-Intervalle häufig Anwendung. Diese bestehen in der Regel aus drei Sätzen von acht Intervallen, die je rund 20 Sekunden dauern. Die Pausenlängen: zehn Sekunden zwischen jedem Intervall, zehn Minuten zwischen den drei Sätzen.

 

Pendeln, Commuting, Training, Wissenschaft, Hintergründe

 

Ausdauer und Effizienz

Ralph Diseviscourt ist – wie auch Christoph Strasser – einer der erfolgreichsten Extrem-Radsportler der Welt. 2021 verbesserte er den damaligen 24-Stunden-Straßen-Outdoor-Weltrekord auf 927 Kilometer. Der Luxemburger begann erst mit 28 Jahren mit dem Radsport. Mit 35 Jahren konzentrierte er sich auf das Ultracycling. Sein Training besteht vor allem aus seinem Weg zur Arbeit. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter macht er sich um fünf Uhr morgens auf den Weg, auch bei Schnee und Regen und Dunkelheit. 50 Kilometer, einfach. Meist mehr, wenn er noch zusätzliche Schleifen einbaut. Eine dritte Trainingseinheit bildet häufig die Mittagspause.

Ralph Diseviscourt arbeitet Vollzeit als Managing Director einer Luxemburger Bank. Der 46-Jährige ist zudem Familienmensch. Das Schlafdefizit, mit dem sich viele Extrem-Radsportler während der Langdistanz-Rennen arrangieren müssen, trainiert er quasi im Alltag. Im Sommer fährt er bereits frühmorgens los. Seiner Familie ist es egal, ob er um sechs oder um vier Uhr morgens das Haus verlässt. „Ein besseres Mentaltraining gibt es nicht“, sagt er. Er kommt oft nach 100 bis 120 Kilometern um acht Uhr bei seiner Arbeitsstelle an. Nach Hause fährt er meist den direkten Weg. So kann er den Abend mit seiner Familie verbringen.

In seinem Alltagsrhythmus kommen acht Stunden Schlaf eher selten vor. Häufiger sind es fünf oder sechs. Er ist es gewohnt. Sein Berufsleben hat er schon immer mit dem Radfahren verbunden. Als er begonnen hat, sich auf das Ultracycling zu konzentrieren, ist er längst voll berufstätig, arbeitet oft mehr als 40 Stunden pro Woche, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bis zu 50 Stunden sitzt er im Sommer pro Woche auf dem Rad – mehr als eine zweite Arbeitswoche zusätzlich. Einen detaillierten Trainingsplan hat er nicht – Ralph Diseviscourt fährt einfach nach Gefühl. Immer. Er hat keinen Coach, keinen Ernährungsberater. Einen Powermeter nutzt er nur selten. Er fährt einfach Fahrrad. Jeden Tag. Sein Pendel-Training ist, wie für viele andere auch, seine einzige Möglichkeit, seine Leidenschaft mit seinem Beruf zu verbinden.

Die Wichtigkeit von Schlaf für die sportliche Leistungsfähigkeit: Wissenschaftliche Hintergründe

Zeit als entscheidender Faktor

Auch aus diesem Beispiel wird deutlich, dass es immer den einen entscheidenden Faktor gibt: Zeit. Den Sport beziehungsweise das Training mit der Arbeit, der Familie, dem Alltag, Freunden und anderen Hobbys zu kombinieren, ist die wohl größte Herausforderung aller Hobbyathleten.

Das Rad-Pendeln kann hier ein Teil einer konstruktiven Lösung sein. Statt in einem Auto, einem Bus oder einer Bahn zu sitzen – einen Leitartikel zur Entwicklung und zu den extrem negativen Konsequenzen der immer ausgeprägteren Entwicklung hin zu einer Sitz- und Bewegungslosigkeits-Gesellschaft finden Sie in der RennRad-Ausgabe 7/2022 – arbeitet man auf dem Weg zum Job an seiner eigenen Fitness. Und erlebt den Fahrtwind und die Natur.

Wie das konkrete Training beim Pendeln gestaltet wird, hängt von der Form, der Strecke, der Trainings-Periode und einigen weiteren Faktoren ab. Auch wenn die Fahrt nur 25 oder 30 Minuten dauert, kann man sie bereits für Intervalle, Fahrtspiele et cetera nutzen. Viele Athleten „verlängern“ auch ihre Wege, indem sie etwa Zusatzschleifen oder Extra-Hügel-Intervalle in die normale Strecke „einbauen“. In der Regel beginnt jede Fahrt und jede Einheit damit, sich warmzufahren. Bis der Organismus für hochintensive Intervalle bereit ist, sind mindestens zehn, eher 15 oder auch 20 Minuten im lockeren Grundlagenbereich nötig. Der Gestaltung der intensiveren „trainingswirksamen“ Abschnitte sind keine Kreativitäts-Grenzen gesetzt. Ein extrem einfaches abwechslungsreiches Einstiegsszenario lautet etwa: Ampel- oder Ortsschildsprints. Konkret bedeutet dies: Jeder Stopp an einer roten Ampel – oder jedem Ortschild – dient als Start- beziehungsweise Zielpunkt eines sechs- bis 25-sekündigen Sprints. In dem einen Fall startet man diesen aus dem Stand, im anderen „fliegend“ aus der Fahrt heraus.

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Nüchterntrainings und Trittfrequenzen

Eine andere Trainingsidee: Trittfrequenz-Pyramiden. Um eine Grundlageneinheit aufzuwerten, können sowohl Trittfrequenz-Pyramiden – zum Beispiel je 80, 90, 100, 110, 120, 130 Umdrehungen pro Minute als Steigerungsfahrt – als auch Einbein-Trainings eingestreut werden. Beispiel: im Rahmen des GA1-Trainings bei einer Trittfrequenz von 90 beginnen und sechsmal je 30 Sekunden mit nur einem Bein treten. Die Serienpause: je fünf Minuten. Das sogenannte Sweet-Spot-Training findet im Bereich zwischen 88 und 93 Prozent der Functional Threshold Power statt. Oder, grober abgesteckt, zwischen 75 und 83 Prozent der maximalen Herzfrequenz. Es zeichnet sich durch seine Effizienz aus. Viele Profis setzen auf Intervallformen, etwa dreimal 20 Minuten mit ebenso langen Pausen. Für erfahrene Langdistanz-Athleten kommen auch längere Einheiten von bis zu 120 Minuten am Sweet Spot infrage. Wer den Weg zur Arbeit effektiv nutzen will, kann mit einem Verzicht auf das Frühstück zu Hause auch eine kürzere Strecke zur Steigerung der Fettverbrennung nutzen. Hier verzichtet man morgens komplett auf eine Nahrungsaufnahme und trainiert anschließend.

Damit diese Trainingsform den Fettstoffwechsel optimieren kann und nicht schädigend wirkt, gilt es einiges zu beachten. Wer im nüchternen Zustand Sport treibt, trainiert mit einem nahezu leeren Leberglykogenspeicher – der Muskelglykogenspeicher hingegen kann noch voll sein. Ein Nüchterntraining sollte daher immer bei einer geringen Intensität durchgeführt werden und nicht länger als 60 bis 90 Minuten dauern. Um Muskeln aufzubauen und zu reparieren, ist eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr notwendig. Für die folgenden intensiven Trainingseinheiten sollten auch die Glykogenspeicher wieder aufgefüllt werden – das gelingt nur, wenn man ausreichend Kohlenhydrate zu sich nimmt. Insbesondere in den ersten zwei Stunden nach der sportlichen Aktivität können die Muskeln besonders effizient Glykogen einlagern. Ergo gilt: Je schneller, desto besser lassen sich die geleerten Glykogendepots wieder füllen. Als weitere Methode zur Steigerung des Fettstoffwechsels hat sich die sogenannte „Sleep Low“- Methode etabliert. Hierbei werden zwei Trainingseinheiten an aufeinanderfolgenden Tagen verbunden.

Gehirn und Lunge

Am Nachmittag oder am Abend des ersten Tages leert man die Muskelglykogenspeicher mit einer intensiven Trainingseinheit. Anschließend füllt man die Speicher nicht wieder auf – man verzichtet für den Rest des Tages auf Kohlenhydrate. Am zweiten Tag folgt eine Trainingseinheit im niedrigen Intensitätsbereich. Diese kann man entweder nüchtern oder nach einem Frühstück ohne Kohlenhydrate durchführen. Diese Trainingseinheit sollte maximal 60 bis 90 Minuten dauern, schließlich sind die Leberglykogenspeicher leer, wie beim klassischen Nüchterntraining. Anschließend füllt man die Energiespeicher  mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit wieder, um die Energie für folgende intensivere Trainingseinheiten bereitzustellen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich mit dieser Methode der Fettstoffwechsel sehr effektiv und in kurzer Zeit verbessern lässt.

Fettstoffwechsel, Fitness, Krankheitsrisiken – die Effekte des regelmäßigen Radpendelns sind extrem vielfältig. Sie betreffen nicht nur die Physis, sondern auch die Psyche. So stellten Forscher der Universität Illinois, USA, in ihrer Studie fest, dass das Radfahren zu einer durchschnittlich fünfprozentigen Verbesserung der kardiorespiratorischen Leistungsfähigkeit führte – und damit auch zu einer mentalen Leistungssteigerung von bis zu 15 Prozent in Denk-Tests. Der Ausdauersport steigert nachweislich die Gehirn-Durchblutung und somit die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn. Dies verbessert die neuronale Regeneration und die Neubildung von Gehirnzellen, etwa im Hippocampus, der „Gedächtnis“-Gehirnregion. Wie ein Training auf die Psyche wirkt, wurde auch in einer großen Meta-Analyse von zwölf Studien untersucht. Konkret: der Zusammenhang zwischen Bewegung und Müdigkeit.

Das klare Ergebnis: Sportliche Bewegung senkt den Müdigkeitsgrad schnell und signifikant.

Pendeln, Commuting, Training, Wissenschaft, Hintergründe

Weniger Müdigkeit dank sportlicher Bewegung

Sport vor der Arbeit führt zu besserer Leistungsfähigkeit

Eine andere von der Universität Bristol durchgeführte Studie mit 200 Probanden ergab weiterhin, dass Arbeitnehmer, die vor der Arbeit oder in der Mittagspause Sport trieben, ihre Zeiteinteilung und ihr Arbeitspensum besser bewältigen konnten. Zudem erhöhten beziehungsweise verbesserten sich ihre Motivation und ihre Fähigkeit, mit Stress umzugehen. Diejenigen Probanden, die Sport trieben, legten zudem weniger Pausen ein und arbeiteten deutlich effizienter. Eine weitere interessante Studie entstand am Imperial College London. In deren Fokus: die Menge an Schadstoffen, denen man während des Arbeits-Pendelns ausgesetzt ist.

Die Forscher stellten fest, dass Fahrgäste in Bussen, Taxis und Autos deutlich mehr Schadstoffe einatmeten als Radfahrer und Fußgänger. In einem Taxi war man demnach mehr als 100.000 ultrafeinen Partikeln pro Kubikzentimeter ausgesetzt, die sich in der Lunge festsetzen und Zellen schädigen können. In Bussen lag ihre Zahl bei knapp unter 100.000, in Pkws bei rund 40.000 – und auf dem Rad bei nur 8.000 pro Kubikzentimeter. Auf dem Land beziehungsweise in der Natur dürfte diese Zahl noch deutlich geringer sein. Abseits der vielen Leistungs-, Gesundheits- und Zeiteffizienzfaktoren spricht noch ein weiteres Argument für das Radpendeln: Auch für Arbeitswege mit dem Fahrrad gilt die „Pendlerpauschale“. Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, kann dies in der Einkommensteuererklärung unter den Werbungskosten angeben: bis 38 Cent pro Kilometer. Generell gilt: Jede Minute, jeder Kilometer auf dem Rad hat etliche positive Effekte.


