Monat: Januar 2021

Kommentar: Cyclocross in Deutschland

Wout van Aert, Mathieu van der Poel, Cyclocross, Cross, WM

Cyclocross führt in Deutschland seit Jahren ein Schattendasein. Und das nicht erst seit die erfolgreichen Zeiten der Weltmeister Klaus-Peter Thaler und Mike Kluge in den 1980er- und frühen 90er-Jahren vorbei sein. Hanka Kupfernagel wurde zwischen 2000 und 2008 vier Mal Weltmeisterin, Philipp Walsleben wurde U23-Weltmeister im Jahr 2009. Noch immer liegt Deutschland im Medaillenspiegel bei Cross-Weltmeisterschaften mit 14 Gold-, 18 Silber und 11 Bronze-Medaillen auf dem vierten Rang.

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Cyclocross: Früher eine Erfolgsgeschichte

Diese Erfolgsgeschichte hätte man weiter schreiben können. So wie unsere Nachbarn Belgien und die Niederlande, die genau in dieser Zeit die Weichen gestellt haben für eine erfolgreiche Entwicklung des Cross-Sports. Die Aussage des Bundes Deutscher Radfahrer, der Cross-Sport sei nicht olympisch und damit nicht förderungswürdig, wird dort gänzlich anders gesehen. Dort wurde insbesondere auf die aufstrebende Disziplin Cyclocross gesetzt. In anderen Ländern wie den USA zieht man nach.

Weltweit haben sich die Fahrrad-Hersteller auf den Cyclocross Sport eingestellt und neue Cyclocross Räder entwickelt. Zudem hat die UCI die Weltcup-Rennen auf dem amerikanischen Kontinent ausgebaut und es wurden die ersten Weltmeisterschaften in den USA ausgetragen.

Cyclocross, Stefanie Paul, BDR

Stefanie Paul wurde vom BDR nicht für die Cyclocross-WM nominiert.

Cross-Nationen Belgien und Niederlande

Belgien und die Niederlande haben am Cross-Sport festgehalten und haben Top-Talente wie Mathieu van der Poel und Wout van Aert – heute zwei Ausnahme-Athleten – hervorgebracht. Und wie sich zeigt, dominieren sie nicht nur Cyclocross-Rennen, sondern bringen auch herausragende Ergebnisse auf der Straße – bei Klassikern und Etappenrennen – hervor.

Der BDR hat es versäumt, ähnliche Erfolgsjahrgänge zu fördern. Beispiel: Die WM 2009 in Hoogerheide. Das U23-Rennen der Männer. Philipp Walleben wird Weltmeister, Christoph Pfingsten gewinnt Silber, Marcel Meisen, Sascha Weber und Ole Quast fahren ebenfalls Top-Ergebenisse ein. Der BDR gewinnt die Nationenwertung bei dieser WM.

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Warum wurden diese Ergebnisse nicht genutzt, um den Cross-Sport zu fördern? Meiner Meinung nach ein klares Versäumnis des damaligen BDR-Trainers, Patrick Moster. Er ist heute BDR-Leistungssportdirektor und damit für die WM-Nominierung im Cyclocross verantwortlich. Warum man hier andere Prioritäten setzt, erschließt sich mir nicht.

Vielleicht sollte man sich beim BDR mal hinterfragen, ob der eingeschlagene Weg für den Cross-Sport noch zeitgemäß ist und warum man eine unter den Sportlern beliebte und für die Ausbildung junger Sportler wichtige Sportart derart verkümmern lässt.

Man verliert immer mehr den Anschluss zu anderen Nationen. Ein weiteres, positives Beispiel ist Großbritannien: Dort findet man beispielsweise einen Tom Pidcock, Weltmeister bei den Junioren und in der U23 im Cross, der wie van Aert und van der Poel sehr erfolgreich auf der Straße fährt.

Welche Strategie verfolgt der BDR beim Cyclocross?

Beim BDR wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Hier setzt man den Junioren-Sportlern seit Jahren die Pistole auf die Brust: „Entscheide Dich – Cross oder Straße.“ Beides geht anscheinend nicht.

Viele vielversprechende Namen haben ihre Cross-Karriere so sehr früh beendet: Silvio Hertklotz, Leo Appelt, Juri Hollmann, Tom Lindner oder Niklas Märkl, um nur einige aktuelle Namen zu nennen. Wenn man diesen Sportler die Wahl gelassen hätte, ob sie weiterhin Cross fahren wollen, vielleicht hätte der BDR hier jetzt auch einen Weg für den Erfolg eines Pidcock, van der Poel oder van Aert geebnet?

Man muss als Trainer oder als Leistungssportdirektor natürlich ein Ziel und dazu eine Strategie haben, um einen Weg zu gehen. Nach meinem Eindruck gibt es weder das eine noch das andere. Dabei halten sich Top-Straßensportler selbst im Winter mit den Cross-Sport fit und bereiten sich auf internationale Rennen vor. Um nur ein paar Namen zu erwähnen: Zdenek Stybar und Marianne Vos, beide selbst mehrfache Cross-Weltmeister, Fabio Aru oder Heinrich Haussler.

Stefanie Paul, BDR, Cyclocross, WM

Deutschland stehen fünf Startplätze bei dem WM-Rennen der Frauen zu. Der BDR nutzt nur einen.

Der geplatzte Traum der Stefanie Paul

Wenn man dann über den schwierigen Weg einer Stefanie Paul liest, die sich nicht ausbremsen lässt, weder durch die Pandemie noch durch die Steine die ihr durch den BDR in den Weg gelegt werden, fragt man sich als begeisterter Cross-Sportler: Wie hoch muss das Engagement eines Sportlers oder einer Sportlerin noch sein, bis der BDR dies erkennt und den Einsatz würdigt? Selbst wenn es kein Ergebnis unter den ersten Zehn werden sollte – warum wird eine Sportlerin nicht nominiert, selbst wenn sie zu allen notwendigen Rennen vorab in Eigenregie gereist ist und dies auch bei der WM tun würde? Dieser ganze Fall ist mehr als ein Armutszeugnis.

17 andere Verbände schaffen es, SportlerInnen in vier Klassen bei der WM in Ostende an den Start zu stellen. Trotz der Corona-Pandemie und obwohl Cyclocross nicht olympisch ist. Zudem unterscheidet der BDR anscheinend zwischen Elite-Männern und Elite-Damen. Wie ist es sonst zu erklären, dass bei ähnlichen Ergebnissen ein Mann bei einer WM starten darf und eine Frau nicht?

Ich möchte hier nicht persönlich werden. Ich bin leidenschaftlicher Cross-Sportler und begleite den Cross-Sport seit Jahren als Sportler und Trainer und habe seit 1987 einige BDR-Trainer auf diesem Wege kennengelernt. Das „Engagement“ für den Cross-Sport hat aber mittlerweile – seit ich mich erinnern kann – einen neuen Tiefpunkt erreicht.

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Assos Equipe RS Johdah im Test

Assos Equipe RS Jodah

Assos präsentierte für diesen Winter die neue High-End-Jacke Assos Equipe RS Johdah. Ihr Preis: 650 Euro. Die Jacke des Schweizer Herstellers ist eines der exklusivsten Kleidungsstücke, die bislang von RennRad getestet wurden. Wie schlägt sich die Jacke im monatelangen Winter-Test? Für welche Fahrertypen eignet sie sich, wo sind die Stärken und Schwächen?

Minus drei Grad Celsius, intensive Trainingseinheiten mit Anstiegen und Abfahrten, Schnee und Regen: Bedingungen wie diese gehörten zu unseren Testfahrten im Testzeitraum für die neue Assos Equipe RS Johdah dazu. Denn: Die Jacke soll unter allen Bedingungen und bei allen Trainingseinheiten im Winter überzeugen – durch einen besonders hohen Kälte- und Wetterschutz und eine hohe Atmungsaktivität.

Assos Equipe RS Jodah

Das integrierte halbhohe Midlayer wärmt den Brustbereich zusätzlich.

Assos Equipe RS Johdah mit integrierter Midlayer-Weste

Hierfür setzt Assos bei der Equipe RS Johdah auf verschiedene Innovationen. Das erste Feature ist von außen nicht zu erkennen: eine eingenähte, halbhohe Weste mit Reißverschluss, welche in Form einer Midlayer-Lage den Brustbereich besonders wärmen kann. Je nach Bedarf kann man diesen kurzen Reißverschluss offen oder geschlossen halten. Die Wärme- und Windschutzfunktion ist deutlich spürbar. Im Gegensatz zu zusätzlich getragenen Midlayer-Schichten bringt er nur im Bereich der Brust Zusatzwärme. Im Test zeigte sich: selbst bei sehr tiefen Temperaturen war dies der entscheidende Bereich, in dem zusätzliche Wärme sinnvoll war. Überflüssiges Material, welches die Belüftung und die Temperaturregulation stören könnte, ist nicht verarbeitet.

Assos Equipe RS Johdah

Das Thermobooster-Pod am Rücken ist eine Extra-Tasche für einen Midlayer.

Der Bauch, die Arme und der Rücken werden von den anderen Schichten der Jacke strategisch ausreichend gewärmt. Ein weiterer Vorteil: öffnet man den äußeren Reißverschluss der Jacke, etwa bei intensiven Bergauffahrten, so trägt man weiterhin eine atmungsaktive, aber noch wärmende Schicht auf der Brust. Sehr überzeugend: der Reißverschluss ist asymmetrisch und nicht unter dem Haupt-Reißverschluss der Jacke platziert. Somit treten an der Brust keine Druckstellen auf.

Luftaustausch: Diffusor-Ventile an der Assos Equipe RS Johdah

Im Bereich der Schultern sind vorne zwei sogenannte Diffusor-Ventile angebracht. Über diese kann überschüssige Wärme sowie durch das Schwitzen entstehende Luftfeuchtigkeit ständig austreten, während kühlende Luft einströmen kann. Das funktionierte im Test sehr gut: Auch bei intensiveren Einheiten stauten sich, trotz des sehr guten Kälteschutzes, unter der Assos Equipe RS Johdah weder zu viel Wärme noch zu viel Feuchtigkeit. Und: Auch in einer tiefen, aerodynamischen Sitzposition trat durch die Diffusor-Öffnungen aufgrund des speziellen Nähverfahrens nicht spürbar kalte Luft in Form eines Luftzugs ein.

Sphere: Das Schutz-Material der Assos Equipe RS Johdah

Das von Assos entwickelte und patentierte Sphere-Material kommt in unterschiedlichen Formen zum Einsatz. Es ist für den hohen Wind- und Wasserschutz der Equipe RS Johdah bei einer hohen Atmungsaktivität verantwortlich – und auch für die sportlich-enganliegende, aber nicht beengende Passform des robusten, aber in alle Richtungen sehr gut dehnbaren Materials.

Assos Equipe RS Jodah

Die Diffusor-Ventile an den Schultern sorgen für eine hohe Atmungsaktivität.

Das etwas leichtere Sphere Light ist ein dreilagiges Softshell-Material mit einer versiegelten PU-Membran, das Assos an der Vorderseite der Equipe RS Johdah einsetzt. Als innerste Lage kommt unter dem Sphere Light das sogenannte Tibet-Material zum Einsatz, das Wärme isoliert und besonders effektiv Feuchtigkeit von den darunter liegenden Bekleidungslagen abtransportiert.

Die dickste Version, Sphere Medium, besitzt auf der Innenseite eine Lage aus Rhombus-Frottee mit einem 3D-Netzdesign. Es kommt am oberen Rücken und an den Unterarmen zum Einsatz – es ist besonders atmungsaktiv und trägt somit zum im Test bestätigten angenehmen Körperklima unter der Jacke bei.

Materialkombination für Kälte- und Wetterschutz: Assos Equipe RS Johdah

Am Rücken bietet das aufgeraute Osmos-Heavy-Material eine gute Wärmefunktion und zugleich eine gute seitliche Dehnbarkeit. An den Oberarmen kommt der ZigZaggy-Foam zum Einsatz: der schaumstoffähnliche Kern des Materials und die aufgeraute Fleece-Innenseite schützen effektiv vor Wind und wärmen.

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Die Equipe RS Johdah bietet drei Rückentaschen im von Assos bekannten Triple-Ramp-Design. Die Taschen sind auch während der Fahrt leicht zu erreichen, bieten ausreichend Platz und hängen auch vollbeladen nicht durch – weil sie stabilisiert auf den unteren Rückenbereich der Jacke aufgesetzt sind.

Assos Equipe RS Jodah

Die Triple-Ramp-Rückentaschen sind mit einem Reflektorstreifen besetzt.

Im Bereich zwischen den Schulterblättern, mittig am Rücken, ist eine weitere Tasche angebracht: der sogenannte Thermobooster Pod. Dieses Einschub-Fach ist zur Aufbewahrung des Thermobooster-Midlayers vorgesehen, den Assos separat anbietet. Wird dieser wegen wärmerer Temperaturen während einer Fahrt nicht mehr benötigt, kann er hier verstaut werden, ohne Platz in den klassischen Rückentaschen zu beanspruchen. Wie der Thermobooster und die zur Jacke passende Hose RS Winter S9 von Assos im RennRad-Test abschneiden, steht in der RennRad-Ausgabe 3/2021.

Das Fazit: Test der Assos Equipe RS Johdah

Nur bei sehr tiefen Temperaturen benötigten die Tester zusätzlich zu einem wärmenden Winter-Langarm-Unterhemd eine Midlayer-Schicht. In den meisten Fällen, auch am Gefrierpunkt, reichte die Zusatz-Wärme im Brustbereich durch die integrierte halbhohe Midlayer-Innenweste aus. Der Windschutz sowie der Schutz vor leichtem Regen und Spitzwasser waren sehr überzeugend.

Überragend war die Temperaturregulation: Weder zu viel Wärme noch Feuchtigkeit stauten sich unter der Jacke am Körper – auch nicht bei sehr intensiven Fahrten. Das Belüftungskonzept mit den Diffusor-Ventilen und der strategischen Platzierung von besonders atmungsaktiven Materialien sorgte für ein sehr angenehmes Tragegefühl.

Assos Equipe RS Jodah

An den Armen ist Assos-ZigZaggy-Foam verarbeitet, der vor Wind schützt und wärmt.