Ernährungstipps

Ein häufig empfohlenes und von vielen Sportlern praktiziertes Low-Carb-Trainingsprinzip lautet: Wer mit leeren Kohlenhydratspeichern trainiert, zwingt den Körper, verstärkt auf Fette zurückzugreifen – ganz einfach, weil keine Kohlenhydrate zur Verfügung stehen. Diese Annahme ist zunächst logisch und zum Teil auch richtig. Die Grundlagenausdauer lässt sich dadurch effektiv verbessern. Das liegt nicht nur daran, dass bei einem Fokus auf einen optimierten Fettstoffwechsel häufig das intensive Training vernachlässigt wird.

Das Low-Carb-Training kann der Leistung sogar schaden: Durch Training mit leeren Kohlenhydratspeichern kann man an Schnellkraft verlieren, hohe Intensitäten fallen dann schwerer. Die Optimierung des Fettstoffwechsels geht bei einem umfassenden und dauerhaften Low-Carb-Training häufig auf Kosten des Kohlenhydratstoffwechsels. Eine durchgehend kohlenhydratreduzierte Ernährungsweise bringt somit vielen leistungsorientierten Sportlern keine Vorteile – sondern schadet eher. Wer jedoch nicht strikt und dauerhaft, sondern gezielt zu den richtigen Zeitpunkten an Kohlenhydraten spart, der kann vom Low-Carb-Prinzip profitieren.

Wessen Ziel Radmarathons sind, dem hilft vor allem ein optimierter Fettstoffwechsel. Doch auch Tempoverschärfungen und Anstiege dürfen kein Problem darstellen. Das Ziel muss sein: ein flexibler, aber dennoch sehr ökonomisch arbeitender Stoffwechsel. Für eine intensive Trainingseinheit sind volle Kohlenhydratspeicher nötig. Gefüllte Speicher reichen, abhängig von der Intensität und der Kapazität der Speicher, für eine Belastungsdauer von maximal 90 bis 120 Minuten. Glykogen wird vor allem in den Muskeln gespeichert. Um diese Reserven für eine lange und intensive Einheit zu füllen, reicht es nicht aus, kurz vor dem Training einen kleinen kohlenhydrathaltigen Snack zu sich zu nehmen.

Grundlagentraining auf nüchternen Magen?

Das Grundlagentraining kann dagegen, abhängig von der Dauer, teilweise auch auf nüchternen Magen und mit geleerten Speichern durchgeführt werden. Wer den Speiseplan an die bevorstehenden Trainingseinheiten anpasst, kann von einer periodisierten Ernährung profitieren – und Leistungspotenzial abrufen. Dabei sind die sogenannten „guten“ Kohlenhydrate zu bevorzugen – also Vollkornprodukte, Naturreis, Hirse oder andere langkettige Kohlenhydratquellen mit einem höheren glykämischen Index.

Unmittelbar vor dem Training, also in den ein bis zwei Stunden zuvor, sind jedoch leichter verwertbare Kohlenhydrate sinnvoll, um die Verdauung nicht mit einer großen Menge an Ballaststoffen zu belasten. Hierfür eignen sich etwa reife Bananen, Trockenobst sowie Energie- oder Müsliriegel. Bei kontinuierlichen Belastungen mit einer Intensität oberhalb von 70 bis 75 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme, der sogenannten VO2max, sind die verfügbaren Glykogenspeicher in vielen Fällen innerhalb von etwa 90 Minuten weitgehend aufgebraucht. Ohne eine weitere Kohlenhydratzufuhr sinkt danach das Leistungsvermögen, es sind dann nur noch moderate Belastungsintensitäten möglich. Es droht der sogenannte „Hungerast“.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Leistungssport: Probleme und Risiken – Einblicke, Zahlen, Argumente

Leistungssport, Probleme, Risiken, Leitartikel

„Es ist das Letzte, was man seinen Kindern wünscht: dass sie sich verbissen durchs Leben quälen. Deshalb verbiete ich meinen Kindern Spitzensport.“ Dies schrieb der Journalist Hansruedi Kugler in einem Kommentar für die Luzerner Zeitung. Dies. Und: „Vom Radprofi Oscar Camenzind über die Triathletin Brigitte McMahon bis zum Sprinter Alex Wilson wurde imposant die Schattenseite dieser ehemaligen Medienlieblinge ausgeleuchtet. Nicht mal der Schwingsport, Symbol bodenständiger Swissness, ist vom gedopten Leistungswahn verschont. Was sage ich meinen eigenen sportverrückten Kindern? (…) Zieht man der Tochter fürsorglich Skihelm und Rückenpanzer an, nur damit sie sich dann beim Skirennen übermotiviert die Kreuzbänder reißt und das Knie verdreht? Kauft man der Tochter ein herziges Tanzröckchen, nur damit sie sich später mit Schmerzmitteln vollgepumpt zum Trainingsdrill schleppt? Alles in der Hoffnung, als junge Frauen würden sie dann mal zuoberst auf irgendeinem Podest stehen? Zynischer geht’s ja nicht. Körperliche und psychische Unversehrtheit sind ein Menschenrecht, und dieses muss man konkret einfordern.“

Der Autor spielt auf mehrere Skandale des Schweizer Sports an: Unter anderem auf den Dopingfall des Sprinters Alex Wilson, der den Schweizer Rekord im 100- und im 200-Meter-Lauf hält – und auf „die Magglingen-Protokolle“. Darin schildern ehemalige Spitzenturnerinnen, wie sie im dortigen Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbands gedemütigt wurden. Was sie dort erlebt haben: „Magglingen verändert dich“, gab die Rhythmische Gymnastin Lisa Rusconi zu Protokoll. „Ich hatte keine Gefühle mehr. Ich habe vom Kopf an abwärts nichts mehr gespürt. Ich musste wieder lernen, zu verstehen, dass ich Hunger habe. Oder dass ich aufhören muss, wenn etwas wehtut. Es kam vor, dass ich im Training ohnmächtig wurde. Wir durften selten etwas trinken während des Trainings. Abends kam ich mit weißen, ausgetrockneten Lippen zur Gastfamilie.“

Psychischer Druck, Depressionen, Angst und mehr

Eine andere Athletin, Marine Périchon, erinnert sich: „Im Trainingslager wusste ich nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist, solange behielt man uns in der Halle. Mit der Zeit verlor ich die Verbindung zu meinem Körper. Ich wurde ein Roboter, der keinen Schmerz empfand. Wir durften nichts essen, nichts trinken. Als ich vor Erschöpfung zusammenklappte, zeigte die Trainerin auf einen leeren Plastiksack: ‚Schau, Marine, das bist du. Du bist nichts.‘ Ich glaubte ihr. Ich war schon so kaputt, dass ich dachte: Ja, sie hat recht. Das bin ich. Ich bin ein Nichts. Dann riss sie den Sack in zwei Teile.“

Die Magglingen-Protokolle handeln von psychischem Druck, Depressionen, Angst, Ess- und posttraumatischen Belastungsstörungen.

Es ist ein Themenbereich, der oft im Dunkeln bleibt – eine Thematik, die aufgearbeitet werden muss. Kunstturnen und Rhythmische Gymnastik sind Sportarten, bei denen man in der Regel in einem sehr jungen Alter an seinem Leistungsmaximum ist. „Anders als in den meisten Sportarten sind die Athletinnen nicht dann am leistungsfähigsten, wenn sie erwachsen sind“, schreibt die Luzerner Zeitung. „Sie sind dann am beweglichsten, wenn ihr Körper dem eines Mädchens ähnelt. Überehrgeizige Trainer drängen Athletinnen zum Hungern, damit sich der Körper in der Pubertät nicht verändert.“ Auch im Schweizer Synchronschwimmen soll es ähnliche Vorfälle des Machtmiss-brauchs gegeben haben. Mehrere Schwimmerinnen brachten im Juni 2022 schwere Vorwürfe gegen Verantwortliche vor. „Ich habe das Gefühl, in dieser Welt bist du kein Mensch“, sagte etwa die 23-jährige Joelle Peschl, die inzwischen vom Leistungssport zurückgetreten ist. In dieser Welt herrschte demnach „ein Klima der Angst“. Diese Welt – das ist der Spitzensport. Eine potenzielle Gegenwelt zum Alltag. Mit teils eigenen anderen Werten, anderen sozialen Strukturen und anderen Prioritäten. Ich war einst ein Teil dieser Welt. Einen prägenden Teil meines Lebens lang: im Alter von 14 bis 21 Jahren.

Umfang und Intensität

Hansruedi Kuglers Sicht ist nachvollziehbar. Und doch ist sein Schluss, seinen Kindern das Leistungssport-Treiben pauschal zu verbieten – abgesehen von dem moralisch-ethischen Aspekt der Fremdbestimmung und des potenziellen damit einhergehenden psychologisch-sozialen Konflikts innerhalb einer Familie – nun ja: pauschal. Und somit eine quasi-populistische Vereinfachung und Verkürzung. Die intelligentere Antwort auf die Frage „sollen Kinder beziehungsweise Jugendliche, beziehungsweise die eigenen Kinder, Leistungssport treiben oder nicht“, würde lauten: Es kommt darauf an. Zum Beispiel auf die W-Fragen: wer, wann, was, wieviel? Ist es „zu viel“, wenn 13-Jährige drei Mal pro Woche 60 bis 90 Minuten zum Fußballtraining gehen und am Wochenende bei einem Spiel dabei sind? Ist es „zu viel“, wenn ein 15-Jähriger, zwei, drei oder vier Mal pro Woche nach der Schule auf sein Rad steigt und am Wochenende ein Rennen fährt? Wenn er das will? Wenn er Spaß daran hat?

Zu suggerieren, Leistungssport sei pauschal mit „Trainingdrill“, psychischem Missbrauch und einem Zugrunderichten des eigenen Körpers gleichzusetzen, ist populistisch, unseriös, falsch und unfair. Man „wirft“ kein Kind in die Welt des Spitzensports. In den Spitzensport entwickelt man sich. Man wächst hinein. In jedem Jahr, das man dabeibleibt, ein wenig mehr. Die Übergänge vom „normalen“ Vereins- in den Leistungssport sind fließend. Was soll man denn als Trainer einem Jugendlichen sagen, der etwas erreichen will, der Talent, Willen und Motivation hat, besser zu werden? „Hör auf. Zu viel Sport ist schlecht für dich?“ Genau danach klingt die Aussage des obengenannten Artikels.

Im Radsport etwa, indem man sein Leistungsmaximum, statistisch-wissenschaftlich gesehen, mit rund 28 Jahren erreicht, kann es „genügen“, erst mit 15, 16 oder 17 Jahren ernsthaft in den gezielten Trainings- und Wettkampfprozess einzusteigen. Man kann es dennoch in den Profi-Bereich schaffen. Wenn man das denn will. In den meisten Sportarten erreicht man erst mit beziehungsweise nach der Volljährigkeit die höchsten Leistungs- und Wettkampfebenen. Dann, wenn man weniger beeinflussbar ist und selbst seine Entscheidungen trifft. Dann, wenn man mündig ist. Zudem müsste man zunächst einmal definieren, wie man den Begriff „Spitzensport“ definiert: Ab wann? Ab mindestens vier Trainingseinheiten pro Woche? Ab der Zugehörigkeit zu einem Nationalkader?