Die Passform fiel sehr sportlich-eng und aerodynamisch, aber in der radtypischen Haltung nicht beengend aus. Viele Sportler könnten eine Größe größer als üblich testen. Der verkürzte Frontbereich sorgte für eine faltenfreie Passform, der verlängerte Rückenbereich für einen Wind- und Nässeschutz im empfindlichen Bereich des unteren Rückens. Aufgrund der Gummierung verrutschte die Jacke hier nicht. Der mittelhohe Kragen wärmte gut, die Ärmel waren ausreichend lang. Die strategische Positionierung der Nähte sorgte für einen druckstellenfreien Tragekomfort. Das Gewicht von 494 Gramm in der Größe M ist für eine vollständig winterfeste Softshell-Jacke ordentlich.

Vorteile:

  • Innenweste als zusätzliche Wärmeisolation
  • Für alle Winter-Bedingungen
  • Hoher Wetterschutz
  • Herausragende Atmungsaktivität
  • Sportlich-enge Passform

Nachteile:

  • Preis

Mehr Informationen gibt es auf der Website von Assos. Mehr Winter-Bekleidung gibt es in der aktuellen RennRad-Ausgabe sowie in der kommenden Ausgabe 4/2021.

 

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Tour of the Alps 2021: Teampräsentation im Livestream

Pavel Sivakov, Vincenzo Nibali, Tour of the Alps

Tour of the Alps: Strecken und Fahrer. Unser Livestream von der Präsentation! Die Rundfahrt in den Alpen zählt zu den anspruchsvollsten der Welt. Und: zu den am stärksten besetzten – mit Top-Radprofis, die wenige Wochen später auch beim Giro d’Italia antreten. Die Grand-Tour-Sieger Geraint Thomas, Thibaut Pinot, Tao Geoghegan Hart, Chris Froome und Vincenzo Nibali gehörten zu den Top-Fahrern der vergangenen Jahre.

Härtetest in den Bergen: Tour of the Alps

Die Tour of the Alps gilt als Härtetest für den Giro d’Italia. Der Kampf um die Gesamtwertung führt über fünf eher kurze, aber höhenmeterreiche Etappen zwischen Innsbruck und dem Gardasee, in den Berg-Regionen Tirol, Südtirol und Trentino. 22 Mannschaften lädt der Veranstalter GS Alto Garda in diesem Jahr ein.

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An der Veranstaltung nehmen Ivan BassoPaolo BettiniDavide CassaniFilippo GannaTao Geoghegan HartGiuseppe Martinelli und Simon Yates teil.

Im Rahmen der Mannschaftsvorstellung werden die Etappen und Teams der Tour of the Alps vorgestellt. Es werden wie gewohnt sehr anspruchsvolle Berg-Etappen im Programm sein. Zahlreiche UCI-WorldTour-Teams werden teilnehmen.

Die Etappen:

Montag 19. April: Brixen – Innsbruck, 142,8 km
Höhenunterschied: 1.950 m, Schwierigkeit: **

Dienstag 20. April: Innsbruck – Feichten im Kaunertal, 121,5 km
Höhenunterschied: 2.640 m, Schwierigkeit: ***

Mittwoch 21. April: Imst – Naturns, 163,9 km
Höhenunterschied: 2.290 m, Schwierigkeit: ***

Donnerstag 22. April: Naturns – Valle del Chiese/Pieve di Bono, 168,6 km
Höhenunterschied: 3.880 m, Schwierigkeit: ****

Freitag 23. April: Valle del Chiese/Idroland – Riva del Garda, 120,9 km
Höhenunterschied: 2.230 m, Schwierigkeit: ***

 

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S-Works Ares: neuer Rennradschuh

S-Works Ares

Specialized präsentiert den S-Works Ares: Das neue Top-Schuhmodell der US-amerikanischen Marke – mit dem in der neuen Saison auch viele WorldTour-Profis der Teams Deceuninck-Quick-Step und Bora-Hansgrohe fahren werden. Im Artikel: Details, Einblicke in die Entwicklung, unser Testbericht und der Preis des neuen S-Works Ares. Wer profitiert von den Neuerungen und wo sind die Unterschiede zum weiterhin erhältlichen S-Works 7?

S-Works Ares

Top-Sprinter Sam Bennett war für die Entwicklung des S-Works Ares mitverantwortlich.

S-Works Ares: Das ist neu

Der S-Works Ares baut auf den gleichen Leisten auf, mit denen auch der S-Works 7 hergestellt wird. Der Ares ist dabei im Specialized-Angebot eine Erweiterung und ersetzt keines der bestehenden Top-Modelle. Auch das bewährte Body-Geometry-Konzept für eine anatomische Passform und eine effiziente Kraftübertragung bleibt gleich.

Neu ist: das Befestigungssystem mit einem sockenähnlichen Obermaterial aus Dyneema-verstärktem Mesh und einem komplett neuentwickelten Verschlusssystem mit zwei Boa-Li2-Verschlüssen. Das Ziel: eine druckstellenfreie und feste Passform für mehr Komfort und eine bessere Leistung.

Effizienter: Die Kraftübertragung

Der Schuh soll mehr Komfort und eine deutlich effizientere Kraftübertragung ermöglichen als die vorherigen Modelle. Um bis zu ein Prozent schneller soll man laut Specialized mit dem S-Works Ares im Vergleich mit anderen Radschuhen bei gleichem Leistungsvermögen sein. Gerade bei Sprints kann das, etwa bei einer Zielfoto-Entscheidung den Unterschied zwischen dem Sieg und einer Niederlage ausmachen.

S-Works Ares

Sicher und druckfrei: Das Verschlusssystem wurde komplett neu entwickelt.

Absolute Leistung: S-Works Ares

Zu diesem Ergebnis kamen die Entwickler bei Specialized durch Peak-Power-Ride-Studien. Die Testfahrer, darunter Top-Profis wie der irische Weltklasse-Sprinter Sam Bennett vom Team Deceuninck-Quick-Step, konnten mit dem neuen S-Works Ares höhere Wattzahlen leisten als mit anderen Schuhen. Die Kraftübertragung war effizienter.

Kontaktfläche: Schuh und Fuß

Mit Druckmess-Studien konnte demnach belegt werden, dass die Kontaktfläche des Schuhs mit dem Fuß dank des neuen Verschlusssystems um 20 Prozent größer ist als bei herkömmlichen Systemen.

Kraftübertragung: Die extrem steife FACT-Powerline-Carbon-Außensohle des S-Works Ares.

S-Works Ares: Einblicke in die Entwicklung

Rob Cook, der Chef-Schuhdesigner bei Specialized, war bei der Entwicklung des S-Works Ares von Anfang an als Design Director verantwortlich. Im Gespräch mit RennRad erzählt er, wie die großen Entwicklungssprünge hin zum S-Works Ares möglich waren. Die Basis sei die Zusammenarbeit mit den stärksten Athleten der WorldTour und die Erfahrungen aus den vorherigen Entwicklungen.

Problem und Lösung: So entstand der S-Works Ares

Der S-Works Ares solle die Lösung eines grundsätzlichen Problems sein, vor dem nicht nur Top-Profis wie Sam Bennett, sondern viele ambitionierte Radsportler stehen: dem Ausgleich zwischen Komfort und Performance. Rund 30.000 Jahreskilometer und viele Stunden täglich leisten die Profis auf dem Rad – und in den Radschuhen.

Komfort ist dabei unerlässlich. Denn selbst kleine Druckstellen können bei großen Umfängen und Spitzenbelastungen zu Schmerzen und Verletzungen führen. Und: Sie können auch die Gesamtperformance auf dem Rad mindern. Hier entscheiden bereits kleine Verluste oder Gewinne. Etwa dann, wenn es in Sprints um Millimeter geht. Und selbst über die Gesamtwertung einer Grand Tour entscheiden oft wenige Sekunden.

S-Works Ares

Der S-Works Ares soll Komfort und eine sichere Passform gleichermaßen bieten.

Kompromisse? Komfort und Effizienz

Kompromisse, bei denen der Fahrer Komfort einbüßt, können daher keine dauerhafte Lösung sein. Sprinter wie Sam Bennett sind in diesem Punkt Extremfälle. Sie benötigen einen maximalen Komfort, um selbst nach langen Etappen im Finale noch „frisch“ zu sein. Und ihre maximale Leistung für den entscheidenden Sprint im Kampf um wenige Zentimeter abrufen zu können.

Sam Bennett: Sprint-Star und Entwickler

Sam Bennett gilt bei Specialized als einer der Fahrer, die besonders akribisch auf die richtige Einstellung des Rades und insbesondere der Schuhe achten. Manchmal verbringe er Stunden auf dem Rad, um neue Cleats perfekt einzustellen, damit er die Kraft im Sprint optimal auf das Pedal übertragen kann, sagt Rob Cook.

S-Works 7 Vent: Rennradschuh

Und: Er ist besonders gut mit dem Specialized-Equipment vertraut. Denn schon vor seinem Wechsel zu Deceuninck-Quick-Step wurde er beim deutschen Team Bora-Hansgrohe ebenfalls von Specialized ausgestattet. Gemeinsam mit Rob Cook hat er mit seinen Ansprüchen die Entwicklung des S-Works Ares in Gang gesetzt.

Maximaler Halt im Sprint

Die neuen Boa-Verschlüsse der Schuhe zieht Sam Bennett in der Regel nur leicht an. Gerade bei einem Grundlagentraining oder in den ruhigen Phasen eines Rennen schafft er somit viel Komfort. Doch im Sprint benötigt Sam einen extrem engen Sitz im Schuh und dreht die Verschlüsse für das Finale eines Rennens stets maximal zu.

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Doch selbst mit komplett festgezerrten Boa-Verschlüssen hatte er bei Radschuhen bislang in der Zugphase der Pedalumdrehung noch minimal Platz im Schuh. Dies entsteht zum einen durch die seitliche Neigung des Rades im Wiegetritt. Und zum anderen, weil er, wie fast jeder Fahrer, bei maximalen Belastungen, wie etwa im Sprint, seine Zehen regelrecht in den Schuh krallt und damit den Fußballen minimal anhebt.

Schmerzen und Probleme: Radschuhe und Passform

So verliert Bennett während der Zugphase kurzzeitig den vollständigen Kontakt zwischen den Füßen und der Sohle seines Schuhs. Dadurch steht er während des Überganges zur Druckphase nicht fest mit dem Fuß auf der Sohle. Zieht man die Verschlüsse ganz fest, so kann ein hoher Druck auf dem Fußspann und dem Vorfuß entstehen. Dies kann bei mehreren Wiederholungen und langfristig sehr schmerzhaft und unangenehm werden – und könnte sogar zu Verletzungen führen.

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Deshalb versuchen Sprinter, die Schuhe erst spät im Rennen, vor dem Sprint festzuziehen. Doch die wenigen Handgriffe und ausbleibenden Pedalumdrehungen bringen eine Gefahr mit sich: Wenn der Sprinter im hektischen Finale entscheidende Positionen verliert, kann dies bereits vorher über seine Siegchancen entscheiden. Deshalb zieht Bennett etwa bei Sprint-Etappen der Tour de France seine Schuhe bereits 25 Kilometer vor dem Ziel fest. Das bedeutet aber auch: Er muss mehr als 30 Minuten mit maximal festgezogenen Schuhen zu fahren.

S-Works Ares

Die effizentere Kraftübertragung soll um ein Prozent schneller machen.

Body-Geometry-Sohle aus FACT-Powerline-Carbon: S-Works Ares

Die Herausforderung an das Entwicklungsteam von Specialized war also: Einen Schuh zu konzipieren, welcher Komfort und ein Maximum an Performance vereint. Die Basis bei der Entwicklung des S-Works Ares war die bewährte FACT-Powerline-Carbon-Außensohle mit dem maximalen Steifigkeitswert von 15 auf der Specialized-Skala. Diese sehr steife und dünne Body-Geometry-Sohle kam bereits beim S-Works 7 zum Einsatz. Body Geometry ist ein von Specialized entwickeltes Konzept, in dem die Sohle des Schuhs auf der Innenseite um 1,5 Millimeter höher aufbaut als auf der Außenseite – durch den sogenannten Varus-Keil.

Anatomie und Kraftflusslinie: S-Works Ares

Diese Neigung stabilisiert den Vorfuß entsprechend seiner möglichst natürlichen Stellung und hilft, den Knöchel, das Knie und die Hüfte besser aufeinander auszurichten und eine gerade „Kraftlinie“ zu unterstützen. Durch separat angebotene unterschiedliche Body-Geometry-Einlagesohlen, die es auch in individuell angepasster Form gibt, kann dieser Effekt auf die individuellen anatomischen Bedürfnisse weiter angepasst werden.

S-Works Ares

Die nach außen abkippende Sohle soll eine vertikale, effiziente Kraftlinie bis zur Hüfte garantieren.

Der Oberschuh wurde komplett neu entwickelt. Das Design und das Verschlusssystem sind komplett überarbeitet. Der Schuh besitzt keine Schuhzunge mehr, sondern die Form einer Socke aus nachgiebigem, aber festen Mesh-Material, in welches man hineinschlüpft. Der Sitz in dieser mit Dyneema verstärkten Mesh-Socke ist überraschend fest. Sie wurde an den entscheidenden Stellen so verstärkt, dass die Rutschfestigkeit genauso hoch ist wie die, die das Obermaterial beim S-Works 7 ermöglicht.

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Boa-Verschlüsse Li2 am S-Works Ares

Im Bereich des Fußspanns ist das Mesh zwar dünn, aber spürbar gepolstert, so dass hier keine Druckstellen entstehen. Im Gegensatz zum S-Works 7 fällt der Klettverschluss im Vorfußbereich weg. Der Ares verfügt zur Befestigung über zwei Boa-Drehverschlüsse der neuen, sehr leichten und flachen Li2-Serie.

Diese sind tiefer montiert als beim S-Works 7. Der untere Boa-Verschluss reguliert nun ausschließlich die Passform des Vorfußbereiches. Dieser lässt sich nun deutlich enger schließen als beim S-Works 7. Ein ungewolltes Anheben des Fußballes ist somit nahezu unmöglich, wenn man dies verhindern möchte.

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Stabilität und Passform: S-Works Ares

Der obere Verschluss zieht ein neuartiges Verschlusssystem zusammen, das den Bereich des Fußspanns von beiden Seiten umschließt und reguliert. Das Verschlusssystem verteilt dabei den Druck großflächig auf dem mittleren Fußspann. Auffällig ist, dass der Verschluss weniger hoch ansetzt als die oberen Boa-Verschlüsse des S-Works 7.

Hierdurch wird effektiv vermieden, dass die Sehnen im oberen Bereich des Spanns eingeschnürt werden. Somit gewährt der S-Works Ares, trotz eines maximalen Anzugs des Verschlusssystems, mehr Bewegungsfreiheit im Fußgelenk. Das neue Verschlusssystem, gepaart mit dem integrierten Mesh-Socken verleiht spürbar mehr Stabilität und Halt im Schuh – während die Boa-Verschlüsse weniger eng angezogen werden müssen.

Testeindruck und Fazit: Was kann der S-Works Ares?

Der S-Works Ares erfüllt damit klar die Anforderungen eines Sprinters. In den ersten Monaten unseres Vorab-Tests testeten wir den Schuh jedoch auch während ruhiger Grundlageneinheiten, Zeitfahrtrainings und gleichmäßigen wie unrhythmischen Bergauffahrten. Trotz der engsitzenden, mit Dyneema verstärkten, Innensocke ist der S-Works Ares ein sehr bequemer – und im Vergleich zum S-Works 7 sogar der noch bequemere Schuh. Der Komfortgewinn ergibt sich vor allem dadurch, dass man ein geringeres Anzugsmoment beim Verschlusssystem braucht, um eine absolut rutschfreie Passform zu erhalten.

S-Works Ares

Die Kontaktfläche zwischen dem Fuß und dem Schuh soll um 20 Prozent größer sein als bei anderen Verschlusssystemen.

Sprint, Berge, Dauerleistung: die Passform im Test

Insbesondere bei Grundlagenausfahrten konnte man den Verschluss minimal leicht anziehen. Auch bei intensiven Bergauffahrten mussten die Boa-Drehverschlüsse nur leicht festgezogen werden. Bei hochintensiven Intervallen und Sprints zogen unsere Tester den Schuh fester an und lockerten den Verschluss nach den Belastungen nicht umgehend wieder – weil der Bedarf dafür aufgrund der sehr festen, aber nicht einschnürenden und druckstellenfreien Passform nicht vorhanden war.

Gewicht, Preis und Leistung: S-Works Ares

Für einen guten Sitz benötigt man beim S-Works Ares nicht extrem fest geschlossene Verschlüsse. Dies zeigt, dass Komfort und eine extrem effiziente Kraftübertragung gleichermaßen geboten werden können. Die Steifigkeit der Sohle war sehr hoch – eine Verwindung war auch bei Maximalsprints nicht zu bemerken. Das Gewicht von 252 Gramm in der Größe 44 ist gering. Damit ist der Ares noch leichter als der S-Works 7, der in der gleichen Größe 257 Gramm wiegt. Der besonders gut belüftete S-Works Vent wiegt 266 Gramm, der extrem leichte S-Works Exos nur 156 Gramm. Der Preis des neuen S-Works Ares: 419,90 Euro.

S-Works Ares

Den neuen S-Works Ares gibt es in vier Farben ...

S-Works Ares

... in den Größen 36 bis 49 ...

S-Works Ares

... und teils auch in halben Größen. Der Preis ...

...liegt bei 419,90 Euro.

S-Works Ares – Die Fakten

• Body-Geometry-Passform
• Neuentwickeltes Verschlusssystem, zum Patent angemeldet
• Dyneema-verstärkte Fußsocke ohne Zunge
• FACT-Powerline-Carbon-Außensohle: Steifigkeit 15/15
• Verschlüsse: BOA Li2 Fit System
• Rutschfestes, austauschbares Fersenprofil mit Verschraubung durch die Sohle
• Passform: Schmale Formfit-Leiste und geräumige Zehenbox und Padlock-Fersenkonstruktion
• Titan-Cleat-Muttern mit fünf Millimeter Verstellweg, passend für alle Drei-Loch-Klicksysteme
• Gewicht: 220 Gramm pro Schuh in Größe 42
• Farben: Weiß, Weiß mit schwarzem Schriftzug, Schwarz, Rot
• Größen: 36 bis 49; halbe Größen zwischen 38,5 und 45,5
• Der Preis: 419,90 Euro

 

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Tempohärte als Fähigkeit beim Zeitfahren: Trainingstipps

Tempohärte, VO2max, Trainingstipps

Allein mit dem Schmerz. Viele nennen es die ehrlichste Form des Wettkampfs – Mensch und Maschine gegen die Zeit, kein Windschatten, kein Taktieren, kein Antizipieren, einfach nur Treten, Kraft, Ausdauer, Schmerztoleranz: Das ist Zeitfahren. Auf was kommt es dabei an? Zum Beispiel darauf, ein möglichst hohes Tempo über einen langen Zeitraum aufrechterhalten zu können. Dies ist ein Trainingsziel für viele Hobbysportler. In dieser Disziplin haben oft schwerere, stabilere Athleten Vorteile gegenüber leichteren „Berg-Spezialisten“. Zudem kann der Rausch der Geschwindigkeit für Radsportler extrem motivierend sein. Umgangssprachlich nennt man es „Tempo bolzen“. Es ist eine der „Disziplinen“, der Notwendigkeiten des Rennradfahrens. Rennfahrer brauchen hier gewisse Fähigkeiten. Selbst bei schweren Alpen-Radmarathons kann die Tempohärte von großem Nutzen sein. Die gute Nachricht ist: Sie ist gut trainierbar. Für alle Fahrertypen und auch auf allen Leistungsniveaus.

Training und Fahrertypen

Wie sieht ein solches Training, ein solcher Formaufbau aus? Eine Antwort darauf besteht aus fünf Buchstaben und einer Zahl: VO2max – eine möglichst hohe maximale Sauerstoffaufnahme. Je höher sie ist, desto mehr Sauerstoff kann in den Muskeln umgesetzt und desto mehr Energie kann auf aerobem Weg zur Verfügung gestellt werden.

Das bedeutet: mehr absolute Energie aus Kohlenhydraten, der limitierenden Energiequelle. Der Fettstoffwechsel ist, vereinfacht gesagt, für die „Grundlagen-Energie“ oder, umgangssprachlich ausgedrückt, für das „Standgas“ verantwortlich. Alles weitere „on top“ kommt aus dem Kohlenhydratstoffwechsel – aerob oder anaerob.

Durch die aerobe Verstoffwechselung wird rund 16-mal so viel Energie erzeugt wie auf dem anaeroben Weg. Die Energieflussrate – die Energiemenge, die pro Zeiteinheit generiert wird – ist dagegen auf dem anaeroben Weg deutlich höher. Ergo: Ein sehr gut ausgeprägter anaerober Stoffwechsel geht damit einher, dass die „gespeicherte“ Menge der Kohlenhydrate schnell aufgebraucht ist.

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Anaerobe Kapazität

Ein Beispiel: Ein Sprinter beziehungsweise ein schnellkräftiger Fahrer „lebt“ im Finale eines Radrennens von seiner anaeroben Kapazität, konkret davon, kurzfristig eine hohe Wattzahl zu leisten – indem viel Energie in kurzer Zeit produziert wird. Das Leistungsprofil eines Zeitfahrers ist anders. Beim Zeitfahren muss man über einen längeren Zeitraum eine möglichst hohe Leistung bringen. Ergo sollte die anaerobe Kapazität nicht „zu gut“ ausgeprägt sein, damit man möglichst viel Energie aus den limitierten Speichern auf aerobem Weg erzeugen kann.

Dies ist der Hauptgrund dafür, dass die meisten Sprinter nicht gerade als gute Zeitfahrer bekannt sind – und umgekehrt. Ausnahmen wie der 14-malige Tour-de-France-Etappensieger Marcel Kittel, der sich von einem Zeitfahrspezialisten zu dem zeitweise weltweit besten Sprinter entwickelte, bestätigen in diesem Fall die Regel.

Der Parameter, der die anaerobe Kapazität definiert, heißt: maximale Laktatbildungsgeschwindigkeit oder kurz VLamax. Sie kann als Gegenspieler zur VO2max gesehen werden. Das bedeutet: Eine Kombination aus einer hohen VO2max und einer niedrigen VLamax sind die idealen Voraussetzungen für eine hohe Tempohärte und gute Zeitfahr-Leistungen. Demnach muss man sich als Athlet die Frage stellen: Wie erreicht man eine möglichst hohe VO2max – und eine niedrige VLamax?

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Kurze intensive Intervalle im Winter – und lange Ausdauerfahrten im Frühjahr. Ein Weg zu mehr Effizienz?

Die VO2max: Das Training

Die maximale Sauerstoffaufnahme wird dadurch trainiert, dass man viel Sauerstoff im Training umsetzt. Was einfach klingt, ist auch so – meistens zumindest. Wahrscheinlich verbinden die meisten ein VO2max-Training mit harten, schmerzhaften Intervallen, die einen an den Rand des Machbaren bringen. Diese sind ein adäquates Mittel.

Aber auch ein Steigern des Umfangs mit mäßigen bis geringen Intensitätsgraden bewirkt eine Erhöhung der VO2max. Zwar wird dabei weniger Sauerstoff pro Zeiteinheit umgesetzt als bei intensiven Intervallen – angesichts der längeren Trainingsdauer jedoch insgesamt mehr. Auch an diesen lang andauernden Trainingsreiz passt sich der Organismus an.

Intervall-Training für die Tempohärte

Warum dann hartes Intervall-Training? Zum einen, weil dieses für die „Tempohärte“ notwendig ist – zum anderen, da der für die maximale Sauerstoffaufnahme entscheidende Parameter weder die Muskeln noch die Lunge ist. Sondern das Transportsystem. Je mehr das Herz transportieren kann und je mehr Transportvehikel, ergo rote Blutkörperchen vorhanden sind beziehungsweise je mehr davon pro Minute „gepumpt“ werden, desto mehr Sauerstoff kann transportiert werden.

Die harten Intervalle fordern und fördern dieses Pump-Volumen des Herzens. Denn auch dieses ist ein Muskel, der sich an Reize anpasst. Erst in Form einer Ökonomisierung, dann, später, durch eine Vergrößerung der Herzhöhle. Somit setzt man, vereinfacht ausgedrückt, mit den harten Intervallen den zentralen Reiz – und mit den Umfängen den peripheren.

Ergo führen zwei Wege an das Ziel, die VO2max zu steigern: sehr intensive Intervalle und eine Steigerung der Umfänge im Grundlagenbereich. Ein „bestes“ Mittel im Sinne eines einzigen Schemas gibt es demnach nicht. Für viele Situationen bietet sich eine Form des polarisierten Trainings an.

Das heißt: Man trainiert Grundlagen-Einheiten niedrigintensiv – und Intervalle extrem intensiv. Die Relation zwischen diesen Trainingsformen kann etwa, laut vieler Studien,  zwischen 80 bis 90 und zwischen zehn und 20 Prozent liegen.

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Aus etlichen Studien weiß man, dass man für eine Leistung von 100 Watt pro Minute 1400 Milliliter Sauerstoff benötigt – und für jedes weitere Watt aerob rund zwölf Milliliter. Ein Beispiel-Athlet hat eine Functional Threshold Power, FTP, von 280 Watt. Somit liegt seine Grundlagenzone um rund 180 Watt. Für das folgende Beispiel vereinfachen wir die Bedingungen etwas und vernachlässigen zum Beispiel den anaeroben Zuschuss an Energie

Die VLamax

Für alle, die ihre Tempofestigkeit beziehungsweise ihre Zeitfahr-Qualitäten verbessern wollen, gilt: Da die VLamax den Gegenspieler des aeroben Systems darstellt, ist es sinnvoll, diesen Parameter möglichst „kleinzuhalten“. Denn der Organismus soll nicht „lernen“, anaerob auf die Kohlenhydrate zurückzugreifen.

Die Rolle der Ernährung: Wer sich sehr kohlenhydratlastig ernährt, verstoffwechselt in der Regel auch im Training viele Kohlenhydrate. Oftmals müssen diese Athleten schon früh im Training, nach 1,5, zwei oder 2,5 Stunden, Kohlenhydrate zuführen, um einen Hungerast zu vermeiden. Diese Fahrer haben meist eine relativ hohe VLamax: Ihr Körper greift stark auf Kohlenhydrate zurück, da er darauf trainiert wurde. Die Folge: Während einer Belastung sind die körpereigenen Glykogenspeicher oft früh geleert.

Dies gilt es im Ausdauersport – gerade etwa bei Radmarathons – zu vermeiden. Daraus ergibt sich bereits eine potenziell effiziente Trainingsform: das Low-Carb- oder Nüchtern-Training. Einheiten mit nicht ganz gefüllten Kohlenhydrat-Speichern zu absolvieren, kann den Körper „lehren“, mit limitierten Zuckerspeichern umzugehen. Die Dauer dieser Einheiten kann langsam gesteigert werden. Diese Trainingsform bedeutet anfangs weder no carb noch no calories noch Nüchterntraining. Sondern schlicht: ein Training mit weniger Kohlenhydraten als zuvor üblich.

Konkret könnte man demnach vor der Ausfahrt fett- und eiweißreich essen – und somit Kohlenhydrate „sparen“ und dennoch Kalorien zuführen. Verzichtet man zusätzlich noch in den drei Stunden vor dem Training auf eine weitere Nahrungszufuhr, resultiert dies in einer klar geringeren Kohlenhydrat-Verfügbarkeit.

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Für eine Leistung von 100 Watt werden pro Minute 1400 Milliliter Sauerstoff benötigt – für jedes weitere Watt aerob rund zwölf Milliliter. Der Sauerstoffumsatz während rund 1,5 Stunden Grundlagen-Training: rund 192 Liter.

Die Periodisierung

Die Periodisierung erscheint manchen Trainern und Sportlern als ein etwas antiquierter Begriff. Der Stand der Forschung zu den traditionellen Modellen der Periodisierung und der Superkompensation ist recht dürftig und basiert noch immer auf Ergebnissen aus teils anderen Forschungsrichtungen. Periodisierungs-Modelle sollten zu den eigenen Anforderungen passen. Ein Hobbyfahrer, der sechs Stunden pro Woche Zeit für sein Training hat, muss dieses ganz anders planen und ausführen als ein Semi-Profi, der 30 oder 35 Stunden wöchentlich in seinen Sport investiert. Die Lösung lautet: Individualisierung.

Ziel ist in allen Fällen, sein Training zu strukturieren. Es möglichst strategisch, sinnvoll und effizient zu gestalten. Zu den Anfangsfragen zählen etwa: Wann sind die Haupt-Wettkämpfe, wann will man in Topform sein, wann kann man regenerieren?

Das Planen ist die eine Seite der Trainingsperiodisierung – das spontane Reagieren die andere. Denn oft genug passiert Ungeplantes, wie etwa Krankheiten, soziale Ereignisse, private und Arbeits-Stressfaktoren, die die Erholung beeinflussen. Ein erfahrener Trainer kann dabei helfen, die Trainingspläne und den Formaufbau schnell an diese neuen Gegebenheiten anzupassen.