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Verletzungen und Risiko

„Wenn ich in der gestrigen Zeitung ein paar Seiten nach der Dopingübersicht von den Qualen der Synchronschwimmerinnen lese, sehe ich vor meinem geistigen Auge gleich auch, wie Rafael Nadal sich mit Schmerzmitteln vollpumpt, erinnere mich an die Berichte über die gedemütigten Turnerinnen in Magglingen und die geplagten Tänzerinnen an der Tanzakademie in Zürich. Und wie oft hat schon wieder unser aller Sunnyboy Roger Federer sein Knie operieren lassen müssen und will trotzdem nochmals und nochmals an Grand Slams mitspielen?“, schreibt der Schweizer Autor. Inzwischen hat Roger Federer seine Karriere beendet. Niemand zwang ihn dazu, weiterzumachen. Geld hatte er seit etlichen Jahren mehr als genug. Ihn trieb ein Feuer, ein Wille, eine Leidenschaft, ein Ehrgeiz, eine Lust, die Nicht-Sportler wohl kaum nachvollziehen können. Wie viele Kinder und Jugendliche hat er wohl im Laufe seiner Karriere dazu inspiriert, anzufangen Tennis zu spielen? Vielleicht tausende, vielleicht zehntausende.

Natürlich gibt es den Doping- wie auch den psychischen und den physischen Missbrauch im System Spitzensport. Vielleicht sogar häufiger als, zum Beispiel, in Theater-, Mal- oder Bastel-Kursen. Oder im Briefmarkensammel- oder im Computerspiel-Bereich. Oder mit welchen anderen Gesellschaftsbereichen auch immer, in denen Kinder und Jugendliche ihre Freizeit verbringen können, man den Leistungssport vergleichen will. Natürlich müssen die Fälle und Phänomene aufgearbeitet, debattiert und möglichst zukünftig verhindert werden.

Gesundheitliche, soziale und physische Extremfälle

Doch: Gesundheitliche, soziale und physische Extremfälle, wie sie der Autor aufreiht, sind, vor allem eines: selten. Zu den in dem Text auszumachenden „kognitiven Fallen“ zählen unter anderem das sogenannte Induktionsproblem: Die Neigung, aus unzureichenden Informationen allgemeine Regeln abzuleiten. Und: die Verfügbarkeitsheuristik. Dieser Begriff beschreibt die Neigung, Entscheidungen auf der Grundlage von Informationen zu treffen, auf die das Gedächtnis einfach zugreifen kann, statt auf der Grundlage von Daten, die eigentlich benötigt werden. Wie ist nun die Quote beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit, als Jugendlicher im Leistungssportsystem schwere körperliche oder psychische Beeinträchtigungen zu erleiden?

2016 wurden im Rahmen des Forschungsprojekts „Safe Sport“ Daten zur sexualisierten Gewalt im organisierten Sport vorgelegt. Das Ergebnis: Ein Drittel der befragten Sportler und Sportlerinnen hat schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt erfahren. Sportlerinnen sind signifikant häufiger betroffen als Sportler. Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ wurde dabei jedoch als sehr weiter Oberbegriff für „verschiedene Formen der Machtausübung mit dem Mittel der Sexualität“ definiert. „Das können in der vermeintlich harmloseren Form sexistische Witze oder etwa WhatsApp-Nachrichten mit sexuellem Inhalt sein“, erläuterte die Studienleiterin. Die Quote von einem Drittel klingt sehr hoch – doch: Aufgrund des Studiendesigns ist die Aussagekraft eher gering. Und vor allem: Die Ergebnisse der Athleten unterscheiden sich nicht von denen der Allgemeinbevölkerung.

Negative Seiten im System Leistungssport

In der jüngsten Fallstudie der „Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ wurden 72 Zeitzeugenprotokolle zum Sportbereich aufgenommen und ausgewertet. Das Ergebnis: Missbrauchshandlungen kamen eher im Leistungs- als im Freizeit- und Schulsport vor. Klar ist: Im Sportsystem existieren negative Seiten und Entwicklungen. Natürlich gibt es ein Doping-Problem – im Leistungs- wie im Fitnessstudio-Freizeit-Sport. Wie es auch unter Profimusikern ein Beta-Blocker-Problem gibt. Die Zahlen dazu finden Sie im Leitartikel der RennRad-Ausgabe 4/2021.

Natürlich birgt auch das Sport-Treiben an sich Risiken. Zum Beispiel: Das Risiko, sich dabei zu verletzen. Dies gilt auch für den Freizeit-, Hobby- und Amateursport. In der EU werden pro Jahr rund 6,1 Millionen Verletzungen ohne Todesfolge, die in einem Krankenhaus behandelt wurden, auf eine sportliche Betätigung zurückgeführt. 15 Prozent aller behandelten Verletzungen ereignen sich im beziehungsweise beim Sport – wobei hier statistisch nicht zwischen Hobby- beziehungsweise Freizeit- und Leistungssport unterschieden wird. Dies entspricht einer Inzidenz von rund 1200 Verletzungen pro 100.000 Personen pro Jahr. Fast die Hälfte dieser Unfälle betreffen Ballsportarten – und allein 70 Prozent von diesen ereignen sich beim Fußball.

Was ist die Konsequenz daraus? Manche würden nun wohl fordern, das Fußballspielen zu verbieten. Vielleicht könnte dies ja der Überlastung der Krankenhäuser entgegenwirken. Sarkasmus Ende. Die Verletzungsinzidenz des oberen Sprunggelenks variiert, je nach der Sportart, zwischen 0,06, beim Kunstturnen, und fünf, beim Fußball, Verletzungen pro 1000 Stunden Expositionszeit. Bei Leistungssportlern können sich Überlastungsschäden in Form von Arthrosen auswirken.

Für Athleten in Kraft- und Sportarten mit schnellen Richtungswechseln steigt etwa das Risiko für Arthrosen im Knie- und Hüftgelenk. Bei Fußballern zeigte sich in Studien ein erhöhtes Arthrose-Risiko bei Elite- im Vergleich zu Nichtelitesportlern.

Essstörungen und Herztodesfälle

Athleten sind zudem, statistisch gesehen und je nach der Sportart, stärker als Nichtsportler gefährdet, an Essstörungen wie etwa Anorexia Nervosa zu erkranken.

Weltweit sind schätzungsweise sechs bis 17 Prozent der plötzlichen Herztodesfälle auf intensive sportliche Belastungen zurückzuführen. Jedoch lautet der Stand der Wissenschaft dazu: Die Prävalenz des plötzlichen Herztodes ist bei körperlich inaktiven Personen am höchsten. Und: Rund 70 Prozent der Fälle sind auf kardiale Vorerkrankungen zurückzuführen. Selbst frühere Radprofis – ergo jene Menschen, die wohl den härtesten Job der Spitzensport-Welt haben – leben statistisch gesehen sechs Jahre länger als vergleichbare „Normalmenschen“ beziehungsweise Nicht- oder Hobbysportler. Die Gesamtsterberate der Profi-Athleten ist im Vergleich um 41 Prozent niedriger.

Seltener sind vor allem Todesfälle, die auf Krebserkrankungen und kardiovaskuläre Ursachen zurückzuführen sind. Dies zeigte eine Studie von Dr. Xavier Jouven et al. von der L’Université Paris Descartes, in der die Lebensdaten ehemaliger Radprofis, die zwischen 1947 und 2012 an der Tour de France teilnahmen, in Relation zur vergleichbaren „Normalbevölkerung“ gesetzt wurden.

Natürlich gibt es im gesellschaftlichen Teilsystem Spitzensport Probleme. Probleme, die es viel stärker gesellschaftlich zu debattieren – und anzugehen und zu beheben – gilt. Doch dieses, oder irgendein anderes, System pauschal abzuurteilen und Menschen per Zwang daraus auszuschließen, ist sicher keine Lösung.

RennRad, Gravel Spezial 2023, Gravel, Sonderausgabe, Banner

Das Gravel Spezial 2023 des RennRad-Magazins können Sie hier als E-Paper bestellen

Bewegung und Gesundheit

Eine solch plumpe Pauschalisierung ist „ein Schlag ins Gesicht“ für hunderttausende Trainer, Helfer, Betreuer, Ehrenamtliche in den Vereinen und Sportstrukturen. Jede Gesellschaft – und jeder Vater, jede Mutter – sollte froh sein, wenn Kinder und Jugendliche Sport treiben wollen. Auch, wenn sie dies nach und nach, im Laufe der Jahre, ambitioniert tun wollen. „Den Leistungssport“ gibt es genauso wenig wie „die Russen“, „die Franzosen“, die „SUV-Fahrer“ oder „die Radfahrer“. Es gibt gute und schlechte Menschen. Überall. In jedem Land, in jedem Bereich, in jeder Gruppe. „Den Leistungssport“ generell mit Drill, Ausbeutung und Machtmissbrauch gleichzusetzen, ist intellektuell ungefähr auf derselben Ebene wie zu behaupten, dass „die Radfahrer“ alle Verkehrsrowdies sind.

Diese Gesellschaft braucht den Sport, die Bewegung und die Vorbilder, die dort generiert werden. Dazu braucht der Sport: einen höheren Stellenwert, mehr Geld, mehr Trainer, mehr Struktur. Aber auch: mehr gesellschaftliche Kontrolle.

Einen großen Leitartikel mit Studien und Zahlen zum seit Jahren abnehmenden Stellenwert des Sports in Deutschland finden Sie in der RennRad-Ausgabe 10/2021. 80 Prozent, ergo vier von fünf Kindern und Jugendlichen in Deutschland, bewegen sich weniger als eine Stunde pro Tag. Zu diesem Ergebnis kamen die Autoren des vierten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts 2020. Der durchschnittliche Tag eines Kindes besteht nach Daten der LOGIK-Studie inzwischen aus: neun Stunden Liegen, neun Stunden Sitzen, fünf Stunden Stehen, einer Stunde Bewegung – davon zwischen 15 und 20 Minuten intensiv.

Die Zeit des unbeaufsichtigten Spielens, des Bewegens, ging innerhalb weniger als einer Generation um weit mehr als 50 Prozent zurück. Pro Tag verbringen Zehn- bis 17-Jährige hierzulande drei Stunden und 13 Minuten mit sozialen Medien – und weitere zwei Stunden und 16 Minuten mit Onlinespielen. Dies zeigte eine großangelegte Studie der DAK.

Sportliche Aktivität stärkt Gesundheitsressourcen

Im Rahmen der Motorik-Modul-Studie wurden rund 2300 Kinder und Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren befragt.

Die Ergebnisse: Schon eine geringe Steigerung der sportlichen Aktivität stärkt die Gesundheitsressourcen der Heranwachsenden. Ausdauer, Kraft und Koordination nehmen zu – ebenso wie das psychosoziale Wohlbefinden. Bei Jugendlichen, die öfter Sport treiben, wächst zusammen mit der tatsächlichen Leistungsfähigkeit auch das Selbstwertgefühl – und zwar völlig unabhängig von ihrem Sozialstatus. Emotionale Probleme und Beziehungsschwierigkeiten mit Gleichaltrigen sind umso öfter anzutreffen, je weniger die Jugendlichen sportlich aktiv sind. Sportliche Aktivitäten, beispielsweise in Vereinen, scheinen daher geeignet, das emotionale Wohlbefinden und die Kontaktfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu steigern, die von ihrem häuslichen Umfeld her benachteiligt sind.

Studien zeigen zudem, dass frühere Spitzenathleten, statistisch gesehen, später beruflich deutlich erfolgreicher sind als Nicht- oder Hobby-Sportler. Das System Sport vermittelt Werte, die einen in dieser Gesellschaft voranbringen. Werte, die wertgeschätzt werden sollten.

Menschen brauchen Ziele

Ohne Charaktereigenschaften wie Ausdauer, Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit, Selbstdisziplin, Teamfähigkeit wird man kein Spitzensportler. Die Sozialisation in den Sport und im Sport sollte, allein schon aus pragmatisch-gesellschaftlicher Sicht, noch viel stärker gefördert werden. Menschen brauchen Ziele.

Und Menschen brauchen evolutionär, psychisch und physisch: Bewegung. Dass die Bewegung in der modernen Wohlstandsgesellschaft einen immer geringeren Stellenwert einnimmt, ist eines der großen Probleme unserer – und vor allem der noch kommenden – Zeit.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2023Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Schlaf: Der Einfluss von Regeneration und Entlastung auf die Leistung

Schlaf, Regeneration, Wissen ist Macht, Neues aus der Forschung, Wissenschaft

Fünfeinhalb bis acht Stunden Schlaf innerhalb von rund acht Tagen und Nächten – und innerhalb von knapp 5000 Kilometern, von einer Strecke von der Westküste an die Ostküste der USA, quer durch einen ganzen Kontinent, auf dem Rad, im Rahmen des wohl härtesten Rennens der Welt: dem Race Across America. Der Rekordsieger heißt: Christoph Strasser. Seine Rekordzeit: sieben Tage, 15 Stunden und 56 Minuten.

Das RAAM ist ein Extrem-Rennen, eine Ausnahme-Situation – und damit nicht mit einem normalen Trainings- oder Wettkampfalltag vergleichbar. Das RAAM ist eine Zeit der Schlafdeprivation. Die Auswirkungen und Effekte dieser viel zu geringen Erholungszeiten sind vielfältig. Dazu zählen etwa: Konzentrationsstörungen, Halluzinationen, Sekundenschlaf und mehr.

Stress und Schlaf

Solche negativen Effekte gilt es, natürlich, generell zu vermeiden. Es gilt: Training und Erholung – Belastung und Erholung – sind zwei Seiten derselben Medaille. Und alles hängt zusammen. Das Training bedeutet Stress für den Körper. Er wird dadurch aus seinem „Gleichgewicht“ gebracht. Erst während der folgenden Erholungsphase kann er wieder in diesen Zustand kommen – auf einem minimal höheren Niveau. Denn der Körper passt sich an diese Reize durch Adaptionsvorgänge an. Be- und Entlastung sowie die Effekte auf den Schlaf standen im Mittelpunkt einer großen Untersuchung der Iowa State University in den USA.

Die Probanden: 386 übergewichtige und bis dahin inaktive Erwachsene. Diese wurden in vier Gruppen eingeteilt: eine Ausdauer-, eine Kraft-, eine Kombinations-Trainings- und eine Kontrollgruppe. Der Untersuchungszeitraum: 24 Monate. Die den Trainingsgruppen zugeteilten Probanden nahmen dreimal pro Woche an je 60-minütigen Trainingseinheiten teil. Die Ausdauer-Teilnehmer konnten zwischen Laufband, Stepper und Rad-Ergometer wählen. Sie blieben dabei stets in einem mittelintensiven Intensivitätsbereich. Das Programm der Krafttrainings-Gruppe: Das Training wurde an zwölf verschiedenen Geräten beziehungsweise Maschinen für alle Muskelgruppen mit je drei Sätzen und acht bis 16 Wiederholungen bei 50 bis 80 Prozent der Maximalleistung absolviert. Die Kombinationsgruppe absolvierte je 30 Minuten aerobes Training und 30 Minuten Widerstandstraining. Nach zwölf Monaten dieses Programms wurden alle Probanden noch für ein weiteres Jahr beobachtet und danach untersucht. Zudem wurden über den gesamten Zeitraum hinweg Selbstauskünfte über die Schlafdauer und -qualität eingeholt.

Die Ergebnisse: Probanden, die an Schlafproblemen litten, profitierten am meisten von vorherigen Krafttrainingseinheiten. In der Ausdauer-Gruppe erhöhte sich die trainingsbedingte durchschnittliche Schlafdauer um 23 Minuten, bei den Kraft-Trainierenden um 40 Minuten, in der Kombinationsgruppe um 17 Minuten und in der Kontrollgruppe um 15 Minuten. Die Forscher stellten zudem fest, dass sich die Schlafeffizienz in der Kraft- und der Kombinationsgruppe erhöhte – in der Ausdauer- und der Kontrollgruppe jedoch nicht. Die Schlafeffizienz gibt an, wie lange man im Verhältnis zur Gesamtzeit, die man im Bett verbracht hat, tatsächlich geschlafen hat. Die Einschlafzeit sank nur bei den Probanden der Kraft-Gruppe signifikant. „Bei wem sich der Schlaf, oft stressbedingt, bisher merklich verschlechtert hat, der sollte in Erwägung ziehen, zwei oder mehr Krafttrainingseinheiten pro Woche zu absolvieren – um die allgemeine Muskel- und Knochengesundheit sowie den Schlaf zu verbessern,“ sagt Professor Dr. Angelique Brellenthin, die Leiterin der Studie.

Schlaf, Regeneration, Wissen ist Macht, Neues aus der Forschung, Wissenschaft

Zwei oder mehr Krafttrainingseinheiten pro Woche können die Qualität des Schlafs verbessern

Belastungen und Leistungen

Deutlich aktivere Probanden standen im Mittelpunkt einer Studie Heidelberger Forscher. Das Thema: die Effekte des Schlafverhaltens auf die physische und psychische Leistungsfähigkeit von Spitzenradsportlern. Die Forscher um Daniel Erlacher begleiteten unter anderem vier Nachwuchs- und Profiteams während fünf Etappenrennen. Dabei wurden die Radsportler befragt – und ihre Hirnströme, die Aufschluss über die Schlafqualität und -quantität geben können, wurden mittels mobiler Ein-Kanal-EEG-Rekorder aufgezeichnet. Ihre Wettkampfleistung wurde je von den Fahrern und den Sportlichen Leitern bewertet.

Die Ergebnisse: Tendenziell ergab sich ein Zusammenhang zwischen dem Tiefschlafanteil und der physischen Erschöpfung im Rennen am nachfolgenden Tag. Die Athleten, die größere Tiefschlafanteile aufwiesen, berichteten über eine geringere physische Erschöpfung im Rennen. Dem Tiefschlaf wird unter anderem die Funktion der physiologischen Regeneration zugesprochen, womit sich dieser Befund erklären ließe. Zudem war auffällig, dass für einige Fahrer die objektiven Schlafparameter zum Teil eine deutliche Schlaffragmentierung aufwiesen. Die positiven Effekte körperlicher Betätigung auf die Schlafqualität wurden bereits in mehreren Studien bestätigt. So zeigte etwa eine Untersuchung US-amerikanischer Forscher mit 2600 männlichen und weiblichen Probanden, dass schon 150 Minuten sportlicher Aktivität mit moderater Intensität pro Woche zu einer Verbesserung der Schlafqualität um 65 Prozent führen.

Zu den weiteren positiven Auswirkungen zählen etwa: ein tieferer Schlaf, längerer Schlaf, eine kürzere Einschlafzeit und weniger Schlafunterbrechungen. Jedoch kann sich das Training auch negativ auf den Schlaf auswirken – nämlich dann, wenn der zeitliche Abstand zwischen beidem zu gering ist. So waren die Ergebnisse einer 15 Studien umfassenden Meta-Analyse der Concordia University, USA, eindeutig. Sie lauten: Intensive Trainingseinheiten am Abend verschlechtern den Schlaf. Sie wirken negativ auf die Dauer bis zum Tiefschlaf wie auch auf den Schlafrhythmus. Jedoch gilt demnach auch: Wer am frühen Abend sportlich aktiv ist, kann mit positiven Auswirkungen auf die Schlafqualität rechnen. Den Studienergebnisse zufolge sollten demnach mindestens zwei Stunden zwischen dem Ende einer intensiven Trainingseinheit und der Nachtruhe liegen.

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Extrem-Rennen und Adaption

Die Strecke des Race Across America ist um rund 30 Prozent länger als jene der Tour de France. Und: Die Teilnehmer bekommen keine regelmäßigen Pausen. Jeder, der hier startet, wird ein Experte in Sachen Schlafmangel – und seinen Folgen. Für die rund 5000 Kilometer lange Strecke benötigen die Fahrer in der Regel zwischen acht und zwölf Tagen. Durchschnittlich schlafen die Starter rund eine Stunde pro Tag beziehungsweise Nacht. Die Gesamtschlafdauer der RAAM-Siegerin 2021: 15 Stunden. Leah Goldstein nahm zum dritten Mal am RAAM teil. Sie war die erste weibliche Gesamtsiegerin. Die 53-Jährige war einst Weltmeisterin im Kickboxen und Ausbilderin in der israelischen Armee. Das RAAM bedeutete für sie: 15 Stunden Ruhe – verteilt auf 250 Stunden Belastung auf dem Rad. Dies entspricht sechs 40-Stunden-Arbeitswochen. Während der ersten 40 Stunden des Rennens schlief sie: null Minuten. Ihre erste Schlafpause danach umfasste drei Stunden. In der ersten Hälfte des RAAM schläft sie pro 24 Stunden rund drei davon – in der zweiten Hälfte halbiert sie ihre Ruhezeiten auf 90 Minuten pro Tag.

Eine andere Schlaf-Strategie lautet: Powernaps – je 15- bis 30-minütige Schlafpausen, die zu kurz sind, um in den Tiefschlaf zu fallen. Auf diese setzte unter anderem der sechsmalige RAAM-Sieger Christoph Strasser. „Wenn man länger schläft“, sagt er, „ist man nach dem Aufwachen geistig sehr verwirrt, weil der Körper komplett herunterfährt. Wenn man nur einen Powernap macht, werden die Muskeln nicht kalt, und wenn man aufwacht, ist man viel klarer im Kopf.“ Strasser schlief innerhalb der ersten vier Renntage insgesamt nur rund 80 Minuten. Erst danach machte er seine erste längere Pause. Sein folgender Rhythmus: ein Powernap am Tag und je zwischen 50 und 70 Minuten Schlaf pro Nacht. „Wenn man stark fährt und sich gut fühlt, kann man den Schlaf reduzieren. Wenn man bergauf Probleme hat oder wenn es in der Wüste extrem kalt oder heiß ist, dann braucht man meist etwas mehr Schlaf.“

Dennoch: Der Schlafmangel summiert sich auf – und hat Effekte. Etwa auf die Psyche. „Die Wahrnehmung ist manchmal etwas verschwommen. Beim RAAM habe ich bisher jedes Jahr nachts irgendwann kleine Menschen am Straßenrand gesehen, die mir zujubelten. Mittlerweile weiß ich: Das sind Briefkästen mit Gartenzwergen drauf. Zum Glück schützt mich mein Betreuerwagen hinter mir vor dem Verkehr. Ich fiel auch schon einmal in einen Sekundenschlaf und bin von der Straße abgekommen und in einer Wiese gelandet.“

Schlaf, Regeneration, Wissen ist Macht, Neues aus der Forschung, Wissenschaft

Welchen Effekt hat der Powernap-Rhythmus auf die sportliche Leistungsfähigkeit?

Powernap-Schlaf-Fahr-Rhythmus

Den Powernap-Schlaf-Fahr-Rhythmus behält er während des RAAM für rund acht, neun Tage bei. Im RennRad-Interview nach seinem Sieg mit einer Rekordzeit schilderte er, was danach folgte – unmittelbar, nachdem er die Ziellinie überquert hat: „Ich bin fast sofort eingeschlafen. Unter der Dusche waren wir dann zu dritt, zu zweit haben sie mich gestützt, denn ich konnte und wollte nicht mehr stehen. Ich hatte auch keine Stimme mehr. Nach dem Duschen habe ich zehn Stunden durchgeschlafen.“ Während des Rennens schlief er damals innerhalb der fast acht Tage nur fünfeinhalb Stunden. „Für den Körper ist der Schlaf nicht so wichtig“, sagt er, „das hält man acht Tage lang aus. Es ist ein Kopfproblem. Es geht um das Hirn, um die Konzentration. Aber nach 20 Minuten Powernap ist man wieder da. Nach dem Rennen dauert es eine Woche, bis man den normalen Schlafrhythmus wieder hat.“ Dies ist sein Modus in der Extrem-Situation des RAAM.