Ohne eine Anleitung lautet das Risiko in solchen Situationen in der Regel: Übertraining. Denn ein von vielen Hobbyathleten oft begangener Fehler ist, sein geplantes Training auch in Hochstressphasen unbeirrt durchzuziehen. Zu einem Zeitpunkt, an dem man eigentlich deutlich mehr Erholung beziehungsweise längere Regenerationszeiten vom Alltag und vom Training bräuchte.

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Blockperiodisierung nach Issurin

Die Art der Periodisierung ist fast eine philosophische Frage. Seinen Ursprung hat das klassische Modell in der Fließbandarbeit, als Manager einen Weg suchten, die Arbeit effizienter zu gestalten. Lew Matwejew hat dies dann für den Sport weiterentwickelt und in der Sowjetunion bei Gewichtshebern erfolgreich angewendet. Seither haben sich einige Formen daraus abgeleitet.

Eine, neben der klassischen Belastung-Erholung-Struktur über zeitliche Zyklen mittlerweile bekannte Form ist die Blockperiodisierung nach Issurin. Dabei wird, grob gesagt, der Fokus auf die Entwicklung eines physiologischen Parameters in je einem Trainingsblock gelegt.

Zum Beispiel plant man in einer Woche fünf harte VO2max-Einheiten ein – mit einer absichtlich zu geringen Erholungszeit, um danach zwei Wochen lang die Intensität niedrig zu halten und jeweils nur eine harte Einheit zu trainieren. Und schließt eine vierte Regenerationswoche mit ausschließlich niedrigintensiven Einheiten an. So gibt man dem Körper Zeit, um sich an diese intensiven Trainingsreize anzupassen. Diese Vorgehensweise zeigte in vielen Studien eine besonders hohe Effizienz.

Intensive Intervalle für mehr Tempohärte

Die klassische Variante wäre dagegen, nach jeder harten Intervall- beziehungsweise High-Intensity-Training-Einheit zumindest 48 Stunden zu pausieren oder nur kurz und niedrigintensiv zu trainieren.

In einer Einzelfallstudie konnten Ronnestad & Hansen bei einem sehr gut trainierten 37-jährigen Radfahrer – mit einer VO2max über Jahre hinweg zwischen 65 und 76 Milliliter pro Minute und Kilogramm – mit einer Blockperiodisierung und einem Mix aus kurzen VO2max-Intervallen von vier- bis achtmal vier bis sechs Minuten und Mikrointervallen, etwa von 3 x 13 x 30/15 Sekunden, eine signifikante Steigerung der VO2max erzielen: auf 87 Milliliter/Minute/Kilogramm. Eine Einzelfallstudie ist zwar nicht repräsentativ – diese zeigt jedoch, dass auch die VO2max keine starre genetisch vorgegebene Größe, sondern mit dem richtigen Plan durchaus gut trainierbar ist.

Doch wie geht man nun konkret vor, um die VO2max möglichst hochzuschrauben und die VLamax möglichst niedrig zu halten? Viel spricht dafür, die altgediente Herangehensweise zu ändern.

Im Winter und Frühjahr Grundlage trainieren

Zum Beispiel ist ein Ansatz, die Entwicklung der VO2max in den Wintermonaten zu planen. Dies hat etwa den Vorteil, dass die Indoor-Trainings-Einheiten auf dem Hometrainer beziehungsweise der Rolle kürzer sind – und dass die unvermeidbare Laktatproduktion das zweite Ziel in dieser Saison-Phase nicht weiter stört.

Zudem wird die VO2max weiter stimuliert, wenn sich die Dauer der Einheiten mit der Länge der Tage im Frühjahr langsam erhöht. In dieses Schema passt auch ein klassischerweise im Frühjahr durchgeführtes Trainingslager, während dem man durch lange niedrigintensive Einheiten die VO2max nochmals steigern kann. So startet man mit einer gut ausgebildeten hohen Sauerstoffaufnahme in die Saison, in der man versucht, die VLamax zu senken und die VO2max hoch zu halten. Dies wäre ein neuer, ein anderer Ansatz.

Traditionell heißt es für den Jahresplan: im Winter und Frühjahr viel Grundlage trainieren und dann nach und nach mehr und intensivere Intervalle. Dies könnte man ganz einfach „umdrehen“ – beziehungsweise umdenken.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 9/2020Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

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Training – Steigerung der VO2max: Dafür haben sich vor allem intervallartige Trainingsformen durchgesetzt – von kurzen 30-sekündigen Mikrointervallen bis hin zu längeren 4-8-Minuten-Intervallen. Die Studienlage ist vor allem dank skandinavischer Forscher heute sehr breit und fundiert. Die 30-Sekunden-Intervalle wurden etwa sehr detailliert von Ronnestad et al. erforscht, welche deren Wirkungsweise auf die FTP und die VO2max eindrucksvoll belegen konnten. Generell ist die Zeitspanne, die im hochintensiven Bereich verbracht wird, entscheidend. Ein Beispiel: 30/15-Sekunden-Intervalle. Da es unmöglich ist, sich längere Zeit über 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz, oder auch der VO2max, aufzuhalten, wählt man Intervalle, bei denen die Volumen-Arbeit des Herzens groß ist. Hier: 30 Sekunden im VO2max-Bereich. Während der kurzen Erholungszeit von 15 Sekunden arbeitet das Herz-Kreislauf-System aufgrund seiner Reaktionsträgheit intensiv weiter. Daher kann man die gesamten 45 Sekunden des Intervalls als HIIT-Training verbuchen – und kommt so mit zehn Intervallen auf eine Gesamtdauer von 7,5 Minuten

Hier können Sie Trainingspläne zur Steigerung des VO2max und zur Senkung des VLamax herunterladen.

Gehirn und Training: Zusammenhänge von Sport und Psyche

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„Gehirnjogging“ – so nennt man eine Art von Aufgaben, die die Denkleistung steigern sollen. Kreuzworträtsel, Sudoku et cetera. Doch ein anderer pragmatischer Ansatz basiert auf einem anderen Fakt: Das Training des Körpers wirkt nicht nur auf die Physis – sondern auch auf das Gehirn. Nachweislich.

Ausdauersport steigert nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit – viele Studien bestätigen etwa eine positive Korrelation zwischen dem körperlichen Fitnesszustand und dem Hirnvolumen. So gibt es mehrere Befunde, die suggerieren, dass eine halbe Stunde Ausdauersport die geistige Leistungsfähigkeit stärker fördern kann als jede Form des „Gehirnjoggings“.

Eine Frage des Volumens: Forscher des Universitätsklinikums Bergmannsheil verglichen die Gehirne von Athleten mit denen „normaler“ Menschen. Es zeigte sich, dass das Gehirn von guttrainierten Sportlern in bestimmten Bereichen, vor allem im sogenannten supplementären motorischen Areal, durchschnittlich deutlich mehr Hirnsubstanz aufweisen als jene von Nichtsportlern. Jenes Hirnareal ist unter anderem für das Erlernen neuer Bewegungsfolgen zuständig.

Zudem zeigte die Untersuchung, dass Leistungssportler aus Ausdauerdisziplinen im Durchschnitt über eine vergrößerte Hippocampus-Hirnregion verfügen. Diese ist die am stärksten veränderbare Struktur im Gehirn. Umgangssprachlich wird sie auch als das „Tor zum Gedächtnis“ bezeichnet, da ein Großteil aller Wahrnehmungen zunächst den Hippocampus „durchlaufen“, bevor sie langfristig gespeichert werden. In der Regel ist die Bildung von Nervenzellen nach der ersten Hälfte der Schwangerschaft abgeschlossen, doch im Hippocampus können nachweislich lebenslang neue Neuronen gebildet werden.

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Schnelle Effekte für das Gehirn

Eine weitere gute Nachricht: Das Gehirnwachstum beginnt schon nach wenigen Trainingswochen. Dies zeigte eine Studie kanadischer Forscher. Diese ließen ihre Probanden – unsportliche Erwachsene – zweimal wöchentlich je eine Intervalltrainings-Einheit durchführen.

Die Ergebnisse: Nach vier Monaten konnte bei den Probanden, neben der deutlich verbesserten Kondition, auch eine enorme Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit festgestellt werden. Der Wirkmechanismus dahinter: Das Training sorgt dafür, dass das Gehirn besser durchblutet – und damit auch vermehrt mit Sauerstoff versorgt – wird.

Infolge eines erhöhten Blutflusses werden neben dem Sauerstoff auch andere Stoffe, etwa Hormone, effektiver transportiert. Durch ein regelmäßiges Training über Jahre hinweg, kann es zu tiefgreifenden Veränderungen der Hirnstruktur kommen, wie etwa zu einer vermehrten Bildung neuer Synapsen oder zur Festigung bereits bestehender Hirnstrukturen.

Studie der Universität Greifswald

Ähnliche Schlüsse lassen auch die Studienergebnisse eines Forscherteams der Universität Greifswald zu. Im Rahmen ihrer Untersuchung führten die Wissenschaftler bei mehr als 2000 Probanden Messungen des Hirnvolumens durch – nachdem diese einen Fahrradergometer-Leistungstest zur Bestimmung der maximalen Sauerstoff-Aufnahme absolviert hatten. Der positive Zusammenhang zwischen der körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Hirnvolumen konnte auch hier bestätigt werden.

Konkret: Je besser die Fitness, ergo der Trainingszustand, der Probanden war, desto größer war auch ihr Gesamthirnvolumen – und desto größer war der Anteil der grauen Substanz. In den Hirnen der sport-treibenden Menschen fanden sich zudem klar größere Hippocampus-Areale sowie Vergrößerungen weiterer Gehirnregionen.

Jene positiven Effekte wurden in allen Altersklassen gefunden: Sie konnten sowohl bei jungen als auch bei älteren Menschen nachgewiesen werden. Das Fazit der Forscher: Vieles deutet darauf hin, dass lebenslanges Sporttreiben den Abbau der Gehirnmasse im Alter verlangsamt, wodurch Menschen körperlich und geistig länger fit bleiben.

Gehirn-Strukturen

Gegensätzlich konnte dazu in einer Untersuchung des Forschungszentrums Jülich bestätigt werden, dass ein regelmäßiger Alkoholkonsum zu einem klaren Abbau der grauen Substanz und weiterer Hirnareale führt. Ebenso fatale Auswirkungen scheint ein langjähriger Zigarettenkonsum zu haben, während hingegen das regelmäßige Training – genauso wie das Pflegen von sozialen Kontakten – das Hirnwachstum begünstigt. In jedem Alter.

Brigitte Röder, Neuropsychologin an der Universität Hamburg, fasst es zusammen: „Das Gehirn ist ein Teil des Körpers und profitiert von Sport genauso wie der Rest des Körpers.“

Fakt ist: Wer regelmäßig trainiert, verringert das Risiko für kognitive Einbußen um ein Vielfaches. Allerdings nehmen diese positiven Effekte beziehungsweise Adaptionen wieder ab, wenn man mit dem Sport aufhört. Einige Studien suggerieren, dass bereits drei kürzere Sporteinheiten pro Woche ausreichen können, um ein Wachstum der Gehirnmasse zu begünstigen.

Brigitte Röders Forschungsteam unterteilte für eine ihrer Untersuchungen die Probanden in zwei Gruppen: Eine davon absolvierte ein Ausdauertraining, die andere führte ein Stretching-Programm durch. Während dieses keine statistisch relevanten Effekte zeigte, kam es – bei den Probanden der anderen Gruppe – infolge des Ausdauertrainings zu einem Anstieg der maximalen Sauerstoffaufnahme. Und: Diese korrelierte positiv mit einer verbesserten Gedächtnisleistung.

Forschung der Universität Ulm

Eine Forschungsgruppe der Universität Ulm teilte 80 Personen in zwei Gruppen ein. Die einen sollten vier Monate lang dreimal pro Woche ein Lauftraining absolvieren. Die anderen trieben keinen Sport. Vor, während und nach den vier Monaten testeten die Wissenschaftler die Konzentrationsfähigkeit, das räumliche Vorstellungsvermögen und das Gedächtnis aller Teilnehmer.

Und fanden dabei signifikante Effekte: Durch das Lauftraining verbesserten sich die räumliche Vorstellungskraft und die Konzentrationsfähigkeit der Probanden messbar. Die Forscher gehen noch einen Schritt weiter und vermuten, neben den bestehenden positiven Effekten, zudem eine dauerhafte Beeinflussung des Hormonhaushalts durch das regelmäßige Training.

Denn: Die körperliche Aktivität verlangsamt den Abbau des Botenstoffs Dopamin. Dieses Hormon wirkt unter anderem als körpereigener „Stimmungsaufheller“, der für wichtige kognitive Prozesse im präfrontalen Kortex benötigt wird. Sinkt der Dopaminspiegel, beeinträchtigt dies die geistige Leistungsfähigkeit – wie etwa das Konzentrations- und das Aufmerksamkeitsvermögen. Gerade bei Menschen, die genetisch bedingt sehr schnell Dopamin abbauen, hilft Sport, den Hormonhaushalt zu normalisieren, beziehungsweise ihn aufrechtzuerhalten.

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In einer Studie der Universität Ulm zeigte sich: Durch regelmäßiges Ausdauertraining verbesserten sich die räumliche Vorstellungskraft und die Konzentrationsfähigkeit der Probanden deutlich

Physis und Psyche

Durch welche Effekte genau diese trainingsbedingten „Umbauprozesse“ innerhalb des Gehirns hervorgerufen werden, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Rein entwicklungsbiologisch gesehen, seien diese logisch zu erklären, sagt Stefan Schneider, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln: „Schon beim Aufwachsen ist Bewegung ein fundamentales Prinzip für die Entwicklung des Gehirns.“

Daher ergibt es natürlich Sinn, dass Bewegung und Training auch im Erwachsenenalter positive Auswirkungen haben. Ergo gilt: Sport trägt nicht nur zu einer besseren Leistungsfähigkeit bei, sondern hilft auch dabei, geistig länger „fit“ zu bleiben.

Sport und seine Effekte auf das Gehirn

Doch Sport „hält“ nicht nur „jung“. Er hat noch weitere Effekte auf das Gehirn – so deuten viele Studienergebnisse darauf hin, dass ein dauerhaftes Ausdauertraining neurodegenerativen Erkrankungen vorbeugen kann. Mit steigendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, an neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Parkinson oder Demenz zu erkranken. Gekennzeichnet sind diese Krankheiten durch den unaufhaltsam fortschreitenden Niedergang von Nervenzellverbänden.