Sein Alltag sieht völlig anders aus – sehr viel durchschnittlicher. „Meine Schlafroutine im täglichen Leben ist ganz normal. Ich bin ein Typ, der morgens gerne etwas länger schläft, und ich bleibe gerne bis in die Nacht wach. Ich gehe meist gegen ein Uhr ins Bett und schlafe bis acht Uhr morgens. Sieben Stunden pro Nacht. Ganz normal.“


Schlafhygiene: Tipps

Es gibt Bedingungen und Verhaltensweisen, mit denen sich gesunder Schlaf nachweislich fördern lässt. Acht Beispiel-Tipps für eine verbesserte Schlafhygiene:

  • Keine koffeinhaltigen Getränke nach 17 Uhr. Koffein hemmt die Ausschüttung von Adenosin nachweisbar sehr stark und reduziert dadurch die Müdigkeit.
  • Weitgehender Verzicht auf Alkohol. Alkoholkonsum kann zwar das Einschlafen beschleunigen, unterdrückt dann aber den Tief- und den REM-Schlaf.
  • Keine schweren Mahlzeiten unmittelbar vor dem Schlafen. Durch eine erhöhte Magen- und Darmaktivität kann der Schlaf klar unruhiger werden.
  • Ein persönliches Einschlafritual wie zum Beispiel Lesen kann beim Einschlafen helfen. Der Schlaf sollte direkt an das Einschlafritual gekoppelt werden.
  • Eine angenehme Atmosphäre im Schlafzimmer trägt zu einem gesunden Schlaf bei. Eine Temperatur von 15 bis 18 Grad gilt im Schlafzimmer als optimal.
  • Kein Smartphone, Tablet oder Laptop direkt vor dem Schlafen. Das kurzwellige blaue Licht der Bildschirme wirkt aktivierend und senkt die Müdigkeit.
  • Ausreichend Bewegung am Tag, idealerweise im Freien und bei Tageslicht. Bewegung an der frischen Luft trägt dazu bei, dass man abends müde wird.
  • Regelmäßige Schlafenszeiten, auch an den Wochenenden. Dadurch gewöhnt sich der Körper an einen Rhythmus und passt sich auf Dauer an diesen an.
RennRad, Wintertraining, Banner

Das Wintertraining Spezial des RennRad-Magazins können Sie hier als E-Paper bestellen!


Die Schlafphasen

Die Einschlafphase

Die Einschlafphase bezeichnet den Übergang von der Wachheit zum Schlaf. Der Körper beginnt sich zu entspannen, die Atmung verlangsamt sich. Der Blutdruck und die Körpertemperatur sinken. Die Muskulatur zeigt jedoch noch ein gewisses Maß an Anspannung und der Schlaf ist nach wie vor sehr leicht. Eine gesunde Einschlafphase dauert in einem Schlafzyklus durchschnittlich etwa 20 Minuten. Insgesamt macht diese Schlafphase rund fünf Prozent der gesamten Schlafzeit aus.

Die leichte Schlafphase

In dieser Phase kommt der Körper noch mehr zur Ruhe. Die Muskulatur entspannt sich weiter, die Körpertemperatur sinkt noch einmal ab, Puls und Atmung sind sehr gleichmäßig. Der Schlaf ist allerdings immer noch leicht. Durch Störungen erwacht man schnell wieder. Die leichte Schlafphase ist die längste Schlafphase. Sie dauert in jedem Schlafzyklus in der Regel zwischen 30 und 60 Minuten. Durchschnittlich verbringt man rund 50 Prozent der gesamten Schlafenszeit in dieser Phase.

Die Tiefschlafphase

In der Tiefschlafphase befindet sich der Körper in einer sehr tiefen körperlichen Entspannung. Viele Körperfunktionen sind auf ein Minimum reduziert: Das Herz schlägt langsamer, die Atmung ist flach, die Körpertemperatur ist vergleichsweise gering. Diese Phase ist besonders wichtig für physische Reparaturprozesse, auch deshalb, weil viele Wachstumshormone ausgeschüttet werden, die für die Regeneration der Zellen und des Immunsystems entscheidend sind. Die Tiefschlafphase macht etwa 15 bis 25 Prozent der Gesamtschlafzeit aus.

Die REM-Phase

Die Abkürzung REM steht für „Rapid Eye Movement“, schnelle Augenbewegungen. In dieser Schlafphase bewegen sich die Augen unter den Lidern immer wieder schnell hin und her. Die REM-Phase ist auch als die „Traumphase“ bekannt, da in dieser Phase die intensivsten Träume auftreten, an deren Inhalt man sich beim Aufwachen auch am häufigsten erinnern kann. Im REM-Schlaf findet die unterbewusste Verarbeitung von Gedanken, Gefühlen und Ängsten statt. Die Muskelaktivität ist stark vermindert, allerdings können einige Muskeln unwillkürlich zucken. Die Atemfrequenz und die Tiefe der Atemzüge sind erhöht. Nur rund 20 bis 25 Prozent der gesamten Schlafdauer verbringt man in der REM-Phase. Mit der Verlängerung der Schlafdauer wächst auch der Anteil der REM-Schlafphase.


Schlaf & Leistung

In der Regel durchlaufen Menschen während einer Nacht vier unterschiedliche Schlafphasen, die sich immer wieder in 60- bis 90-minütigen Zyklen wiederholen. Viele der wichtigsten regenerativen Prozesse finden in den Schlafstunden sieben bis neun statt, auf die viele verzichten. Rund 75 Prozent der menschlichen Wachstumshormone werden im Schlaf freigesetzt. So etwa das anabol wirkende Hormon HGH. Gerade im Schlaf ist der Körper in einem anabolen Zustand: In diesem finden die muskulären Reparaturprozesse statt. Der Körper adaptiert sich an den Trainingsstress – in Form einer „Überkompensation“. Dies ist die Ursache der Leistungsverbesserungen durch einen Trainings-Regenerations-Prozess.

Nach einer halben Stunde Schlaf beginnt das System mit der „Erneuerung“: Wachstumshormone wie Testosteron und Somatropin, die für das Muskel- und Knochenwachstum unerlässlich sind, durchfluten nach der ersten REM-Phase den gesamten Körper und bleiben auf einem erhöhten Level im Blut, bis man wieder erwacht. Sie fördern die Proteinsynthese, die Neubildung von Proteinen, die für muskuläre Reparaturprozesse zuständig sind. Die höchste Wachstumshormon-Konzentration tritt in der Regel zwischen 22 und zwei Uhr im Körper auf. Eine verlängerte Schlafdauer hat demnach positive Wirkungen auf den Körper und die Produktion von anabolen Hormonen – wie auch auf das Gehirn und das Gedächtnis.

Studie zum Thema Schlaf bei Leistungssportlern

Mit dem Thema Schlaf bei vielbeschäftigten Athleten befasste sich auch eine Studie der Stanford University 2011. Die Forscher untersuchten Merkmale für spielerische Kompetenzen wie Sprunggeschwindigkeit, Treffsicherheit und Reaktionszeit von Basketballspielern nach jedem Training. Über vier Wochen hinweg sollten die Athleten ihre üblichen Schlafgewohnheiten beibehalten. Nach Ablauf dieser Zeit wurden die Spieler gebeten, mindestens zehn Stunden pro Nacht zu schlafen. Im Anschluss wurden die Tests erneut durchgeführt.

Das Ergebnis: Die festgestellten Leistungssteigerungen waren extrem hoch. In allen Punkten verbesserten sich die Spieler um mindestens vier Prozent – ihre Reaktionszeit verkürzte sich signifikant.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Norwegen: Die erfolgreiche Entwicklung zur Sportnation

Søren Wærenskjold, Radsport, Norwegen, Leitartikel

Norwegen hat 5,4 Millionen Einwohner –und ist eine Weltmacht. Wenn es um den Wintersport geht. 405 Medaillen gewannen norwegische Sportler bislang bei Olympischen Winterspielen, 148 davon waren goldene – mehr als jede andere Nation. Doch: Nicht nur auf Schnee und Eis werden immer mehr Norweger immer erfolgreicher. In Tokio gewannen norwegische Sportler insgesamt acht Medaillen, darunter vier goldene.

Der, nach Marktwert, „wertvollste“ Fußballspieler der Welt: Erling Braut Haaland. Der beste Schachspieler der Welt: Magnus Carlsen. Der beste 400-Meter-Hindernis-Läufer: Karsten Warholm. Der beste 1500-Meter-Läufer: Jakob Ingebrigtsen. Das beste Beachvolleyball-Duo: Anders Mol und Christian Sørum.  Die besten Triathleten: Gustav Iden und Kristian Blummenfelt. Die Heimat all dieser Athleten: Norwegen. Alexander Kristoff, Tobias Foss, der neue Überraschungs-Zeitfahr-Weltmeister, Søren Wærenskjold, der U23-Zeitfahr-Weltmeister, Tobias Halland Johannessen und Co. – auch im Profi-Radsport sind Norweger erfolgreich.

Wert und Bewertung

Letztgenannter ist einer der talentiertesten Fahrer seiner Generation weltweit: Der 23-Jährige gewann im Vorjahr die „Tour de France der U23-Fahrer“, die renommierte Tour de l’Avenir. Seine Einstandsergebnisse bei den Profis in dieser Saison: Dritter des Étoile de Bessèges, Siebter der Katalonien-Rundfahrt, Zehnter der Dauphiné Libéré. Johannessen fährt, wie auch sein Zwillingsbruder Anders und 19 weitere Norweger, für das noch junge Team Uno-X. Der Teamsitz: Oslo, Norwegen. Einen Hintergrundartikel zu diesem noch Team finden Sie in einer der kommenden RennRad-Ausgaben.

Im gesellschaftlichen Teilbereich Sport gehen Norwegen und Deutschland unterschiedliche Wege: Der Weg der Skandinavier führt bergauf – jener der Deutschen bergab. Warum? Wie fast immer gibt es auch auf diese Frage eine einfache Grob-Antwort. In einem Wort zusammengefasst lautet diese: Stellenwert. Politik, Medien und Menschen schätzen Sport und Bewegung wert. Er ist für Viele ein völlig natürlicher Teil des Alltags. Schnitt.

Ein Kontrastschwenk nach Deutschland. Einwohnerzahl: 83 Millionen – 15-Mal so viel wie Norwegen. Die Entwicklung der deutschen Sommer-Olympia-Medaillen-Bilanz seit 1992: 82, 65, 56, 49, 41, 44, 42, 37. Diese Entwicklung bezieht sich nicht nur auf den Spitzensport, sondern beginnt schon viel früher: Anfang der 1990er-Jahre wurden an Deutschlands Haupt- und Realschulen noch bis zu vier Stunden Sport pro Woche unterrichtet – heute liegen die Durchschnittswerte zwischen 2,2 und 2,4 Stunden. In elf der 16 Bundesländer wurde der Sportunterricht an Grundschulen auf zwei Stunden gekürzt. Davon fällt rund jede vierte aus.

RennRad 11-12/2022, Heftinhalt, Inhalt, Einblicke

Hier können Sie die RennRad 11-12/2022 als Printmagazin oder E-Paper bestellen

Sport als Investment

Hierzulande gilt für viele: Sport beziehungsweise Leistungssport ist ein Investment. Er kostet Geld und vor allem Zeit. Wer als Eltern ein ambitioniert Sport treibendes Kind hat – von zweien oder mehr gar nicht erst zu reden – der hat vor allem eines nicht mehr: Zeit. Hinfahren, warten, abholen. Dies ist, zumindest wenn man auf dem Land lebt, der Rhythmus, der den Alltag, der einen großen Teil des Lebens bestimmt.

Ein weiterer Faktor: der zunehmende Druck und die Verschulung der Kindheit und Jugend. 47,9 Prozent der deutschen Schüler gehen auf Ganztages-Schulen, in Hamburg sind es 93,4 Prozent. Die Bologna-Reformen „verlängerten“ die Verschulungsstruktur bis zum „Bachelor-Abschluss“. Die in Bildungseinrichtungen verbrachte Zeit steigt massiv an – die Freiheitsgrade nehmen ab. Frühe Arbeitsmarktreife über alles – ganz im Sinne einer, Zitat Angela Merkel, „marktkonformen Demokratie“.

Sportarten und Spiele

Während der Pandemie und der Lockdownphasen verloren 44 Prozent der deutschen Sportvereine Mitglieder, 35 Prozent verloren ehrenamtliche Trainer und Helfer. Dies sind Ergebnisse der „8. Welle des Sportentwicklungsberichts“, der im Januar 2021 veröffentlicht wurde. Dafür wurden Vertreter von mehr als 20.000 der rund 90.000 Sportvereine in Deutschland befragt. „Je länger Sportvereine ihrem Zweck nicht nachkommen dürfen, desto schwächer wirken sie als stabilisierendes Element der Gesellschaft“, sagt der Studienleiter Professor Christoph Breuer. „Es geht sozialer Kitt verloren, der gerade in einer individualisierten Zuwanderungsgesellschaft von Bedeutung ist. Damit treffen die Folgen nicht nur die Vereinsmitglieder, sondern die gesamte Gesellschaft.“

In Norwegen sind Sport und Bewegung primär einmal: nichts Spezielles, nicht zielgerichtet, sondern einfach nur ein Teil des Alltags. Das Konzept dahinter lautet: „Freude am Sport für alle.“ Kinder und Jugendliche, die Talent für eine Sportart zeigen, werden nicht sofort in eine Leistungssport- und „Elite“-Richtung gedrängt. Stattdessen werden sie angehalten und ermutigt, sich auszuprobieren. Spielerisch. Sie können, und sollen, so viele Sportarten wie möglich betreiben. Zum einen.

Zum anderen sollen dabei die Kosten für die Eltern so niedrig wie möglich gehalten werden. Vereine dürfen für Kinder unter 13 Jahren keine Ranglisten führen oder gar Spielergebnisse aufzeichnen – und es gibt keine Einzelwertungen oder nationalen Meisterschaften für diese Altersgruppe. All dies ist in Norwegens „Kinderrechte im Sport“ geregelt, einem zwölfseitigen Dokument, in dem es heißt, dass „Kinder jedes Mal, wenn sie am Sport teilnehmen, eine positive Erfahrung machen sollten“.

Chancen und Ziele

Vielversprechende Jugendliche können sich, wenn sie wollen, auf eine bestimmte Sportart spezialisieren – und werden dabei unter anderem von erfahrenen Trainern unterstützt. Doch selbst Top-Talente bleiben oftmals sehr lange „Multisportler“. So konzentrierte sich etwa Karsten Warholm erst ab einem Alter von 20 Jahren auf den Hürdenlauf. Vorher nahm er jahrelang regelmäßig an Zehnkämpfen teil. Per Strand Hagenes, 19, eines der Top-Talente des Radsports, Junioren-Weltmeister 2021 und ab 2024 Profi im Weltklasseteam Jumbo-Visma, war lange vor allem Skilangläufer. Erst 2020 wechselte er von den Skiern aufs Rennrad. Weitere Hintergründe zu ihm und anderen Mega-Talenten finden Sie in einem der nächsten RennRad-Magazine.

Vereine bilden das Rückgrat des norwegischen Sports. Im ganzen Land gibt es mehr als 12.000 Vereine, die fast ausschließlich von Ehrenamtlichen geführt werden. Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Norweger in ihrer Kindheit einem Verein angehörten. Rund die Hälfte aller Jugendlichen sind aktive Vereinsmitglieder. Dem „Norwegischen Sportbund“ unterstehen 55 Sportverbände sowie das Norwegische Olympische Komitee. Finanziert wird das Ganze größtenteils durch die nationale „Lotterie Norsk Tipping“, die 64 Prozent ihrer Einnahmen, rund 400 Millionen Dollar jährlich, für den Sport bereitstellt. Käufer von Lotterielosen können zudem je einfach sieben Prozent ihres Wetteinsatzes an einen zuvor ausgewählten Verein spenden.

„Die norwegische Mentalität besagt, dass man Kindern die Chance geben sollte, Kinder zu sein“, sagt Tor Arne Hetland, der Skilanglauf-Olympiasieger von 2002 und aktuelle Skilanglauf-Nationaltrainer: „In vielen Ländern fahren die Eltern die Kinder zum Training. In Norwegen trainieren die Eltern oft zusammen mit den Kindern.“ Er probierte als Kind etliche, teils sehr unterschiedliche Sportarten aus, unter anderem: Skifahren, Sprinten, Diskuswerfen, Speerwurf, Fußball. Selbst auf der Elite-Ebene sei das Training in Norwegen weit weniger „streng“ als in vielen anderen Ländern, sagt Hetland. „Wenn man die Fähigkeiten und die Leidenschaft vermittelt, entwickeln sich die Athleten selbst. Die Sportler coachen sich teilweise selbst – wobei die Trainer eher als Mentoren und weniger als Diktatoren fungieren.“

Norwegen als Vorbild

Auch Norwegen erlebte einen sportlichen Niedergang – wie etwa auch Australien und Großbritannien, deren Wege zurück nach oben in dem Leitartikel der Ausgabe 10/2021 thematisiert werden: 1988, bei den Olympischen Winterspielen in Calgary holten die norwegischen Athleten nur fünf Medaillen – dreimal Silber und zweimal Bronze.

Dies war der Tief- und der Umkehrpunkt. Die Sportförderung und das Sportkonzept wurden umgestellt. Die Vereine wurden viel stärker gefördert – und das Elitesportzentrum „Olympiatoppen“ gegründet. Als Norwegen 1994 die Olympischen Spiele in Lillehammer ausrichtete, war das Land wieder unter den besten drei Nationen. Die Bilanz: 26 Medaillen – darunter zehn goldene. Seitdem hat die kleine Nation bei den Spielen 2002, 2014 und 2018 den Medaillenspiegel angeführt.

Was für eine Wende. Was für ein Weg. Was für eine Sport-Alltags-Verwobenheit. Was für ein Vorbild.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 11-12/2022Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Leitartikel von Chefredakteur David Binnig aus 2022

Tour de France 2023: Strecke und Etappen in der Analyse

Tour de France 2023, Strecke, Etappen, Vorschau

Es ist eines der legendärsten Bilder der 120-jährigen Tour-Geschichte: Jacques Anquetil, der Dominator, und Raymond Poulidor, sein Herausforderer, fahren Seite an Seite, Ellenbogen an Ellenbogen, bergauf. Das Ziel liegt auf dem Puy de Dome, einem erloschenen Vulkan im Zentralmassiv. Raymond Poulidor zieht kurz vor dem Ziel davon. Dennoch verpasst er das Gelbe Trikot um 14 Sekunden. In Paris gewinnt Anquetil 1964 zum fünften Mal die Tour. Poulidor wird sie nie gewinnen und nie das Gelbe Trikot tragen. Der Puy de Dome ging mehrmals in die Sport-Geschichte ein. 1988 endete letztmals eine Etappe dort. Der Bau einer Zahnradbahn auf den Gipfel schmälerte die Straße so weit, dass der Tour-Tross nicht mehr hinaufkam. 2023 kehrt der Anstieg nun zurück auf den Streckenplan. Diese neunte Etappe wird wohl ein Highlight der Tour de France 2023 sein.

Eine Tour, die wohl vom stärksten Bergfahrer gewonnen werden wird. Die Strecke führt durch viele große Gebirge Frankreichs. Es stehen vier Bergankünfte und vier weitere Bergetappen auf dem Programm. Dafür gibt es nur ein Einzelzeitfahren – und auch dieses kommt den Bergfahrern entgegen. Die 22 Kilometer führen über die Côte des Soudans und die Côte de Domancy. Dieser Anstieg war bereits 2016 Teil eines Zeitfahrens – Chris Froome siegte vor Tom Dumoulin und baute seine Führung in der Gesamtwertung aus. „Für Bora-Hansgrohe ist die Strecke eher positiv, weil wir nicht unbedingt die Zeitfahrspezialisten im Aufgebot haben“, sagte der Teamchef der deutschen Bora-hansgrohe-Equipe, Ralph Denk, bei der Präsentation der Strecke.

Beginn der Tour de France 2023 im Baskenland

Der Beginn der Tour im Baskenland weist mehrere hügelige Etappen auf. Einige Abschnitte kennen die Fahrer von der Clásica San Sebastián.

Zu einem frühen Zeitpunkt – am Ende der ersten Woche – erreicht das Feld die Pyrenäen. Die beiden Etappen dort wurden von den Organisatoren etwas „entschärft“ – zwar steht der Col du Tourmalet erneut auf dem Programm, doch eine frühe Vor-Selektion soll wohl noch verhindert werden. Diese steht mit dem Puy de Dôme im Zentralmassiv und vor allem mit den extrem anspruchsvollen Alpen-Etappen zum Abschluss der zweiten Woche an.

Die 14. und die 15. Etappe weisen jeweils rund 4500 Höhenmeter auf. Auf die legendären Anstiege wie den Col du Glandon, den Galibier oder den Madeleine verzichtet die Tour 2023. Mit dem Col de Joux-Plane steht dennoch einer der schwierigsten Pässe auf dem Programm. Die Daten der Auffahrt: 11,8 Kilometer, 8,6 Prozent Durchschnittssteigung.

Tour de France 2023: Alpen und Vogesen

Am folgenden Tag führt die Strecke über teils „unbekanntere“ Pässe der Savoyer Alpen – den Col de la Forclaz de Montmin, den Col de la Croix Fry, den Col des Aravis und zum Abschluss hinauf nach Saint-Gervais am Mont-Blanc-Massiv. Die Zahlen des Schlussanstiegs: 7,2 Kilometer, 7,7 Prozent Steigung. In der dritten Woche steht unter anderem der Col de la Loze an. Dort gewann 2020 Miguel Ángel López bei der ersten Befahrung des Anstiegs nahe Courchevel.

Das Finale ist besonders – und passt zur gebirgigen Ausrichtung der Tour 2023: eine 130 Kilometer lange Etappe durch die Vogesen – fast ohne flache Abschnitte. Es ist nahezu die Kopie einer Etappe der Tour de France Femmes des vergangenen Jahres. Annemiek van Vleuten gewann dort mit mehr als drei Minuten Vorsprung. Die Anstiege: Ballon d’Alsace, Col de la Croix des Moinats, Col de Grosse Pierre, Col de la Schlucht, Petit Ballon und Col du Platzerwasel.

Bis zum Ziel in Le Markstein legen die Fahrer 3600 Höhenmeter zurück. Hier können noch einmal große Zeitabstände entstehen. Vielleicht kommt es dort erneut zum Zweikampf zwischen Jonas Vingegaard und Tadej Pogačar. „Titelverteidiger der Tour zu sein ist immer schwierig, aber ich bin bereit für diese Herausforderung, und habe jetzt die Erfahrung des Siegers auf meiner Seite“, sagte Vingegaard nach der Vorstellung der Route. Tadej Pogačar bilanzierte: „Ich mag die Strecke sehr. Es wird mit der harten ersten Woche im Baskenland von Anfang an ein schweres Rennen. Die frühen harten Anstiege machen die Tour noch interessanter.“

Eine Frage ist, ob ein dritter potenzieller Top-Konkurrent an den Start gehen wird: Remco Evenepoel, das „Wunderkind“, der Vuelta-Sieger und Weltmeister 2022. Er könnte, ebenso wie der Tour-Dritte des Vorjahres, Geraint Thomas, angesichts der wenigen Zeitfahrkilometer den Giro d’Italia der Tour vorziehen.

Französische Mitfavoriten?

Die extrem bergige Tour-Strecke könnte auch den französischen Top-Fahrern zugutekommen. Fahrer wie Guillaume Martin, David Gaudu und Romain Bardet gelten seit Jahren als, in der Relation, eher zeitfahrschwach. Sie alle sind fast reine Bergspezialisten. Die Sprinter dagegen müssen länger als üblich auf die ersten Sieg-Gelegenheiten warten. Erst während der dritten und der vierten Etappe werden sie wahrscheinlich den Sieg unter sich ausmachen.