Die derzeitige Studienlage bestätigt, dass Bewegung den Verlauf der Krankheiten mildern kann – und insbesondere präventive Effekte zeigt. Die Krankheit Parkinson ist eine der häufigsten degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Meist tritt sie im fortgeschrittenen Lebensalter auf, was jedoch nicht heißt, dass nicht auch jüngere Menschen betroffen sein können. Die Symptome der Parkinsonerkrankung zeigen sich häufig in Bewegungsverarmung, Muskelsteifigkeit und Zittern. Neben diesen typischen Anzeichen gibt es darüber hinaus eine Reihe von weiteren Symptomen, wie etwa Riech-, Blasen-, und Verdauungsstörungen sowie Blutdruckveränderungen.

Eine Ursache der Krankheit ist ein Mangel an dem Überträgerstoff Dopamin im Gehirn. Mit dem Fortschreiten der Krankheit verstärkt sich dieser Effekt, was zur Folge hat, dass die körperliche und die psychische Beweglichkeit immer weiter eingeschränkt werden. Bestimmte Medikamente können den Dopaminmangel bis zu einem gewissen Grad aufhalten, ihn aber nicht ganz stoppen. Neben verschiedenen physikalischen Therapiemöglichkeiten und einer gesunden Ernährung mit einer möglichst optimalen Mikronährstoffversorgung gibt es noch ein weiteres Gegen- beziehungsweise Präventionsmittel: Sport. So wurde in mehreren Untersuchungen festgestellt, dass die regelmäßige Bewegung – besonders das Radfahren – klar positive signifikante Effekte auf den Krankheitsverlauf haben kann.

Sport und Prävention

So untersuchten niederländische Wissenschaftler 130 Parkinson-Patienten im Alter zwischen 30 und 75 Jahren. Eine Gruppe der Erkrankten absolvierte über sechs Monate hinweg dreimal wöchentlich ein Radtraining auf einem Indoorbike. Eine zweite Gruppe führte stattdessen ein Stretching-Programm durch.

Ergebnis: Nach dem Ende des Untersuchungszeitraums wurden bei den trainierenden Probanden durchschnittlich signifikant weniger Symptome der Krankheit festgestellt. „Diese Effekte sind in etwa mit denen von Medikamenten gleichzusetzen“, sagte Professor Bas Bloem, der Leiter der Studie. Diese Ergebnisse bestätigen jene einer früheren wissenschaftlichen Arbeit, bei der Parkinson-Patienten dreimal wöchentlich je 40 Minuten lang mit hoher Trittfrequenz auf einem Hometrainer trainierten.

Effekt

Der Effekt: eine durchschnittliche Reduktion der Symptome um rund 35 Prozent. Durch eine Verbesserung der allgemeinen Fitness können zudem Lungen- und Herzkreislauferkrankungen verringert werden, was eine potenziell längere Lebensdauer der Patienten erwarten lässt. Das sogenannte Freezing – das „Einfrieren“, ergo Nicht-mehr-bewegen-Können des Körpers – ein weiteres Symptom der Krankheit, könnte ebenfalls durch regelmäßige Rad-Trainings gemildert werden.

Neurowissenschaftler aus Düsseldorf, Konstanz und Dänemark fanden heraus, dass Freezing-Betroffene ein Störsignal im Gehirn aufweisen, das durch das Pedalieren beim Radfahren nachweislich unterdrückt wird. Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher spezielle Elektronen, die den Studienteilnehmern während einer Hirnstimulation implantiert wurden. So konnten sie aufzeigen, dass Radfahren im Vergleich zum Gehen eine starke Unterdrückung dieser Störsignale bewirkt – und die Bewegung die Signale quasi „wieder in den richtigen Takt“ bringt.

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Freezing-Betroffene weisen ein Störsignal im Gehirn auf, das durch Radfahren nachweislich unterdrückt wird

Radfahren im Mittelpunkt

Für die zukünftige Therapie von Patienten mit Freezing-Syndromen könnten diese Studienergebnisse neue zentrale Ansatzpunkte darstellen, wobei das Radfahren dabei im Mittelpunkt stehen könnte. Neben Parkinson und Alzheimer – Krankheiten, die stark altersabhängig sind und, statistisch gesehen, mit dem Alter zunehmen – zählt auch die amyotrophe Lateralsklerose, ALS, zu den neurodegenerativen Krankheiten.

Allerdings tritt sie oft bereits im jüngeren Alter auf. ALS ist eine der häufigsten motoneuronalen Erkrankungen unter Erwachsenen. Die Symptome dieser Krankheit äußern sich in Form einer kontinuierlich fortschreitenden Lähmung, wobei die kognitiven Fähigkeiten typischerweise unbeeinträchtigt bleiben. ALS kann Erwachsene in jedem Alter treffen. Die meisten Patienten versterben drei bis fünf Jahre nach Symptombeginn. Patienten im Frühstadium weisen bereits eine reduzierte maximale Ausdauerleistungsfähigkeit, jedoch keine signifikanten Defizite der kardiovaskulären Funktionen auf.

Verbesserung der funktionellen Kapazität

Studienergebnisse zeigen nun, dass ein strukturiertes Trainingsprogramm bei 14 ALS-Patienten zu Verbesserungen der funktionellen Kapazität führte. Patienten im späteren Erkrankungsstadium, die zum Teil bereits Mobilitätshilfen benötigten, verbesserten ihre Ausdauerleistungsfähigkeit durch ein 30-minütiges Laufbandtraining, das sie über acht Wochen hinweg jeweils dreimal wöchentlich durchführten. Insgesamt deuten mehrere Studien und Übersichtsarbeiten darauf hin, dass ein dauerhaftes moderates Ausdauertraining die körperliche Leistungsfähigkeit von ALS-Patienten verbessern und den Krankheitsverlauf verzögern kann. Jedoch besteht der dringende Bedarf an klinisch durchgeführten Trainingsstudien, die mechanistische Ansätze für den Nutzen verschiedener Trainingsformen und -intensitäten liefern.

Es zeigte sich: Körperliche Aktivität und Sport sind nicht nur für bereits erkrankte Personen wirksam, sondern helfen vor allem gesunden Menschen dabei, die Risiken einer Erkrankung zu senken. Sport ist kostengünstig, nebenwirkungsfrei und bringt während der gesamten Lebensspanne zahlreiche positive und gesundheitsfördernde Effekte mit sich. Lebenslanges Sporttreiben und Aktiv-Sein sind aus wissenschaftlicher Sicht optimal für die Prävention.

Die Effekte des Sports betreffen Menschen jeden Alters. Sie lauten, unter anderem: ein gesünderer Geist, ein gesünderer Körper, Prävention, Leistungsfähigkeit, das vermehrte Ausschütten von Glückshormonen – und Spaß.

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2021Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.

Kohlenhydrate und Leistung: Ernährung, Gesundheit, Abnehmen

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Kohlenhydrate und Leistung – beides hängt zusammen. Doch: Gilt die Regel des „je mehr desto besser“? Und wie viel ist möglich? Wie viele Kohlenhydrate kann man während einer sportlichen Belastung – etwa einem Radrennen oder einem Marathon – aufnehmen und verstoffwechseln?

Dies sind Grundsatzfragen der Ernährungs- und der Sportwissenschaft. Fragen, in denen sich in den vergangenen Jahren extrem viel getan hat. Eine neue Erkenntnis folgte auf die Nächste. Einst ging man davon aus, dass maximal 50 bis 60 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde effizient aufgenommen werden können. Vor einigen Jahren wurde diese „Gewissheit“ nach einer Reihe neuer – und wie sich herausstellte valider – Studien durch eine Neue ersetzt. Die da lautet: Trainierte Athleten können während der Belastung bis zu 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde verwerten. Wenn ein bestimmter Zuckermix eingesetzt wird – ein Mix aus Fruktose und Glukose.

In einzelnen Studien wurden mit dieser Kombination bis zu 105 Gramm pro Stunde oxidiert – wenn 144 Gramm eingenommen wurden. Bei solchen Mengen kommen natürlich, neben den Parametern „Menge“ und „Leistung“, auch weitere wichtige Faktoren hinzu. Diese lauten zum Beispiel: die Verträglichkeit, die Aufnahmefähigkeit und natürlich der Geschmack.

Mehr Kohlenhydrate – mehr Leistung

Nun könnte auch diese Zahl in Frage gestellt werden. Durch Beobachtungen und darauffolgende Untersuchungen spanischer Forscher. Für ihre aktuelle, 2020 im Journal „Nutrients“ erschienene Studie, griffen sie auf Top-Athleten als Probanden zurück: Spitzen-Langdistanz-Bergläufer. Unter ihnen waren zwei Weltmeister in dieser Disziplin.

Die beeindruckenden Ergebnisse vorab: Diese legen nahe, dass Top-Athleten stündlich bis zu 120 Gramm Kohlenhydrate verwerten können – und diese Mehraufnahme im Vergleich zu Mengen von 60 oder 90 Gramm pro Stunde mit Leistungsvorteilen verbunden ist. Die Forscher ließen dazu 26 männliche Elite-Ultraausdauersportler einen Wettkampf, einen selbstorganisierten Bergmarathon, absolvieren.

Die Athleten wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen unterteilt: niedrig, 60 Gramm, mittel, 90 Gramm und hoch, 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde. Die Versuchsgruppe wurde nach und nach an die erhöhte Kohlenhydrataufnahme gewöhnt. Zum Ende des Untersuchungszeitraums absolvierten alle Probanden einen „Praxis-Wettkampf-Test“: einen 4000 Höhenmeter umfassenden Ultra-Berglauf. Vor und nach dem Lauf wurden unter anderem die wahrgenommene Anstrengung und mehrere Blut-Marker für Muskelschäden, wie etwa der Kreatinkinase- oder der Laktatdehydrogenase-Wert, gemessen. Zudem absolvierten die Läufer je zweimal einen Abalakov-Sprungtest und einen maximalen Halbhockentest als indirekte Ergebnisse der neuromuskulären Funktion. Und: Sie führten einen aeroben Leistungskapazitätstest jeweils vor und 24 Stunden nach dem Rennen durch, um ihre glykolytische Kapazität festzustellen.

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Interne Ermüdung

Die Ergebnisse: Die interne Ermüdung, die Zeit bis zur Ermüdung und Laktatkonzentrationen während des Leistungstests waren in der „HIGH-Kohlenhydrat-Gruppe“ signifikant niedriger als in den anderen beiden.

Ergo: Die Athleten, die während der Ausdauer-Belastung 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde zu sich genommen hatten, wiesen nach dem Wettkampf deutlich niedrigere CK- und LDH-Werte auf. Ihre muskuläre Belastung war demnach signifikant niedriger als die jener Probanden, die weniger Zucker zu sich nahmen. Somit sind positive Auswirkungen auf die Verzögerung der Ermüdung und die Verbesserung der Erholung der neuromuskulären Funktion und der glykolytischen Kapazität festzustellen.

Magen-Training

Bislang ging man davon aus, dass es nicht möglich sei, solche Mengen an Kohlenhydraten aufzunehmen. Dass dies möglich ist – und zudem Leistungsvorteile bringen kann – ist eine Nachricht, die wohl zum Erstellen mehrerer weiterer Studien führen wird.

Der Sport-Ernährungs-Experte Asker Jeukendrup kontaktierte den Erstautor dieser Studie: Aitor Viribay. Der junge Spanier fuhr einst selbst als Semiprofi in der U23-Klasse auf internationalem Niveau. Jeukendrups erste Frage an ihn: „Ist es wirklich möglich, 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde aufzunehmen?“ Aitor Viribays Antwort: „Auf jeden Fall, ja. Wir sehen das jeden Tag bei Profi-Radsportlern, die große Rennen gewinnen, und bei Eliteläufern, die neue Rekorde aufstellen. Es ist klar, dass Elite-Athleten diese Einnahme wirklich gut vertragen, wenn sie trainiert sind. Wir sahen, dass große Rennen in der Welt – wie der Giro d‘Italia, die Tour de France, der Ironman Hawaii, der Berlin-Marathon – mit ähnlichen Methoden gewonnen wurden.“

Sechs-Phasen-Plan

Viribay entwickelte, davon ausgehend, einen Sechs-Phasen-Plan, mit dem Athleten ihre Anpassung an eine erhöhte Kohlenhydrat-Aufnahme optimieren können – nach und nach. Diese Phasen sind: Mehr Flüssigkeit aufnehmen, gezielt zunächst mehr Früchte, beziehungsweise Fruktose, zu sich nehmen, zusammen mit ausreichend Flüssigkeit – in Form von isotonischen Getränken.

Danach steigert man seine Zucker-Aufnahme während des Trainings sanft: beginnend mit zehn bis 40 Gramm stündlich und dann immer weiter steigernd bis zu 90 Gramm. Die finalen Phasen sind darauf ausgerichtet, die individuell maximal tolerierte Kohlenhydrat-Menge zu erreichen – ohne Magen- beziehungsweise Verdauungsprobleme zu provozieren. Dazu sollten Trainings- und Wettkampf-Ernährungs-Protokolle geführt werden.

Gesundheit

Der Faktor „mehr Leistung durch eine optimierte Ernährung“ ist ein wichtiger Parameter für Athleten – der Faktor „eine dauerhaft gesunde Ernährung“ ein anderer. Gefühlt werden dazu, was eine „gesunde Ernährung“ ist, täglich neue Bücher veröffentlicht. Allein das Sachbuch „der Ernährungskompass“ des Journalisten Bas Kast stand monatelang auf der Bestsellerliste.

Prinzipiell ist es einfach, sich gesund zu ernähren. Mit Gemüse, Salat, Hülsenfrüchten – nach den Prinzipien: frisch, regional, bunt, selbstgekocht. Dennoch sieht die durchschnittliche „westliche Ernährung“ heute ganz anders aus. Dass Junk-Food, Chips, Limonade, Süßigkeiten, Fertigpizzen und Co. dauerhaft ungesund sind, weiß jeder. Doch es besteht in weiten Teilen der Gesellschaft eine massive Diskrepanz zwischen Wissen und Tun, beziehungsweise Essen.

Fast Food, Ernährung, Kohlenhydrate

Fast Food scheint schon nach einer kurzen Zeit die Gehirnfunktion negativ zu beeinflussen

Die Auswirkungen von schlechter Ernährung

Wie schnell und massiv sich eine „schlechte“ Ernährungsweise im Körper auswirken kann, untersuchten jüngst australische Forscher. Ältere Untersuchungen zeigten, dass Probanden bereits nach sieben Tagen einer Diät mit einem hohen Gehalt an Zucker und gesättigten Fettsäuren bei Gedächtnistests signifikant schlechter abschnitten – zudem wuchs ihr Appetit auf solche Junk-Food-Lebensmittel stark an.