Die wenigen Flachetappen liegen einzeln verstreut über die insgesamt 21 Tagesabschnitte mit insgesamt 3404 Kilometern verteilt – mehr als fünf oder sechs Chancen werden die Sprinter bis zum Highlight auf den Champs-Elysées wohl nicht haben. Für die Sprinter und Rouleure wird die Tour de France 2023 voraussichtlich vor allem eine Tour der Leiden werden.

Die Etappen der Tour de France 2023

Etappennummer Datum Wo wird gefahren Streckenlänge
1. Etappe 1. Juli 2023 Bilbao – Bilbao 182 km
2. Etappe 2. Juli 2023 Vitoria-Gasteiz – Saint-Sébastian 209 Kilometer
3. Etappe 3. Juli 2023 Amorebieta-Etxano – Bayonne 185 Kilometer
4. Etappe 4. Juli 2023 Dax – Nogaro 182 Kilometer
5. Etappe 5. Juli 2023 Pau – Laruns 165 Kilometer
6. Etappe 6. Juli 2023 Tarbes – Cauterets-Cambasque 146 Kilometer
7. Etappe 7. Juli 2023 Mont-de-Marsan – Bordeaux 170 Kilometer
8. Etappe 8. Juli 2023 Libourne – Limoges 201 Kilometer
9. Etappe 9. Juli 2023 Saint-Léonard-de-Noblat – Puy de Dôme 184 Kilometer
Ruhetag 10. Juli 2023 Clermont-Ferrand  
10. Etappe 11. Juli 2023 Vulcania – Issoire 167 Kilometer
11. Etappe 12. Juli 2023 Clermont-Ferrand – Moulins 180 Kilometer
12. Etappe 13. Juli 2023 Roanne – Belleville-en-Beaujolais 169 Kilometer
13. Etappe 14. Juli 2023 Châtillon-sur-Chalaronne – Grand Colombier 138 Kilometer
14. Etappe 15. Juli 2023 Annemasse – Morzine Les Portes du Soleil 152 Kilometer
15. Etappe 16. Juli 2023 Les Gets – Saint-Gervais Mont-Blanc 180 Kilometer
Ruhetag 17. Juli 2023 Saint-Gervais-les-Bains  
16. Etappe 18. Juli 2023 Passy – Combloux | Einzelzeitfahren 22 Kilometer
17. Etappe 19. Juli 2023 Saint-Gervais Mont-Blanc – Courchevel 166 Kilometer
18. Etappe 20. Juli 2023 Moûtiers – Bourg-en-Bresse 186 Kilometer
19. Etappe 21. Juli 2023 Moirans-en-Montagne – Poligny 173 Kilometer
20. Etappe 22. Juli 2023 Belfort – Le Markstein Fellering 133 Kilometer
21. Etappe 23. Juli 2023 Saint-Quentin – Paris Champs-Élysées 115 Kilometer

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2023Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Team Bora-hansgrohe vor der WorldTour-Saison 2023

Team Bora-hansgrohe, Bora, Radsport, WorldTour, Vorschau

Hochkommen ist einfach, oben bleiben eine Herausforderung,“ sagt Ralph Denk, Teamchef des deutschen WorldTour-Rennstalls Bora-hansgrohe und weiß um den Druck, der auf der Mannschaft und seinen Fahrern lastet, wenn mit der Tour Down Under in Australien bereits Mitte Januar die neue Straßensaison beginnt. „Mittelfristig wollten wir eine Grand Tour gewinnen. Dass es dann gleich die erste (des Jahres) sein wird, das hat uns überrascht“, erinnert Denk an den Triumph im Giro.

Im Mai 2022 feierte Bora-hansgrohe mit Jai Hindley als Gesamtsieger des Giro d`Italia den größten Erfolg seit Bestehen der Mannschaft. Zu Jahresbeginn hatte man noch vorsichtig optimistisch erklärt, man wolle in den Grand Tours am Gesamtklassement kratzen. Dass es gleich zum ersten Triumph einer dreiwöchigen Rundfahrt reichen würde, ahnte da noch niemand. In diesem Jahr wird Hindley nicht den Giro, sondern die Tour bestreiten, während Alexandr Vlasov, 2022 Fünfter der Tour, beim Giro um das Rosa Trikot fahren soll. „Wir hatten die Mannschaft seit Oktober auf unsere Ziele eingeschworen und wollen uns den Herausforderungen stellen“, sagt Denk.

Emanuel Buchmann bei der Tour de France 2023?

In der Tour de France bekommt neben Hindley auch der Tour-Vierte von 2019, Emanuel Buchmann, als Co-Kapitän seine Chance. „Bei Emu ist vorgesehen, dass er sich für die Tour qualifizieren soll. Mit einer Ein-Kapitän-Strategie wird es schwer, weil man in Frankreich mit (Tadej) Pogacar und (Jonas) Vingegaard sowieso zwei vor sich hat. Da fährt man um den dritten Podiumsplatz“, sagte Sportdirektor Rolf Aldag in einer Pressekonferenz auf Mallorca vor Jahresbeginn.

„Es ist vorstellbar, wieder eine Mehrpersonenstrategie zu fahren, wie wir es beim Giro letztes Jahr auch anfangs gemacht haben“, sagte Aldag und betont, dass Hindley die Nummer 1 in der Tour werden soll. „Emu (Buchmann) wird aber ganz bestimmt auch seine Chancen bekommen und wir glauben weiter an ihn“, betonte Aldag. In Frankreich will man aber nicht alles dem Klassement unterordnen. „Wir werden mit gemischter Zielsetzung zur Tour fahren, denn wir können nicht sechs bis acht Sprintetappen ignorieren. Der Trend geht dazu, mit Sam Bennett als Sprintkapitän in Frankreich anzutreten“, so Aldag. Derzeit stehen 16 Fahrer im vorläufigen Tour-Aufgebot von Bora-hansgrohe.

Lennard Kämna und der Giro d‘Italia

Lennard Kämna, der im letzten Jahr u.a. als Etappensieger im Giro überzeugte, wird auch 2023 wieder den Giro unter die Räder nehmen. „Sein Fokus liegt auf dem Giro. Für ihn ist es weiter ein Entwicklungsprozess. Wir wollen gucken, wie weit er kommt, um dann innerhalb der Rundfahrt eine Entscheidung zu treffen“, blickt Aldag auch aufs Gesamtklassement. „Lenny hat Zeitfahr-Qualitäten und es gibt viele Zeitfahren beim Giro. Die Berge liegen ihm dort auch.“

Nachdem das Jahr 2022 bei Maximilian Schachmann eher zum „abhaken“ war, blickt der 29-Jährige jetzt voller Optimismus auf die neue Saison. Weil er wegen gesundheitlichen Problemen früher als sonst in die Saisonpause ging, beginnt das Jahr 2023 für ihn früher als in den letzten Jahren. Schon Anfang Januar reiste der Berliner mit Wohnsitz am Gardasee nach Australien zur Tour Down Under „Ich habe mich in den letzten Wochen im Training richtig gut gefühlt, ich sehe Fortschritte und schaue nach vorn. Aber Training und Rennen fahren sind zwei Paar Schuhe,“ weiß Schachmann, der in dieser Saison auch die Klassiker Mailand-Sanremo und Flandern-Rundfahrt bestreiten will und nicht nur in den Ardennen sein Können demonstrieren will.

Nils Politt und Marco Haller als Klassiker-Spezialisten

In Flandern und bei Paris-Roubaix sind die Augen aber auf Fahrer wie Nils Politt und Marco Haller gerichtet. „Wir hatten im letzten Frühjahr große gesundheitliche Probleme in der Mannschaft. Das Team hat trotzdem große Moral beweisen. Wenn sie diese psychische Stärke jetzt in die neue Klassikersaison mitnehmen, wird das spannend,“ sagt Aldag.

Der Sportdirektor sieht Top-Fahrer wie Wout van Aert oder Mathieu van der Poel in die Klassikern vorn, sein Team kann den Rennen aber dennoch wichtige Impulse geben. „Wir kommen über die Breite. Das macht es interessant,“ sagt Aldag.

Valverde, Nibali, Dumoulin, Gilbert – Karriereende von vier Radsport-Legenden

Radsport, Vincenzo Nibali, Alejandro Valverde, Philippe Gilbert, Tom Dumoulin, Karriereende

Vor 25 Jahren holte er seine erste Medaille: Er wurde spanischer Vize-Zeitfahrmeister der U19-Klasse. 2002 wurde er Rad-Profi. Und blieb es 20 Jahre lang. Viele sehen ihn als einen der ganz Großen des Radsports – andere, aufgrund seiner Vergangenheit, nicht. Schon in seiner zweiten Profi-Saison, 2003, wurde er Vize-Weltmeister im Straßenrennen – hinter seinem spanischen Landsmann Igor Astarloa. Und: Er gewann gleich zwei Etappen der Vuelta. Es waren die ersten von 18 Grand-Tour-Etappensiegen seiner langen, langen Karriere. 2009 gewann er die Vuelta-Gesamtwertung. Nun, nach der aktuellen Saison, ist seine Karriere vorbei. Auch in diesem Jahr holte Alejandro Valverde – mit 42 Jahren – noch Top-Resultate: Vierter der Route d‘Occitanie, Elfter des Giro, Dreizehnter der Vuelta, Zweiter des Flèche Wallonne und von Strade Bianche, Siebter von Lüttich-Bastogne-Lüttich, Zweiter der Coppa Agostoni, Dritter beim Tre Valli Varesine, Sieger des Gran Camino.

In jedem Jahr beenden etliche Rad-Profis ihre Karrieren – doch in diesem Jahr kommt es fast zu einer Art Zeitenwende. Gleich mehrere prägende Fahrer einer ganzen Generation treten ab. Eine neue Generation hat längst „die Macht“ übernommen – die Generation der Top-Talente um Tadej Pogačar, Remco Evenepoel, Juan Ayuso, Tom Pidcock und etliche andere. Sie werden zukünftig die Rennen prägen. So wie die Generation der Top-Fahrer vor ihnen. Eine Generation, die teils die großen Doping-Skandale des Radsports erlebt und überdauert hat – und teilweise darin verwickelt war.

Vier Große treten ab

Im Jahr 2022 traten vier Fahrer von der Bühne ab, die für die Radsport-Geschichte stehen: mit Philippe Gilbert und Alejandro Valverde zwei Weltmeister – und mit Vincenzo Nibali und Tom Dumoulin zwei Grand-Tour-Gewinner.

Es sind ganz unterschiedliche Rennfahrertypen, die 2022 ihre letzten Rennen bestritten.

Radsport, Vincenzo Nibali, Alejandro Valverde, Philippe Gilbert, Tom Dumoulin, Karriereende

 

Radsport, Vincenzo Nibali, Alejandro Valverde, Philippe Gilbert, Tom Dumoulin, Karriereende

 

Radsport, Vincenzo Nibali, Alejandro Valverde, Philippe Gilbert, Tom Dumoulin, Karriereende

 

Radsport, Vincenzo Nibali, Alejandro Valverde, Philippe Gilbert, Tom Dumoulin, Karriereende

 

Die Karriere von Philippe Gilbert

Der Belgier Philippe Gilbert war über Jahre hinweg einer der erfolgreichsten Klassiker-Fahrer überhaupt: Bis auf Mailand-Sanremo hat der inzwischen 40-Jährige alle Monumente des Radsports gewonnen, die Lombardei-Rundfahrt sogar zweimal, 2009 und 2010. Zu den Höhepunkten seiner Laufbahn zählen auch der Gewinn von Paris-Roubaix 2019, der Flandern-Rundfahrt 2017 und von Lüttich-Bastogne-Lüttich 2011. „Das war aus meiner Sicht der größte Erfolg meiner Laufbahn“, sagt er. „Es war magisch, als Kind dieser Region La Doyenne zu gewinnen.“ Aber natürlich war auch der Erfolg bei der Ronde etwas Besonderes. „Ein Wallone, der in Flandern gewinnt, das ist etwas Unglaubliches“, sagte Gilbert im Ziel.