„Frühere Arbeiten an Tieren haben gezeigt, dass Junk-Food den Hippocampus beeinträchtigt, eine Hirnregion, die an der Gedächtnis- und Appetitkontrolle beteiligt ist“, sagt Richard Stevenson, Professor für Psychologie an der Macquarie-Universität, Sydney. Er und sein Team rekrutierten 110 gesunde schlanke Probanden im Alter von 20 bis 23 Jahren. Die Hälfte von ihnen wurde nach dem Zufallsprinzip einer Kontrollgruppe zugeteilt, die sich eine Woche lang normal, wie gewohnt, ernährte. Die andere Hälfte wurde auf eine energiereiche westliche Diät gesetzt. Vor und nach diesem Zeitraum absolvierten alle Studien-Teilnehmer Wortgedächtnistests – und bewerteten nach dem Verzehr eine Reihe von sehr zuckerreichen Nahrungsmitteln, wie etwa Coco Pops, Frosties und Froot Loops.

Das Ergebnis: Die Probanden der Fast-Food-Gruppe hatten, auch wenn sie satt waren, signifikant mehr Appetit auf ungesunde stark zuckerhaltige Lebensmittel. Und: Es fand sich ein Zusammenhang zwischen dem Konsum solcher Lebensmittel und verschlechterten kognitiven Leistungen. Demnach könnte bereits eine Woche einer „westlichen Diät“ die Gehirnfunktion gesunder junger Menschen beeinträchtigen.

Gutes Fett

Dieser „westlichen“, steht die sogenannte Mittelmeer-Diät gegenüber. Diese zeigt seit Jahrzehnten in Vergleichsstudien gute oder sehr gute Gesundheitseffekte. Die Inhalte: Fettfisch, Gemüse, Kräuter, Salate, Hülsenfrüchte, Olivenöl – und mehr. Zu den Effekten hochwertigen Olivenöls finden Sie einen eigenen „Wissen-ist-Macht“-Artikel in der RennRad-Ausgabe 9/2020. Darin wird noch einmal deutlich, wie falsch man früher mit der generellen Verteufelung des „Dickmachers“ Fett lag.

Auf die „richtigen“ Fette kommt es an. So können Omega-3-Fettsäuren die Regeneration und das Immunsystem stärken. Sie werden in die Membrane der Muskelzellen eingelagert, wirken entzündungshemmend und können einen positiven Einfluss auf die Verletzungsanfälligkeit haben. Enthalten sind sie etwa in Leinöl, Kokosmilch, Makrele, Hering, Lachs.

Meiden sollte man hingegen eher Omega-6- sowie gehärtete Fettsäuren: Diese stehen in einer Relation zu Herzproblemen und -infarkten sowie einer verminderten Muskelleistung. Sie sind unter anderem in Distel-, Soja-, Sonnenblumen- oder Maiskeimöl zu größeren Anteilen enthalten.

Bedeutung des Energieträgers Fett

Die enorm wichtige Bedeutung des Energieträgers Fett – auch für das Thema „Abnehmen“ – wurde inzwischen durch etliche Studien deutlich. So etwa durch eine der Harvard University, USA. Bei dieser wurde eine sehr fettarme Ernährung mit einer relativ fettreichen verglichen.

Das Ergebnis: Die Probanden, die sich nach einem Speiseplan, wie er in Mittelmeerregionen – mit viel Fisch und hochwertigen Pflanzenfetten wie etwa aus Olivenöl – typisch ist, ernährten, nahmen mehr und nachhaltiger ab als die Fettverweigerer: durchschnittlich 4,5 Kilogramm innerhalb von 18 Monaten. Und damit 1,5 Kilogramm mehr als die Probanden, die sich fettarm ernährten.

Eine weitere wichtige Ernährungsfrage lautet: Gehören zu einer „gesunden Ernährung“ auch Nahrungsergänzungsmittel? Diese sind gerade unter Athleten weit verbreitet. Doch sie sind, so ist der Stand der Wissenschaft, in der Regel unnötig. Manche, wie etwa Vitamin C in sehr hohen Dosen, können sich sogar negativ auswirken.

Niedrige Eisenwerte bedeuten niedrige Leistungsfähigkeit

Für den Ernährungsexperten Dr. Wolfgang Feil gibt es jedoch mehrere Sonderfälle. „Vor allem zwei Mineralien: Eisen und Zink“, sagt er. „Der Ferritinwert sollte immer über 100 liegen. Damit haben viele Sportler Probleme, gerade solche, die kein oder wenig Fleisch essen. Veganer sollten am besten einmal pro Quartal ihren Ferritinspiegel messen lassen.“

Denn niedrige Eisenwerte bedeuten in der Regel auch: eine niedrige Leistungsfähigkeit. Auf Eisen beruht das für die Muskelleistung entscheidende Sauerstoff-Transportsystem des Körpers.

In einer negativen Wechselwirkung dazu steht: Zink. Das Mineral ist an mehr als 150 Stoffwechselprozessen beteiligt. Es wird etwa bei einer Virus-Belastung des Körpers stark verbraucht. „Bei vielen Sportlern ist der Zinkspiegel kritisch. Wegen seiner immunfördernden Effekte gehört es auch in jeden guten Regenerationsshake.“

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Endofibrose – Stenose der Arterien: Hintergrund, Symptome, Behandlung

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Sie war die Wunderfahrerin. Sie kam, sah, siegte – bei drei Weltmeisterschaften in drei Disziplinen im selben Jahr: auf dem Rennrad, dem Cyclocrosser und dem Mountainbike. Sie gewann alles, in allen drei Disziplinen, mit 22 Jahren. Der Name dieser Übersportlerin: Pauline Ferrand-Prevot. Die Experten waren sich einig: Die junge Französin würde den Frauen-Radsport über viele Jahre hinweg dominieren. Heute, fünf Jahre später, weiß man: Es kam ganz anders. Ferrand-Prevot gewann über Jahre hinweg kein bedeutendes Rennen mehr. Statt besser zu werden, fielen ihre Ergebnisse massiv ab. Bis 2018 – bis sie die Ursachen ihrer Probleme fand. Und sich operieren ließ. Seit Dezember 2018 kennt sie endlich die Antwort: Endofibrose. Diese krankhafte Veränderung der Arterien ist kaum bekannt, kaum erforscht. Unter Insidern gilt sie als „Radfahrer-Krankheit“. Über die Ursachen herrscht keinerlei Einigkeit. Als wahrscheinlichste gelten: eine genetische Disposition – und durch die Sitzposition auf dem Rennrad bedingte Veränderungen in den Arterien.

Ferrand-Prevot ging es wie wohl vielen anderen Athleten: Sie litt jahrelang an den Symptomen – ohne die Ursachen ihrer Probleme zu kennen. Ohne etwas ändern zu können. Erst als die Schmerzen immer größer wurden, und auch abseits des Rades, im Alltag, auftauchten, kamen ihre Ärzte – nach Monaten der Untersuchungen und Vermutungen – auf die Ursache: eine Endofibrose. Sie ging zu einem Spezialisten, ließ sich untersuchen und bekam die Diagnose.

Endofibrose: Gefahr für Radsportler aller Altersgruppen

Die Krankheit betrifft Radsportler aller Altersgruppen – statistisch gesehen jedoch am häufigsten: sehr ambitioniert trainierende Männer unter 40 Jahren. Sie ist vor allem bei Radsportlern und Triathleten nachgewiesen. Und hängt wohl spezifisch mit der Sitzposition auf dem Rad zusammen. Der Sitzwinkel, die Beugung zwischen Oberkörper und Beinen – und damit dem Herz, das die Beinmuskeln mit Blut versorgt – sorgt wegen der Dauerbelastung dafür, dass die so belasteten Arterien degenerieren. Betroffen ist in den meisten Fällen die äußere und innere Beckenarterie – diese beiden Arterien gehen direkt von der Aorta ab und führen durch das Becken nach unten. Sie sind die „Hauptversorgungskanäle“ aller Beinmuskeln. In den meisten Fällen bildet sich in ihnen Narbengewebe, das den Blutfluss behindert. Manchmal wachsen sie in die Länge. Und knicken später ab.

Die Folge: Die Blutversorgung der Beinmuskeln ist eingeschränkt. Je länger beziehungsweise „geknickter“ die Arterien sind, desto weniger Blut und damit Sauerstoff erreicht die Muskeln. Deren Sauerstoffbedarf ist, gerade bei intensiven Belastungen, sehr hoch. Weniger Sauerstoff, weniger Leistung. Mehr Schmerz. Die Probleme treten in manchen Fällen plötzlich auf, meist jedoch erst nach und nach. Es ist ein schleichender Prozess. Ein Prozess im eigenen Körper, der Athleten zur Verzweiflung bringen kann. Der dazu führt, dass man an sich zweifelt.

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Leistungsabfall

Denn das Hauptsymptom der Krankheit lautet: fehlende Leistung. Im intensiven Leistungsbereich nimmt der „Druck auf dem Pedal“ nach und nach ab. In vielen Fällen gehen die Sportler sowie auch die meisten Ärzte zunächst vom berüchtigten Übertrainingssyndrom als Ursache aus. Denn auch dieses drückt sich vor allem durch eine verminderte Leistungsfähigkeit im anaeroben Bereich aus.

Diese Überlastung des Körpers kann man durch eine Trainingspause in den Griff bekommen. Die Endofibrose nicht. Leidet man an dieser Arterien-Degeneration, steigt nach einer wochenlangen Pause wieder auf sein Rad und nähert sich dem roten Intensitätsbereich oberhalb der anaeroben Schwelle, so treten die Symptome – vor allem die Schmerzen – sofort wieder auf. Es existiert, bei einem fortgeschrittenen Status, keine konservative Therapie. Die einzige Hoffnung: eine Operation. Eine große und gefährliche Operation. Das Risiko dabei ist hoch. Der Südafrikaner Ryan Cox, damals Radprofi im Team Barloworld, starb 2007 im Alter von 28 Jahren, wenige Wochen nachdem eine solche Operation an ihm durchgeführt wurde.

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Für Radsportler bedeutet diese Krankheit: weniger Sauerstoff, weniger Leistung. Mehr Schmerz.

Radprofi-Krankheit Endofibrose

Unter Radprofis ist das Auftreten vergleichsweise häufig – auch wenn dieses nicht in einer offiziellen Studie dokumentiert wurde. Angesichts der extrem ungenügenden Studienlage muss man sich in der Regel mit Fallbeispielen behelfen.

So kennt allein der Autor dieses Artikels drei weitere talentierte, etwa gleich alte, deutsche Athleten, die ihre Radsport-Karrieren schon früh beenden mussten. Einer der Sportler, ein im Nachwuchsbereich sehr erfolgreicher Fahrer, ließ sich mehrfach operieren. Vergeblich. Die Symptome tauchten nach einer kurzen, mehrwöchigen Phase, kaum verändert wieder auf.

Die anderen Athleten sahen von einem operativen Eingriff ab. Zu den zahlreichen Radprofis, die von solchen Arterienproblemen betroffen waren, zählen etwa: Fabio Aru, Stuart O’Grady, Bert Grabsch, Ian MacGregor, Derek Bouchard-Hall, Charles Dionne, Stuart Gillespie, Hayden Godfrey, Mari Holden, Bobby Lea, Tony Gallopin, Theo Bos, Martin Elmiger, Marianne Vos, oder Holger Loew, der für Deutschland den Junioren-Weltmeister-Titel geholt hatte. Der Schweizer Patrick Müller aus dem Team Vital Concept-B&B Hotels, der im April 2019 die Limburg Classic gewonnen hatte, trat noch im selben Sommer – wegen anhaltenden Schmerzen im linken Bein – zurück. Ein Jahr nach einer Operation an seiner Iliac-Arterie. Im Alter von 23 Jahren. Thomas Peter, der Sportdirektor von Swiss Cycling, kommentierte diesen erzwungenen Rücktritt mit den Worten: „Mit Patrick verlieren wir eines unserer größten Talente.“

Joe Dombrowskis arterielle Endofibrose

Joe Dombrowski ist heute 29 Jahre alt und Profi im Team UAE. 2019 wurde er Dritter der Tour of Utah und Zwölfter des Giro d’Italia. Dabei stand er bereits 2013 vor dem Karriereende. Im Juli 2013 spürte er zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte. An einem Anstieg. Sein linkes Bein verkrampfte. Es schmerzte. Er ging zu Ärzten. Keiner wusste Rat. Die Symptome wurden schlimmer. Die Muskeln an seinem linken Bein wurden immer schwächer. Sein Oberschenkelumfang nahm um 3,5 Zentimeter ab.

Erst nach einem Jahr fand man heraus, was sein Problem ist: eine Blutflusslimitierung. Eine arterielle Endofibrose. Joe Dombrowski ließ sich operieren – und kehrte in den Profi-Radsport zurück. Danach, 2015, feierte er den bis dato größten Erfolg seiner Karriere: Er gewann die Tour of Utah.

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Die Studienlage zur Endofibrose ist dünn

Kaum Studien zur Endofibrose

Bei zahlreichen Radprofis „funktionierte“ der Eingriff: Sie konnten nach den Operationen ihre Karrieren fortsetzen. Warum sich die Endofibrose bei manchen Sportlern nach der OP wieder entwickelt und bei anderen nicht, ist ein weiteres bislang ungelöstes Rätsel.

Einige Forscher vermuten hier einen Zusammenhang mit der Ausprägung der körpereigenen Wachstumshormone. Es existieren kaum Studien zu dem Thema – und die wenigen arbeiten nur mit sehr wenigen Fällen. Ergo ist die Aussagekraft dieser Untersuchungen sehr gering. Weiterhin gibt es nur sehr wenige spezialisierte Ärzte.

Auch die Diagnose ist aufwendig: Man muss sich Kontrastmittel spritzen lassen und anschließend in einem Magnetresonanz-tomatographen eine rennradtypische Körperhaltung nachahmen.

Pauline Ferrand-Prevot ließ sich im Januar 2019 von einem Spezialisten in Lyon operieren. Sie hat die aufwendige mehrstündige Operation gut überstanden. Danach dauert es in der Regel mehrere Monate, bis man wieder Wettkämpfe bestreiten kann. Mindestens sechs Wochen lang darf man gar keinen Sport machen.

Acht Wochen nach der Operation nahm sie ihr spezifisches Training wieder auf. Drei Monate später fuhr sie ihr erstes Comeback-Radrennen. Drei Monate danach wurde sie Weltmeisterin im Cross-Country im Mountainbike-Marathon.

Doch: Ein Jahr nach der Operation spürte sie: Etwas stimmt nicht. Der alte, bekannte, unnatürliche Schmerz ist wieder da. Die Endofibrose war zurück. Pauline Ferrand-Prevot ließ sich erneut an der gleichen Stelle operieren. Wieder begann sie bei Null, wieder kämpfte sie sich zurück. Ende August gewann sie ihr erstes Rennen nach diesem zweiten Comeback.

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Endofibrose: Symptome und Behandlung

Erkennen

Die Krankheit Endofibrose wurde erstmals 1986 von Chevalier bei Radfahrern beschrieben – aber auch von anderen Ausdauersportlern werden Fälle gemeldet:  Triathleten, Läufern, Skilangläufern oder Ruderern etwa. Die äußere Iliakal-Arterie ist die am häufigsten betroffene Stelle.

Die Hauptbetroffenen: Männliche Radsportler unter 40 Jahren. Die Symptome variieren: Die meisten Betroffenen sprechen von Schmerzen, einer Art Muskelkrampf und Taubheit. Dieses Gefühl tritt in der Regel nur in einem Bein auf. Aufgrund dieser vielfältigen Symptomatik und dem mangelhaften Wissens- und Forschungsstand dauert es in den meisten Fällen sehr lange, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.

Eine Studie wies auf eine 12- bis 41-monatige Verzögerung zwischen dem Auftreten der Symptome und der richtigen Diagnose hin. Die betroffenen Radsportler hatten demnach zuvor zwischen 30.000 und 500.000 Trainings-Kilometer absolviert. Der älteste Patient war 61 Jahre alt.

Die wichtigsten Symptome der Endofibrose

  • Typische Gefühle in den Beinen sind: Muskelkrämpfe, Schwäche, Parästhesie und Taubheit sowie eine Schwellung des Oberschenkels
  • Der Schmerz ähnelt dem des „typischen“ Belastungs- beziehungsweise Laktat-Schmerzes, ist jedoch intensiver und stechender
  • Die muskuläre Erholung in Phasen der geringeren Belastung – etwa der Erholung während eines Intervall-Trainings – ist extrem eingeschränkt
  • Im Ruhezustand oder bei submaximalen Belastungen treten die Symptome in der Regel nicht, oder kaum, auf
  • Je höher die Intensität der sportlichen Belastung ist, desto ausgeprägter werden die Symptome

Ursachen

Bei der Endofibrose der Beckenarterie kommt es zu degenerativen Veränderungen. Diese verringern in der Regel den Durchmesser der Arterien – und vermindern somit den Blutfluss. Es kann somit zu einer Verengung, einer Stenose, der Arterie kommen. In den meisten Fällen ist die äußere Beckenarterie betroffen.

Als Ursache dieser Veränderungen ist, neben einer genetischen Disposition, vor allem die spezifische Sitzposition auf dem Rennrad in der Diskussion. Diese Haltung bringt eine Hyperflexion der Hüfte mit sich. Dabei kann die äußere Beckenarterie, über Jahre hinweg, gedehnt werden. Die Belastung der Arterie kann zu einer Vernarbung oder einem Längenwachstum führen – beides vermindert den Blutfluss innerhalb der Arterie.

Auch hypertrophierte Muskeln, etwa der Hüftbeuger, können die Beckenarterie komprimieren. Generell existieren zu den Ursachen kaum valide Studien. Sie sind in der Wissenschaft umstritten.

Behandeln

Die konservative Behandlung umfasst vor allem Positionsveränderungen auf dem Rad, die die Hüftbeugung vermindern sollen – und bei Freizeitsportlern: das Vermeiden maximaler Belastungen. Für die Diagnose können verschiedene bildgebende Verfahren, wie etwa das MRT, zum Einsatz kommen. Zudem werden Blutfluss-Untersuchungen durchgeführt.

Eine der gängigsten Operationsmethoden ist die „Endofibrosektomie mittels einer Patch-Angioplastie“: Dabei wird die betroffene Arterie der Länge nach aufgeschnitten. Das fibrotische Gewebe wird entfernt und die Arterie mittels eines „Pflasters“ aus körpereigenem Material verschlossen. Ist es nicht möglich, ein „Patch“ aus einer Vene des Patienten zu gewinnen, so wird ein Kunstmaterial verwendet – etwa das Polyestergewebe „Dacron“, das sonst vor allem bei Boots-Segeln zur Verwendung kommt.

In seltenen Fällen werden alternativ ganze Stücke aus der Arterie „herausgeschnitten“. Die Effekte der Patch-Operationen: Nach einer Studie des Saint Joseph’s Hospital, Chicago, lag die Erfolgsquote bei 99 Prozent. Fast alle der untersuchten Athleten konnten nach der Operation ihren Sport wieder aufnehmen. Aktuell finden zudem Studien zum Einsatz weiterer minimalinvasiver Operationstechniken statt.

Nur sehr wenige Krankenhäuser und Gefäßchirurgen sind auf diese Operationen spezialisiert. So etwa Kliniken in Lyon, Eindhoven, Bristol, Grenoble – und das Vivantes Klinikum Berlin Friedrichshain.

Arterien-Degeneration: Der Operations-Ablauf

  • In einem typischen Operations-Ablauf entfernt der Chirurg das betroffene Gewebe, eine Degeneration der Arterienwand.
  • Zunächst wird dafür ein Längsschnitt entlang der Beckenarterie durchgeführt und das Gewebe entfernt.
  • Die Arterie wird anschließend wieder zusammengefügt und der Durchmesser der Arterie wiederhergestellt.
  • Dies geschieht mithilfe eines biologischen „Pflasters“, das meist aus einer Oberschenkelvene stammt.

Kennzeichnungspflicht für Radfahrer? Rechte und Pflichten im Verkehr

Verkehrspolitik, Kennzeichnungspflicht, Leitartikel

Jeder Mensch ist oftmals nur eine Nummer – im Steuersystem, beim Reisen, im Gesundheitssystem, im Auto. Und bald auch auf dem Fahrrad. Wenn es nach manchen geht – nach Barbara Slowik etwa, der Polizeipräsidentin von Berlin. Sie wärmte im Oktober eine alte Debatte wieder auf: Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Fahrräder.

Die Gründe: steigende Unfallzahlen und mehr Fahrerfluchten von Radfahrern. „Wir beobachten eine zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr – auch bei Fahrradfahrern. Über 50 Prozent der Verkehrsunfälle mit Radfahrern werden im Übrigen von Radfahrern selbst verursacht“, sagte sie. Und: „Das Gefahrenpotenzial von Radfahrenden ist natürlich nicht mit dem von Kraftfahrzeugen zu vergleichen; dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Radfahrende gegenüber zu Fuß-Gehenden die stärkeren Verkehrsteilnehmenden sind.“

Das Ziel müsse sein, die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen. „Mit Blick auf die Beschwerden, die uns von Fußgängern übersandt werden, wäre eine Kennzeichnungspflicht auch für Radfahrer diese Überlegungen zumindest wert“, sagte Slowik im Interview mit der „Berliner Morgenpost“. Oliver Friederici von der CDU Berlin unterstützte diesen Vorschlag – und schlug vor, die Fahrrad-Kennzeichnungspflicht auf ganz Deutschland auszuweiten.

Unfälle

Auch Gunnar Schupelius fordert in seinem Kommentar in der „Berliner Zeitung“ eine Haftpflichtversicherungs- und Kennzeichnungspflicht für alle Radfahrer: „Es ist schwer zu sagen, wer sich im Straßenverkehr schlechter benimmt: die Autofahrer oder die Radfahrer. Fußgänger übrigens auch nicht zu vergessen. Aus meiner Sicht als Autofahrer sind es auf jeden Fall die Radfahrer. Sie bringen mich zehn Mal am Tag in eine gefährliche Lage, weil sie alle Regeln brechen (…). Früher waren Räder langsam und leicht, heute sind sie schnell und schwer. Sie fahren locker 40 Stundenkilometer, auch ohne Unterstützung durch einen Elektromotor, und sie haben einen langen Bremsweg (…). Unter allen Verkehrsteilnehmern begehen Fahrradfahrer am häufigsten Unfallflucht (…). Das Fahrrad gilt als gleichberechtigt mit den motorisierten Verkehrsmitteln. Dann muss es auch gleichbehandelt werden. Das wäre nur fair.“

Soweit die Meinungen – nun zu den Fakten. Zu der angeführten Zahl, dass über 50 Prozent der Fahrrad-Verkehrsunfälle in Berlin von den Radfahrern selbst verursacht werden, muss man konstatieren: ja. Und nein.

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Wie belastbar sind die Statistiken?

Die Zahl – 52 Prozent, um genau zu sein – ist richtig, doch ihre Aussagekraft ist nichtig. Denn, statistisch gesehen, zählt auch jeder „Alleinunfall“ auf dem Rad, jedes Ausrutschen auf feuchtem Laub etwa, als Unfall. Ebenso fließen bereits Vorfälle wie angezeigte Kratzer im Lack eines Autos in die genannte Unfallflucht-Statistik ein – „Unfälle“ also, die teils von den Verursachern nicht einmal bemerkt werden.

Die „Sonderuntersuchung Radverkehrsunfälle“ der Berliner Polizei für das Jahr 2018 zeigte, dass nach Unfällen 8,7 Prozent der Radfahrer Unfallflucht begingen. So wie 7,6 Prozent der Autofahrer, und fast 15 Prozent der LKW-Fahrer – trotz der Kennzeichen an ihren Gefährten.

2019 wurden in Berlin 147.306 Verkehrsunfälle von der Polizei aufgenommen. Die Hauptursache: Abbiegeunfälle. Die Unfallverursacher: in 68 Prozent der Fälle Autofahrer, in 13 Prozent der Fälle LKW-Fahrer – und in weniger als vier Prozent der Fälle Radfahrer. An 75 Prozent dieser Unfälle waren PKW beteiligt, an zehn Prozent LKW – und nur an 3,9 Prozent Fahrräder.

Kennzeichnungspflicht für Fußgänger?

52,3 Prozent der Unfälle 2019 zwischen Radfahrern und Fußgängern wurden von den Fußgängern verursacht oder mitverursacht. Wann kommt demnach, stringent gedacht, aus der Politik die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Fußgänger?

Die Zahl der Schwerverletzten bei Unfällen zwischen Radfahrern und Fußgängern 2019: 43. Schwerverletzte nach Unfällen zwischen Autos und Fußgängern: 385. Deutschlandweite Zahlen aus 2018: Bei Unfällen zwischen Radfahrern und PKW waren die Autofahrer zu 75 Prozent die Hauptverursacher. Bei jenen zwischen LKW und Radfahrern traf die Hauptschuld in 80 Prozent der Fälle die LKW-Fahrer.

Effizienz und Sicherheit

Die Zahl der in Berlin schwer verletzten Radfahrer stieg innerhalb eines Jahres – 2017 auf 2018 – von 627 auf 743, die der leicht verletzten von 4350 auf 4886, die der getöteten von neun auf elf. 2020 sind, laut ADFC, bis Mitte Oktober bereits 16 Radfahrer nach Unfällen auf Berliner Straßen gestorben. Dabei hat Berlin als erstes Bundesland eine „Vision Zero“ gesetzlich verankert.

Darin heißt es: „Ziel ist, dass sich im Berliner Stadtgebiet keine Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden ereignen.“ Das Fazit Nummer eins: Mit Statistiken, die aussagekräftig sind, scheinen in Berlin manche Schwierigkeiten zu haben. Das Fazit Nummer zwei: Mit Effizienz und Pragmatismus ebenso.

Kein deutsches Nachbarland hat Kennzeichnungspflicht für Radfahrer

Keines der deutschen Nachbarländer, in denen der Radverkehrsanteil teils sehr viel höher ist, hat eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder. In der Schweiz galt eine solche rund 100 Jahre lang. 2012 wurde sie abgeschafft – unter anderem wegen des zu hohen Verwaltungsaufwands.

Wenn es in Deutschland an einem nicht mangelt, dann an Bürokratie. „In Deutschland gibt es fast 80 Millionen Fahrräder“, sagt Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin des Vereins Changing Cities. „Wir haben ein viel größeres Problem mit Falschparkern als mit Radfahrern.“

Auch Vertreter des Fachverbands Fußverkehr lehnen die Vorschläge ab. Solche Nummernschilder wären zu klein, um sie richtig erkennen zu können, sagt Roland Stimpel, ein Vereinsvorstand. Stattdessen solle die Politik für breitere Radwege und härtere Strafen sorgen. „So ließe man alle regeltreuen Radfahrer in Ruhe und bestraft die, die sich nicht an die Regeln halten.“ Welche sind die größten Gefahrenquellen für Fußgänger und Radfahrer? „Die echte Gefahr“, sagt Nikolas Linck, ADFC, „geht für beide Gruppen nach wie vor vom Autoverkehr aus: Zwei Drittel der Verkehrstoten in Berlin sind Radfahrer oder Fußgänger, obwohl sie zusammen an nur fünf Prozent aller Unfälle beteiligt sind.“

2018 registrierte die Berliner Polizei 2159 Kollisionen zwischen Kraftfahrzeugen und Fußgängern. 19 Fußgänger starben. An vier von fünf Fußgängerunfällen sind Autos beteiligt.

Radwege und Risiken

Die Zahl der Radfahrer – in Berlin und anderen Städten – steigt nicht wegen, sondern trotz der vorhandenen beziehungsweise nicht vorhandenen Fahrrad-Infrastruktur. Im Rahmen einer Forsa-Umfrage wurde festgestellt: Mehr als acht von zehn Berliner Radfahrern, 84 Prozent, geben an, dass sie sich im Straßenverkehr nicht sicher fühlen. „Sehr sicher“ fühlt sich niemand, „sicher“ nur jeder Sechste.

In einer landesweiten Umfrage des ADFC mit 170.000 befragten Radfahrern gaben diese der „Sicherheit auf dem Rad“ im vorvergangenen Jahr die Note 4,2. Zwei Jahre zuvor lag die Note noch bei 3,9. 81 Prozent der Befragten ist es demnach wichtig, auf dem Rad vom Autoverkehr getrennt zu sein. Ein Drittel der Befragten gab an, nicht zum Radfahren zu gewinnen zu sein. Unter anderem aus Angst vor dem Straßenverkehr.