2012 holte er sich – in Valkenburg, nicht weit von seiner Heimat, am berühmten Cauberg – das gestreifte Trikot des Straßen-Weltmeisters. Der Cauberg, dies ist sein Revier. Die Daten des Anstiegs: 1,2 Kilometer, 66 Höhenmeter. Viermal gewann er das Amstel Gold Race an fast gleicher Stelle. Nun freut er sich darauf, im kommenden Jahr als Zuschauer am Streckenrand zu stehen. Konkrete Pläne für sein Leben nach dem Profi-Radsport hat er noch nicht verkündet.

Die Laufbahn von Tom Dumoulin

Genauso wenig wie der Niederländer Tom Dumoulin, der bereits im August für viele überraschend seine Laufbahn beendete. Es war ein Abschied auf Raten, denn schon im Januar 2021 hatte er eine Pause eingelegt – und das erste Trainingslager der neuen Saison verlassen, da er sich ausgebrannt fühlte. „Mir wurde der Druck zu viel, der auf mir lastete, man erwartete zu viel von mir“, begründete er den Schritt.

Im Sommer 2021 kehrte er zurück, nahm an der Tour de Suisse teil und wurde in Tokio Olympia-Zweiter im Einzelzeitfahren hinter Primož Roglič. Trotz dieser Silbermedaille nahm die Karriere des Niederländers nie wieder richtig Fahrt auf: Am 30. Juli startete er noch einmal bei der Clásica San Sebastián, stieg vorzeitig vom Rad und verkündete anschließend endgültig sein Karriereende. Seine beste Saison hatte der heute 32-Jährige 2017, als er im Mai den Giro d’Italia vor Nairo Quintana und Vincenzo Nibali gewann und wenige Monate später in Bergen, Norwegen, Doppel-Weltmeister wurde: Im Teamzeitfahren und im Einzelzeitfahren, bei dem er nach der flachen Passage spektakulär am Anstieg zum Berg Fløyen seine Zeitfahrmaschine gegen ein normales Rennrad tauschte.

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Karriereende von Vincenzo Nibali

Mit Vincenzo Nibali tritt ein anderer Grand-Tour-Gewinner ab. Der Italiener, den sie den „Hai von Messina“ nannten, blickte auf 18 Profijahre zurück, als er bei der Lombardei-Rundfahrt als Achtzehnter über den Zielstrich fuhr. Ein dritter Triumph im Rennen der fallenden Blätter, das er zweimal, 2015 und 2017 gewann, war ihm nicht vergönnt. Den Siegerpokal von Mailand-Sanremo nahm er 2018 entgegen. Im Verlauf von elf Starts gewann er bei seiner Heimatrundfahrt, dem Giro d’Italia, sieben Etappen. Dazu sechs bei der Tour de France. Er ist einer von sieben Fahrern, denen es gelang, alle drei Grand Tours zu gewinnen. Die anderen sind: Felice Gimondi, Jaques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault, Alberto Contador und Chris Froome.

2010 feierte er den Gesamtsieg bei der Vuelta a España, drei Jahre später jubelte er über seinen ersten Erfolg beim Giro d’Italia, dem er 2016 den zweiten folgen ließ. Dazwischen kam es 2014 zu seinem Sieg bei der Tour de France. Immer, wenn es wichtig war, wenn es um die großen Siege ging, galt: Vincenzo Nibali ist da – und in absoluter Top-Form.

Den Zeitpunkt der Verkündung seines Abschieds vom aktiven Sport hat er sehr bewusst gewählt. Er tat es im Mai nach der fünften Etappe des Giro d’Italia, die in seiner Heimatstadt Messina auf Sizilien endete. „In meiner Stadt, in der Umgebung, in der ich aufgewachsen bin und mit dem Rennradfahren angefangen habe. Auf den Straßen, auf denen ich trainiert habe, möchte ich verkünden, dass dies mein letzter Giro d’Italia ist“, sagte er mit Tränen in den Augen. Am Ende fuhr er auf Rang vier.

Im letzten Jahr seiner Karriere konnte er nicht mehr ganz die Erfolge feiern, die er sich zum Saisonbeginn noch gewünscht hatte, aber der inzwischen 38-Jährige musste niemandem mehr etwas beweisen. Zu groß ist seine Erfolgsbilanz.

Alejandro Valverde verlässt das Profi-Peloton

Neben Nibali verlässt noch ein anderer „Patron“ das Profi-Peloton: Alejandro Valverde. Keiner hat mehr Grand Tours bestritten als der Mann aus Murcia. 32-mal ist er bei der Tour, dem Giro und der Vuelta gestartet – 26-mal kam er ins Ziel, 20-mal fuhr er in die Top Ten: ein Rekord-Wert. Allein siebenmal stand er bei Weltmeisterschaften auf dem Podium – 2018 in Innsbruck endlich ganz oben, als Weltmeister. Sein Lieblingsrennen: La Flèche Wallonne, jener belgische Klassiker, an dessen Schlussanstieg schon so viele große Namen gescheitert sind. Die Daten der legendären „Mauer von Huy“: 1,4 Kilometer, 129 Höhenmeter, 9,2 Prozent Steigung. Jahrelang war er, der Puncheur, hier quasi unschlagbar. Er siegte hier fünfmal – das erste Mal 2006, das letzte Mal 2017.

Die dunkle Seite seiner langen Karriere: Wegen seiner Verstrickung in die Puerto-Dopingaffäre wurde er 2010 und 2011 gesperrt. Was für viele das Karriereende bedeutet hätte, war für ihn nur eine Unterbrechung: Mit einem Etappensieg bei der Tour de France 2012 meldete er sich zurück und fuhr danach noch weitere zehn Jahre auf Weltniveau. Geläutert? Die große Leidenschaft für den Radsport nannte Valverde einmal als das Geheimnis seines Erfolges. „Man muss immer hart an seiner Form und Ausdauer arbeiten und darf nie die Leidenschaft verlieren.“

RennRad 1-2/2023, Banner

Hier können Sie die RennRad 1-2/2023 als Printmagazin oder E-Paper bestellen

Die vier Radsport-Legenden im Vergleich

Tom Dumoulin Philippe Gilbert Vincenzo Nibali Alejandro Valverde
Geburtsjahr 1990 1982 1984 1980
Profijahre 11 21 18 21
Siege 22 80 52 133
Grand-Tour-Teilnahmen 14 25 27 32
Grand-Tour-Gesamtsiege 1 0 4 1
Grand-Tour-Etappensiege 9 11 15 17
WM-Titel 2 1 0 1
Monument-Siege 0 5 3 4

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2023Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

Neuaufbau der Form nach einer Trainingspause: Tipps und Pläne

Neuaufbau, Form, Training, Trainingstipps

Die Pause ist die Zeit vor dem Neubeginn beziehungsweise in Sachen Training: vor dem Neuaufbau. Viele Athleten legten nach dem Rad-Saison-Ende eine mehrwöchige Pause ein. Danach beginnt der Zyklus von Neuem: Der Weg zur Top-Form – zum Erreichen der eigenen Ziele. Inzwischen trainieren Viele bereits wieder draußen auf dem Rennrad, Gravel-, Cross- oder Mountainbike – oder drinnen auf dem Rollen-Trainer. Für Andere geht es noch darum, wieder in einen strukturierten Trainingsalltag hineinzufinden.

Doch unmittelbar vor Weihnachten, an den Feiertagen und zum Jahreswechsel fällt es vielen Athleten schwer, sich zum Training zu motivieren. Dabei bieten gerade diese Tage die Gelegenheit, umfangreichere Trainingseinheiten zu absolvieren. Draußen, auf dem Rad, in Joggingschuhen oder bei Schnee in den Bergen beim Wintersport.

Regeneration und Grundlage

Durch den Arbeits- und Familienalltag sowie die früh einsetzende Dunkelheit fällt das Wintertraining in der Regel oft kurz aus. Die Trainingseinheiten auf einem Smarttrainer sind meist recht intensiv und dauern selten länger als eine Stunde. Längere, ruhige Trainingseinheiten werden von vielen Hobbyathleten im Winter teils vernachlässigt.

Mit einem Grundlagen-Trainingsblock über die Weihnachtsfeiertage und zum Jahreswechsel kann man den bereits erarbeiteten Trainingszustand stabilisieren. Zudem bringen längere Touren draußen, in der Natur, auch Abwechslung in den Sport-Alltag und erhöhen die Motivation für den weiteren Trainingsaufbau.

Ein weiterer Vorteil der langen Grundlageneinheiten: Die Fettverbrennung ist bei langen ruhigen Touren, in der Relation, stark ausgeprägt. Wichtig ist dabei, dass die Intensität nicht zu hoch ist – ansonsten verlässt man schnell den angestrebten Fettstoffwechselbereich. Zudem braucht man bei einem intensiveren Training auch mehr Sauerstoff und atmet durch den Mund tiefer ein. Die kalte Luft gelangt dadurch tiefer in die Lunge und kann im Negativ-Fall das Infekt-Risiko erhöhen. Vor allem Radsportler, die in den Vorwochen überwiegend Indoor trainiert haben, sollten sich langsam an die kalte Atemluft gewöhnen und anfangs möglichst durch die Nase atmen.

Test Spezial 2023, Banner, Test, Kaufberatung

Hier können Sie das Test Spezial 2023 des RennRad-Magazins als E-Paper bestellen

Alternativsportarten

In Sachen Grundlageneinheiten kann man auch auf verschiedene Alternativsportarten ausweichen. Bei Vielen machen das Alternativ- und das Krafttraining im Winter einen großen Teil des Trainingsumfangs aus.

Als Alternativsportarten bieten sich vor allem Nordic Walking, Laufen, Schwimmen, Ski-Langlauf, Skitouren und Skirollern an. Bei einigen dieser Sportarten muss man den Oberkörper über den Rumpf deutlich stärker stabilisieren als beim Radfahren. Das Einbeziehen und Trainieren der Oberkörpermuskulatur ist wichtig für die Prävention und auch auf dem Rad ein Leistungsfaktor.

Prävention und Motivation

Bei anderen Sportarten werden, gerade am Oberkörper, deutlich mehr Muskelgruppen beansprucht als beim Radfahrern. Durch diese Kombination aus Alternativ- und Krafttraining kann idealerweise auch verhindert werden, dass sich während der folgenden Radsaison muskuläre Beschwerden oder Dysbalancen einstellen.

Zudem spielt auch die mentale Komponente eine große Rolle. Trainiert man im Winter ausschließlich Indoor auf einem Smarttrainer, besteht die Gefahr, dass im Frühjahr und im Sommer die Motivation nachlässt. Nach ein paar Wochen mit alternativen Trainingsinhalten freut man sich dagegen oftmals umso mehr auf das Radfahren im Frühjahr. Die Bewegung an der frischen Luft und in der Natur – ohne konkrete Trainingsvorgaben – bringt Spaß, neue Reize und Abwechslung in den Trainingsalltag.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2023. Dort finden Sie auch ausführliche Trainingspläne, um Ihre Form über den Winter optimal neu aufzubauen. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.


Stefan Kirchmair gewann unter anderem die Granfondo Weltmeisterschaft, den Dreiländergiro und zweimal den Ötztaler Radmarathon. Als Radtrainer mit A-Lizenz trainiert er etliche Amateur- und Hobbyathleten. Mehr zu Stefan Kirchmair auch auf www.kirchmair-cycling.com sowie auf der entsprechenden Facebookseite. Seine Online-Race-Community finden Sie unter anderem auf Strava.