Safety-in-Numbers-Effekt

Ein effizientes Mittel für mehr Sicherheit wäre: Die Zahl der Radfahrer zu steigern. Denn: Es besteht ein „Safety-in-Numbers-Effekt“. Dies zeigten mehrere große Studien. So wurde etwa in der auf den Radverkehr eingestellten und ausgelegten Hauptstadt Dänemarks, Kopenhagen, festgestellt, dass das Unfallrisiko für Radfahrer innerhalb von 15 Jahren um mehr als 70 Prozent zurückgegangen ist. Trotz, beziehungsweise wegen des massiven Anstiegs des Radverkehrsanteils.

In Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden verunglücken Radfahrer rund zehnmal seltener als in Deutschland. Hier noch einmal die bereits in einem früheren Leitartikel angeführten Zahlen zu den Berliner Radinfrastruktur-Investitionen.

Recht und Pflicht

Die Summe, die der für die Radverkehrsinfrastruktur verantwortlichen Berliner Landesgesellschaft Infravelo 2019 zur Verfügung stand: 6,5 Millionen Euro. Die Summe, die dafür in den Radwegebau floss: 73.000 Euro. Die Summe, die laut dem Tagesspiegel für das Anmalen von Radwegen mit grüner Farbe, die „Grünbeschichtung von Radverkehrsanlagen“, ausgegeben wurde: 4,13 Millionen Euro. Die Investitionen in den Radverkehr pro Kopf, laut einer Greenpeace-Studie, in Berlin: 4,70 Euro. In Oslo: 70 Euro. In Utrecht: 132 Euro.

Das Fazit Nummer drei dieses Leitartikels lautet demnach: In Deutschland – gerade in großen Städten wie Berlin – herrscht bei den Themen Radverkehr und Sicherheit ein klar belegbares Politikversagen.

Ein Fazit passend zu Berlin. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung verglich für die Studie „Berlin auf dem Weg ins Jahr 2030“ die deutsche mit 15 anderen europäischen Hauptstädten. Die Ergebnisse: Bei der Verwaltungseffizienz kam Berlin auf den vorletzten Platz, knapp vor Rom, bei der Luftverschmutzung auf den zwölften – von 16. Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel sagte bereits 2019, dass der Rechtsstaat in der Stadt „in Teilen nicht mehr funktionsfähig“ sei. 8500 Haftbefehle seien nicht vollstreckt, Straftäter blieben frei, minderschwere Verbrechen würden teils gar nicht erst verfolgt.

Allein alle Skandale um die „Ausbildung“ an der Berliner Polizeischule hier aufzureihen, würde den Rahmen sprengen. Berlin erfüllt viele Kriterien eines „failed state“. Eine Grundsatzfrage demnach ist: Haben die Verantwortlichen der Berliner Politik und Polizei nicht andere Dinge zu tun? Grundsätzliches? Das Gewährleisten der Sicherheit der Bewohner und eine funktionierende Verwaltung und Exekutive etwa? Ja, man kann dies Polemik nennen. Die Kennzeichnungspflicht für Fahrräder wird unter anderem mit dem Argument der Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer gefordert. Dieses Argument ist völlig legitim. Dem könnte man sofort zustimmen. Dann gälte: dieselben Rechte und Pflichten für alle.

Eine Infrastruktur, die alle Verkehrsteilnehmer schützt

Nur sollte dies dann auch die Infrastruktur betreffen. In Form von: Radwegen, die diese Bezeichnung verdienen. Sicherheitsstreifen an Kreuzungen. Radschnellwegen. Genug öffentlichen Stellplätzen.

Einer Infrastruktur, die alle Verkehrsteilnehmer schützt. Die die Angst vor dem Radfahren – und die Angst auf dem Rad – nimmt. Die Radfahrer, Fußgänger und Autos räumlich trennt. Die dazu beiträgt, mehr Menschen auf Fahrräder zu bekommen. Und damit gleich mehrere enorm wichtige, wünschenswerte, nein notwendige Effekte hat – auf den CO2-Ausstoß, auf Staulängen, auf die Luftqualität, auf Bewegungsmangel-Krankheiten, auf das Gesundheitssystem, auf die Psyche. Effekte, wie sie die politischen Entscheider fördern sollten. Müssten. Eine Infrastruktur wie sie andere Länder* längst haben.

*Trotz deutlich niedrigerer Abgabequoten. Die Deutschen zahlen die höchsten Steuern und Sozialabgaben der Welt. Fehlende Budgets können damit für die Politik nicht als „Argument“ gegen den Infrastrukturausbau dienen. Zahlreiche Belege und Studien für die positiven Effekte von Radinfrastruktur-Investitionen finden Sie in den Leitartikeln der RennRad-Ausgaben 3/2020 und 8/2020.


Weitere Leitartikel von RennRad-Chefredakteur David Binnig

Marc Hirschi im Portrait: Eintagesfahrer in der Radsport-Weltspitze

Marc Hirschi, Radsport, Portrait

Dies ist seine erste Tour de France, seine erste Grand Tour überhaupt – und das dritte Mal, dass er um den Etappensieg fährt. Die Etappe von Chauvigny nach Sarran ist anspruchsvoll, 218 Kilometer, wellig, bergig. Er ist Teil einer Spitzengruppe – bis zum Fuß eines langen Anstiegs. Bis er aus dem Sattel geht, beschleunigt – und allein ist. Es sind noch rund 30 Kilometer bis ins Ziel. Marc Hirschi kommt an. Mit 47 Sekunden Vorsprung. Nach den Etappenplätzen zwei und drei holt er sich nun seinen Sieg. „Ich habe immer gezweifelt, die Verfolger waren nah dran. Ich hatte das Bild noch aus den letzten Etappen im Kopf und fürchtete, dass es wieder nicht reichen würde. Erst auf den letzten Kilometern habe ich an mich geglaubt. Es ist mein erster Profisieg, und das gleich bei der Tour. Es könnte nicht besser laufen. Es fühlt sich wie ein Traum an“, sagte er im Ziel.

Marc Hirschi feiert Tour-Etappensieg

Bereits drei Tage zuvor, während der neunten Etappe, war er der stärkste Fahrer des Pelotons: Rund 60 Kilometer vor dem Ziel setzte er sich aus einer Fluchtgruppe ab – und wurde erst zwei Kilometer vor dem Ziel abgefangen. Im Ziel der Grande Boucle wurde diese Fahrweise belohnt: Marc Hirschi wurde als aktivster, aggressivster Fahrer der Tour de France ausgezeichnet.

Dass er einer der stärksten Eintages-Fahrer der Welt ist, zeigte er auch danach: Innerhalb von zwei Wochen wurde er Dritter des extrem schweren Weltmeisterschafts-Rennens von Imola, Sieger des Flèche Wallonne und Zweiter von Lüttich-Bastogne-Lüttich. Die Namen der Fahrer, die bei diesem Klassiker den Sieg unter sich ausmachten: Primož Roglič, Tadej Pogačar, Matej Mohorič, Mathieu van der Poel, Julian Alaphilippe – und Marc Hirschi.

Der Weltmeister Alaphilippe war es, der den jungen Schweizer im Sprint mit einer „Welle“ aus dem Tritt brachte. „Was soll ich sagen, ich habe nicht gewonnen. Es war nicht fair von Alaphilippe, aber das Ergebnis ist nicht mehr zu ändern“, sagte Hirschi im Ziel. Dies sagt viel über ihn aus. Es zeigt zum einen: eine grundlegende Gelassenheit. Und zweitens: ein ebensolches Selbstbewusstsein.

Marc Hirschi kam als junger Fahrer bei einem der härtesten und renommiertesten Klassiker mit den weltbesten Fahrern – unter anderem dem Weltmeister und dem Sieger und dem Zweitplatzierten der Tour – ins Ziel. Und will nichts anderes als den Sieg.

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Schon früh der Fahrer der Zukunft

In der Schweiz gilt Hirschi bereits seit Jahren als der Fahrer der Zukunft. Als Supertalent. „Seit Tony Rominger hatten wir niemanden mit einem solchen Killerinstinkt“, sagt Thomas Peter, der Sportdirektor von Swiss Cycling. Marc Hirschi ist der erste Schweizer seit acht Jahren, der einen Tour-Etappensieg holte – und der erste seit Ferdy Kübler im Jahr 1952, der den Flèche Wallonne gewann.

Er stammt aus demselben Ort, Ittigen, einem Vorort der Hauptstadt Bern, wie sein Vorgänger – der Schweizer Radsportheld und sein heutiger Manager Fabian Cancellara. Noch heute lebt Hirschi in seiner Heimat, mit seinen Eltern und drei Geschwistern. Wie lange noch? „Er ist sehr bodenständig und wird sicher nicht anfangen, First Class zu fliegen und Luxusschlitten zu fahren“, sagte Fabian Cancellara der NZZ. „Er wird auch mit dem wachsenden Druck umgehen können.“ Dennoch: Die Erwartungen der Schweizer Fans sind extrem hoch.

Marc Hirschi, Klassiker

Marc Hirschi war einer der gefährlichsten Klassiker-Fahrer 2020

Supertalent

So prophezeite etwa Tony Rominger, der einstige Gesamtsieger des Giro d’Italia und der Vuelta: „Seit Alex Zülle in den 90er-Jahren wartet die Schweiz auf einen, der in den Rundfahrten ganz vorne mitmischen kann. Marc Hirschi könnte genau dieser Fahrer sein.“ Allerdings ist die Frage, ob sich Hirschi in die Richtung eines Gesamtwertungs-Fahrers entwickeln wird, noch eine völlig offene.

Die meisten Experten erwarten, dass er sich auf jenen Bereich fokussiert, in dem er in der Saison 2020 in die Weltspitze gefahren ist: Klassiker.

Schlechter Start in die Corona-Saison 2020

Dabei begann diese so besondere „Corona-Saison“ 2020 schlecht für ihn: mit lang andauernden Hüftproblemen. Er war kurz davor, sich operieren zu lassen. Doch vor und während der Rennpause wählte er den konservativen Ansatz – die Arbeit mit einem Physiotherapeuten. Er änderte seine Sitzposition auf dem Rad. Und überwand die Probleme. Gerade rechtzeitig für den Einsatz bei seiner ersten dreiwöchigen Rundfahrt.

Einer, der Hirschis Entwicklung schon lange verfolgt, ist Beat Müller. Der Leistungssportchef des Schweizer Radsportverbandes hat ihn schon früh auf seine Fähigkeiten getestet – unter anderem auf der Radrennbahn von Grenchen, am Sitz des Schweizer Radsport-Verbandes. Stefan Küng, der heute einer der weltbesten Zeitfahrer ist, absolvierte die 3000 Meter dort als 16-Jähriger in 4:14 Minuten. Marc Hirschi unterbot im selben Alter Küngs Bestmarke um acht Sekunden. Trotz seiner anderen Statur und seines Leichtgewichts: Er wiegt heute, bei einer Größe von 1,74 Meter, 61 Kilogramm.

Von da an ließen Müller und Sportdirektor Thomas Peter dieses junge Talent nicht mehr aus den Augen. „Wir hatten in den letzten Jahren niemanden wie ihn. Tony Rominger war vielleicht der Letzte“, vergleicht ihn Peter mit dem früheren Schweizer Rundfahrt-Spezialisten.

Marc Hirschi, Portrait, Tour de France

Marc Hirschi auf der 18. Etappe der Tour de France

Marc Hirschi: Klassiker-Spezialist

Marc Hirschi hat nicht nur körperlich viel Potenzial, sondern ist auch mental sehr stark und reifer als viele seiner Altersgenossen. „Viele Fahrer sind während des Rennens einfach zu beeinflussen, indem man ihnen falsche Signale sendet“, sagte er im Interview. „Wenn es mir schlecht geht, spiele ich ihnen vor, dass ich mich stark fühle. Bin ich dagegen gut unterwegs, suggeriere ich, demnächst einzubrechen. Dann tritt der Gegner vielleicht an, weil er denkt, er könne mich mit einer kurzen Attacke stehen lassen. Aber er verbraucht damit nur wertvolle Energie. Das kann ich später gegen ihn verwenden.“ Der frühere Schweizer Nationaltrainer Danilo Hondo nannte ihn den „Killer“, da er ein Rennen „lesen“ könne. Er erfasse Situationen sehr schnell, schätze seine Gegner richtig ein, sei mutig und attackiere im richtigen Moment.

Marc Hirschi kam durch seinen Vater, einen Hobby-Mountainbiker, zum Radsport. Er begann mit dem Mountainbike-Sport.

Ausbildung

Mit 14 Jahren war er zum ersten Mal bergauf schneller als der Vater. „Mir war früh klar, wo ich hinwill. Darum habe ich auf viel verzichtet“, sagt der heute 22-Jährige. Neben dem Leistungssport absolvierte er noch eine kaufmännische Ausbildung bei der Schweizer Armee. In seiner knappen Freizeit liest er alles über die richtige Ernährung, Aerodynamik, Rennmaterial. Schon früh ordnet er seinem Sport viel unter. Sein Training beruht von Beginn an auf objektiven Daten. Morgens nach dem Frühstück legt er sich häufig noch einmal hin – für zwei Stunden Schlaf vor dem Training.

2015 wird er Schweizer Junioren-Meister auf der Straße, 2016 Junioren-Weltmeister im Madison auf der Bahn. Im selben Jahr startet er bei drei Rundfahrten – und kommt dreimal aufs Podest: Er gewinnt die Tour du Pays de Vaud und wird jeweils Dritter beim GP Patton und beim GP Rüebliland. 2018 wird er – auf der Straße – sowohl Europa- als auch Weltmeister der U23-Klasse. Im Jahr danach steigt er vom Development- in das Sunweb-WorldTour-Team auf. „Er ist ein Multitalent“, sagt sein Sunweb-Trainer Luke Roberts. Bisher entwickelt sich Hirschi als Allrounder, als Fahrer für schwere Eintagesrennen.

Schon 2019, in seiner ersten Saison in der WorldTour, lieferte er konstant gute Resultate ab: Er war Dritter der Clásica San Sebastián, trug das Trikot des besten Nachwuchsfahrers der Deutschland Tour, platzierte sich in der schweren Baskenland-Rundfahrt zweimal unter den fünf Besten und war Zweiter der Schweizer Zeitfahrmeisterschaft hinter Stefan Küng. Ende 2021 läuft Hirschis Vertrag mit seinem Team Sunweb aus. Er könnte zu den begehrtesten Fahrern überhaupt gehören.

Denn Marc Hirschi ist: der vielleicht stärkste Eintages-Fahrer der kommenden Jahre.

Marc Hirschi, Tour de France, Portrait

Marc Hirschi galt früh als Supertalent – und ist schon jetzt einer der stärksten Eintagesfahrer der Welt

Dieser Artikel erschien in der RennRad 1-2/2021Hier können Sie die Ausgabe als E-Paper oder Printmagazin bestellen.